In der „Goldenen Krone“ machte Otto heute Halt. Obwohl er unter vielen alten, mehr oder minder beliebten Bekannten hockte, war er merkwürdig stumm und genoß mehr schweigend als gesellig sein Bier. Heute brauchte er schon einiges davon, um in Stimmung zu kommen.
Noch immer quälte ihn seine Heimlichtuerei.
Seine Überlegungen waren folgende.
'Soll ich dem Kriminaler nun stecken, dass ich hinter der Videoaktion stecke oder nicht? Dass ich die Entführer kannte. Dass es letztlich auf mein Konto geht, dass die Entführung stattfand? Hätte ich die zwei Strauchdiebe nicht auf den Arzt losgelassen, wäre es schließlich niemals zu dieser gekommen.'
Gut, er empfand schon Befriedigung, wenn er an den Videostreifen dachte, den die Entführer zwecks Gelderpressung ihm und seiner Schwägerin zugeschickt hatte. Insofern Auftrag erledigt und Arzt blamiert, wie gewollt. Aber...
Einen tiefen Schluck aus der Maß. Mensch, ein Durst brannte heute abend auf der Zunge. Oder war der eher irgendwo im Hinterstamm lokalisiert?
Was nun die Videoaufzeichnungen anbelangt, müsste man den Gaunern attestieren, dass sie ihre Sache gut gemacht hatten - das musste man ihnen lassen – nur diese blöde Erpressungs- und Entführungsgeschichte da...
Eben, wie sehr es ihn befriedigte, seinen Onkel bloßgestellt und entlarvt zu sehen, hatte er dennoch ein mulmiges Gefühl. Obwohl ja auch das Geld wieder zurückgekommen war. Nicht ein Cent war verloren gegangen. Also, es war keinerlei materieller Schaden entstanden!
'Was stört Dich aber dennoch?', fragte er sich im hintersten Hirnstamm.
Momentan erfolgte von dort her keine Antwort.
Das Video würde auch bald seine Wirkung verbraucht haben, nachdem es die Runde in den einschlägigen Kreisen gemacht hatte, wie das Strohfeuer eines Papiertigers. Danach würde doch Gras über die Sache wachsen und alles vergeben und vergessen sein.
Also, dann noch auf einen Schluck.
Trotzdem.
Leider konnte er seine Freude nicht mit anderen teilen. Aber Freude? Er hatte ja schon keine mehr daran. Durch diese damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Umstände war sie ihm vergällt worden.
Das konnte nur mit Hilfe vielem Bier gelingen.
Mensch, heute war sein Durst schon bodenlos...
Nicht mal ein Bekannter hatte ihn mal auf das Video angesprochen, das doch auf der Website des world wide web hochgeladen worden war, keiner, wie es doch zu erwarten war, hatte gerufen: "Mann, wer hätte das gedacht, dass Dein Neffe solch ein Schwerenöter ist?" oder so. Wenn er wirklich seine Schadenfreude mit sich alleine "genießen" musste, machte sie ihm auch keinen Spaß, verflixt.
Ernst wusste von den Gewissensqualen seines Neffen überhaupt nichts, auch wenn er unmittelbar neben ihm am Stammtisch saß. Er lebte ohnehin meist in seiner eigenen Welt und residierte wahrscheinlich gerade im Schloß Bellevue in Berlin.
Immerhin wusste er aber einiges von dem Martyrium der Krankenschwester im Keller, in der Badewanne, in diesem Haus da, wo die Entführung stattgefunden hat. Sie hatte ihm einiges erzählt, recht ausführlich, nicht allein deswegen, weil Ernst vieles nicht verstand oder mangels Erfahrung sich nicht vorstellen konnte, sondern weil sie noch unsäglich darunter litt. So war bei Ernst einiges hängengeblieben. Als das Stichwort Entführung des stadtbekannten Arztes fiel, konnte er sich in Szene setzen und etwas dazu beitragen, was sensationell war, zumindest die Sache würzte.
„Dabei war auch noch die Krankenschwester, die dabei am meisten leiden musste." Ernst gab dies zu bedenken.
„Ach, außer unserem Chefarzt noch eine Krankenschwester. Wie kam das zustande?“
Ernst zuckte die Schultern. Er wusste zwar um die Wahrheit dieses Umstandes, aber nicht um die Gründe.
Niemand wusste dazu eine Antwort.
Otto allerdings konnte als einziger 1 und 1 zusammenzählen. Natürlich, bei dem Pornostreifen kam es zutage, dass der Arzt ja mit einer Frau zusammen im Auto gewesen war. Daran hatte Otto anfänglich gar nicht gedacht.
Jetzt aber!
Was will man aber von ihm, die Entführung war ja nicht geplant gewesen. Insofern war er unschuldig.
Trotzdem! Danach. Im Zuge der Erpressung.
Mensch, diese Frau hatte auch unter dieser Malträtierung leiden müssen, macht dir das mal klar, sagte er sich.
Er tat wieder einen gehörigen Schluck.
Noch ließ er diesen Gedanken nicht so recht an sich heran.
'Mach Dir keinen Kopf. Die Entführung wolltest du nicht. Dem Onkel, dem du eine auswischen wolltest, wird schon kein Haar gekrümmt worden sein.'
Dies stimmte. Aber umso mehr dessen Begleitperson war zugesetzt worden, und das nicht zu wenig, wie er eindeutig Ernst Gesagtem entnahm.
„Die wurden beide im Keller eingeschlossen. Und die Krankenschwester haben sie sich immer wieder zur Brust genommen.“
Die Stammtischbrüder staunten, fast ungläubig.
„Nicht wahr!“ „Aus dem Verlies herausgeholt und zur Brust genommen.“ Geraune. Leise kam es: "Im wahrsten Sinne des Wortes wahrscheinlich zur Brust genommen." Aber die Sache war natürlich zu ernst, als dass man sich darüber einen Witz gemacht hätte.
„Doch, doch.“
„Was Du nicht alles weißt, Ernst!“
Bevor Ernst die Sache klar stellen konnte, unterbrach ein anderer den Gesprächsverlauf.
Er piff durch die Zähne: „Bestimmt nicht zum Geschirrspülen! Hat man sie aus dem Keller geholt.“
„Schon auch“, erwiderte Ernst ernsthaft.
Gedämpftes Gelächter erscholl reihum.
„Ach, dann zum Kochen, was? Dann zum Bedienen der Erpresser. Ich kann es mir gut vorstellen, mit blauer Schürze und rosa Schleifchen hinten.“ Einer flüsterte jemanden ins Ohr: „Und wahrscheinlich sonst nichts an.“ Alle lachten jetzt. Leider ging diesen ehrenwerten Männern nun doch die Phantasie durch.
Ernst ging das zu schnell. Aber bevor er sich auslachen ließ, zeigte er, was ein Politiker vermag, nämlich immer eine Antwort finden und seinen Standpunkt verteidigen: „Eher Geschirrspülen und Kloputzen als Kochen, kann ich Euch versichern.“
Das Gelächter war jetzt doch gut vernehmlich.
Ernst musste Nägel mit Köpfen machen, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen. „Diese Frau kann nämlich nicht kochen.“
Zweifelndes Gemurmle und Gelächter.
"Dafür wird sie auf ganz anderem Gebiet, umso durchschlagendere Fähigkeiten besitzen."
Jetzt aber war wohl das lauteste Gelächter zu hören.
Ernst verstand das nur so, dass seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wurde. Das durfte er nicht auf sich beruhen lassen. „Damit ihr's genau wisst: ich kenne sie nämlich persönlich. Sie hat es mir selbst gesagt.“
Das brachte das Publikum wieder zum Schweigen.
„Du kennst Sie... persönlich...“
„In der Tat!“
„Hm, ach, was, nein, ja.“
„Das weiß ich ganz genau über sie, jawohl. Weil ich sie kenne. Und noch viel mehr.“
Neugierde regte sich: „Erzähl, was? Wie haben die Gauner sie behandelt, was haben sie mit ihr gemacht?“ Das Volk wusste zwar gar nichts, hegte aber offensichtlich Vermutungen. Das ist verständlich, wenn man sich, wie sie, in die Situation von Entführern versetzt und sich vorstellt, dass man da so eine knackige, dralle, wehrlose junge Frau in Händen hat.
Ernst Augen weiteten sich, da er nicht verstand, was Sache war. Aber er stand eindeutig im Mittelpunkt und es war seine Show, um die frohe Botschaft zu verkünden. Eher die traurige.
„Ja, diese Frau, ich habe es selbst mit eigenen Augen gesehen, hat schwere Verletzung am ganzen Körper. Narben, Strähnen, Blutergüsse.“ Dann winkte er treuselig ab. „Wahrscheinlich vom Unfall her!“
Einer lachte verhalten: „Das glaubst nur Du!“ Ernst erwiderte nüchtern: „Ja, das glaube ich.“
Damit stand er allein da. Keiner glaubte dies. Auch Otto im ersten Moment nicht.
Ihm wurde es immer schlechter und schlechter. Bei dem kleinen Denkzettel-Verpassen wurde einer unschuldigen Person am meisten verpasst. Obwohl sie völlig unschuldig war. Und er, er war der Verursacher letztlich – er! - so sieht es aus!
Ernst erging sich weiter in Andeutungen. So und so sei der Zustand der Krankenschwester.
„Woher das wohl kommt?“, sagte zwar Ernst nicht, aber ein lüsterner Zuhörer.
Otto untermalte die Erzählung von Ernst mit Bier, eine Maß nach dem anderen, völlig unkontrolliert.
Was hatte er da nur angerichtet?
Otto saß mittlerweile in der „Goldene Krone“ ganz allein vor einem Bier in einer hintersten Nische.
Er wollte und musste allein sein. Er musste Klarheit in seinen Kopf kriegen. Es gingen so viele Dinge durch diesem, die er in Ordnung bringen musste. Dazu gehörte schon einmal, sich deren im einzelnen bewußt zu werden. Und das war gar nicht so leicht.
Aber mit Hilfe ein paar Maß, wie er aus Erfahrung wusste, konnte dies leichter gelingen. Alkohol wurde ja nachgesagt, enthemme. Diese Erfahrung hatte er auch an sich selber festgestellt.
Und sich über Gefühle in klaren zu werden, war schon schwierig für einen wie Otto, der eher in der realen Welt zu Hause war, wie er fand. Natürlich war er sich darüber bewusst, dass man auch in der irrealen, wenn man das so sagen konnte, zumindest klar sehen musste.
Er bestellte sich die nächste Maß.
Er gestand sich ein und zu, dass er zwar ein Mensch mit starker Emotionalität, sagte man das so?, aufrechter Gesinnung und tadellosem Verhalten, meistens zumindest, war. Aber was half dies, wenn man nicht gelernt hat, Gefühle auszudrücken? Konnte man dies nicht, waren die anderen Dinge nur halb so viel wert. Irgendwie nämlich, er wusste nicht wie, aber es war so, hingen diese an unsichtbaren Fäden zusammen. Dies fühlte er gerade jetzt wieder.
Er bestellte die fünfte Maß.
Obwohl er glaubte, ja sich ziemlich sicher war, dass er ein sehr empfindungsreicher Mensch war. Aber die Umsetzung, das nach Außen-Zeigen, nur daran haperte es. Das war zwar als Beamter und Polizist vorteilhaft, als Mitbürger aber leider nicht.
Das war der Punkt.
Was in ihm rumorte, hatte weniger mit seiner Berufsethik zu tun, sondern mit etwas Persönlichen. Nur, er konnte es noch nicht richtig fassen, ahnen schon, aber nicht in Worte fassen. Woher auch? So etwas hatte er nicht gelernt.
Das Bier zeigte allmählich seine Wirkung.
Nun, Gefühle zu zeigen, hielt er sich vor, kannst Du nicht. Gerade jetzt. Wo es nötig war. So nötig war.
Er bestellte das sechste Bier.
Was hatte er einst gelernt?
Wer glaubt, er könne Mitmenschen Lektionen erteilen, befand sich schon auf der schiefen Bahn. Diese Binsenweisheit der ersten Jahre seiner Polizeiausbildung war ihm nunmehr glasklar. Wie hieß es da doch: aus einem harmlosen Schuß vorm Bug konnte leicht eine formidable Haverie entstehen.
