Für Anton Cechov

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Hilbi
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Für Anton Cechov

Beitragvon Hilbi » 15.07.2004, 13:36

antonia lidmosikova stand am fenster
und wartete auf den nächsten mann
der sich entblättern würde
und kaum stand sie da
da kam schon der nächste mann und entblätterte sich

die leute um sie herum wussten nicht was das war
warum sich alle männer vor antonia lidmosikova entblätterten

und sie fragten einen dichter
der gerade an der strasse entlang ging
er ging hin und her
hin und her
und er hatte eine frikadelle im mund

die leute sagten
schön ist der frühling dichter...nicht war
sing uns ein lied
ruf auf zur bewaffnung der stadt
wir wollen uns mal kräftig kriminalisieren

aber der dichter konnte nicht
erstens hatte er gerade eine schreibkrise
und zweitens hatte er eine frikadelle im mund
und drittens wollte er zu antonia lidmosikova
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

vogel
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Re: Für Anton Cechov

Beitragvon vogel » 16.07.2004, 16:37

Hallo Hilbi !

Jetzt muss ich endlich was zu deinem kleinem Werke sagen.
Ich wollt mir aber erst noch eine Biographie raussuchen – aber da stand leider nicht drin, ob er einen Hang zu Frikadellen hatte und ob er sich gern mal vergnügte auf die eine oder andere Art.

Als ich dieses Gedicht das erste Mal in deinem Forum gelesen habe, habe ich mir irgendwie gefragt warum die Junge Dame Antonia Lidmosikova heißt – hört sich arg russisch an. Liegt wohl daran dass Anton auch Russe war ... :-D

die leute um sie herum wussten nicht was das war
warum sich alle männer vor antonia lidmosikova entblätterten

Anton (mein Gott, ich nenn ihn beim Vornamen, ....... Hilbi ...) lebte Ende des 19. Jh. (Hatte gestern seinen 150 Todestag, hat mir Hilbi erzählt.)
Also waren die Menschen wohl noch nicht ... ach wie heißt das ... sie waren spröde ? Sagt man das so ? Na, keine Ahnung, sie waren vielleicht auch verklemmt ?
Ich treff heute irgendwie nicht den Punkt .. Jedenfalls machst das schön deutchlich, Hilbi – was auch immer es ist ... :verlegen:

ruf auf zur bewaffnung der stadt
wir wollen uns mal kräftig kriminalisieren

Anspielung auf die Russische Revolution, 1. Weltkrieg ?

Ansonsten, wieder echt schön. Ausnahmsweise extrem klar, und durchsichtig – aber es ist halt wie ein Fenster: Durchsehen kannst du, aber nicht durchfassen ... Sprich nicht alles ist klar, und lääst Interpretationsspielraum ..Das gefällt mir, Hilbi.


frikadelle im mund

Hm, wenn ich jetzt frage, ob Frikadellen Bouletten sind, damit könnt ihr sicher nix anfangen. Aber das ist doch , wenn ich mich nicht täusche, gebratenes Hackfleisch, oder ?

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[) i r k
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Re: Für Anton Cechov

Beitragvon [) i r k » 20.07.2004, 20:45

Ein wunderschönes Gedicht, Hilbi. Es wirkt so scherzhaft und liebenswürdig, trotz des mitunter nicht ganz so schmeichelhaften Gegenstandes des Gedichtes ("und wartete auf den nächsten mann" - "eine frikadelle im mund" - "mal kräftig kriminalisieren" - "wollte er zu antonia lidmosikova").

Eines der besten Gedichte, die ich so in der letzten Zeit von dir gelesen habe. Man merkt es dem Gedicht an, dass du den, dem du es gewidmet hast, sehr magst.
Hatte gestern seinen 150 Todestag, hat mir Hilbi erzählt.

Seinen 100. Todestag. Er ist am 15.07.1904 gestorben.
Anspielung auf die Russische Revolution, 1. Weltkrieg ?

Das ist vielleicht ein bisschen früh. Und das Werk von Tschechov konzentriert sich auch eher auf bürgerliche Individuen und deren inneren und äußerlichen Niedergang, als auf soziale Unterschiede und Spannungen. Insofern verwundern mich die letzten beiden Zeilen von Strophe vier durchaus etwas. Aber vielleicht klingt da auch so etwas wie ein leichter kritischer Ton an:
aber der dichter konnte nicht

Den Dichter scheint es nicht groß zu kümmern, was um ihn herum geschieht - und was man von ihm erwartet. Er ist mit sich selbst beschäftigt.
schön ist der frühling dichter...nicht war

nicht wahr
Als ich dieses Gedicht das erste Mal in deinem Forum gelesen habe, habe ich mir irgendwie gefragt warum die Junge Dame Antonia Lidmosikova heißt – hört sich arg russisch an.

Der Name Antonia Lidmosikova wirkt erfunden. Ich glaube nicht, dass es ein Frauenzimmer gleichen Namens im Leben von Tschechov gegeben hat. Lidmosikova, das klingt so nach: Mosikova -> Moskova -> Moskau. Und wie sich der Vorname der jungen Frau ableitet, ist ja auch nicht schwer zu erraten: Anton Tsch. -> Antonia.

Tschechov ist großartig.

Und Hilbi sowieso. :-)

[) i r k
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Re: Für Anton Cechov

Beitragvon vogel » 25.07.2004, 13:33

Tschechov ist großartig.

Und Hilbi sowieso.

Vor lauter Buchtipps weiß ich langsam nicht mehr wohin mit mir, und ich habe noch immer nicht Anne Franck gelesen. Was mache ich eigentlich den ganzen Tag ? Däumchen drehen ?

Antonia Lidmosikova

Ich finde den Namen nicht überragend und würde mein Kind nie so nennen. Aber gekünstelt ? Hm, also ich weiß nicht .... Dass Antonia von Anton ist klar ...
*lach* Und wenn die Antonia für den Anton steht, und der Dichter irgendwer anders ist ? Vielleicht wurde ja Anton (ich nenn ihn schon wieder beim Vornamen ...) ausgenutzt, wie eine derartige Dame .. Aber das ist sicher Schwachsinn ...

Seinen 100. Todestag. Er ist am 15.07.1904 gestorben.

Man wird sich ja noch mal verrechnen können, aber kam mir gleich so seltsam vor. Egal ...

Eines der besten Gedichte, die ich so in der letzten Zeit von dir gelesen habe.

Das denke ich aber mal auch ! :-)


Liebe Grüße
b!rdy
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Re: Für Anton Cechov

Beitragvon [) i r k » 27.07.2004, 05:38

Ich finde den Namen nicht überragend und würde mein Kind nie so nennen. Aber gekünstelt ?

Ich wollte gar nicht sagen, dass der Name gekünstelt auf mich wirkt. Im Gegenteil, er gefällt mir. Ich wollte nur zeigen, dass die Erfindung quasi noch ein bisschen durchschimmert und wie er sich (wahrscheinlich) ableitet.

Grüße.
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Re: Für Anton Cechov

Beitragvon Herbert Eiter » 27.07.2004, 09:55

Das ist verdammt gut!

Verdammt, ist das gut!
and all the lousy little poets coming round ...


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