Großmama

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
charis
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Großmama

Beitragvon charis » 22.04.2004, 21:46

Schau, was ich sehe -
was ich sehe, das war einmal.

im Jahr Neunzehnfünfunddreißig
in einem kohlelosen und kalten Dezember
da lag unterm Weihnachtsbaum
ein kleines Büchlein mit blauem Einband.

Und du schriebst deinen Namen rein:
Gisela. Und gabst es den Freundinnen,
mit der Bitte versehen, sich sauber und fein
mit einem Gedicht zu verewigen.

Du hast es herausgekramt
aus einer Lade voll alter Erinnerungen
und stolz zeigst du mir: schau, das war meins.
Aufbewahrt all die vielen langen Jahre.

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und ein
Veilchenaquarell und ich blättere um und
sehe das Hakenkreuz. Die Ermahnung
des Bruders, ein deutsches Mädel zu sein.

Lang vor dem Anschluss. Machwerke,
die von Kampf & Ehre erzählen. Und davon,
dass es so was wie Jugend damals nicht gab.
Nur die leise Ahnung einer baldigen Inschrift am Grab.

Ich seh’, was ich sehe. Und kann nicht versteh’n.
Und mag nicht fragen, denn die Antwort,
die tut vielleicht weh.

Spiderman
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Re: Großmama

Beitragvon Spiderman » 27.04.2004, 20:42

Hi charis,

schon lange kein Gedicht mehr von Dir kommentiert. Schon lange kein Gedicht mehr von Dir gelesen. Wurde ja langsam mal Zeit...

Ob mir das Gedicht gefällt - ja und nein. Bin unentschieden. Die Idee gefällt mir, einzelne Stellen sind sehr gut, aber irgendwas... paßt (mir) nicht. Weiß nicht genau. Ich geh mal ins Detail

Schau, was ich sehe -
was ich sehe, das war einmal.


Völlig unrhythmischer Einstieg für ein Gedicht. Vielleicht ist unrhythmisch das falsche Wort, vielleicht eher "dissonant". Gleichzeitig haben die beiden Verse "Sprüchlein"-Charakter.


im Jahr Neunzehnfünfunddreißig
in einem kohlelosen und kalten Dezember
da lag unterm Weihnachtsbaum
ein kleines Büchlein mit blauem Einband.


Das ist sehr nüchtern und klar. Das gefällt mir. Dann aber wieder der Rhythmus. Warum ist die zweite Zeile soooo viel länger als die anderen (13 Silben vs. 7, 8, 10). Es läßt sich wieder nicht rhythmisch lesen. Wie Sand, der zwischen den Zähnen knirrscht.

Und du schriebst deinen Namen rein:
Gisela. Und gabst es den Freundinnen,
mit der Bitte versehen, sich sauber und fein
mit einem Gedicht zu verewigen.


Hier dann ein Nicht-Reim. "Rein - fein" bei metrisch völlig auseinander liegenden Versen. Da steckt System dahinter...

Du hast es herausgekramt
aus einer Lade voll alter Erinnerungen
und stolz zeigst du mir: schau, das war meins.
Aufbewahrt all die vielen langen Jahre.


Andererseits: vielleicht steckt gar kein System dahinter. Wenn man's wie Prosa liest, liest sich das recht geschmeidig.

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und ein
Veilchenaquarell und ich blättere um und
sehe das Hakenkreuz. Die Ermahnung
des Bruders, ein deutsches Mädel zu sein.


Die Strophe ist inhaltlich sehr sehr gut. Kontrast Spruch/Veilchen - Hakenkreuz. Da kommst Du zum eigentlichen Thema des Gedichts.

Lang vor dem Anschluss. Machwerke,
die von Kampf & Ehre erzählen. Und davon,
dass es so was wie Jugend damals nicht gab.
Nur die leise Ahnung einer baldigen Inschrift am Grab.


Das Wort "Machwerke" halte ich in dem Gedicht für ungünstig. Da verläßt Du den nüchternden, berichtenden Tonfall. Mit dem Wort "Machwerke" nimmst Du Spannung aus dem Gedicht heraus. Die Spannung ergibt sich ja aus dem Kontrast nüchterner Tonfall / Mädchen-Poesie-Album-Welt mit den Abrgründen und der Brutalität des NSDAP-Regimes.