So ähnlich.
Reuegefühle? Moment, er musste unterscheiden. Zwar bereute er sein Handeln, aber auch wieder nicht. Das, was er seinem Onkel antun wollte, weniger. Bis kaum.
Aber das, was er dabei einer völlig unbeteiligten dritten Person zugefügt hatte, schon.
Genau, das war die Unterscheidung.
Lass den Onkel außer acht, dann bleibt nur die Krankenschwester. Und der gegenüber empfand er sich schuldig. Sie war ursprünglich überhaupt nicht in seinem Plan vorgekommen. Er hatte sich nur auf den Neffen fokussiert, ihn treffen zu wollen, ihn zu entlarven, ihn unter Druck zu setzen. Ganz genau, wie, hatte er sich das auch gar nicht ausgemalt. Aber am wenigsten bedacht hatte er, dass da ja noch eine zweite Person, nämlich seine Sex-Gespielin mit hineingerissen werden würde bei der Video-Aufzeichnung. Nein, daran hatte er nicht gedacht. Allein das schon würde wohl schon unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte rangieren.
Er schluckte.
Aber, dass sie schließlich dann bei der Entführung am meisten hatte erdulden und erleiden müssen, das war nun etwas völlig Neues. Damit hatte die Affäre eine andere Dynamik und Dimension erhalten. Nunmehr war er in Schuld geraten, in schwere Schuld. Auch wenn er keine Entführung, wie auch, er ist ja kein Verbrecher, geplant hatte, so hatte er zumindest den Anstoß zu dieser Tortur gegeben. Okay, nicht absichtlich. Aber, hätte er nicht zum Filmen aufgerufen, hätte diese arme Seele von Krankenschwester nicht solche Qualen und Höllenstrafen durchleben müssen, nicht wahr!
Jawohl, jetzt hatte er da Gefühl am Schlawittchen. Das war es. Endlich war ihm bewußt, worunter er litt, was ihm im Hintergrund so sehr plagte, ohne es zu fassen zu kriegen.
Und er trank sein Bierglas auf Anhieb leer.
Voll Freude bestellte er gleich noch eins.
Also, wie nur konnte er sein Unrecht, das er der Krankenschwester zugefügt hatte, wieder gutmachen?
Schuldgefühle empfinden, wie jetzt?
Das war nicht genug.
Dann reuige Abbitte leisten und zwar der Betroffenen direkt gegenüber?
Er schluckte. Er trank wieder.
Ein Junge sagt zum anderen Jungen. „Komm, den verpassen wir eine Lektion!“ „Wie?“ „Wir schmeißen ihm die Fenster ein, wann er schläft.“ „Nachts!“ „Ja, die beste Tarnung! Da können wir leicht unerkannt verschwinden. Kein Schwein wird uns erkennen können, auch wenn er nur wenige Meter von uns wegsteht!“ „Stimmt!“ Die Jungs werfen einen Stein in das Fenster ihres verfeindeten ehemaligen Freundes. Der Stein durchbricht die Scheibe und fällt auf den Schlafenden just auf seine Schläfe. Er stirbt dabei. Das Wehgeschrei der Jungen ist groß. „Umbringen, umbringen wollten wir ihn niemals. Nur ihn ein bißchen erschrecken.“ Sie werden wegen Totschlags angeklagt. Die Jungen haben einen Bruch in ihrer Biographie erlitten, von dem sie sich wahrscheinlich ihr Leben lang nicht mehr erholen werden.
„Und du, Otto. Du bist genauso dumm gewesen wie die Backfische. Dumm, dumm, dumm.“ Und Otto ärgert sich über sich selbst. Schämt sich wegen seines blöden dummen jungen Streiches. Und dringt ein Bier nach dem anderen, besäuft sich bis zum Rand, dass er wirklich nur noch die Hacke voll hat.
Aber was nützt dies?
Dieses Verhalten ist beinahe so dumm, unvernünftig und unüberlegte wie seinen Angriff Dem-lieben-arroganten-Neffen-einen-ein-bißchen-an-den-Karren-fahren.
Es sah es vor sich. Es führte wohl kein Weg daran vorbei, er musste diese Krankenschwester aufsuchen, vor sie hintreten und Abbitte leisten. Wie hieß sie wieder? Hilda, glaubte er. Im Suff, dieses Stadium hatte er nun nach immerhin acht Bier erreicht, formulierte er bereits die Worte der Entschuldigung, der Abbitte-Leistung, der Vergebungserheischung.
Dies hatte er vor, vor Hilde hinzutreten und ernsthaft und aufrichtig zu bereuen, davon war er ganz trunken. Natürlich auch vom Bier. Dass er an diesem Abend gefährlich nach Hause wankte und so manche Häuserecke nur knapp verfehlte und streifte, lag größtenteils an letzterem. Aber ein bißchen auch daran, sich saugut zu fühlen: wegen sich selber, der er war, seiner Aufrichtigkeit, seines Gefühls wegen ein durch und durch guter, anständiger Mensch sein.
Zumindest einer sein zu wollen.
Leider war das nicht immer leicht, wie sich bald herausstellen würde.
Der wahre Heimatkrimi - Roman von Verbrechern wider Willen
26. Ist der Ruf erst ruiniert...
Hilde fürchtete sich furchtbar vor einer Begegnung mit dem Chefarzt. Wie würde sie mit ihren Gefühlen zurechtkommen, wenn sie ihn sah? Wohin mit ihrer Wut, ihrem Hass, ihrem Rachegelüsten dann, die sie übermächtig verspürte?
Sie durfte sich natürlich auch nicht verraten. Aber sie war oft so treuselig und rückte gern mit der Wahrheit heraus, auch wenn es sie schadete.
Und wie sich nun konkret rächen? Noch hatte sie keinen richtigen Plan, genaue Vorgehensweise, aber den unbedingten Willen, ihm zu schaden. Bevor sie aber darüber richtig nachdenken konnte, spürte sie, dass sie sich vor ihm wiederum fürchtete. So konnte sie gar keine richtigen Gedanken fassen.
Wie würde er darauf reagieren?
Hilde, hast wohl Angst? Nein, du hast keine! Oder doch vielleicht nur ein bisschen.
Aber schon spielte ihre Phantasie ihr eigenes Spiel.
Er würde sie verfolgen, ihr auflauern, hier und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ, regelmäßig hinzugehen und sich aufzuhalten. Genauer besehen, gab es davon Dutzende.
Dann die Konfrontation!
Würde sie sich am Ende gar erweichen lassen, die Fahnen streichen? Wie eine Primel eingehen, vor Furcht schmelzen wie Schnee?
Weil, weil sie seinem Charme erläge?
Nein, Charme. Charme, so etwas von Liebreiz, Anmut, Flair oder wie immer man dazu sagen sollte, hat er nicht die mindeste Spur. Ha, ha, ha. Wo denkst du hin, Hilde. Dieser technokratischen Wissenschaftler doch nicht!
Hatte er nie gehabt für sie.
Aus vernünftigen Erwägungen heraus hatten sie sich aufeinander eingelassen – nein, konnte man so auch nicht sagen. Ihre Beziehung - wie Sie diesen Begriff doch schon immer im Hinblick mit dieser hier gehasst hatte - hatten den Zweck gedient, der Einsamkeit besser zu bewältigen – triff's auch nicht richtig.
Eher so. Sie waren verzweifelt über den Tod, über den Tod anderer Menschen, die sie behandelt und gemocht hatten, und hatten sich in die Arme geschmissen, um der Eiseskälte um sie herum zu entrinnen – ja, darüber haben sie sich genähert.
Was ist es, wenn man es tut, weil man den Tod fürchtete? Todesangst-Liebe – ja, das war es.
Eine gute Basis? Fragwürdig!
Egal jetzt mittlerweile.
Höchste Zeit loslegen, zur Tat schreiten, ihn treffen und verwunden, schlagen, geißeln und quälen, wie er es mit ihr getan hatte. Möglichst versteckt, aus dem Verborgenen heraus, aus dem Hinterhalt, wie es einfach nur ging.
Aber Halt! Macht dir nichts vor, Hilde, einmal wirst du der Situation nicht mehr aus dem Wege gehen können, wo es zu einer realen Begegnung, einer Konfrontation, einer echten Gegenüberstellung kommen wird, unausweichlich, Schluck. Du kannst dich noch so sehr verstecken, ihm versuchen auszuweichen - irgendwann wird er dich schnappen. Dann wird er dich richtig hernehmen, dir die Zähne ziehen, dich bedrohen, das weißt du doch genau.
Am meisten fürchtete sie sich vor seiner Macht, Autorität, die er besaß als leitender Arzt in der mächtigen Krankenhaushierarchie, der auch sie unterstand, ob sie es wollte oder nicht, ob sie ihn verabscheute und wusste, was er doch für einen minderwertigen Charakter hatte - als vor seiner „Unwiderstehlichkeit“, seines menschlichen Einflußes, wenn er die überhaupt noch hätte bei ihr. Was wohl nicht mehr der Fall war. Definitiv nicht mehr. Naja...
Aber das war eben real, dass er eine hohe Position begleitete, zwar nicht ihr unmittelbarer Vorgesetzter war, aber doch ein wichtiges Rädchen im starren, effizienten Gefüge darstellte, Sein Arm reichte weit, wenn er es darauf ankommen ließ. Und wie die Maschinerie Krankenhausverwaltung funktionierte, wussten nur die Götter. Langjährige, erprobte, sehr gute Krankenschwestern wurden für jüngere, unerfahrene, neue Schwestern ersetzt, als wäre die Personaleinstellung ein Glücksspiel. Dahinter steckte natürlich Vetternwirtschaft. Aber wie die Seilschaften verliefen, blickte kein Mensch.
Innerlich schlug sie die Hände vors Gesicht bei der Vorstellung seiner Retourkutsche. Nein, nicht auszumalen, was auf sie mit Sicherheit wartete, aber sie konnte jetzt nicht mehr anders, sie musste ihm seine frevelhafte Gleichgültigkeit auf Heller und Pfennig zurückbezahlen.
Noch wusste sie ja noch nicht, wie vorgehen, um ihn zu beschädigen. Natürlich, gerade die Vorstellung, ihm gegenüber zu treten, wo er unter ihren Schlägen litt, erfüllte sie mit allertiefsten Befriedigung. Ja, er sollte genauso oder ähnlich leiden, wie sie es getan hatte. Es solle ihm ebenso so richtig schlecht gehen wie, wie ihr in diesem Haus...
Sie schloss die Augen vor Schmerzen, als sie daran denken musste.
Aus diesen zwei Gründen wollte sie es partout vermeiden, ihm ins Gesicht schauen zu müssen. Das hieß, sich die nächste Zeit vor ihm entziehen, aus dem Weg gehen, eine Begegnung verunmöglichen.
Solches konnte nur während der Mittagszeit stattfinden.
Viele Menschen hielten sich stets in der Kantine auf. Damit könnte er sich auch nicht so ohne weiteres an ihren Tisch setzen oder sie auffordern, mitzukommen oder ein Gespräch anfangen, das nur ihm und ihr etwas anginge. Ha, Probleme vor anderen anzusprechen, vor Fremde gar, würde er niemals wagen. Dazu kannte sie seine steife Art und zugeknöpftes Auftreten zu gut. Außerdem war er ja Chefarzt.
Andererseits war es aber auch für Sie sie nicht leicht, jemand Bekannten zum Essen oder sonstwie Anschluss zu finden am Essenstisch irgendwo im weitläufigen Speisesaal mit den Hunderten von Besuchern.
Im Fall, sie fand keine Ansprache, was musste sie tun?
Positioniere dich stets mindestens zwei Stühle zu einem anderen. Halte deinen Kopf und Oberkörper stets gegen andere gerichtet, damit der Eindruck entsteht, du sitzt gerade bei Freunden und Bekannten an einem Tisch, nur nicht allein. Hauptsache von fern als zu einer Gruppe gehörig erscheinend, das hieß auch stets lächeln, nicken und versuchen, mit anderen, egal wem, ins Gespräch zu kommen.
Plötzlich aber war es erstaunlich einfach, sich zu anderen zu gesellen. Die Entführung war in aller Munde und schon seit Wochen Gesprächsthema Nummer eins.
