Verbrechen zum Wohle der Menschheit - Science Fiction

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Pentzw
Pegasos
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Die fremden Idealisten

Beitragvon Pentzw » 11.11.2024, 21:32

Als er gerade ziemlich in der Mitte des Raumes stand, wurde ihm plötzlich schwindlig.
Woher das?
Das Essen von vorhin?
Aber er kam nicht mehr zum Denken.
Er schrie auf, fiel auf die Seite, als hätte ihn ein Schlag getroffen und lag auf dem Boden.
Er stützte sich mit dem Arm auf, streckte sich und dehnte den Rücken, wobei er das Gesicht in verschiedene Richtungen wendete. Er entdeckte jedoch nichts und niemanden, obwohl er spürte, das jemand oder etwas im Raum war.
Wacklig und unsicher auf den Beinen versuchte er sich zu erheben, indem er das Tischbein umklammerte und sich daran aufzurichten begann. Es fiel ihm schwer, seine Beine nachzuziehen und zu erheben, die sich bleischwer anfühlten. Er stützte sich auf seinen Knien mit den Händen ab, drückte darauf, könnte endlich die Hände platt auf die Tischplatte setzen und sich so per Hebelkraft aufrichten.
Er wurde plötzlich von einer unsichtbarer Kraft bedrängt, als hätte sich ein Paravent oder eine sonstige unsichtbare Mauer vor ihm aufgebaut, die ihn jetzt bedrängte und vor sich her schob. Dagegen konnte er nicht an. Die unsichtbare, geheime, magnetische Macht, die im Raum wirkte, war um einiges stärker als er. Er wurde bis exakt der Mitte des Raums geschoben bzw. angesogen, gegen den Untergrund gedrückt, dabei wie eine Schraube so gedreht, dass er auf den Rücken zu legen kam. Er lag wie vor einer Stunde auf dem selben Punkt und unverrückbar fixiert.
Er ergab sich seinem Schicksal und schloss nach einer Weile die Augen.
Dann hörte er ein langgezogenes, quietschendes Geräusch, das er der Stahltür verordnete.
Dann hörte er Stimmen. Er öffnete nicht die Augen. Er spürte dennoch die unterdrückte Bewegung seiner Lider.
"Da liegt ja unser Kuckucksei." Die Aussage wahr eindeutig: Du bist hier unwillkommen.
„Sollen wir ihm reinen Wein einschenken?“
Die zweite Stimme brach in Lachen aus.
„Wodka würde er lieber goutieren, wetten!“
„Red keinen Blödsinn. Dazu ist jetzt nicht die Situation und der Zeitpunkt.“ Eine merkwürdig sachliche Stimme das, ganz im Gegenteil des rauen Timbre der anderen.
„Ei, ei der Herr Störtebeker spricht!“
„Idiot!“
Das hörte sich an, als würde hier ein Theater gespielt. Aber die Stimmung war nur zu ernst.
„Ich bin noch immer der Meinung, dass er hier am falschen Platz ist. Der hat uns gerade noch gefehlt, als hätten wir nicht genug zu tun mit unserem Projekt. Hättet ihr auf mich gehört. Ich hab gesagt, kümmern wir uns nicht um ihn.“
„Aber Chef. Willst Du einen hilflosen Menschen in Seenot sich seinem Schicksal überlassen?“ Der andere entpuppte sich plötzlich als etwas ganz anderes als ein Spaßvogel wie vorhin. Er wirkte im Gegenteil absolut menschlich und kümmernd.
„Wir haben uns weiß Gott um Wichtigeres zu kümmern.“
„Die große Sache.“
„Genau. Unsere Mission. Hier geht es um Großes.“
„Als um einen Menschen!?“
„Mensch, so will ich dies nicht sagen.“
„Aber?“
„Ach, vergiss es.“
Merkwürdig, diese Stimmen sprachen in Rätseln. Welche große Sache?
Er öffnete die Augen.
