Woher das?
Das Essen von vorhin?
Aber er kam nicht mehr zum Denken.
Er schrie auf, fiel auf die Seite, als hätte ihn ein Schlag getroffen und lag auf dem Boden.
Er stützte sich mit dem Arm auf, streckte sich und dehnte den Rücken, wobei er das Gesicht in verschiedene Richtungen wendete. Er entdeckte jedoch nichts und niemanden, obwohl er spürte, das jemand oder etwas im Raum war.
Wacklig und unsicher auf den Beinen versuchte er sich zu erheben, indem er das Tischbein umklammerte und sich daran aufzurichten begann. Es fiel ihm schwer, seine Beine nachzuziehen und zu erheben, die sich bleischwer anfühlten. Er stützte sich auf seinen Knien mit den Händen ab, drückte darauf, könnte endlich die Hände platt auf die Tischplatte setzen und sich so per Hebelkraft aufrichten.
Er wurde plötzlich von einer unsichtbarer Kraft bedrängt, als hätte sich ein Paravent oder eine sonstige unsichtbare Mauer vor ihm aufgebaut, die ihn jetzt bedrängte und vor sich her schob. Dagegen konnte er nicht an. Die unsichtbare, geheime, magnetische Macht, die im Raum wirkte, war um einiges stärker als er. Er wurde bis exakt der Mitte des Raums geschoben bzw. angesogen, gegen den Untergrund gedrückt, dabei wie eine Schraube so gedreht, dass er auf den Rücken zu legen kam. Er lag wie vor einer Stunde auf dem selben Punkt und unverrückbar fixiert.
Er ergab sich seinem Schicksal und schloss nach einer Weile die Augen.
Dann hörte er ein langgezogenes, quietschendes Geräusch, das er der Stahltür verordnete.
Dann hörte er Stimmen. Er öffnete nicht die Augen. Er spürte dennoch die unterdrückte Bewegung seiner Lider.
"Da liegt ja unser Kuckucksei." Die Aussage wahr eindeutig: Du bist hier unwillkommen.
„Sollen wir ihm reinen Wein einschenken?“
Die zweite Stimme brach in Lachen aus.
„Wodka würde er lieber goutieren, wetten!“
„Red keinen Blödsinn. Dazu ist jetzt nicht die Situation und der Zeitpunkt.“ Eine merkwürdig sachliche Stimme das, ganz im Gegenteil des rauen Timbre der anderen.
„Ei, ei der Herr Störtebeker spricht!“
„Idiot!“
Das hörte sich an, als würde hier ein Theater gespielt. Aber die Stimmung war nur zu ernst.
„Ich bin noch immer der Meinung, dass er hier am falschen Platz ist. Der hat uns gerade noch gefehlt, als hätten wir nicht genug zu tun mit unserem Projekt. Hättet ihr auf mich gehört. Ich hab gesagt, kümmern wir uns nicht um ihn.“
„Aber Chef. Willst Du einen hilflosen Menschen in Seenot sich seinem Schicksal überlassen?“ Der andere entpuppte sich plötzlich als etwas ganz anderes als ein Spaßvogel wie vorhin. Er wirkte im Gegenteil absolut menschlich und kümmernd.
„Wir haben uns weiß Gott um Wichtigeres zu kümmern.“
„Die große Sache.“
„Genau. Unsere Mission. Hier geht es um Großes.“
„Als um einen Menschen!?“
„Mensch, so will ich dies nicht sagen.“
„Aber?“
„Ach, vergiss es.“
Merkwürdig, diese Stimmen sprachen in Rätseln. Welche große Sache?
Er öffnete die Augen.
Es waren zwei Männer, einer der breitschultrige, den er vom seinem Schlauchboot aus auf der Brücke hatte stehen sehen, der andere schmächtigere, kleinere, womöglich ein Untergebener. Aber nein, dazu war er zu frech, sie hörten sich eher an, wie zwei dicke Freunde, die sich schon eine Ewigkeit kannten.