"Ach Hilde, schön, dass Du gerade erscheinst. Wir sind gerade bei der Frage, weshalb man Euch entführt hat?Also, wie die Gauner darauf gekommen sind, dass man bei Euch oder vielmehr bei unserem Chefarzt derartig viel Geld erpressen kann? Man munkelt von einer Summe von immerhin einer Million Euro. Die wenigsten können ja so viel aufbringen.“
„Wir haben gehört, ihr seid ja auch in einem Cabrio heraus gefangen genommen worden. Wer so ein Auto fährt – der muss ja auch Geld haben wie Heu!“
„Moment!“, entgegnete ein anderer. „Auch wenn jemand einen Mercedes Caprio fährt, heißt dies noch lange nicht, dass er Millionär ist. Viele leisten sich solch einen Schlitten, leben aber in Miete und haben ansonsten ein ganz normales Einkommen. Also, wie sind die Entführer nur darauf gekommen, den Arzt und seine Familie zu erpressen?"
"Nun, der Arzt hat wirklich Geld wie Heu. Und das ist nicht einfach so dahergesagt. Das müsst ihr Euch schon real vorstellen. Und das könnt Ihr auch, wenn ihr hört, was ich Euch jetzt zu erzählen habe.“
Sie senkt nun die Stimme zum Flüsterton. Die anderen rücken ihr Stühle näher an den Tisch. Bevor sie jedoch redet, schaut sich Hilde nach links und rechts um. Sind irgendwo unliebsame Mithörer postiert? Oder schleichen sich neue Zuhörer klammheimlich heran, um zu lauschen, was sie so Wichtiges würde nun offenbaren. Freilich, je mehr Zuhörer, zumal unbekannte, desto besser
„Also, der hat tatsächlich Tausend Euro bar einstecken gehabt. Versteht Ihr, volle Hunderte Scheine. In seiner Hosentasche. So eine Menge Geld hat der mit sich herumgetragen! Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten."
"Ist nicht wahr?"
"Oder es können auch noch mal so viel gewesen sein. Auf jeden Fall etliches Geld. Es hat regelrecht aus den Hosentaschen herausgeschaut."
"Muss es ja, das glaube ich Dir aufs Wort!“
„Und schließlich, wer so viel bar in der Tasche herumträgt, macht sich wenig aus Geld oder dem juckt es kaum, wenn er ein paar Scheine verliert oder gar ausgeraubt wird. Und das ist auch ein Beweis dafür, dass er davon genug hat, so viel, dass er regelrecht damit um sich werfen kann. Das werden sich schließlich auch die Verbrecher gedacht haben. Logo!"
"Ich kann Euch flüstern, woher dies war, wenn Ihr es nicht an die große Glocke hängt."
"Wir sind verschwiegen wie ein Grab, Hilde, das weißt Du doch!" Der Kreis schließt sich enger, indem etliche noch näher an die Tischplatte heranrücken und beinahe schon die Köpfe zusammenstecken, wie es von weitem aussieht: da wird eine sehr heiße Suppe gekocht.
Na, bei diesen drei oder vier Personen kann man so daherreden. Bei den gestrigen zehn Personen, die ihr gelauscht hatten, hätte dies ja wie Verleumdung geklungen. Sie musste schon aufpassen, wie sie das Mahl präsentierte, damit nicht der Schuß nach hinten losging und sie als Waschweib, eifersüchtiger Hahnreih oder rachsüchtige verlassene Mätresse erschien. Zwar war sie dies, aber zu Recht. Wenn alle wüssten, was er ihr angetan hatte! Aber das konnte man leider nicht vermitteln.
"Der Chefarzt hat ein ganzes Haus schwarz vermietet. Da holt er zum Ersten des Monats persönlich das Geld ab und lässt es sich bar auf die Hand blättern, ihr versteht. Und da hat er an diesem Tag das Schwarzgeld in seiner Tasche gehabt. Und als die zwei abgebrannten Penner dieses zufällig entdeckt haben, als der Arzt sich angstvoll darüber gestreichelt hat, um sich zu versichern, es befindet sich noch an Ort und Stelle, wo es sein soll, vor lauter Angst und Bange angesichts dieser verhauten Gestalten, deren Bedürftigkeit und Geldgier man an den Augen und Verhalten und Aussehen sofort ablesen konnte, so dunkel es auch schon gewesen ist, da..."
"Ah ja. Schwarzgeld. Was verdient man eigentlich als Chefarzt?"
"Gute Frage. Eine vierköpfige Familie müsste man schon ernähren können damit."
"Und ein zweistöckiges Familienhaus mit riesigem Garten..."
"Gepflegten Garten, wohlgemerkt."
"Gepflegt?"
"Ja, hat der Chefarzt noch Zeit dafür, sich darum zu kümmern?"
"Wo denkst Du hin. Er beschäftigt natürlich einen Landschaftspfleger."
"Von daher auch die wohlfeil akkurat zugeschnitten Kunstwerke von verschiedensten exotischen Büschen und Hecken."
"Und dem künstlich angelegten Teich im riesig großen Areal."
"Mit Wasserfontäne, darfst Du nicht vergessen."
"Und dieser etwas modern angebaute Vorbau, wie eine Halle. Ist das die Überdachung von einem Swimmingpool?"
"Ja, ist mir auch schon aufgefallen und ich habe mich gefragt, wozu sie die extra angebaut haben."
"Ich vermute mal, das ist wirklich ein Swimmingpool, das nach hinten rausgeht zum angrenzenden Wald."
"Der hintere Teil des Hauses grenzt an einem Wald, der so dicht mit zusätzlichem Gebüsch und Unterholz bepflanzt ist, dass man nicht durchgehen kann dort, um mal einen Blick ins Anwesen des Arztes hineinzuwerfen."
"Beziehungsweise, um von unliebsamen Blicken geschützt und nicht belästigt zu werden."
"Da musst du entweder einen sehr guten Draht zu der Gemeinde haben oder gleich Besitzer auch noch von diesem Wald vorm Haus sein."
"Wundern würde mich dies auch nicht."
"Muss geil sein, einen eigenen Swimmingpool zu haben mit großer halboffenen Terrasse ins Freie..."
"Oh ja, das wäre schön."
"Zu schön..."
„Ich glaube, da muss ich einmal extra hinfahren und es mir von der Nähe anschauen. Scheint ja ein besonderes Ding von Garten und Haus zu sein.“
„Solches findest Du kam ein zweites in einem Umkreis von 200 Meilen, vermute ich einmal.“
"Davon können wir Sterbliche nur träumen..."
"So sieht's aus!"
„Und man glaubt gar nicht, dass Chefärzte derartig viel verdienen.“
„Tun sie auch nicht. Die haben noch ein paar Nebeneinkommen!“
„Natürlich Schwarzarbeit. Nein, kann man in diesem Fall auch nicht sagen.“
„Du sagst es. Manche brauchen sich für Schwarzgeld nicht mal die Hände schmutzig machen. Obwohl der Ausdruck dies nahelegt.“
Es war schon erschreckend, mit dem Verstand betrachtet, was Klatsch und Tratsch so an die Oberfläche spülte. Keine Wäsche war zu dreckig, um gewaschen zu werden.
Eigentlich widerlich.
Doch sie fühlte eine alles überwältigende Befriedigung dabei. Herrlich, wie sie den Geruch genoss, der da aus dem brodelnden Sumpftiegel der Gerüchteküche stieg.
Sie war jedes Mal danach total erschöpft.
Das viele Reden und Tratschen ging ihr eigentlich ja gegen den Strich und war sozusagen gegen ihrer eigentlichen Natur oder besser dem Verhalten, wie sie es bislang in ihren Leben gepflegt und gehegt hatte. Aber es war nun einmal in ihr ein Damm gebrochen.
Und das Schönste war: Sie schlief endlich wieder tief und fest.
Doch das könnte nicht alles sein. Das war nicht genug. Sie müsste weiteres tun, um ihn zu schädigen.
Sie erinnerte sich daran, dass dieser Blondy doch dieses Video ins Internet gestellt hatte.
Sie griff nach dem Telefon.
„Herr Kommissar, ich möchte gern den Link von diesen Filmaufnahmen im Internet haben. Ich möchte sie mir anschauen. Ich bin schließlich eine Betroffene.“
Aha, sie sah das Video.
Aber, oh Freude, sie selbst war nicht zu erkennen im Film.
Nur ihr Hinterkopf war zu sehen. Sie hatte sich nicht umgedreht mit dem Kopf, um zu sehen, was hinter ihr geschah, wer da vermutlich filmte. Stattdessen war sie rechtzeitig aus dem Ausschnitt gehuscht.
Wunderbar.
Das war gut. Das war sehr gut. Das eröffnete neue Perspektiven.
Ein Plan reifte schnell. Dieser lag ja auch auf der Hand. Und los ging's gleich am nächsten Morgen.
Auf Pinnwänden, wie denen im Krankenhaus, heftete sie Flyer mit der Adresse der Webseite.
Sie schickte enthüllende Briefe an die zwei Zeitungen vor Ort.
Einen anderen an den Pfarrer der Gemeinde, war der Arzt und seine Familie doch tief verwurzelt in der dortigen religiösen Gemeinde.
An die örtlichen Wohlfahrtsverbände. Wahrscheinlich sind etliche Verwandte darin ehrenamtlich tätig. Möglicherweise er selbst.
Dann an das katholische Pflegeheim der Heimatstadt von ihm, weil vielleicht darin einige Verwandte untergebracht waren.
Und wenn nicht, dann förderte es zumindest den Klatsch und Tratsch, welcher der beste Brandbeschleuniger ist - zur Rufschädigung einer verhassten Person.
Selbst das ein oder andere Geschäft in der Kleinstadt des Arztes bedachte sie.
Das Rathaus mit dem Bürgerforum, das eine große schwarze Wand darstellte, auf dem jedermann einen Zettel darauf heften konnte, wurde auch gepinnt.
möglich, weiter zu lesen im E-Book unter
https://www.weltbild.de/artikel/ebook/v ... lsrc=3p.ds
Sie durfte sich natürlich auch nicht verraten. Aber sie war oft so treuselig und rückte gern mit der Wahrheit heraus, auch wenn es sie schadete.
Und wie sich nun konkret rächen? Noch hatte sie keinen richtigen Plan, genaue Vorgehensweise, aber den unbedingten Willen, ihm zu schaden. Bevor sie aber darüber richtig nachdenken konnte, spürte sie, dass sie sich vor ihm wiederum fürchtete. So konnte sie gar keine richtigen Gedanken fassen.
Wie würde er darauf reagieren?
Hilde, hast wohl Angst? Nein, du hast keine! Oder doch vielleicht nur ein bisschen.
Aber schon spielte ihre Phantasie ihr eigenes Spiel.
Er würde sie verfolgen, ihr auflauern, hier und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ, regelmäßig hinzugehen und sich aufzuhalten. Genauer besehen, gab es davon Dutzende.
Dann die Konfrontation!
Würde sie sich am Ende gar erweichen lassen, die Fahnen streichen? Wie eine Primel eingehen, vor Furcht schmelzen wie Schnee?
Weil, weil sie seinem Charme erläge?
Nein, Charme. Charme, so etwas von Liebreiz, Anmut, Flair oder wie immer man dazu sagen sollte, hat er nicht die mindeste Spur. Ha, ha, ha. Wo denkst du hin, Hilde. Dieser technokratischen Wissenschaftler doch nicht!
Hatte er nie gehabt für sie.
Aus vernünftigen Erwägungen heraus hatten sie sich aufeinander eingelassen – nein, konnte man so auch nicht sagen. Ihre Beziehung - wie Sie diesen Begriff doch schon immer im Hinblick mit dieser hier gehasst hatte - hatten den Zweck gedient, der Einsamkeit besser zu bewältigen – triff's auch nicht richtig.
Eher so. Sie waren verzweifelt über den Tod, über den Tod anderer Menschen, die sie behandelt und gemocht hatten, und hatten sich in die Arme geschmissen, um der Eiseskälte um sie herum zu entrinnen – ja, darüber haben sie sich genähert.
Was ist es, wenn man es tut, weil man den Tod fürchtete? Todesangst-Liebe – ja, das war es.
Eine gute Basis? Fragwürdig!
Egal jetzt mittlerweile.
