Konzept des Lebensfeindes

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Hamburger
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Konzept des Lebensfeindes

Beitragvon Hamburger » 22.06.2023, 07:40

Sie wusste schon lange, ihr fehlte ein Feind
ein Mensch, mit dem man ständig greint
bei dem strahlend hell die Verachtung aufscheint
gemeinsam man sich im größten Hass vereint

Im Abitur war es so weit, sie traf Britta
ihr erster Gedanke „Dich bringe ich hinter Gitter“
Britta trug immer so einen bescheuerten Flitter
der Anblick von Britta war einfach bitter

Britta ihrerseits hasste sie auch
ihre Familie misanthropisch – ein alter Brauch
ihrer Lieben war Feuer und Rauch
Britta sagte gleich zu ihr „Na, du Lauch!“

Bald waren sie sich einig: Feinde für Leben
vereint in ihrem ewigen, herrlichen Streben
dem anderen das Leben zu machen zum Erdbeben
in jeder Lage wollten sie es sich tüchtig geben

Sie vereinbarten Telefonate, dreimal die Woche
somit startete eine neue Epoche
sie boten sich niemals das kleinste Schlupfloche
legten munter los wie am Bohrloche

„Du heiratest? Idiotin! Nein, doch nicht? Auch falsch!“
„Deine Aura ähnelt der Haute Couture eines Kuhstalls!“
„Komm näher als 500 Meter, dann knallt`s!“
„Ebenfalls, Ebenfalls, Ebenfalls!“

Bald trat sie ein, die gewünschte Folge
ihr erbitterter Kampf für sie wurde zum Golde
beide reich und berühmt, jeweils bekannt als „die Holde!
denn alle Scheiß-Gefühle ließen sie in ihrem Dasein als Raufbolde

Britta leitete bald einen großen Konzern
Führungskultur ultrasoft-freundlich, ganz modern
sie wiederum wurde It-Girl und Model
stand genau wie Britta auf gigantischem Sockel

Dort stehen sie noch heute, sind zu jedermann lieb
alle mögen sie leiden, ihren samtenen Beat
das Patriarchat vor ihnen in die Büsche flieht
sie sind unantastbar – und ihres Glückes Schmied

Denn dreimal die Woche, seit vielen Jahren
schreien sie in ihr Smartphone voll hässlich Gebaren
als wollten sie sich lebendig garen
das Konzept des Lebensfeindes erquickt sie: die weiblichen Zaren

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