Ich seh’, was ich sehe. Und kann nicht versteh’n.
Und mag nicht fragen, denn die Antwort,
die tut vielleicht weh.


Hmmmm, die letzte Strophe, naja, ich weiß nicht. Wieder die totale Dissonanz im Rhythmus und (Fast-)Reim, gleichzeitig der Sprüchlein-Charakter wie am Anfang. Ich glaube, was mich auch stört ist der Kommentar "Ich kann nicht verstehen..." Das kommt sinngemäß in vielen politischen Gedichten vor: "ich kann nicht verstehen, dass die Menschen sich gegenseitig umbringen und nicht lieb zueinander sind." Ehrlich gesagt, ich kann es auch nicht verstehen. Aber ist das Nicht-Verstehen-Können mitteilenswert. Alle hier werden wie ich sagen "Klar, kann ich auch nicht verstehen." Bringt uns das was?

Okay, trotz meiner Kritik finde ich das Gedicht vom Ansatz her sehr gut. Ich würd's halt noch mal überarbeiten. ;-)

Liebe Grüße

Thomas
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

charis
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Re: Großmama

Beitragvon charis » 29.04.2004, 17:30

ich denk du hast mit vielem recht...
danke fürs kommentieren!!

keine ahnung, ich krieg derzeit einfach nicht viel auf die reihe... :-|

[) i r k
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Re: Großmama

Beitragvon [) i r k » 10.05.2004, 19:10

Hallo Charis,

also inhaltlich finde ich dieses Gedicht großartig!
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und ein
Veilchenaquarell und ich blättere um und
sehe das Hakenkreuz. Die Ermahnung
des Bruders, ein deutsches Mädel zu sein.

Eine wirklich verdammt gute Strophe. Einen größeren Gegensatz als zwischen diesem Goethezitat und der wiedergekäuten Nazipropaganda kann man sich kaum vorstellen. Da krieg ich wirklich das Gruseln. Was mir vor allem daran gefällt, ist der persönliche, familiäre Ton in dem Gedicht, diese Intimität des historischen Dokuments/des Andenkens. Das ist doch gerade das, was man gern verschweigt und tabuisiert, wovon niemand mehr was wissen will ... und dieses Detail, dieser kleine intime Einblick sprengt das einfach auf, und zeigt, wie allgemein, wie alltäglich der nationalsozialistische Kult war.

Allerdings bin ich - wie Spider - der Ansicht, dass das Gedicht an einigen Stellen, eine Überarbeitung, eine Verfeinerung des Sprachrhytmus' vertragen könnte. Ja, vor allem der Anfang und das Ende.
Ich seh’, was ich sehe. Und kann nicht versteh’n.
Und mag nicht fragen, denn die Antwort,
die tut vielleicht weh.

Bilde ich mir das nur ein, oder wirkt das lyrische Ich am Ende etwas feige? Ich will in diesem Zusammenhang nicht werten. Aber die Stelle könnte vielleicht noch etwas subtiler, etwas tiefer gehen, nach Gründen forschen ... gerade die Position und die Gefühle des lyrischen Ichs finde ich hier besonders wichtig, aber auch besonders schwierig. Denn sie beeinflussen am meisten die Einstellung des Lesers zu dem Gedicht. Und gerade Gefühle wie Angst, Gleichgültigkeit oder Reaktionen wie Schweigen, Zögerlichkeit, Hemmschwellen, Verdrängung etc. sind bei diesem Thema doch gerade das Interessante. Also entweder die Resonanz/Reaktion des LI gründlicher ausleuchten oder ganz darauf verzichten.

Trotz meiner Kritik möchte ich noch mal betonen: ein sehr gutes Gedicht. Gefällt mir außerordentlich. Nicht immer dieses nette, oberflächliche poetische Geplänkel, nicht immer diesselbe narzißtische Rotation ums eigene Ich. Ein mutiges Gedicht.

Mein Respekt.

[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

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Re: Großmama

Beitragvon charis » 12.06.2004, 01:21

was ich auch schon längst sagen wollte - lieber dirk - danke für deine kritik. du hast mir mut und lust gemacht, das gedicht überarbeiten zu wollen.

dein eindruck, das das LI am ende feige ist, stimmt. das ist vielleicht sogar DAS thema des gedichts.
und da sollte ich genauer herausarbeiten.

lg charis

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Re: Großmama

Beitragvon charis » 05.09.2005, 22:50

auch was geändert...:

GROßMAMA
Schau, was ich sehe -
was ich sehe, das war einmal.

im Jahr Neunzehnfünfunddreißig
ein kohleloser und kalter Dezember
da lag unterm Weihnachtsbaum
ein Büchlein mit blauem Einband für dich.