Höchste Zeit loslegen, zur Tat schreiten, ihn treffen und verwunden, schlagen, geißeln und quälen, wie er es mit ihr getan hatte. Möglichst versteckt, aus dem Verborgenen heraus, aus dem Hinterhalt, wie es einfach nur ging.
Aber Halt! Macht dir nichts vor, Hilde, einmal wirst du der Situation nicht mehr aus dem Wege gehen können, wo es zu einer realen Begegnung, einer Konfrontation, einer echten Gegenüberstellung kommen wird, unausweichlich, Schluck. Du kannst dich noch so sehr verstecken, ihm versuchen auszuweichen - irgendwann wird er dich schnappen. Dann wird er dich richtig hernehmen, dir die Zähne ziehen, dich bedrohen, das weißt du doch genau.
Am meisten fürchtete sie sich vor seiner Macht, Autorität, die er besaß als leitender Arzt in der mächtigen Krankenhaushierarchie, der auch sie unterstand, ob sie es wollte oder nicht, ob sie ihn verabscheute und wusste, was er doch für einen minderwertigen Charakter hatte - als vor seiner „Unwiderstehlichkeit“, seines menschlichen Einflußes, wenn er die überhaupt noch hätte bei ihr. Was wohl nicht mehr der Fall war. Definitiv nicht mehr. Naja...
Aber das war eben real, dass er eine hohe Position begleitete, zwar nicht ihr unmittelbarer Vorgesetzter war, aber doch ein wichtiges Rädchen im starren, effizienten Gefüge darstellte, Sein Arm reichte weit, wenn er es darauf ankommen ließ. Und wie die Maschinerie Krankenhausverwaltung funktionierte, wussten nur die Götter. Langjährige, erprobte, sehr gute Krankenschwestern wurden für jüngere, unerfahrene, neue Schwestern ersetzt, als wäre die Personaleinstellung ein Glücksspiel. Dahinter steckte natürlich Vetternwirtschaft. Aber wie die Seilschaften verliefen, blickte kein Mensch.
Innerlich schlug sie die Hände vors Gesicht bei der Vorstellung seiner Retourkutsche. Nein, nicht auszumalen, was auf sie mit Sicherheit wartete, aber sie konnte jetzt nicht mehr anders, sie musste ihm seine frevelhafte Gleichgültigkeit auf Heller und Pfennig zurückbezahlen.
Noch wusste sie ja noch nicht, wie vorgehen, um ihn zu beschädigen. Natürlich, gerade die Vorstellung, ihm gegenüber zu treten, wo er unter ihren Schlägen litt, erfüllte sie mit allertiefsten Befriedigung. Ja, er sollte genauso oder ähnlich leiden, wie sie es getan hatte. Es solle ihm ebenso so richtig schlecht gehen wie, wie ihr in diesem Haus...
Sie schloss die Augen vor Schmerzen, als sie daran denken musste.
Aus diesen zwei Gründen wollte sie es partout vermeiden, ihm ins Gesicht schauen zu müssen. Das hieß, sich die nächste Zeit vor ihm entziehen, aus dem Weg gehen, eine Begegnung verunmöglichen.
Solches konnte nur während der Mittagszeit stattfinden.
Viele Menschen hielten sich stets in der Kantine auf. Damit könnte er sich auch nicht so ohne weiteres an ihren Tisch setzen oder sie auffordern, mitzukommen oder ein Gespräch anfangen, das nur ihm und ihr etwas anginge. Ha, Probleme vor anderen anzusprechen, vor Fremde gar, würde er niemals wagen. Dazu kannte sie seine steife Art und zugeknöpftes Auftreten zu gut. Außerdem war er ja Chefarzt.
Andererseits war es aber auch für Sie sie nicht leicht, jemand Bekannten zum Essen oder sonstwie Anschluss zu finden am Essenstisch irgendwo im weitläufigen Speisesaal mit den Hunderten von Besuchern.
Im Fall, sie fand keine Ansprache, was musste sie tun?
Positioniere dich stets mindestens zwei Stühle zu einem anderen. Halte deinen Kopf und Oberkörper stets gegen andere gerichtet, damit der Eindruck entsteht, du sitzt gerade bei Freunden und Bekannten an einem Tisch, nur nicht allein. Hauptsache von fern als zu einer Gruppe gehörig erscheinend, das hieß auch stets lächeln, nicken und versuchen, mit anderen, egal wem, ins Gespräch zu kommen.
Plötzlich aber war es erstaunlich einfach, sich zu anderen zu gesellen. Die Entführung war in aller Munde und schon seit Wochen Gesprächsthema Nummer eins.
"Ach Hilde, schön, dass Du gerade erscheinst. Wir sind gerade bei der Frage, weshalb man Euch entführt hat?Also, wie die Gauner darauf gekommen sind, dass man bei Euch oder vielmehr bei unserem Chefarzt derartig viel Geld erpressen kann? Man munkelt von einer Summe von immerhin einer Million Euro. Die wenigsten können ja so viel aufbringen.“
„Wir haben gehört, ihr seid ja auch in einem Cabrio heraus gefangen genommen worden. Wer so ein Auto fährt – der muss ja auch Geld haben wie Heu!“
„Moment!“, entgegnete ein anderer. „Auch wenn jemand einen Mercedes Caprio fährt, heißt dies noch lange nicht, dass er Millionär ist. Viele leisten sich solch einen Schlitten, leben aber in Miete und haben ansonsten ein ganz normales Einkommen. Also, wie sind die Entführer nur darauf gekommen, den Arzt und seine Familie zu erpressen?"
"Nun, der Arzt hat wirklich Geld wie Heu. Und das ist nicht einfach so dahergesagt. Das müsst ihr Euch schon real vorstellen. Und das könnt Ihr auch, wenn ihr hört, was ich Euch jetzt zu erzählen habe.“
Sie senkt nun die Stimme zum Flüsterton. Die anderen rücken ihr Stühle näher an den Tisch. Bevor sie jedoch redet, schaut sich Hilde nach links und rechts um. Sind irgendwo unliebsame Mithörer postiert? Oder schleichen sich neue Zuhörer klammheimlich heran, um zu lauschen, was sie so Wichtiges würde nun offenbaren. Freilich, je mehr Zuhörer, zumal unbekannte, desto besser
„Also, der hat tatsächlich Tausend Euro bar einstecken gehabt. Versteht Ihr, volle Hunderte Scheine. In seiner Hosentasche. So eine Menge Geld hat der mit sich herumgetragen! Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten."
"Ist nicht wahr?"
"Oder es können auch noch mal so viel gewesen sein. Auf jeden Fall etliches Geld. Es hat regelrecht aus den Hosentaschen herausgeschaut."
"Muss es ja, das glaube ich Dir aufs Wort!“
„Und schließlich, wer so viel bar in der Tasche herumträgt, macht sich wenig aus Geld oder dem juckt es kaum, wenn er ein paar Scheine verliert oder gar ausgeraubt wird. Und das ist auch ein Beweis dafür, dass er davon genug hat, so viel, dass er regelrecht damit um sich werfen kann. Das werden sich schließlich auch die Verbrecher gedacht haben. Logo!"
"Ich kann Euch flüstern, woher dies war, wenn Ihr es nicht an die große Glocke hängt."
"Wir sind verschwiegen wie ein Grab, Hilde, das weißt Du doch!" Der Kreis schließt sich enger, indem etliche noch näher an die Tischplatte heranrücken und beinahe schon die Köpfe zusammenstecken, wie es von weitem aussieht: da wird eine sehr heiße Suppe gekocht.
Na, bei diesen drei oder vier Personen kann man so daherreden. Bei den gestrigen zehn Personen, die ihr gelauscht hatten, hätte dies ja wie Verleumdung geklungen. Sie musste schon aufpassen, wie sie das Mahl präsentierte, damit nicht der Schuß nach hinten losging und sie als Waschweib, eifersüchtiger Hahnreih oder rachsüchtige verlassene Mätresse erschien. Zwar war sie dies, aber zu Recht. Wenn alle wüssten, was er ihr angetan hatte! Aber das konnte man leider nicht vermitteln.
"Der Chefarzt hat ein ganzes Haus schwarz vermietet. Da holt er zum Ersten des Monats persönlich das Geld ab und lässt es sich bar auf die Hand blättern, ihr versteht. Und da hat er an diesem Tag das Schwarzgeld in seiner Tasche gehabt. Und als die zwei abgebrannten Penner dieses zufällig entdeckt haben, als der Arzt sich angstvoll darüber gestreichelt hat, um sich zu versichern, es befindet sich noch an Ort und Stelle, wo es sein soll, vor lauter Angst und Bange angesichts dieser verhauten Gestalten, deren Bedürftigkeit und Geldgier man an den Augen und Verhalten und Aussehen sofort ablesen konnte, so dunkel es auch schon gewesen ist, da..."
"Ah ja. Schwarzgeld. Was verdient man eigentlich als Chefarzt?"
"Gute Frage. Eine vierköpfige Familie müsste man schon ernähren können damit."
"Und ein zweistöckiges Familienhaus mit riesigem Garten..."
"Gepflegten Garten, wohlgemerkt."
"Gepflegt?"
"Ja, hat der Chefarzt noch Zeit dafür, sich darum zu kümmern?"
"Wo denkst Du hin. Er beschäftigt natürlich einen Landschaftspfleger."
"Von daher auch die wohlfeil akkurat zugeschnitten Kunstwerke von verschiedensten exotischen Büschen und Hecken."
"Und dem künstlich angelegten Teich im riesig großen Areal."
"Mit Wasserfontäne, darfst Du nicht vergessen."
"Und dieser etwas modern angebaute Vorbau, wie eine Halle. Ist das die Überdachung von einem Swimmingpool?"
"Ja, ist mir auch schon aufgefallen und ich habe mich gefragt, wozu sie die extra angebaut haben."
"Ich vermute mal, das ist wirklich ein Swimmingpool, das nach hinten rausgeht zum angrenzenden Wald."
"Der hintere Teil des Hauses grenzt an einem Wald, der so dicht mit zusätzlichem Gebüsch und Unterholz bepflanzt ist, dass man nicht durchgehen kann dort, um mal einen Blick ins Anwesen des Arztes hineinzuwerfen."
"Beziehungsweise, um von unliebsamen Blicken geschützt und nicht belästigt zu werden."
"Da musst du entweder einen sehr guten Draht zu der Gemeinde haben oder gleich Besitzer auch noch von diesem Wald vorm Haus sein."
"Wundern würde mich dies auch nicht."
"Muss geil sein, einen eigenen Swimmingpool zu haben mit großer halboffenen Terrasse ins Freie..."
"Oh ja, das wäre schön."
"Zu schön..."
„Ich glaube, da muss ich einmal extra hinfahren und es mir von der Nähe anschauen. Scheint ja ein besonderes Ding von Garten und Haus zu sein.“
„Solches findest Du kam ein zweites in einem Umkreis von 200 Meilen, vermute ich einmal.“
"Davon können wir Sterbliche nur träumen..."
"So sieht's aus!"
„Und man glaubt gar nicht, dass Chefärzte derartig viel verdienen.“
„Tun sie auch nicht. Die haben noch ein paar Nebeneinkommen!“
„Natürlich Schwarzarbeit. Nein, kann man in diesem Fall auch nicht sagen.“
„Du sagst es. Manche brauchen sich für Schwarzgeld nicht mal die Hände schmutzig machen. Obwohl der Ausdruck dies nahelegt.“
Es war schon erschreckend, mit dem Verstand betrachtet, was Klatsch und Tratsch so an die Oberfläche spülte. Keine Wäsche war zu dreckig, um gewaschen zu werden.
Eigentlich widerlich.
Doch sie fühlte eine alles überwältigende Befriedigung dabei. Herrlich, wie sie den Geruch genoss, der da aus dem brodelnden Sumpftiegel der Gerüchteküche stieg.
Sie war jedes Mal danach total erschöpft.
Das viele Reden und Tratschen ging ihr eigentlich ja gegen den Strich und war sozusagen gegen ihrer eigentlichen Natur oder besser dem Verhalten, wie sie es bislang in ihren Leben gepflegt und gehegt hatte. Aber es war nun einmal in ihr ein Damm gebrochen.
Und das Schönste war: Sie schlief endlich wieder tief und fest.
Doch das könnte nicht alles sein. Das war nicht genug. Sie müsste weiteres tun, um ihn zu schädigen.
