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Irgendwie seltsam...

Verfasst: 09.09.2002, 00:03
von Spiderman
Irgendwie seltsam

Der Erich-Fried-Band auf dem Nachtkästchen
hätte mich warnen müssen, genauso
das Janosch-Poster vom Waldbären an deiner Tür.
Dein Flohmarkt-Zimmer war voller Fallen.
Einfach zusammen, zufrieden sein ging mit dir nicht.

Du wolltest einen ätherischen Mehrwert. Es gab
immer was, das bei uns beiden nicht reichte. Vielleicht
waren in unseren autistischen Sphären tatsächlich
Liebe, Sex und Zärtlichkeit Simulation.
Es war alles nicht wirklich und irgendwie seltsam.

Zum Beispiel im Bad nebeneinander zu stehen,
die Zahnbürsten erlebten vorm Spiegel
Abenteuer im Mundraum. Seltsam war‘s auch,
wenn du vor dem Schlafengehen erklärtest,
wie wichtig‘s dir sei, zu mir ehrlich zu sein.

Schlief ich bei dir, dann war es mein Auftrag,
die Extra-Matratze aus dem Keller zu holen.
Der Grund: du brauchtest zum Schlafen viel Platz
und nur die Plüschtiere waren privilegiert.
Nachts stand die Heizung immer auf Fünf. Manchmal

probten wir die Stereotypien zweier Körper.
Öfter redetest du stundenlang von dir selbst.
Ich hörte dir zu wie ein schlafloses Kind, das versucht
zu Drei Fragezeichen müde zu werden.
Es war immer das Gleiche und ich blieb stets hellwach.

Lang blieb ich bei dir. Jeder Fehlschlag bewies,
es war der Anstrengung bisher nicht genug.
Wie ein Loch-Ness-Forscher glaubte ich fest,
dass es Ungeheueres zu entdecken dort galt.
Ich war jung und ohne besseres Wissen.

So grün war ich hinter den Ohren, dass überall
dort wo ich ging, das FBI nicht weit weg war
und nach Aliens suchte. Zum Glück
wußtest du, wo es lang geht. Du konntest
ja auch den kleinen Prinzen zitieren.

Gut an uns war, dass auch ohne besseres Wissen,
wir beiläufig irgendwann ein Ende erreichten
Danach verschossen wir die Restmunition
bei strategisch geplanten Telefonaten.
Aber auch das, das ist jetzt acht Jahre her.

Re: Irgendwie seltsam...

Verfasst: 09.09.2002, 01:25
von gelbsucht
Na, wenn das kein "ächter postkoitaler Thomas" ist! Unverkennbar, wirklich! Irgendwie hätte ich dir vom Nickname zwar eher "King-Kong" zugetraut, aber den scheinst du ja endgültig überwunden zu haben! ;-)
Öfter redetest du stundenlang von dir selbst.
Ich hörte dir zu wie ein schlafloses Kind, das versucht
zu Drei Fragezeichen müde zu werden.
Oh, das ist böse und verdammt gut. Meine Lieblingsstelle. Ich werde später noch mehr zu dem Gedicht sagen.

Bis dahin,
gelbsucht

Re: Irgendwie seltsam...

Verfasst: 11.09.2002, 01:12
von gelbsucht
Hallo Spiderman,

also insgesamt finde ich das Gedicht ausgesprochen gelungen, eine sehr interessante Analyse einer jungen Beziehung, die Bilder sind sehr dicht und voller origineller Einfälle/Eindrücke, ein paar, die mir besonders gut gefallen haben, will ich mal hervorheben:

>Dein Flohmarkt-Zimmer war voller Fallen.

>Du wolltest einen ätherischen Mehrwert.

>Vielleicht
>waren in unseren autistischen Sphären tatsächlich
>Liebe, Sex und Zärtlichkeit Simulation.

>DIE GANZE STROPHE VIER
Armer Kerl! Spätestens an dieser Stelle kann man ihm eine gehörige Portion Mitleid nicht verwehren.

>Manchmal
>probten wir die Stereotypien zweier Körper.

>Wie ein Loch-Ness-Forscher glaubte ich fest,
>dass es Ungeheueres zu entdecken dort galt.

Irgendwie habe ich die beschriebene "Freundin" durch dein Gedicht sehr plastisch vor Augen. Sehr anschaulich und real das Ganze. Das Gedicht ergänzt auf sehr geschickte Art Beobachtung mit Relativierung, mit einem leichten unterschwelligem Ton von Kritik und Humor, den die Distanz zum Geschehen erlaubt.

Es sind wirklich nur zwei Kleinigkeiten, die mich gestört haben:

>Ich war jung und ohne besseres Wissen.

Diese Formulierung "ohne besseres Wissen" finde ich etwas krude, etwas "seltsam". Ich kann das aber gar nicht näher begründen. Das ist so ein spontanes Gefühl beim ersten Lesen gewesen und seitdem nicht wieder verschwunden. Vielleicht liegt es daran, daß hier sehr stark reflektiert wird, was ohnehin klar und in anderen Bildern bereits ausgedrückt und deutlich wurde. Darum stört mich auch die Wiederholung in der letzten Strophe.

>Aber auch das, das ist jetzt acht Jahre her.

Den Schluß finde ich ausgesprochen schwach!

Erstens: der konkrete Zeitbezug. Ist doch egal, wie lange es her ist ... ob nun acht oder drei oder fünfzehn Jahre. Das interessiert doch keinen Menschen. Daß es eine Weile her ist, wird wiederum aus dem Gedicht selbst schon deutlich.

Zweitens: Warum das Komma? Warum dieser Bruch im Satz? Warum zweimal "das"?

Drittens: Ich finde dieser Satz bringt am Schluß eine etwas sentimentale, sehnsuchtsvolle Note mit ins Spiel, die zu dem eher distanzierten, relativierenden Gesamteindruck, nach meinem Geschmack, nicht passen will. Es plätschert so aus - wo ein runder Schluss hätte sein müssen.

Übrigens glaube ich, daß ein Leser das Gedicht stärker empfinden würde, wenn es nicht in der zweiten sondern in der dritten Person Singular geschrieben wäre. Was soll diese Anrede nach 8 Jahren, die dazwischen liegen, bedeuten, veranschaulichen? Es klingt dann entweder wie eine Abrechnung (was das Gedicht nicht ist) oder erinnert mich persönlich an Menschen, die an Gräbern mit den Verstorbenen zu reden pflegen.

MfG,
gelbsucht

Re: Irgendwie seltsam...

Verfasst: 13.09.2002, 16:29
von Spiderman
Danke El'Mundo für Dein Feedback! Ich glaube, Du hast ganz gut getroffen, was die Qualität des Textes - auch für mich selber - ausmacht und an welchen Stellen es eigentlich noch besser sein könnte.

Ich hoffe, ich raffe mich noch mal zu einer Überarbeitung auf.

Sei gegrüßt

von Thomas & Spiderman