Und du schriebst deinen Namen rein:
Annelies. Und gabst es den Freundinnen,
mit der Bitte versehen, sich sauber und fein
mit einem Gedicht, einem Gruß zu verewigen.

Du hast es herausgesucht
aus einer Lade voll alter Erinnerungen
und stolz zeigst du mir: schau, das war meins.
Aufbewahrt, hier, all die vielen Jahre.

Mein Blättern in bleichen Lagen, es freut dich,
zwischen hauchdünnem Spinnenpapier
mit Tinte und Sorgfalt von Hand geschrieben,
les ich deiner Freunde Wünsche an dich.

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und ein
Veilchenaquarell und ich blättere um und
sehe das Hakenkreuz. Die Ermahnung
des Bruders, ein deutsches Mädel zu sein.

Lang vor dem Anschluss. Der Adler
mit zürnendem Blick, dir einst geschickt
zu bewachen den rechten Lebensweg,
fliegt übers Blatt in Bleistift skizziert.

Fein säuberlich reihen sie sich, die Zeilen,
die von Kampf und Ehre erzählen. Und davon,
dass es so was wie Jugend damals nicht gab.
Nur die Ahnung einer baldigen Inschrift am Grab.

Jetzt lächelst du still, in fernen Tagen verloren,
als du jung warst und schön, denkst noch heute
an junge Männer in Uniform, die deine Wangen
blutrot verfärbten – und die Welt ebenso.

Großmama. Geliebte. Ich seh’, was ich seh.
Doch auch, was einst war. Und kann nicht versteh’n.
Ich hab Angst, dich zu fragen: was hat euch getrieben?
Bin dein Fleisch und Blut – was davon ist geblieben...

Surjaninov
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Re: Großmama

Beitragvon Surjaninov » 05.09.2005, 23:58

Tjena


"Gisela - Annelies"

- Warum jetzt ein anderer Name? Ist der Name so unwichtig? Warum dann nicht Helene oder Lotte?

"vielen langen Jahre"

- Die Jahre waren viel und lang und dunkel und hell und schön und schrecklich...
Würde eins rausnehmen, wär auch schöner zu lesen dann - finde ich.
Ist die frage was wichtiger ist - viel oder lang?

"Spinnenpapier"

- Was ist Spinnenpapier?
(auch hast du in der Strophe zweimal "dich" am Ende einer Zeile.)

"Edel sei der Mensch"

- Edel sollte der Mensch wohl auch bei den Nazis sein? - Kein Gegensatz?
Obwohl er woll auch hilfreich und gut sein sollte bei ihnen - je nach dem wie man es auslegt.

"Nur die Ahnung einer baldigen Inschrift am Grab"

- Wessen Grab? Des Bruders oder der OMA? Meint: wenn die OMA das Buch so lange aufhebt, hat die damalige Zeit, die sie überlebt hat, doch bestimmt keinen Einfluss auf ihre Grabinschrift.
Warum also erwähnen?
Nur im den Tad ins Boot zu holen?!

"Großmama. Geliebte."

- Großmama, geliebte.??
Klar Das LI sie liebt, aber als Geliebte versteh man fast was anderes.

"was davon ist geblieben..."

- Was ist denn davon geblieben? Immer noch Fleisch und Blut und Gefühl und Liebe + Schmerz.
Das LI kann und wird die Zeiten, wie wir alle, nicht verstehen.
Was soll also daraus geworden sein? Was ist geblieben?
Finde die letzte Zeile nicht gut gelöst.

---

"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, und ein
Veilchenaquarell und ich blättere um und
sehe das Hakenkreuz. Die Ermahnung
des Bruders, ein deutsches Mädel zu sein."

Klar der Knackpunkt des Gedichts. Es kommt also raus - nicht alles war rosig 1935!
(trotz siehe oben) Gut gelöst, starker letzter Satz.
(Hätte es noch eine Strophe nach unten aus der Mitte gerückt, gut nicht so wichtig.)

Aber halt! Dagegen ist die folgende Strophe (7) sehr viel schwächer. Strophe Nr 6. braucht keine bestätigung mehr und keinen solchen Unterbau.
Einzig der Gedanke des Lebensweges ist interessant.
Ansonsten unnötig!