Sie erinnerte sich daran, dass dieser Blondy doch dieses Video ins Internet gestellt hatte.
Sie griff nach dem Telefon.
„Herr Kommissar, ich möchte gern den Link von diesen Filmaufnahmen im Internet haben. Ich möchte sie mir anschauen. Ich bin schließlich eine Betroffene.“
Aha, sie sah das Video.
Aber, oh Freude, sie selbst war nicht zu erkennen im Film.
Nur ihr Hinterkopf war zu sehen. Sie hatte sich nicht umgedreht mit dem Kopf, um zu sehen, was hinter ihr geschah, wer da vermutlich filmte. Stattdessen war sie rechtzeitig aus dem Ausschnitt gehuscht.
Wunderbar.
Das war gut. Das war sehr gut. Das eröffnete neue Perspektiven.
Ein Plan reifte schnell. Dieser lag ja auch auf der Hand. Und los ging's gleich am nächsten Morgen.
Auf Pinnwänden, wie denen im Krankenhaus, heftete sie Flyer mit der Adresse der Webseite.
Sie schickte enthüllende Briefe an die zwei Zeitungen vor Ort.
Einen anderen an den Pfarrer der Gemeinde, war der Arzt und seine Familie doch tief verwurzelt in der dortigen religiösen Gemeinde.
An die örtlichen Wohlfahrtsverbände. Wahrscheinlich sind etliche Verwandte darin ehrenamtlich tätig. Möglicherweise er selbst.
Dann an das katholische Pflegeheim der Heimatstadt von ihm, weil vielleicht darin einige Verwandte untergebracht waren.
Und wenn nicht, dann förderte es zumindest den Klatsch und Tratsch, welcher der beste Brandbeschleuniger ist - zur Rufschädigung einer verhassten Person.
Selbst das ein oder andere Geschäft in der Kleinstadt des Arztes bedachte sie.
Das Rathaus mit dem Bürgerforum, das eine große schwarze Wand darstellte, auf dem jedermann einen Zettel darauf heften konnte, wurde auch gepinnt.
möglich, weiter zu lesen im E-Book unter
https://www.weltbild.de/artikel/ebook/v ... lsrc=3p.ds
27. Wer Gutes will, schafft oft Böses...
Der erste Stein, der Otto auf seinem Weg zu Hilde, im Weg stand, war die Krankenhaus-Auskunft, die jegliche Information über einer ihrer Beschäftigten an Dritte verweigerte. Zumal Otto nicht einmal den Familiennamen zu nennen wusste.
„Sie heißt Hilde, mehr weiß ich nicht. So viele wird es nicht geben, die Hilde heißen. Und ich wollte nur wissen, auf welcher Station sie gegenwärtig arbeitet. Oder in welchem Zimmer sie innerhalb des Schwestern- und Pflegewohnheims wohnt, wenn sie das tut. Ich weiß es nicht, ob dies zutrifft.“
Alles sehr Vage, was Anlass zu Misstrauen bei der Verwaltung gab.
„Wer sind Sie? … Aha, weder vom Namen her mit Hilde X verwandt oder verschwägert, geschweige denn bekannt.“
Alles sehr Vage, was Anlass zu Misstrauen bei der Verwaltung gab.
„Wer sind Sie? … Aha, weder vom Namen her mit Hilde X verwandt oder verschwägert, geschweige denn bekannt.“
Otto wollt absolut seriös sein, keine Dricks, ob wohl er einige in Petto hatte.
„Ja! Das stimmt.“
„Tut mir leid. Dann darf ich keine Auskunft an Externe über ein Mitglied unseres Beschäftigungspersonal geben. Aus Datensicherheitsgründen.“
„Oja, das verstehe ich sehr gut. Denn ich bin bei der Polizei.“
Das war kein Trick, sondern ein Fakt.
„Das mag sein. Ändert allerdings nichts an den Umständen. Das Prozedere ist das selbe, wenn Sie nicht direkt einen Hausdurchsuchungsbefehl oder derartiges haben.“
„Nein, habe ich nicht. So wichtig ist die Sache natürlich nicht. Es ist einfach eine persönliche Sache, muss ich gestehen. Auch wenn ich bei einer Behörde angestellt bin, ist es eine rein private Angelegenheit.“
„Dann werden Sie mir zustimmen, wenn ich um so weniger dazu autorisiert bin, Daten an eine private Person herauszugeben.“
Das war leider nur verständlich und gesetzlich.
„Reichen Sie doch bei der Krankenhausverwaltung schriftlich ein Gesuch ein mit der Begründung. Damit wir eine Handhabe haben.“
„Verstehe!“
„So könnten Sie zum Beispiel ein Patient sein, der sich von dem Personal schlecht behandelt fühlt und jetzt aus Rache und Vergeltung dieser einen Denkzettel verpassen will oder so etwas. Hatten wir alles schon.“
„Verstehe! Ohja, ich verstehe absolut.“
Otto konnte kaum mehr sprechen, weil ihm das Stichwort „Einen Deckzettel verabreichen wollen“ die Stimme versagen ließ. Was hatte er denn mit seinem Neffen veranstalten wollen? Genau dies nämlich. Und das Ergebnis? Desaster pur! Hätte bloß nicht ein völlig unbeteiligte Dritte bei dieser Entführung furchtbar darunter gelitten!
Otto sollte weiter Steine in den Weg gelegt werden. Aber es sagte sich. Das was ich tun will, gehört sozusagen zu meiner Beamtenpflicht. Außerdem, wie hatte er dies nu vergessen können all die Zeit: 'Ich bin Christ!'
Immerhin ließen sich die Öffnungszeiten der Kantine in Erfahrung bringen. Denn er hatte einen Plan. Er würde die Krankenschwester dort abpassen, an einem Tag, wo sie arbeitete und demnach dort essen gehen würde.
Das war alles sehr zufällig, nicht schnell genug und umständlich.
Otto wusste nicht einmal, wann sie arbeitete.
Aber er sagte sich: „Dies gehört nun einmal zur Buße. Auch wenn ich ein paar Mal diese Kantine aufsuchen muss, dann hat es so sein sollen. Du hast Unrecht getan, jetzt bezahle dafür.“
Er musste dies in der Tat etliche Male tun, bevor er die Schwester antraf. Und bis dorthin war es zudem ein steiniger Weg.
Die Beschäftigten begegneten ihm schon einmal mit Misstrauen, weigerten sich schier, die banalste Auskunft zu geben. In seiner Verzweiflung dachte er dummerweise: Dies würde sich ändern, sobald ich meine Uniform tragen würde. Er wurde jedoch ernüchtert.
Das nützte bei diesem Klientel wenig, so eine Uniform. Was er aber nicht wusste, war, dass es womöglich weniger an seinem Outfit lag, als an seinem Gesicht, das von Spuren großen Zweifels gekennzeichnet war, an den Falten um den Mund, die wie tiefe Schnitte in der schlecht rasierten Haut schnitten, an den dunklen Ringen um den Augen, die wie Blutergüsse aussahen. Ja, Otto hatte es sich wahrhaft schwer gemacht oder besser gehabt, bis er es schaffte, sich dazu aufzuraffen, seine Gewissensqual hinter sich zu lassen und den Gang nach Kanossa anzutreten. Dieser war aber immer noch ein Spaziergang, wiederholte er immer wieder, als der im Vergleich zu dieser Frau, die das wahre Martyrium einer Heiligen erlitten hatte, gefoltert, geschändet und geschlagen worden – und die er auf diesen Weg geschubst hatte.
Oh, wie er darunter litt. Schlaflose Nächte bereitete ihm dies. Er war doch ein Christ!
Aber wie viele Steine ihm auch immer in seinem Büßerweg gelegt wurden, er blieb hartnäckig und standhaft. Es war sein Schicksal. Es war sein Kalvarienberg?
Eines Tages saß Otto bereits wieder ein Mal in der Kantine und fieberte bereits schon eine Stunde der Begegnung mit der geschundenen Unschuldigen entgegen. Heute war der Preis heiß: Eine Bekannte hatte ihm einen Tipp gegeben, an welchem Tag und welcher Stunde Hilde meistens in der Kantine auftauchte.
Nur, waren die Umstände für eine Aussprache denkbar ungünstig, geradezu widrig, wenn sich zwei Unbekannte gerade in einer Kantine aussprechen wollten? Ist es nicht eine Tatsache, dass Plätze mit starkem Publikumsverkehr sich wenig dazu eignen, einen emotionale Austausch zwischen zwei fremden Menschen zu befördern?
Hilde saß schon eine viertel Stunde auf einem Kantinenplatz. Was nur war los mit ihr, dass sie sich aber kaum am Gespräch beteiligte? Nur noch mit halben Ohr hörte sie zu, stand sie doch unter dem Bann einer beunruhigenden Vorstellung. Ihr schlechtes Gewissen rührte sich, als sie davon hörte, ein Polizist hatte sich schon paar Mal nach ihr erkundigt. Verständlich, dass sie kaum den Mund aufbrachte, denn was geschähe, wenn sie über eine Person herzog und ein Polizist hörte es? War ihr Verhalten nicht verboten?
Oder nicht?
Wer weiß?
Bestimmt ein Grenzfall zur Gesetzlosigkeit.
Jemanden verleumden. Quasi! Durch den Dreck ziehen. Definitiv! Rufmord begehen. Eindeutig!
Wie jetzt? Wird üble Nachrede auch schon gesetzlich verfolgt?
Sie wusste ja nicht, dass das Auftreten des Polizisten nichts mit ihrer Schmutzkampagne und Vergeltungsmaßnahme zu tun hatte. Außerdem konnte sie nicht ahnen, dass, hätte Otto dies mitbekommen, er sich vor Freude die Hände gerieben hätte.
"Oh Gott, da ist sie!"
Als er sie sah, zog er instinktiv den Oberkörper zusammen und beugte dem Kopf nach unten wie ein Sünder. Wie versteinert saß er da. Sie war umringt von einer Traube von Menschen - keine Chance sie anzusprechen. Ohne Aufsehen zu erregen.
Er stellte sich die Situation lebhaft vor.
"Was wollen Sie von mir?", würde sie ihm entgegnen - vor einer Schar wildfremder Menschen. Wie würde das klingen und ankommen? "Ich würde sie gerne allein sprechen. Unter vier Augen, wenn's möglich wäre“, würde er sagen. Direkt konnte er natürlich nicht ansprechen, dass das zu Sagende nicht für die Ohren dieser vielen Fremden bestimmt und geeignet war.
Plötzlich erhob sich die Beobachtete, ergriff ihr Essenstablett und ging allein durch den Raum zum Geschirrabgabe. Er erhob sich auch. Aber spürte weiche Knie. Er sagte sich: „Jetzt oder nie!“, und: „So eine Chance kommt so schnell nicht wieder!“, oder andere Sprüche, die man sagt, wenn man sich Mut machen will.
„Darf ich Sie einmal kurz sprechen.“
„Bitte! Aber...“
„Bitte, geben Sie mir zwei Minuten Zeit!“
Gleichzeitig nahm er ihr die Last vom Arm, drehte sich um, machte ein paar Schritte, stellte es aufs Förderband ab, machte erneut eine Kehrtwende und einen Schritt auf sie zu und Halt wie ein Soldat. Das machte einen gewissen Eindruck, dieses Kavalierspielen, nein, mehr sogar, dieses unterwürfige Sklavenverhalten.
Aber nun wäre es an ihm, etwas zu sagen. Er hatte eine zu trockene Kehle, um zu sprechen.
Hilde mochte sein Verhalten als aufdringlich bis nötigend empfunden haben, weil sie misstrauisch schwieg. Sollte der Hilfsbereite auch eine offizielle Uniform tragen, wer weiß, wer darin steckte.
"Was wollen Sie von mir? Ich war schon ein paar Mal bei Ihnen und das letzte Mal hat man mir gesagt, das die Befragungen abgeschlossen sind."