"Das Kuckuckse schlüpft aus!!“
Schon wieder diese Bemerkung, die nur als bewußte Provokation zu verstehen war.
Dieser Abschätzigkeit versuchte der Wohlwollende entgegenzutreten: „Wir haben hier den aus seiner Seenot Geretteten. Ein Schiffbrüchiger. Herzlich willkommen!“
Allerdings welches Boot ihn zur Rettung aufgenommen hatte, blieb unerwähnt. Die Nennung des Schiffsnamens war bei der Vorstellung obligatorisch. Merkwürdig. Das wirkte, als wollten sie inkognito bleiben, als hätten sie etwas zu verheimlichen.
Aber die Reden des Breitschultrigen wenigsten ließen wohl keinen Zweifel über ihre waren Motive: Du bist hier unwillkommen, womöglich lästig, passt nicht hierher zumindest. Offenbar hatten sie ihn nur widerstrebend aus der Not gerettet.
„Sollen wir ihn über unsere Mission aufklären?“
„Warum nicht? Er wird es ohnehin erfahren.“
„Nun, wir sind auf der Suche nach einen Öltanker.“
„Genau. Wir werden einen solchen stürmen, die Bootsmannschaft gefangen nehmen, in unser Boot bringen, hierherunter, damit sie nicht mit ihrem Tanker untergehen. Dafür werden wir nämlich sorgen.“
„Aber warum?“
„Warum? Die Menschheit ist an ihre Grenzen gekommen. Wir werden sie jetzt kontrolliert abwickeln.“
„Oder abfackeln!“
„Teilweise, das gehört zur Abwicklung. Bevor die Welt unkontrolliert kollabiert, die Arten alle aussterben, die Welt verwüstet, der Dschungel ausgedünnt, die Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Orkane, Stürme, Eisschmelzung unkontrolliert die Welt ins Chaos stürzen. Der Punkt of no return ist nicht mehr weit!“
„Finden Sie?“
Er war entsetzt. Warum taten sie das? Ein Verdacht keimte in ihm.
„Warum machen Sie das? Wer befielt ihnen das? Wer hat ihnen diesen Auftrag erteilt!“
„Unsere inneren Stimmen, wenn Sie so wollen.“ Der Antwortende lachte dazu etwas skurril, als ob er tatsächlich von Furien getrieben wäre, Stimmen ihm befahlen, dies zu tun.
„Aber vor allem müssen wir handeln, weil in den Vereinigten Staaten von Amerika ein neuer Präsident an die Macht gekommen ist, der keinerlei Glauben an einen Klimawandel hat. Er ignoriert ihn schlichtweg, im Gegenteil, will Naturschutzgebiete reduzieren, Ölabbau ausweiten, Fracking zudem und so weiter. Ein globale Katastrophe.“
Was er selbst immer gedacht hatte, dachten die auch: der Mensch konnte sich nicht beherrschen. Er musste in seine Schranken und Grenzen verwiesen werden, bevor es zu spät war und ein Zurück unmöglich geworden war.
Nur mit solchen Mittel?
Wieso?
Er hatte ja Ähnliches proklamiert. Nur nicht geglaubt, dass seine manipulierten Gefolgsleute gleich derartige drastische Maßnahmen ergreifen würden und Öltanker versenkten. Nein, das hatte er nicht gewollt!
Aber jetzt geschah es. Wahrscheinlich standen diese Verrückten unter seinem Diktat, wurden per Kopfhörer von seinen Impulsen beschallt.
Es dämmerte ihm allmählich, was er hier losgestoßen hatte.
Nur in dieser Lage konnte er die Leute nicht mehr stoppen, schließlich hatte er keinen Zugang zu seinem Sender oder zu seinen Leuten, die er die Order durchgeben konnte und die den Befehl übertrugen: Stoppt diesen Wahnsinn!