---

Schliesse mich Dirk und Spider an, trotz den kleinen Schwächen, ein gutes Gedicht zu einem wichtigen Thema, welches erzählt wie es ist ohne dabei pathetisch, heroisierend oder dergleichen zu sein.

lg
S

charis
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Re: Großmama

Beitragvon charis » 06.09.2005, 10:55

"Gisela - Annelies"

- Warum jetzt ein anderer Name? Ist der Name so unwichtig? Warum dann nicht Helene oder Lotte?


lieber s.,
naja, da gibt es schon einen grund dafür, der grund hat v.a. damit zu tun, dass ich dieses gedicht öffentlich gelesen habe, und da war mir ein namenswechsel wichtig - weil der vorherige für mich zu persönlich war. annelies - weil es der erste 3silbige war, der mir einfiel. :-)


"vielen langen Jahre"

habe das lang rausgenommen, das "viel" erscheint mir hier wichtiger und du hast völlig recht - es liest sich besser (komisch, das hab ich gar nicht gemerkt...)

Was ist Spinnenpapier?
(auch hast du in der Strophe zweimal "dich" am Ende einer Zeile.)

Spinnenpapier, das ist dieses Papier, das es auch in Fotoalben gibt, diese pergamentartigen Zwischenblätter, die meist eine Spinnennetzmaserung tragen...

"Edel sei der Mensch"

- Edel sollte der Mensch wohl auch bei den Nazis sein? - Kein Gegensatz?
Obwohl er woll auch hilfreich und gut sein sollte bei ihnen - je nach dem wie man es auslegt.

es war mir wichtig, genau diesen bruch darzustellen - schließlich kann man 1. nicht davon ausgehen, dass alle in stammbücher eintragende menschen seinerzeit nazis waren und 2. schon gar nicht, dass sie nicht trotz NS-gesinnung nicht dennoch goethes worte zu beherzigen glaubten und 3. fiel mir immer auf, dass in solchen bucher völlig willkürlich gewählte gedichte/wünsche zu stehen scheinent, hingeschrieben aus dem einzigen grund, weil man eben irgendein gedicht schreiben musste, sehr oft auch vom inhalt für kinder/jugendliche völlig unverständlich. Viel beduetender erschien mir immer die Ausarbeitung des obligatorischen "Bildchens" (Blumenbuketts etc...), sowie immer wieder die makellose Schönschrift.
Aus all diesen Gründen meine ich, dass dieser Spruch die Wirkung des Kontrasts hier bestens erfüllt.

Wessen Grab? Des Bruders oder der OMA? Meint: wenn die OMA das Buch so lange aufhebt, hat die damalige Zeit, die sie überlebt hat, doch bestimmt keinen Einfluss auf ihre Grabinschrift.
Warum also erwähnen?
Nur im den Tad ins Boot zu holen?!


meine damit den Tod des Bruders oder jener Schreiber, die diese Zeilen einem jungen Mädchen mitgeben wollten - also ist hier auch irgendwo ein entpersonifizierter soldatentod gemeint.

- Großmama, geliebte.??
Klar Das LI sie liebt, aber als Geliebte versteh man fast was anderes.

ach ja? Ich weiß nicht. Der Punkt schien, mir die Betonung der Emotion zu unterstreichen, mit Beistrich hat es was beiläufigeres... Was sagen denn die anderen?

Was ist denn davon geblieben? Immer noch Fleisch und Blut und Gefühl und Liebe + Schmerz.
Das LI kann und wird die Zeiten, wie wir alle, nicht verstehen.
Was soll also daraus geworden sein? Was ist geblieben?
Finde die letzte Zeile nicht gut gelöst.

hmmm... das scheitn also wirklich ein größerer brocken zu sein.
1. irgendwie WILL ich auch gar nicht, dass es gut gelöst wird, weil es ja nicht gelöst werden kann, vom inhalt her... das ist ja auch die aussage...

es geht ja 2. weniger darum, diese Zeit zu verstehen, sondern die tatsache, in einem geliebten menschen (Charakter-?)züge bzw. einstellungen vorhanden sein könnten, die Angst einflößend sind.

es geht 3. darum, dass das LI sich fragt, ob dann irgendetwas von dieser bereitschaft, damals die schrecklichen botschaften des NS anzunehmen, sich weiter"vererbt" hat - irgendwo im eigenen Inneren lauert... da das aber nicht klar ist, muss auch das Ende irgendwo offen bleiben...