Es waren zwei Männer, einer der breitschultrige, den er vom seinem Schlauchboot aus auf der Brücke hatte stehen sehen, der andere schmächtigere, kleinere, womöglich ein Untergebener. Aber nein, dazu war er zu frech, sie hörten sich eher an, wie zwei dicke Freunde, die sich schon eine Ewigkeit kannten.
"Das Kuckucksei schlüpft aus!!“
Schon wieder diese Bemerkung, die nur als bewußte Provokation zu verstehen war.
Dieser Abschätzigkeit versuchte der Wohlwollende entgegenzutreten: „Wir haben hier den aus seiner Seenot Geretteten. Ein Schiffbrüchiger. Herzlich willkommen!“
Allerdings welches Boot ihn zur Rettung aufgenommen hatte, blieb unerwähnt. Die Nennung des Schiffsnamens war bei der Vorstellung obligatorisch. Merkwürdig. Das wirkte, als wollten sie inkognito bleiben, als hätten sie etwas zu verheimlichen.
Aber die Reden des Breitschultrigen wenigsten ließen wohl keinen Zweifel über ihre waren Motive: Du bist hier unwillkommen, womöglich lästig, passt nicht hierher zumindest. Offenbar hatten sie ihn nur widerstrebend aus der Not gerettet.
„Sollen wir ihn über unsere Mission aufklären?“
„Warum nicht? Er wird es ohnehin erfahren.“
„Nun, wir sind auf der Suche nach einen Öltanker.“
„Genau. Wir werden einen solchen stürmen, die Bootsmannschaft gefangen nehmen, in unser Boot bringen, hierherunter, damit sie nicht mit ihrem Tanker untergehen. Dafür werden wir nämlich sorgen.“
„Aber warum?“
„Warum? Die Menschheit ist an ihre Grenzen gekommen. Wir werden sie jetzt kontrolliert abwickeln.“
„Oder abfackeln!“
„Teilweise, das gehört zur Abwicklung. Bevor die Welt unkontrolliert kollabiert, die Arten alle aussterben, die Welt verwüstet, der Dschungel ausgedünnt, die Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Orkane, Stürme, Eisschmelzung unkontrolliert die Welt ins Chaos stürzen. Der Punkt of no return ist nicht mehr weit!“
„Finden Sie?“
Er war entsetzt. Warum taten sie das? Ein Verdacht keimte in ihm.
„Warum machen Sie das? Wer befielt ihnen das? Wer hat ihnen diesen Auftrag erteilt!“
„Unsere inneren Stimmen, wenn Sie so wollen.“ Der Antwortende lachte dazu etwas skurril, als ob er tatsächlich von Furien getrieben wäre, Stimmen ihm befahlen, dies zu tun.
„Aber vor allem müssen wir handeln, weil in den Vereinigten Staaten von Amerika ein neuer Präsident an die Macht gekommen ist, der keinerlei Glauben an einen Klimawandel hat. Er ignoriert ihn schlichtweg, im Gegenteil, will Naturschutzgebiete reduzieren, Ölabbau ausweiten, Fracking zudem und so weiter. Ein globale Katastrophe.“
Was er selbst immer gedacht hatte, dachten die auch: der Mensch konnte sich nicht beherrschen. Er musste in seine Schranken und Grenzen verwiesen werden, bevor es zu spät war und ein Zurück unmöglich geworden war.
Nur mit solchen Mittel?
Wieso?
Er hatte ja Ähnliches proklamiert. Nur nicht geglaubt, dass seine manipulierten Gefolgsleute gleich derartige drastische Maßnahmen ergreifen würden und Öltanker versenkten. Nein, das hatte er nicht gewollt!
Aber jetzt geschah es. Wahrscheinlich standen diese Verrückten unter seinem Diktat, wurden per Kopfhörer von seinen Impulsen beschallt.
Es dämmerte ihm allmählich, was er hier losgestoßen hatte.
Nur in dieser Lage konnte er die Leute nicht mehr stoppen, schließlich hatte er keinen Zugang zu seinem Sender oder zu seinen Leuten, die er die Order durchgeben konnte und die den Befehl übertrugen: Stoppt diesen Wahnsinn!


