Das Kreuz mit der Familie

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Spiderman
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Das Kreuz mit der Familie

Beitragvon Spiderman » 15.06.2004, 00:02

Das Kreuz mit der Familie

Teurer als Gold war das Blut der Familie.
Mein Vater, der seltsame Zimmermann, stellte
Preßspanbalken aus Rosenholz her
und zimmerte Kreuze, zweifünfzig hoch,
drei davon standen immer im Garten.

Abends kletterten wir, die drei Brüder,
auf die Querbalken hoch und bestaunten,
die Sonne hinter den Wohnblocks verschwinden,
wir erfanden unsere Biografien,
wir wunderten uns, was war und was wird.

Mein Vater hängte sich vor der Arbeit,
es war kalt, an das mittlere Kreuz;
das härte ihn ab, erzählte er uns;
darüber schüttelte Mutter den Kopf:
„Er will nur was Besonderes sein!"

Mutter, die eulenhafte Praktikerin,
brachte uns bei, mit dem Messer das Brot
gerade zu schneiden und wie man die Zähne
von oben nach unten mit Perfektion putzt;
ich hab bis heute kein einziges Loch.

Allein bin ich, der Benjamin, übrig,
denn Freitag vergaß sich Vater am Kreuz;
Samstag erschlug beim Versuch, ihn zu retten,
das Kreuz meine Mutter, die Splitter des Holzes
vergifteten meinen zwei Brüdern das Blut.

Ich zog in das Haus meiner Eltern, die Tage
der früheren Eintracht vermisse ich sehr.
Alles so still. Doch begegnete gestern
mir meine Frau und im Keller vor mir
liegt jetzt mein erstes gezimmertes Kreuz.
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

[) i r k
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Re: Das Kreuz mit der Familie

Beitragvon [) i r k » 09.07.2004, 16:27

Hallo Spider,

seit gestern wieder im Kino? ;-)

Ähm, ja, das Gedicht ... da sagt auch kein Mensch etwas zu und irgendwie fällt es auch mir recht schwer, etwas dazu zu sagen. Das ist wahrscheinlich das mit Abstand seltsamste Gedicht, das ich seit langem von dir gelesen habe. Ich frage mich, ob du hier gleichnishaft von dir selber erzählst und was das alles überhaupt soll.

Das ganze wirkt auf mich wie die Zusammenfassung/Inhaltsangabe einer Sitcom. Kann es sein, dass du dieses TV-Junk-Thema, dem wir uns hier vor einiger Zeit mal gewidmet hatten, mit diesem Gedicht einfach noch einmal aufgegriffen hast? Macht auf mich den Eindruck. Besonders der "tragische Höhepunkt" des Gedichtes ...
Allein bin ich, der Benjamin, übrig,
denn Freitag vergaß sich Vater am Kreuz;
Samstag erschlug beim Versuch, ihn zu retten,
das Kreuz meine Mutter, die Splitter des Holzes
vergifteten meinen zwei Brüdern das Blut.

... das wirkt sehr splatter-slapstick-haft auf mich. Und die Fortsetzung folgt auf dem Fuße:
Ich zog in das Haus meiner Eltern, die Tage
der früheren Eintracht vermisse ich sehr.
Alles so still. Doch begegnete gestern
mir meine Frau und im Keller vor mir
liegt jetzt mein erstes gezimmertes Kreuz.

Das Fernsehen, das sich immer wieder selbst kopiert?

Die glückliche Familie als Mittelpunkt einer Fernsehserie, das ist ein immer wiederkehrendes Muster der leichten, frühabendlichen Fernsehunterhaltung. Das würde zu meiner Sitcom-Theorie passen. Und vielleicht hast du hier mit dem Vater, der selber Kreuze zimmert, und dem ganzen Drumherum einfach mal deine eigene Idee zu so einer Sendung in ein Gedicht umgesetzt? Ja, aber es gibt Strophen, die da überhaupt nicht reinzupassen scheinen:
Mutter, die eulenhafte Praktikerin,
brachte uns bei, mit dem Messer das Brot
gerade zu schneiden und wie man die Zähne
von oben nach unten mit Perfektion putzt;
ich hab bis heute kein einziges Loch.

Das wäre zu banal, um in so einer Sendung gezeigt zu werden, oder? Das würde wahrscheinlich schon mehr Richtung Reality-TV gehen ... das Haus, die Family und 25 Kameras (außer in der Toilette).

Weiß nicht, was ich von dem Gedicht halten soll.

MfG,
[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

Spiderman
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Re: Das Kreuz mit der Familie

Beitragvon Spiderman » 11.07.2004, 18:07

Hi Dirk,
danke für Deinen Kommentar. Ehrlich gesagt: irgendwelche Gedanken ans Fernsehen hatte ich beim Schreiben nicht. Auch ist es keine autobiografische Familiengeschichte in Kurzform. Deine Hauptfrage ist: Was will uns Spiderman mit diesem Gedicht sagen? Meine Antwort ist unbefriedigend: Mir ist das Gedicht einfach so eingefallen und ich fand es stimmig. Ich will nichts anderes sagen, als das, was in dem Gedicht drin steht.
:-&
Spiderman
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!


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