Der Versuch über die Formulierungen mit dem "Sehen" soll ja auch dann noch zeigen, dass das Sehen hier das einzige bleibt, wo ein Austausch stattfindet, eine Information gegeben wird, dass es aufgrund des oft absoluten Tabus, in Familien nachzufragen nach der Gesinnung in jener Zeit nicht möglich ist, Antworten zu bekommen...

Ich hoffe, ich kann damit verständlich machen, wie ich das meine...?

Aber halt! Dagegen ist die folgende Strophe (7) sehr viel schwächer. Strophe Nr 6. braucht keine bestätigung mehr und keinen solchen Unterbau.
Einzig der Gedanke des Lebensweges ist interessant.
Ansonsten unnötig!


Interessant... ich hielt diese Strophe für eine Bereicherung...

Schliesse mich Dirk und Spider an, trotz den kleinen Schwächen, ein gutes Gedicht zu einem wichtigen Thema, welches erzählt wie es ist ohne dabei pathetisch, heroisierend oder dergleichen zu sein.


ich merke jetzt, dass ich mir viel zu wenig Zeit genommen habe für die Überarbeitung - mlchte da wirklich noch dran weiterarbeiten - und würde mich umso mehr über weiteres Feedback freuen.

Dir, Surja, danke - für die ausführlichen und wertvollen Hinweise :-)

LG
ch

Surjaninov
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Re: Großmama

Beitragvon Surjaninov » 06.09.2005, 12:36

hej hej!

annelies - weil es der erste 3silbige war, der mir einfiel.


Hab ich nicht gewusst. ;-)
Stell dir vor es würde irgendwo gedruckt - welchen Namen würdest du wählen?

es war mir wichtig, genau diesen bruch darzustellen [...]


Ok, du hast mich überzeugt!

ach ja? Ich weiß nicht. Der Punkt schien, mir die Betonung der Emotion zu unterstreichen, mit Beistrich hat es was beiläufigeres... Was sagen denn die anderen?


Ohne den Strich natürlich. Habe die Striche nur gemacht um mein Geschreibsel deutlich zu machen. (ich war zu faul um dieses QUOTE immer zu kopieren...)

Würde aber immer noch schreiben:

Großmama, geliebte.

"Großmama. Geliebte. Ich seh’, was ich seh." / Der Versuch über die Formulierungen mit dem "Sehen"...


Verstehe ich so, sie sieht was sie sieht - die geliebte Großmama!
Sie sieht natürlich das Büchlein, die Dinge die darin geschreiben stehen.
Ist die Frage ab sich durch das Buch die Sicht auf die Großmutter ändert. Ich denke NEIN.

Zumal das Geschriebene nicht von ihr selbst ist. (Wäre es nicht interessant das Buch einer Freundin zu finden um zu lesen was dei eigene Großmama geschreiben hat? ;-) )

1. irgendwie WILL ich auch gar nicht, dass es gut gelöst wird


- Ich meinte nicht die Antwort auf die/eine Frage. Das musst du nicht lösen.

Bin dein Fleisch und Blut – was davon ist geblieben...


Ich meinte es so: Es ist IMMER NOCH Fleisch und Blut! Es ist nicht weniger geworden. Was ist also geblieben - ALLES?
So betrachtet finde ich "was davon ist geblieben..." nicht gut.
Ich mein, puh, ich sag mal so, das Ende ist zu Schwach.
Kann das schlecht erklären.

es geht ja 2. weniger darum, diese Zeit zu verstehen, sondern die tatsache, in einem geliebten menschen (Charakter-?)züge bzw. einstellungen vorhanden sein könnten, die Angst einflößend sind.


Dann wäre die Frage, inwieweit man die Oma mit dem Buch identifiezieren kann / will. Oder Das Buch (nur) mit der Zeit.
Es ist ja erstmal so, das man keinen Einfluss darauf hat was Leute dahinein schreiben.
Meint: wie sehr identifieziert man die Großmama mit dem was im Buch geschreiben steht? Gedichte, Bilder, Hakenkreuze.

es geht 3. darum, dass das LI sich fragt, ob dann irgendetwas von dieser bereitschaft, damals die schrecklichen botschaften des NS anzunehmen, sich weiter"vererbt" hat - irgendwo im eigenen Inneren lauert...