Otto konnte noch weniger jetzt gleich mit der Sprache und seinem Anliegen herausrücken, zumal zwischen Tür und Angel. Nur zu schmerzhaft spürte er den Widerstand. Um ein wichtiges Gespräch zu führen, bedurfte es gemäß der Sache eines einigermaßen geschützten Rahmens, der bei dem Hin und Her hier nicht gegeben war. Auch wenn es niemanden interessierte, worüber sie redeten, zumal sich jeder hier hektisch bewegte, weil er so viel zu tun hatte. Wer war nicht gehemmt, über Gefühle zu sprechen, wenn man sich unter vielen Menschen befand? Zumal wenn einem dies ohnehin schon sehr schwer fiel wie Otto, dem Polizisten.
Immerhin wusste er instinktiv zu tun, was angesagt war.
Er beschrieb einen Kreis mit seinem Körper, entdeckte dann schräg hinter Hilde einen freien Platz. Er lief dorthin, indem er um Hilde herumging und baute sich hinter einem Stuhl um einem kleinen Tisch auf. Mit einer einladenden Handbewegung wies er auf den anderen Stuhl: „Bitte, setzen Sie sich mit mir hierher! Es wird bestimmt nicht lange dauern. Bitte! Es ist mir sehr wichtig!“
Den letzten Satz, merkte er, hätte er unterlassen sollen, schließlich, was interessiert schon einem Fremden das, was einem anderen Fremden umtrieb?
So etwas lernt man in der Polizeischule, ärgerte er sich.
Dennoch, aber widerwillig, folgte ihm Hilde, nicht ohne sich nach links und rechts umzublicken. Sie vergewisserte sich, dass sie sich auf heimischen Terrain befand und ihr wohl nicht Schlimmes drohen dürfte.
Der Zweiertisch befand sich immer noch nahe genug an der Essensausgabe. Hier konnten sich leicht eine Schlange bilden. Fremde konnten spitze Ohren. Zudem, ab und zu drang Geklappere vom Geschirr aus der Küchenkantine.
Die Umstände waren widrig. Kein Wunder, dass in Ottos Hals noch immer eine Kröte steckte.
„Was wollen Sie von mir noch? Ich habe schon drei Mal bei Ihnen ausgesagt.“
Otto war Hilde dankbar, dass sie das Gespräch eröffnete. So musste und konnte er sprechen, nämlich einfach antworten.
„Beim Revier?“
„Genau!“
„Nein, ich bin nicht offiziell hier, sondern rein privat.“
„Privat? Warum tun Sie das? Warum lauern sie mir auf?“
Ja, was konnte das Auftreten dieses merkwürdigen Menschen und offensichtlichen Polizisten bedeuten? Es wurde doch schon mit dem Kriminaler lang und breit besprochen. In ihrem Ohr hallten noch seine letzten Worte wieder: „Nunmehr ist die Untersuchung abgeschlossen. Sie brauchen nicht mehr befürchten, von uns belästigt zu werden. Ich wünsche Ihnen gute Besserung. Und vor allem schnelles Vergessen!“
So war Hilde jetzt alarmiert. Sofort versteifte sie sich in Abwehrhaltung. Sie musste an die Anschläge gegen die Sittlichkeit in doppelter Richtung denken, vor allem ihrem Anteil daran: an die Pinwände, die sie mit dem Video-Porno-Link versah und dass ihr deshalb jetzt ein scharfer Wind aus dieser Richtung entgegenwehen könnte.
„Ja, ich wollte mich entschuldigen...“
Dann stoppte Otto. Er wusste nicht mehr weiter. Hilde atmete auf. Entschuldigung bedeute doch, dass sie hier nicht angeklagt wurde. Was aber dann? Es war merkwürdig. Der Bittsteller schwieg plötzlich mitten im Satz. Warum druckste er herum? Gut, es war ihm eindeutig anzumerken, dass er nach den richtigen Worten rang und deshalb seine Absicht ernsthaft zu sein schien. Sie half ihn Mal mit einem Einwand auf die Sprünge.
„Entschuldigen? Ich kenne Sie gar nicht. Weswegen wollen Sie sich entschuldigen?“
„Ja, ich war indirekt an der...“
Otto zögerte. Das Wort, das ihm auf der Zunge lag, erschien ihm angesichts der schlimmen Umstände zweideutig, unangemessen, leicht sexualisiert – so dass das deutsche Wort nicht über seine Lippen kam. Er überlegte lange, bis er das unverfängliche „Kidnapping“ fand. Diese Zögerlichkeit brachte Hilde wieder ins Grübeln. Sie wusste natürlich, welches Wort er gebrauchen könnte und das mit Verführung verwandt war. Dass der Gegenüber deshalb so um diesen heißen Brei kreiste, machte ihn schwer verdächtig.
Ist er ein Spanner, ein Drittbrettfahrer, denkt, weil er von den Vergewaltigungen gehört hat, dass er jetzt in die selbe Kerbe stoßen kann?
Die Angst und Befürchtung verflog doch, als „Kidnapping“ heraus war.
Sie begriff endlich und beruhigte sich insofern. Wenigstens war eindeutig klar, sie brauchte keine Angst wegen ihres schmutzigen Feldzuges zu haben.
Aber.
„Sind Sie ein Verbrecher? Ach, ich verstehe, sie sind der Drahtzieher?“
„Nein, nicht direkt!“
Nicht direkt hieß Aber-doch-auch.
Hilde wich zurück. Sie war zu allem entschlossen: um Hilfe zu bitten, loszuschreien, aufzustehen und zu flüchten.
„Dann will ich nichts mit ihnen zu tun haben, damit sie es gleich wissen.“
„Nun, geben Sie mir eine Minute Zeit. Dann kann ich es Ihnen erklären.“
Otto fing an, davon zu erzählen, dass er sich gelangweilt hatte. Das war ein Punkt gewesen. Dass er seinen Onkel gehasst hat. Dies der zweite. Vielmehr, dass er etwas neidisch war auf ihn, weil er so erfolgreich war, das auch. Also, eine Mischung aus Langeweile, einen Spaß machen und Neid empfinden.
„Eigentlich weiß ich auch nicht mehr genau, warum ich es getan habe. Aber ich habe es getan. Und es war sehr, sehr falsch, das, was ich getan habe. Ja.“
„Was?“
„Na, warum ich darauf gekommen bin, diese Strauchdiebe dazu anzustiften, solche Videoaufnahmen zu machen. Um meinen Onkel zu schädigen halt.“
Soweit Hilde verstand, war der Onkel wahrscheinlich der Arzt. Dieser Umstand verkrampfte sie leider wiederum. Steckten die beiden unter einer Decke?
Was dachte sich Otto bei all dem, was er hier tat?
Er ging wirklich davon aus, dass seine Missetaten wahrscheinlich von einer Krankenschwester am ehesten auf Verständnis stoßen würden. Wenn nicht, wer sonst? Einer, die im sozialen, pflegerischen Bereich arbeitete. Oder nicht?
Allmählich begann sich Hilde schon sehr zu wundern. Sie wusste nicht recht, was sie von der Situation und vor allem von diesem eigenartigen Neffen hier halten sollte. Von seinem Rumgeeiere und Geseiere– um es einmal auf den Punkt zu bringen.
Auch Otto merkte allmählich, dass die Sache verfahren war. Denn es war schwieriger als gedacht, der Betroffenen seine Gefühle entgegen zu bringen, so dass diese Leidtragende seinen Emotionen Verständnis entgegenbringen würde. Im Gegenteil! Viel, viel schlimmer. Nicht Mitgefühl, sondern sein Vorhaben schien auf blanke Ablehnung zu stoßen!
Womöglich war seine Absicht keine gute Idee gewesen, denn sie verschlimmerte gerade alles nur noch mehr. Ihm dämmerte, dass er gerade dabei war, in ein ähnliches Fettnäpfchen zu treten, wie dieses, als er jene Direktive an die Kleinkriminellen ausgesprochen hatte: „Filmt mal die beiden, nur so zum Spaß. Und dann verschwindet schnell wieder.“
Jetzt begann Otto um sein Leben zu reden, geriet unter einem solchen Drang, zu erklären, zu entschuldigen, darzulegen, dass sein Redeschwall nur schwer verständlich war. Dies vergrößerte die Kluft zwischen den beiden. Je mehr und um so hektischer Otto um sein Leben redete.
Mitten drinnen im Rede-Tsunami fiel ihm ein, dass er sich überhaupt erst einmal vorstellen müsste. Daran kann man ersehen, wie unsicher er geworden war. Und das Sich-Vorstellen an dieser Stelle nun, das zu spät kam, wirkte hinwiederum, als ruderte er zurück und machte ihn noch verdächtiger. Als wäre ihm eine Erklärung nun nicht mehr so wichtig. Als verfolgte er plötzlich zweifelhafte persönliche Interessen.
„Ich bin der Neffe von ihrem Chefarzt, der ja auch entführt worden ist.“
Otto schütte damit Öl ins Feuer. Hilde dachte: „Der steckt mit dem Mistkerl unter einer Decke.“ Sie wich noch weiter zurück, wurde noch misstrauischer. Otto merkte dies. Was habe ich nur falsch gemacht, dachte er. Aber weiter.
„Ich habe also die Kriminellen zu Euch geschickt. Sie sollten Aufnahmen machen von Euch. Ich wusste von Ihrer Affäre mit meinem Onkel. Diese wollte ich filmen lassen und ihn dann ein bisschen unter Druck setzen.“
Die letzten Worte hörte Hilde schon nicht mehr. Sie dachte, aha, der Arzt hat die Filmerei in Auftrag gegeben mit Hilfe dieses Neffen und Polizisten hier, sie beim Sex zu filmen, um sich dann selbst als Pornostar einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Ungeachtet aller Verluste anderer. Gleichgültig dessen, dass dabei eine zweite Person zu Schaden, in den Dreck gezogen und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben werden würde.
Es war ungeheuerlich. Es war niederträchtig. Es war regelrecht kriminell.
Es wurde klar, dass sie nicht nur von den Kriminellen wie die letzte Hure behandelt worden war. Sondern auch vom Arzt selbst. Dieser hatte sie als Pornodarstellerin degradieren wollen. Obwohl sie doch ganz andere Gefühle ihm gegenüber gehegt und gepflegt hatte. Die sich, im Nachhinein gesehen, leider allmählich aufgebaut und entwickelt hatten. Trotz Vernunft und Einsicht in deren Kleinmädchen-Qualität. Aber das spielte keine Rolle.
Das Schlimmste war zweifellos die Entführung mit ihren entsetzlichen Folgen gewesen. Mit der Quälerei, den Vergewaltigungen, den Erniedrigungen. Körperlich und seelisch gesehen. Auch wenn nicht so beabsichtigt gewesen und die Sache aus dem Ruder gelaufen war. Aber mit der Filmerei hatte alles angefangen und die war gewollt – das war der tiefste seelische Schmerz bei all dem.
Sie fing sich schnell wieder, obwohl es furchtbar schmerzte, was gegenwärtig empfand.
„Die beiden Ganoven haben dann ein Kidnapping daraus gemacht, das nicht geplant war. Seh ich das richtig?“
„Ja, leider. Und dafür wollte ich mich entschuldigen.“
Entschuldigen wollte er sich aber nicht dafür, dass er sie beim Sex filmen wollte. Das war schon schwer entschuldbar. Denn dies war pure Heimtücke gewesen. Hinterhältig eine intime Begegnung zu filmen, was gibt es Verwerflicheres?
Das war für sie unverzeihlich.
Und das mit dem Arzt zusammen, mit diesem kalten Fisch!
Das Kidnapping war erst recht nicht entschuldbar, ob gewollt oder nicht. Dazu war es zu hart gewesen und sie hatte zu sehr darunter leiden müssen. Dafür konnte sie keine Entschuldigung akzeptieren. Ob sie wollte oder nicht. Es ging nicht. Sie konnte nicht. Auch und gerade wegen des gerade offenbarten Vorhergehenden nicht.
„Okay, ich habe verstanden. Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.“
„Entschuldigen Sie mich!?“
„Ich möchte, dass Sie auf der Stelle verschwinden. Und mich niemals mehr belästigen.“
„Aber, aber.“ Otto begriff, dass er ins Leere gegriffen, es vermasselt hatte. Die Konsequenzen waren katastrophal. Seit Leben lang würde er diese Last mit sich herumtragen müssen und ihn belasten. Das durfte nicht sein, konnte doch nicht sein.