Pentzw
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Die Persönlichkeitsauflösung

Beitragvon Pentzw » 09.03.2025, 20:32

Er war wieder allein.
Sofort wurde er zu einem Platz im Wohnzimmer gezogen. Er setzte sich gehorsam an den Tisch in der Mitte des Raums, vor dem ein Stuhl stand. Weil es so bequem war, legte er die Unterarme auf die Platte und – wartete. Es gab momentan nichts anderes zu tun. Er wartete einfach.
Ein Buch zu lesen wäre besser, als hier nur rumzusitzen. Er guckte herum, um einen solchen Gegenstand zu entdecken.
Aber natürlich könnte er ein Buch nicht holen, wenn er eines sehen würde, weil er hier an diesem Ort gebunden war. Er entdeckte auch keines.
So schaute er wieder geradeaus.
Vorbereitung, dachte er jetzt. Genau. Wenn er im Vorbeigehen ein Buch sah, musste er es ergreifen und mitnehmen, damit er es griffbereit hatte, wenn er an diesen Tisch hier zurückkehrte, an dem er die meiste Zeit gebunden war. Das schärfte er sich ein.

1. Tag der Gefangenschaft

„Ich habe einen Stift entdeckt. Papier habe ich aus den Büchern herausgerissen, die ich gefunden habe. Diese alten Bücher haben meist hinten zwei Seiten, die ich herausreiße und dann verwenden kann.


Ich lebe weiter. Ich verliere aber das Zeitgefühl. Ich benutze nicht mehr mein Gehirn, ich brauche es auch nicht: Ich greife mit meinen Händen um mich wie ein Blinder und wo kein Widerstand besteht, gehe ich vorwärts. Das ist einfach, es ist nicht anstrengend, sein Gehirn nicht einzuschalten. Ich muss nicht mehr denken. Gleichzeitig ist mein Bewusstsein nicht dort, wo ich gerade handele. Im allgemeinen spricht man „Ich bin nicht bei der Sache.“
Ich weiß auch nicht, worüber ich nachdenke, versuche ich mich zu erinnern, ist da eine Lücke. Wahrscheinlich an Vergangenes denke ich, wenn ich so für mich hin tagträume, bestimmt! Aber ich muss doch auch in die Zukunft denken.
Natürlich, ich träume von Freiheit. Ich muss erkennen, wie die Dinge hier programmiert sind, um ein Schlupfloch zu finden!


Er fühlte Strahlen. Er war unruhig, empfand ein Grippeln, als ob er elektronischen Strahlen ausgesetzt wäre, unter Bestrahlung, so als befände er sich innerhalb eines Röntgendetektors.
Als er sich unwillkürlich aufrichtete, merkte er, dass ihm diese Bewegung leicht fiel. Er verstand: er hatte aufzustehen. Dann tastete er wieder herum, drehte sich im Kreis, wollte weder vor noch zurück gehen, bis sich sein Zeitgefühl einstellte und ihm sagte: Es ist spätnachmittags, Zeit auf die Toilette zu gehen, danach das Abendbrot verrichten.

5. Tag der Gefangenschaft

Ich griff nach der Tür zum Klo. Sie blockierte. Ich wandte mich um, aber ich stieß wieder gegen die Mauer. Da stimmte etwas nicht. Zwei Dinge, die sich nicht vertrugen, das konnte nicht sein. Ich drehte mich wieder um und drehte den Knauf, diesmal aber hin und her. Sie öffnete sich, allerdings nachdem ich in die andere Richtung gedreht hatte. Ich war dann nicht mehr verwundert, als auch Küchen- und Geschirrschrank nur in die „verkehrte Richtung“ zu öffnnen war.
Ich wunderte mich schon ein bißchen, aber ich glaube, ich steckte es doch leicht weg, indem ich mit den Achseln zuckte und mir sagte: „Also auf ist zu und zu ist auf. Nur eine Sache der Gewohnheit.“ Aber so einfach war es nicht, denn nach ein paar Tagen war es wieder umgekehrt und nach etlichen wieder und so weiter, nur nicht in einem bestimmten Rhythmus.
Was sollte das?
Ich konnte es mir nicht erklären. Noch.

Ich habe gestern merkwürdigerweise festgestellt, dass sämtliche Klingen in die andere Richtung als gestern funktionieren. Kann das sein? Ja, heute sind sie schon wieder in die andere Richtung ausgerichtet.
Was bezweckt der Urheber?


10. Tag der Gefangennahme

Wann kommen bald die anderen? Die Mitgefangenen? So lange jetzt schon haben sie davon gesprochen, dass sie einen Öltank kapern werden, bis jetzt jedoch ist nichts geschehen!