Es ist Erschreckend sich so etwas vorzustellen. Wie weit würden die Menschen gehen, würde ich gehen.?
Diese Gedanken kommen allerdings nicht so gut heraus finde ich. Und es klingt so recht ja erst in der letzten Strophe an, wo dann ein bisschen der Schrecken fehlt, der Schrecken des LI!
(letzte Strophe, letzter Satz - siehe oben)

Puh, es ist so wirr was ich schreibe. Ich hoffe man kann das verstehen ;-)

lG
Surja
:-)

charis
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Re: Großmama

Beitragvon charis » 06.09.2005, 22:44

Verstehe ich so, sie sieht was sie sieht - die geliebte Großmama!
Sie sieht natürlich das Büchlein, die Dinge die darin geschreiben stehen.
Ist die Frage ab sich durch das Buch die Sicht auf die Großmutter ändert. Ich denke NEIN.

ja - aber es ist doch eine äußerst irritierende Erfahrung, wenn sich da etwas auftut, mit dem das LI in seiner Sicht auf die G., seinem Weltbild, nicht gerechnet hat, oder vielleicht auch nur nicht wahrhaben wollte. Natürlich sagt der Besitz derartiger Einträge im Buch noch nichts Fixes über die Einstellungen der Besitzer selbst aus - aber ich glaube doch, dass die Annahmen, die daraus folgerbar sind, nahe liegen, und sich dem LI quasi aufdängen. Letztlich ist das Entdecken des Buchs und seiner Inschriften vieleicht auch nur stellvertretend da für manche andere Vermutungen, die das LI sich bereits über die Vergangenheit der G. gemacht hat.
Oder - siehst du das als Insiderwissen an - das im gedicht zu nennen wäre?

Zumal das Geschriebene nicht von ihr selbst ist. (Wäre es nicht interessant das Buch einer Freundin zu finden um zu lesen was dei eigene Großmama geschreiben hat? ;-) )


nein - das geht nicht. das wäre nämlich eine andere Geschichte. Die Geschichte muss ich so erzählen, wie sie ist. Dein Einwand hat Berechtigung, aber die Geschichte ist eben eine andere...

Ich meinte es so: Es ist IMMER NOCH Fleisch und Blut! Es ist nicht weniger geworden. Was ist also geblieben - ALLES?


aaah ja. Jetzt kapier ich. das "davon", natürlich - du beziehst es aufs Fleisch und Blut. Ich meinte mit dem davon aber, das, was hinter dem "was" aus der Zeile davor steht.

Ja - das muss ich irgendwie anders machen. Puh, mir fällt jetzt grad gar nichts ein... werd mich wohl mit dem Gedicht in ein stilles Kämmerlein zurückziehen ;-)

Wie weit würden die Menschen gehen, würde ich gehen.?
Diese Gedanken kommen allerdings nicht so gut heraus finde ich. Und es klingt so recht ja erst in der letzten Strophe an, wo dann ein bisschen der Schrecken fehlt, der Schrecken des LI!


ok - also das klingt nach Großauftrag an Überarbeitung. Du meinst, es müsste mehr Schrecken rein...? Ich hatte das Gefühl, der käme schon durch die Strophen 7-9 mit raus...

Puh, es ist so wirr was ich schreibe. Ich hoffe man kann das verstehen ;-)


oh ja, bin halt jetzt auch verwirrt - aber das passt schon... ;-)

lieben Gruß retour
charis

Surjaninov
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Re: Großmama

Beitragvon Surjaninov » 06.09.2005, 23:45

nein - das geht nicht. das wäre nämlich eine andere Geschichte. Die Geschichte muss ich so erzählen, wie sie ist. Dein Einwand hat Berechtigung, aber die Geschichte ist eben eine andere...


Neeeee, ich meinte nicht das du das hier auch noch reinpacken sollst. Nur so als fixer Gedanke ;-)

Letztlich ist das Entdecken des Buchs und seiner Inschriften vieleicht auch nur stellvertretend da für manche andere Vermutungen, die das LI sich bereits über die Vergangenheit der G. gemacht hat.


