Doppelhaushälfte

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
festfisch
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Doppelhaushälfte

Beitragvon festfisch » 23.06.2004, 18:35

Doppelhaushälfte


Sie begießt kalt das Winterbeet
mit gefrorenem Lächeln und bleierner Hand.
Er betrinkt sich mit Wein, der in der Küche steht,
fällt vor den Fernseher wie Tropfen in den Sand.
Sie bezieht erfroren das Kinderbett
mit staubigem Husten und steter Zucht.
Er bestellt sie zu sich aufs Bajonett
und befleckt mit Kriegsgerät ihre Bucht.
Sie faulen auseinander mit fadem Blick
und füllen ihr Nichts bis zum nächsten Fick.
and in the end, the love you take is equal to the love you make.

[) i r k
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Re: Doppelhaushälfte

Beitragvon [) i r k » 20.07.2004, 22:11

Hallo festfisch,
Sie begießt kalt das Winterbeet

Muss ein Winterbeet gegossen werden? Ich glaube kaum. Das Adverb "kalt" erscheint mir inhaltlich/satzlogisch unpassend; die Zeile würde insgesamt auch rhythmischer klingen, wenn du auf dieses eine Wort verzichten würdest.
mit gefrorenem Lächeln und bleierner Hand.

Das ist mir zu deutlich, zu abgegriffen: ein gefrorenes Lächeln, ein bleiernes Körperglied, diese Wendungen hat man schon 1000fach benutzt und dementsprechend ausgelutscht sind sie.
Er betrinkt sich mit Wein, der in der Küche steht,

Beet - steht. Der Reim, naja, aber der zweite Teil der Zeile ist reichlich überflüssig. Was interessiert es mich, wo der Wein steht oder nicht steht? Das ist doch absolut nebensächlich und uninteressant.
fällt vor den Fernseher wie Tropfen in den Sand.

Hand - Sand. Der Reim ist mir zu mager, zu naheliegend, zu einfallslos. Das sind Kinderreime. Der Vergleich ("fällt ... wie Tropfen in den Sand.") erscheint mir irgendwie unpassend. Ich frage mich, was ein Mann, der in den Sessel vor den Fernseher sinkt und ein Tropfen, der in den Sand fällt, gemeinsam haben? Was rechtfertigt den Gebrauch von "wie"?
Sie begießt kalt das Winterbeet

Sie bezieht erfroren das Kinderbett

Diese beiden Zeilen sind klanglich sehr stark verbunden. Der Parallelismus von "kalt" und "erfroren" ist allerdings recht plump. Das Adverb erscheint mir - wie schon in der ersten Zeile so auch hier - fehl am Platze. Wenn sie erfroren ist, wird sie sich ja wohl kaum noch bewegen können, oder? Und "erfroren" als Hinweis (als Wink mit dem Zaunpfahl) auf die Gefühlskälte und das Absterben der Liebe, wäre wiederum eine für meinen Geschmack zu deutliche, weil zu abgegriffene Metapher.
mit staubigem Husten und steter Zucht.

Wieder ein Parallelismus in der Konstruktion. Ich frage mich nur: wozu? Was soll das bringen? Das staubige Husten ist okay, die "stete Zucht" ist merkwürdig. Das Wort Zucht klingt daneben, mir ist unklar, was du damit sagen willst. Diese Zeile würde wohl eher einen Pietismus, eine Verklemmtheit, eine Steifheit beschreiben, die eher auf eine alte Witwe zuträfe, auf eine Nonne oder auf den Stereotypen der strengen, schrumpeligen Kinderfrau (aus dem vorletzten Jahrhundert), als auf eine verheiratete Frau von heute.
Er bestellt sie zu sich aufs Bajonett
und befleckt mit Kriegsgerät ihre Bucht.

Ich denke, an dieser Stelle verliert das Gedicht jeden Sinn und jede Glaubwürdigkeit. Bajonett - befleckt - Kriegsgerät - Bucht: diese Bilder sind vollkommen daneben. Es muss eine frigide alte Jungfer sein, die dieses Gedicht spricht. Anders kann ich mir diese Wortwahl nicht erklären.
Sie faulen auseinander mit fadem Blick

Die Zeile ist okay, bis auf das Adjektiv "fad" am Ende. Das ist wiederum zuviel des Guten.
und füllen ihr Nichts bis zum nächsten Fick.

Sie füllen ihr Nichts - mit was denn? Mit Tomatenmark? Mit Musikantenstadl? Mit Abführzäpfchen? Mit abgelaufenen Witzen? Oder mit Diazepam?

"Bis zum nächsten Fick". Der Versuch den Leser am Ende noch einmal zu reizen - geschweige denn zu "schocken" - ist dir gründlich misslungen. Außerdem widerspricht diese Wortwahl eklatant dem Sprachgebrauch der alten Schnepfe, die sich zuvor im Gedicht zu Wort gemeldet hat.

Ich finde dieses Gedicht ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie schnell Kritik an der "Institution Ehe" und anderen eingefahrenen Beziehungen scheitern und daneben gehen kann. Du versuchst zu provozieren und verlierst dich im grotesk Oberflächlichen, im unglaubwürdig Klischeehaften. Ich bedauere, dass meine Kritik so hart und eindeutig ausfällt, aber ich kann kein Kanninchen aus dem Hut hervorzaubern und etwas loben, wo nichts zu loben ist.

Nichts für ungut,
[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

festfisch
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Re: Doppelhaushälfte

Beitragvon festfisch » 21.07.2004, 12:29

Nun ja, Dirk, deine Kritik ist hart und deutlich ausgefallen. Das ist nicht das Problem, ich fühle mich nicht in den lyrischen Keller geschickt. Vielmehr ist die Art der Kritik, wie so oft, Gegenstand der Verstimmung. Du scheinst mit den Termini der Gedichtinterpretation sicher umgehen zu können, aber an Konstruktivität mangelt es dir sehr. Die Einzelkritik an jeder Zeile ist legitim, jedoch hat mich gerade der Vorwurf der Klischeehaftigkeit doch etwas verwundert. Ich hätte von einem geübten Rezensenten, wie du es zu sein scheinst, die Erkenntnis des lyrischen Spiels mit dem Vorurteil des Klischees erwartet. Auch die ironische Übertreibung der Tristesse, sozusagen das postmoderne Spiel mit der Verzweiflung, scheint dir entgangen zu sein und einem blanden Provokationsvorwurf gewichen zu sein. Alle sozialkritischen Gedichte provozieren, das ist kein Fehler und auch kein Klischee. Die Kritik an den Reimen geht in Ordnung, über deren Schwäche bin ich mir vereinzelt im Klaren. Insgesamt ist deine Kritik doch etwas zu hart ausgefallen, aber das steht jedem frei. Nur sollte immer bedacht werden, Stilvorwürfe nicht mit eigenen Stilvorlieben zu verwechseln. Gruß vom weiterschwimmenden festfisch.
and in the end, the love you take is equal to the love you make.


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