Er bewegte seine Hände nach vorne, um diese Frau abzuhalten zu tun, was sie mit einer derartigen Geschwindigkeit tat, dass sie von niemanden zu stoppen war. „Hören Sie mir noch einmal zu, bitte!“ Seine Stimme brach dabei. Das machte ihn zu einem makaberen Typen, auf den das Misstrauen gleich noch einmal verdoppelt fiel. Wer so gebrochen sprach, führte etwas im Schilde. Ein bisschen hätte man Otto fast bedauern können deshalb. Vor allem als Hilde nun endgültig die Schotten herunterließ und ihm keinerlei Chance mehr gewährte.
„Mann, ich will sie nie mehr sehen. Kapieren Sie das nicht?“
Hilde sprang von ihrem Stuhl auf und verschwand von diesem Ort wie ein Wirbelwind. Nein, sie floh, sie rannte, sie stürzte hinaus. Ihr Hass gegen den Arzt war nun grenzenlos und nicht mehr aufzuhalten.
„Mann, ich will sie nie mehr sehen. Kapieren Sie das nicht!“
Hilde sprang von ihrem Stuhl auf und verschwand von diesem Ort wie ein Wirbelwind. Nein, sie floh, sie rannte, sie stürzte hinaus. Ihr Hass gegen den Arzt war nun grenzenlos und nicht mehr aufzuhalten.
weiter zu lesen im E-Book unter
https://www.weltbild.de/artikel/ebook/v ... lsrc=3p.ds
„Sie heißt Hilde, mehr weiß ich nicht. So viele wird es nicht geben, die Hilde heißen. Und ich wollte nur wissen, auf welcher Station sie gegenwärtig arbeitet. Oder in welchem Zimmer sie innerhalb des Schwestern- und Pflegewohnheims wohnt, wenn sie das tut. Ich weiß es nicht, ob dies zutrifft.“
Alles sehr Vage, was Anlass zu Misstrauen bei der Verwaltung gab.
„Wer sind Sie? … Aha, weder vom Namen her mit Hilde X verwandt oder verschwägert, geschweige denn bekannt.“
Alles sehr Vage, was Anlass zu Misstrauen bei der Verwaltung gab.
„Wer sind Sie? … Aha, weder vom Namen her mit Hilde X verwandt oder verschwägert, geschweige denn bekannt.“
Otto wollt absolut seriös sein, keine Dricks, ob wohl er einige in Petto hatte.
„Ja! Das stimmt.“
„Tut mir leid. Dann darf ich keine Auskunft an Externe über ein Mitglied unseres Beschäftigungspersonal geben. Aus Datensicherheitsgründen.“
„Oja, das verstehe ich sehr gut. Denn ich bin bei der Polizei.“
Das war kein Trick, sondern ein Fakt.
„Das mag sein. Ändert allerdings nichts an den Umständen. Das Prozedere ist das selbe, wenn Sie nicht direkt einen Hausdurchsuchungsbefehl oder derartiges haben.“
„Nein, habe ich nicht. So wichtig ist die Sache natürlich nicht. Es ist einfach eine persönliche Sache, muss ich gestehen. Auch wenn ich bei einer Behörde angestellt bin, ist es eine rein private Angelegenheit.“
„Dann werden Sie mir zustimmen, wenn ich um so weniger dazu autorisiert bin, Daten an eine private Person herauszugeben.“
Das war leider nur verständlich und gesetzlich.
„Reichen Sie doch bei der Krankenhausverwaltung schriftlich ein Gesuch ein mit der Begründung. Damit wir eine Handhabe haben.“
„Verstehe!“
„So könnten Sie zum Beispiel ein Patient sein, der sich von dem Personal schlecht behandelt fühlt und jetzt aus Rache und Vergeltung dieser einen Denkzettel verpassen will oder so etwas. Hatten wir alles schon.“
„Verstehe! Ohja, ich verstehe absolut.“
Otto konnte kaum mehr sprechen, weil ihm das Stichwort „Einen Deckzettel verabreichen wollen“ die Stimme versagen ließ. Was hatte er denn mit seinem Neffen veranstalten wollen? Genau dies nämlich. Und das Ergebnis? Desaster pur! Hätte bloß nicht ein völlig unbeteiligte Dritte bei dieser Entführung furchtbar darunter gelitten!
Otto sollte weiter Steine in den Weg gelegt werden. Aber es sagte sich. Das was ich tun will, gehört sozusagen zu meiner Beamtenpflicht. Außerdem, wie hatte er dies nu vergessen können all die Zeit: 'Ich bin Christ!'
Immerhin ließen sich die Öffnungszeiten der Kantine in Erfahrung bringen. Denn er hatte einen Plan. Er würde die Krankenschwester dort abpassen, an einem Tag, wo sie arbeitete und demnach dort essen gehen würde.
Das war alles sehr zufällig, nicht schnell genug und umständlich.
Otto wusste nicht einmal, wann sie arbeitete.
Aber er sagte sich: „Dies gehört nun einmal zur Buße. Auch wenn ich ein paar Mal diese Kantine aufsuchen muss, dann hat es so sein sollen. Du hast Unrecht getan, jetzt bezahle dafür.“
Er musste dies in der Tat etliche Male tun, bevor er die Schwester antraf. Und bis dorthin war es zudem ein steiniger Weg.
Die Beschäftigten begegneten ihm schon einmal mit Misstrauen, weigerten sich schier, die banalste Auskunft zu geben. In seiner Verzweiflung dachte er dummerweise: Dies würde sich ändern, sobald ich meine Uniform tragen würde. Er wurde jedoch ernüchtert.
Das nützte bei diesem Klientel wenig, so eine Uniform. Was er aber nicht wusste, war, dass es womöglich weniger an seinem Outfit lag, als an seinem Gesicht, das von Spuren großen Zweifels gekennzeichnet war, an den Falten um den Mund, die wie tiefe Schnitte in der schlecht rasierten Haut schnitten, an den dunklen Ringen um den Augen, die wie Blutergüsse aussahen. Ja, Otto hatte es sich wahrhaft schwer gemacht oder besser gehabt, bis er es schaffte, sich dazu aufzuraffen, seine Gewissensqual hinter sich zu lassen und den Gang nach Kanossa anzutreten. Dieser war aber immer noch ein Spaziergang, wiederholte er immer wieder, als der im Vergleich zu dieser Frau, die das wahre Martyrium einer Heiligen erlitten hatte, gefoltert, geschändet und geschlagen worden – und die er auf diesen Weg geschubst hatte.
Oh, wie er darunter litt. Schlaflose Nächte bereitete ihm dies. Er war doch ein Christ!
Aber wie viele Steine ihm auch immer in seinem Büßerweg gelegt wurden, er blieb hartnäckig und standhaft. Es war sein Schicksal. Es war sein Kalvarienberg?
Eines Tages saß Otto bereits wieder ein Mal in der Kantine und fieberte bereits schon eine Stunde der Begegnung mit der geschundenen Unschuldigen entgegen. Heute war der Preis heiß: Eine Bekannte hatte ihm einen Tipp gegeben, an welchem Tag und welcher Stunde Hilde meistens in der Kantine auftauchte.
Nur, waren die Umstände für eine Aussprache denkbar ungünstig, geradezu widrig, wenn sich zwei Unbekannte gerade in einer Kantine aussprechen wollten? Ist es nicht eine Tatsache, dass Plätze mit starkem Publikumsverkehr sich wenig dazu eignen, einen emotionale Austausch zwischen zwei fremden Menschen zu befördern?
Hilde saß schon eine viertel Stunde auf einem Kantinenplatz. Was nur war los mit ihr, dass sie sich aber kaum am Gespräch beteiligte? Nur noch mit halben Ohr hörte sie zu, stand sie doch unter dem Bann einer beunruhigenden Vorstellung. Ihr schlechtes Gewissen rührte sich, als sie davon hörte, ein Polizist hatte sich schon paar Mal nach ihr erkundigt. Verständlich, dass sie kaum den Mund aufbrachte, denn was geschähe, wenn sie über eine Person herzog und ein Polizist hörte es? War ihr Verhalten nicht verboten?
Oder nicht?
Wer weiß?
Bestimmt ein Grenzfall zur Gesetzlosigkeit.
Jemanden verleumden. Quasi! Durch den Dreck ziehen. Definitiv! Rufmord begehen. Eindeutig!
Wie jetzt? Wird üble Nachrede auch schon gesetzlich verfolgt?
Sie wusste ja nicht, dass das Auftreten des Polizisten nichts mit ihrer Schmutzkampagne und Vergeltungsmaßnahme zu tun hatte. Außerdem konnte sie nicht ahnen, dass, hätte Otto dies mitbekommen, er sich vor Freude die Hände gerieben hätte.
"Oh Gott, da ist sie!"
Als er sie sah, zog er instinktiv den Oberkörper zusammen und beugte dem Kopf nach unten wie ein Sünder. Wie versteinert saß er da. Sie war umringt von einer Traube von Menschen - keine Chance sie anzusprechen. Ohne Aufsehen zu erregen.
Er stellte sich die Situation lebhaft vor.
"Was wollen Sie von mir?", würde sie ihm entgegnen - vor einer Schar wildfremder Menschen. Wie würde das klingen und ankommen? "Ich würde sie gerne allein sprechen. Unter vier Augen, wenn's möglich wäre“, würde er sagen. Direkt konnte er natürlich nicht ansprechen, dass das zu Sagende nicht für die Ohren dieser vielen Fremden bestimmt und geeignet war.
Plötzlich erhob sich die Beobachtete, ergriff ihr Essenstablett und ging allein durch den Raum zum Geschirrabgabe. Er erhob sich auch. Aber spürte weiche Knie. Er sagte sich: „Jetzt oder nie!“, und: „So eine Chance kommt so schnell nicht wieder!“, oder andere Sprüche, die man sagt, wenn man sich Mut machen will.
„Darf ich Sie einmal kurz sprechen.“
„Bitte! Aber...“
„Bitte, geben Sie mir zwei Minuten Zeit!“
Gleichzeitig nahm er ihr die Last vom Arm, drehte sich um, machte ein paar Schritte, stellte es aufs Förderband ab, machte erneut eine Kehrtwende und einen Schritt auf sie zu und Halt wie ein Soldat. Das machte einen gewissen Eindruck, dieses Kavalierspielen, nein, mehr sogar, dieses unterwürfige Sklavenverhalten.
Aber nun wäre es an ihm, etwas zu sagen. Er hatte eine zu trockene Kehle, um zu sprechen.
Hilde mochte sein Verhalten als aufdringlich bis nötigend empfunden haben, weil sie misstrauisch schwieg. Sollte der Hilfsbereite auch eine offizielle Uniform tragen, wer weiß, wer darin steckte.
"Was wollen Sie von mir? Ich war schon ein paar Mal bei Ihnen und das letzte Mal hat man mir gesagt, das die Befragungen abgeschlossen sind."
Otto konnte noch weniger jetzt gleich mit der Sprache und seinem Anliegen herausrücken, zumal zwischen Tür und Angel. Nur zu schmerzhaft spürte er den Widerstand. Um ein wichtiges Gespräch zu führen, bedurfte es gemäß der Sache eines einigermaßen geschützten Rahmens, der bei dem Hin und Her hier nicht gegeben war. Auch wenn es niemanden interessierte, worüber sie redeten, zumal sich jeder hier hektisch bewegte, weil er so viel zu tun hatte. Wer war nicht gehemmt, über Gefühle zu sprechen, wenn man sich unter vielen Menschen befand? Zumal wenn einem dies ohnehin schon sehr schwer fiel wie Otto, dem Polizisten.
Immerhin wusste er instinktiv zu tun, was angesagt war.
Er beschrieb einen Kreis mit seinem Körper, entdeckte dann schräg hinter Hilde einen freien Platz. Er lief dorthin, indem er um Hilde herumging und baute sich hinter einem Stuhl um einem kleinen Tisch auf. Mit einer einladenden Handbewegung wies er auf den anderen Stuhl: „Bitte, setzen Sie sich mit mir hierher! Es wird bestimmt nicht lange dauern. Bitte! Es ist mir sehr wichtig!“
Den letzten Satz, merkte er, hätte er unterlassen sollen, schließlich, was interessiert schon einem Fremden das, was einem anderen Fremden umtrieb?
So etwas lernt man in der Polizeischule, ärgerte er sich.