Ja, da hast du Recht.
Sicher das man (LI) sich vorher Gedanken macht, das die Großmama vorher vielleicht nie sehr viel erzählt hat von den Schrecken der Zeit.
Dann liest LI in dem Buch und stößt mit der Nase drauf. Auf Dinge die es vielleicht geahnt hat. Die sich jetzt (ein wenig?) Besatätigen.
Auf Dinge vor denen LI Angst hatte, bzw. die man sich von den einem nahe stehenden
Menschen nicht vorstellen mochte / wollte?!

aaah ja. Jetzt kapier ich. das "davon", natürlich - du beziehst es aufs Fleisch und Blut. Ich meinte mit dem davon aber, das, was hinter dem "was" aus der Zeile davor steht.


aaaaah ja ;-) , du meinst was von dem übrig geblieben ist was die Menschen damals in den Abgrund getrieben hat.
Von dieser Kraft, der Bereitschaft sich blenden zu lassen, oder wie man es nennen möchte.
OK, kann ich nachvollziehen.
Finde aber das es sich missverständlich liest, zu sehr auf das Fleisch und Blut bezogen...
Das geht mir so.
Es steht so dazwischen (Fleisch und Blut), da übersieht man den Zusammenhang leicht.

Die frage lautet ja:

Was ist davon in MIR geblieben...?

ok - also das klingt nach Großauftrag an Überarbeitung. Du meinst, es müsste mehr Schrecken rein...? Ich hatte das Gefühl, der käme schon durch die Strophen 7-9 mit raus...


So wie du es beschreibst in deinen Antworte denke ich das dein LI schon einen (großen?) Schrecken bekommt, und die Dinge nicht so recht einordenen und deuten kann.
Das LI ist verwirrt - hin und her gerissen in den Gedanken.
(Grade da sich vielleicht Dinge bestätigen die unser LI geahnt hat (siehe oben))

Oder sehe ich das zu dramatisch?
Wenn nicht, dann finde ich, kommt von dem Schrecken und der Verwirrung ((auch) in den Gefühlen -> Liebe zu Großmutter)
nicht sehr viel rüber.
So geht es mir.

mehr Schrecken rein...?


Finde jetzt das die Verwirrung des LI mindestens genauso wichtig ist!

Es ist diese Mischung aus großer Zuneigung und Abscheu.


Das rausarbeiten??

(hoffe "abscheu" ist nicht zu drastisch ausgedrückt...;-) )


lg + gute nacht
Surja
:-)

charis
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Re: Großmama

Beitragvon charis » 08.09.2005, 10:28

Es steht so dazwischen (Fleisch und Blut), da übersieht man den Zusammenhang leicht.


ja - also das werde ich auf jeden Fall bearbeiten, das muss der Bezug klar werden...

@Schrecken, Verwirrung und Abscheu -
ich glaube weniger, dass das LI so "geschreckt" war, weil es doch wusste, dass die G. in Kreisen verkehrte, die dem NS-Gedankengut nicht abgeneigt waren ... da muss es eine Spurensuche oder vielmehr ein Spuren-Entdecken auch davor schon gegeben haben.

Ein Schreckens-Aspekt allerdings, der vielleicht in der jetzigen Ausführung des Gedichts unter den Tisch fällt: der Schreck darüber, dass die G. das Büchlein herzeigt, ohne beunruhigt darüber zu sein, was die Bilder und Texte auslösen... hat sie vergessen, was darin stand? Sind die Texte immer noch legitim für sie? Sie muss wissen, dass das LI nicht empfänglich dafür wäre... ist sie einfach schon zu alt, um sich darüber Gedanken zu machen...?

fragt sich
charis :-)

Surjaninov
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Re: Großmama

Beitragvon Surjaninov » 09.09.2005, 02:04

...hat sie vergessen, was darin stand? Sind die Texte immer noch legitim für sie? Sie muss wissen, dass das LI nicht empfänglich dafür wäre... ist sie einfach schon zu alt, um sich darüber Gedanken zu machen...?


Gute Fragen.
Nein, vergessen was darin stand hat sie wohl nicht.
Würde es, wenn sie es vergessen hätte, auch nicht rausrücken?
Vielleicht verbindet sie schöne Erinnerungen mit dem Buch, und will sich diese nicht kaputt machen lassen...?

Auch wenn diese schönen Erinnerungen in anderer Leute Augen, in anderer Leute Zeit nichtmehr so schön daherkommen...

(aber das ist vielleicht schon zu sehr abgeschweift vom Gedicht?)
;-)

fragt sich
Surja


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