Oder stimmte das gar nicht? War es ein Verwand, ihn hier zu halten?
Es verging wieder eine ganze Weile und es geschah einfach nichts.
So begann er zu zweifeln, dass es je geschehen würde.
Es machte sich langsam eine große Angst breit. Ein Entsetzen.
Du wirst nicht mehr mit Menschen zusammenkommen. Du wirst immer allein bleiben.
Allein die Vorstellung war ungeheuerlich. Sich daran zu gewöhnen schien schier unmöglich.
Eines Tages aber verlor sich der Gedanke daran auch aus seinem Gedächtnis.
Stattdessen entdeckte er die Welt der Bücher. Ein paar insbesondere, die seinen Kopf füllten und die Zeit vertrieben oder die Langeweile.
Die Langeweile, was war sie? Sie war allgegenwärtig. Damit hörte sie auf, belastend zu sein. Es war einfach, dass er lebte. Von einem Moment zum nächsten.
Das war alles.
Die Bücher über Buddhismus, die Bibel, das Tao Te King, alles Standartwerke des Menschen erfüllten seine Realität.


Er gab aber nicht auf, seine Welt, in der er lebte zu verstehen und auf dem Grund zu gehen. Er versuchte, dem Mechanismus auf die Schliche zu kommen und in deren Abläufe eine Systematik zu erkennen.

15. Tag der Gefangenennahme

Gestern saß ich eine geschlagene Stunde vor meinen Salatteller. Ich ließ das Geschirr unberührt. Normalerweise kommt Druck auf, sowie eine viertel Stunde verstrichen ist, die ich zum Verzehr benötige. Heute jedoch nicht. Nach einer Stunde aß ich das Gericht. Danach erst merkte ich, dass ich mich von hier wegbewegen musste. Die Dynamik, so nenne ich diesen Mechanismus, wurde erst aktiviert, nach dem ich den Salat gegessen hatte.
Heute nun wollte ich erneut dieses Experiment durchführen. Aber nach 15 Minuten rebellierte die Dynamik, ich musste unverrichteter Dinge in die Kochnische zurücktun.
Die Dynamik hat aber keine eindeutigen Regeln, sie geschieht fast willkürlich.
Was steckt dahinter?
Was will diese Ordnung bewirken?`
Was bewirkt sie bei mir?
Ich muss mich scharf beobachten.



Dass die mechanischen Abläufe willkürlich und fast chaotisch waren, war entmutigend. Wenn man nicht wusste, wie die Welt um einen funktionierte, konnte man keinen Widerstand, nicht mal einen Plan leisten. Seine Zukunft war verbaut. Er konnte sie nicht gestalten.
Andererseits brauchte er sich jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, wie er Widerstände überwinden, wie er hier vielleicht herauskommen könnte.
Also beschäftigte er sich mit etwas anderem.

20. Tag der Gefangenennahme

Das ständige Schwanken des Schiffes ist allgegenwärtig. Oft behindert es mich, wenn ich etwas mit einem Werkzeug machen will. Ich bin mir zwar nicht dessen bewußt, aber es wirkt sich darüber hinaus auch auf den Organismus aus. Ich habe ja das Gefühl, wenn ich laufe, ich bewege mich auf Bohlen, wie Flößer auf reißenden Flüssen. Mein Gleichgewichtssinn ist schon gestört. Oft ist mir leicht schwindlig, aber ich versuche es zu ignorieren. Wahrscheinlich wirkt sich dieses Schunkeln, Schwanken und unmerkliches Wanken auf meinen Schlaf aus, auf meine Träume.
Habe ich wirre Träume? - Schwer zu sagen. Ich erinnere mich kaum.
Verdränge ich sie? Wer möchte sich schon gerne mit Missliebigen konfrontieren, wenn es nicht sein

25. Tag der Gefangenennahme

[i]Ich denke oft an meinen Bruder. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt existiert, überhaupt je existierte? Diese Frage beschäftigt und plagte mich tage-, wochenlang. Ich wälzte diesen Gedanken schwer in meinem Kopf. Wie auch immer, er kommt nicht. Eine Minute nicht, die nächste nicht. Wieviel einfacher wäre es, wenn er überhaupt nicht käme? Dann wäre alles wie vorher. Das tröstet. Das spielst du, dass er gar nicht kommt, und wenn er doch noch kommen sollte, dann macht es einfach nichts mehr aus. Dann ist alles nur noch ein Nachspiel, es spielt keine Rolle mehr. Allein bist du richtig, so allein bist du König. Jetzt kann er kommen oder ebenso nicht kommen. Du bist König.



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