Dennoch, aber widerwillig, folgte ihm Hilde, nicht ohne sich nach links und rechts umzublicken. Sie vergewisserte sich, dass sie sich auf heimischen Terrain befand und ihr wohl nicht Schlimmes drohen dürfte.
Der Zweiertisch befand sich immer noch nahe genug an der Essensausgabe. Hier konnten sich leicht eine Schlange bilden. Fremde konnten spitze Ohren. Zudem, ab und zu drang Geklappere vom Geschirr aus der Küchenkantine.
Die Umstände waren widrig. Kein Wunder, dass in Ottos Hals noch immer eine Kröte steckte.
„Was wollen Sie von mir noch? Ich habe schon drei Mal bei Ihnen ausgesagt.“
Otto war Hilde dankbar, dass sie das Gespräch eröffnete. So musste und konnte er sprechen, nämlich einfach antworten.
„Beim Revier?“
„Genau!“
„Nein, ich bin nicht offiziell hier, sondern rein privat.“
„Privat? Warum tun Sie das? Warum lauern sie mir auf?“
Ja, was konnte das Auftreten dieses merkwürdigen Menschen und offensichtlichen Polizisten bedeuten? Es wurde doch schon mit dem Kriminaler lang und breit besprochen. In ihrem Ohr hallten noch seine letzten Worte wieder: „Nunmehr ist die Untersuchung abgeschlossen. Sie brauchen nicht mehr befürchten, von uns belästigt zu werden. Ich wünsche Ihnen gute Besserung. Und vor allem schnelles Vergessen!“
So war Hilde jetzt alarmiert. Sofort versteifte sie sich in Abwehrhaltung. Sie musste an die Anschläge gegen die Sittlichkeit in doppelter Richtung denken, vor allem ihrem Anteil daran: an die Pinwände, die sie mit dem Video-Porno-Link versah und dass ihr deshalb jetzt ein scharfer Wind aus dieser Richtung entgegenwehen könnte.
„Ja, ich wollte mich entschuldigen...“
Dann stoppte Otto. Er wusste nicht mehr weiter. Hilde atmete auf. Entschuldigung bedeute doch, dass sie hier nicht angeklagt wurde. Was aber dann? Es war merkwürdig. Der Bittsteller schwieg plötzlich mitten im Satz. Warum druckste er herum? Gut, es war ihm eindeutig anzumerken, dass er nach den richtigen Worten rang und deshalb seine Absicht ernsthaft zu sein schien. Sie half ihn Mal mit einem Einwand auf die Sprünge.
„Entschuldigen? Ich kenne Sie gar nicht. Weswegen wollen Sie sich entschuldigen?“
„Ja, ich war indirekt an der...“
Otto zögerte. Das Wort, das ihm auf der Zunge lag, erschien ihm angesichts der schlimmen Umstände zweideutig, unangemessen, leicht sexualisiert – so dass das deutsche Wort nicht über seine Lippen kam. Er überlegte lange, bis er das unverfängliche „Kidnapping“ fand. Diese Zögerlichkeit brachte Hilde wieder ins Grübeln. Sie wusste natürlich, welches Wort er gebrauchen könnte und das mit Verführung verwandt war. Dass der Gegenüber deshalb so um diesen heißen Brei kreiste, machte ihn schwer verdächtig.
Ist er ein Spanner, ein Drittbrettfahrer, denkt, weil er von den Vergewaltigungen gehört hat, dass er jetzt in die selbe Kerbe stoßen kann?
Die Angst und Befürchtung verflog doch, als „Kidnapping“ heraus war.
Sie begriff endlich und beruhigte sich insofern. Wenigstens war eindeutig klar, sie brauchte keine Angst wegen ihres schmutzigen Feldzuges zu haben.
Aber.
„Sind Sie ein Verbrecher? Ach, ich verstehe, sie sind der Drahtzieher?“
„Nein, nicht direkt!“
Nicht direkt hieß Aber-doch-auch.
Hilde wich zurück. Sie war zu allem entschlossen: um Hilfe zu bitten, loszuschreien, aufzustehen und zu flüchten.
„Dann will ich nichts mit ihnen zu tun haben, damit sie es gleich wissen.“
„Nun, geben Sie mir eine Minute Zeit. Dann kann ich es Ihnen erklären.“
Otto fing an, davon zu erzählen, dass er sich gelangweilt hatte. Das war ein Punkt gewesen. Dass er seinen Onkel gehasst hat. Dies der zweite. Vielmehr, dass er etwas neidisch war auf ihn, weil er so erfolgreich war, das auch. Also, eine Mischung aus Langeweile, einen Spaß machen und Neid empfinden.
„Eigentlich weiß ich auch nicht mehr genau, warum ich es getan habe. Aber ich habe es getan. Und es war sehr, sehr falsch, das, was ich getan habe. Ja.“
„Was?“
„Na, warum ich darauf gekommen bin, diese Strauchdiebe dazu anzustiften, solche Videoaufnahmen zu machen. Um meinen Onkel zu schädigen halt.“
Soweit Hilde verstand, war der Onkel wahrscheinlich der Arzt. Dieser Umstand verkrampfte sie leider wiederum. Steckten die beiden unter einer Decke?
Was dachte sich Otto bei all dem, was er hier tat?
Er ging wirklich davon aus, dass seine Missetaten wahrscheinlich von einer Krankenschwester am ehesten auf Verständnis stoßen würden. Wenn nicht, wer sonst? Einer, die im sozialen, pflegerischen Bereich arbeitete. Oder nicht?
Allmählich begann sich Hilde schon sehr zu wundern. Sie wusste nicht recht, was sie von der Situation und vor allem von diesem eigenartigen Neffen hier halten sollte. Von seinem Rumgeeiere und Geseiere– um es einmal auf den Punkt zu bringen.
Auch Otto merkte allmählich, dass die Sache verfahren war. Denn es war schwieriger als gedacht, der Betroffenen seine Gefühle entgegen zu bringen, so dass diese Leidtragende seinen Emotionen Verständnis entgegenbringen würde. Im Gegenteil! Viel, viel schlimmer. Nicht Mitgefühl, sondern sein Vorhaben schien auf blanke Ablehnung zu stoßen!
Womöglich war seine Absicht keine gute Idee gewesen, denn sie verschlimmerte gerade alles nur noch mehr. Ihm dämmerte, dass er gerade dabei war, in ein ähnliches Fettnäpfchen zu treten, wie dieses, als er jene Direktive an die Kleinkriminellen ausgesprochen hatte: „Filmt mal die beiden, nur so zum Spaß. Und dann verschwindet schnell wieder.“
Jetzt begann Otto um sein Leben zu reden, geriet unter einem solchen Drang, zu erklären, zu entschuldigen, darzulegen, dass sein Redeschwall nur schwer verständlich war. Dies vergrößerte die Kluft zwischen den beiden. Je mehr und um so hektischer Otto um sein Leben redete.
Mitten drinnen im Rede-Tsunami fiel ihm ein, dass er sich überhaupt erst einmal vorstellen müsste. Daran kann man ersehen, wie unsicher er geworden war. Und das Sich-Vorstellen an dieser Stelle nun, das zu spät kam, wirkte hinwiederum, als ruderte er zurück und machte ihn noch verdächtiger. Als wäre ihm eine Erklärung nun nicht mehr so wichtig. Als verfolgte er plötzlich zweifelhafte persönliche Interessen.
„Ich bin der Neffe von ihrem Chefarzt, der ja auch entführt worden ist.“
Otto schütte damit Öl ins Feuer. Hilde dachte: „Der steckt mit dem Mistkerl unter einer Decke.“ Sie wich noch weiter zurück, wurde noch misstrauischer. Otto merkte dies. Was habe ich nur falsch gemacht, dachte er. Aber weiter.
„Ich habe also die Kriminellen zu Euch geschickt. Sie sollten Aufnahmen machen von Euch. Ich wusste von Ihrer Affäre mit meinem Onkel. Diese wollte ich filmen lassen und ihn dann ein bisschen unter Druck setzen.“
Die letzten Worte hörte Hilde schon nicht mehr. Sie dachte, aha, der Arzt hat die Filmerei in Auftrag gegeben mit Hilfe dieses Neffen und Polizisten hier, sie beim Sex zu filmen, um sich dann selbst als Pornostar einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Ungeachtet aller Verluste anderer. Gleichgültig dessen, dass dabei eine zweite Person zu Schaden, in den Dreck gezogen und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben werden würde.
Es war ungeheuerlich. Es war niederträchtig. Es war regelrecht kriminell.
Es wurde klar, dass sie nicht nur von den Kriminellen wie die letzte Hure behandelt worden war. Sondern auch vom Arzt selbst. Dieser hatte sie als Pornodarstellerin degradieren wollen. Obwohl sie doch ganz andere Gefühle ihm gegenüber gehegt und gepflegt hatte. Die sich, im Nachhinein gesehen, leider allmählich aufgebaut und entwickelt hatten. Trotz Vernunft und Einsicht in deren Kleinmädchen-Qualität. Aber das spielte keine Rolle.
Das Schlimmste war zweifellos die Entführung mit ihren entsetzlichen Folgen gewesen. Mit der Quälerei, den Vergewaltigungen, den Erniedrigungen. Körperlich und seelisch gesehen. Auch wenn nicht so beabsichtigt gewesen und die Sache aus dem Ruder gelaufen war. Aber mit der Filmerei hatte alles angefangen und die war gewollt – das war der tiefste seelische Schmerz bei all dem.
Sie fing sich schnell wieder, obwohl es furchtbar schmerzte, was gegenwärtig empfand.
„Die beiden Ganoven haben dann ein Kidnapping daraus gemacht, das nicht geplant war. Seh ich das richtig?“
„Ja, leider. Und dafür wollte ich mich entschuldigen.“
Entschuldigen wollte er sich aber nicht dafür, dass er sie beim Sex filmen wollte. Das war schon schwer entschuldbar. Denn dies war pure Heimtücke gewesen. Hinterhältig eine intime Begegnung zu filmen, was gibt es Verwerflicheres?
Das war für sie unverzeihlich.
Und das mit dem Arzt zusammen, mit diesem kalten Fisch!
Das Kidnapping war erst recht nicht entschuldbar, ob gewollt oder nicht. Dazu war es zu hart gewesen und sie hatte zu sehr darunter leiden müssen. Dafür konnte sie keine Entschuldigung akzeptieren. Ob sie wollte oder nicht. Es ging nicht. Sie konnte nicht. Auch und gerade wegen des gerade offenbarten Vorhergehenden nicht.
„Okay, ich habe verstanden. Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.“
„Entschuldigen Sie mich!?“
„Ich möchte, dass Sie auf der Stelle verschwinden. Und mich niemals mehr belästigen.“
„Aber, aber.“ Otto begriff, dass er ins Leere gegriffen, es vermasselt hatte. Die Konsequenzen waren katastrophal. Seit Leben lang würde er diese Last mit sich herumtragen müssen und ihn belasten. Das durfte nicht sein, konnte doch nicht sein.
Er bewegte seine Hände nach vorne, um diese Frau abzuhalten zu tun, was sie mit einer derartigen Geschwindigkeit tat, dass sie von niemanden zu stoppen war. „Hören Sie mir noch einmal zu, bitte!“ Seine Stimme brach dabei. Das machte ihn zu einem makaberen Typen, auf den das Misstrauen gleich noch einmal verdoppelt fiel. Wer so gebrochen sprach, führte etwas im Schilde. Ein bisschen hätte man Otto fast bedauern können deshalb. Vor allem als Hilde nun endgültig die Schotten herunterließ und ihm keinerlei Chance mehr gewährte.
„Mann, ich will sie nie mehr sehen. Kapieren Sie das nicht?“
Hilde sprang von ihrem Stuhl auf und verschwand von diesem Ort wie ein Wirbelwind. Nein, sie floh, sie rannte, sie stürzte hinaus. Ihr Hass gegen den Arzt war nun grenzenlos und nicht mehr aufzuhalten.
„Mann, ich will sie nie mehr sehen. Kapieren Sie das nicht!“
Hilde sprang von ihrem Stuhl auf und verschwand von diesem Ort wie ein Wirbelwind. Nein, sie floh, sie rannte, sie stürzte hinaus. Ihr Hass gegen den Arzt war nun grenzenlos und nicht mehr aufzuhalten.
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