Dunkel war´s

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Imhotep
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Dunkel war´s

Beitragvon Imhotep » 07.11.2002, 19:05

Dunkel war’s

Die Sonne war gerade untergegangen, als er aus seiner Haustüre schritt. Es war sein Geburtstag, doch Feiern war das letzte, was er jetzt brauchte. 26 Jahre, dachte er, 26 Jahre wofür? 26 Jahre in einem normalen Leben mit normalen Freunden in einer normalen Umgebung. Es war Zeit etwas zu tun. Plötzlich blickte er auf.

Der Mond schien helle.

Er wusste, wo er hin wollte. Zum Hochhaus an der Ecke, vorbei an der Baustelle, die die Autofahrer seit einem Monat belästigte. So was ärgerte ihn. Nicht mehr lange.

Als ein Auto blitze schnelle,

Er riss die Augen auf. Ein ohrenbetäubendes Quietschen hatte ihn aus seinen Gedankengang gerissen. Er stand an der Kreuzung und beobachtete das Ungetüm, das ihn um haaresbreite begraben hätte.

Langsam um die Ecke fuhr.

Ein lächeln umspielte seine Lippen. Das Auto würde gleich stoppen müssen, stoppen um zu warten, warten vor der Baustelle, warten, warten, warten. Er blickt dem Auto hinterher und ihm fiel etwas auf.

Drinnen saßen stehend Leute.

Komisch, dachte er. Haben die keine anderen Probleme? Probleme, wie er sie hatte. Angst. Doch im Gegenteil, sie wirkten vergnügt.

Schweigend ins Gespräch vertieft.

Neid. Keine Angst, sie haben ja noch die Baustelle, erinnerte er sich. Es wurde Zeit, Zeit die Straße zu überqueren. Schnellen Schrittes erreichte er sein Ziel, stieg in den Fahrstuhl, fuhr nach oben - auf zum Balkon. Er sah das Auto, wartend. Ich hab’s ja gleich gesagt, flüsterte er vor sich hin.

Als ein totgeschossener Hase über’n Sandberg Schlittschuh lief.

Komischer Sandberg, der da bei der Baustelle entstanden ist. Verließen ihn jetzt auch noch seine Augen? Jetzt schon? Wird er da wo er hin geht sehen können? Wie sieht es dort aus? Was wird er dort tun? “Hallo”, erschreckte ihn eine helle Stimme hinter ihm. Er hatte sie nicht gehört, aber jetzt war er froh, dass sie da war.

“Wir können los.”


Hatte mal Lust, was zu schreiben ;-)
autos epha

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Re: Dunkel war´s

Beitragvon Hamburger » 10.11.2002, 14:47

Hallo Imhotep!

Hier nun meine Kritik deines Textes. Die Idee einer Mischung aus Lyrik und Prosa halte ich für originell. Das zitierte Gedicht habe ich schon öfters gehört. Von wem war es gleich nochmal?
Dein Text selber hat einige stilistische Mängel. Nun wurde ich hier schon als König der Kommafehler bezeichnet und bin es wohl auch, jedoch bin ich mir bei dir auch nicht ganz sicher, ob da grammatikalisch alles so korrekt gelaufen ist. Da würde ich doch gerne gelbsucht, unseren Grammatiker und alten Lateiner, fragen...
Aber auch ansonsten verliert der Text meiner Meinung nach durch deine eher kurzatmige Art zu schreiben. Du verwendest keine besonders originellen Bilder, was ich dir hier ausdrücklich NICHT zum Vorwurf machen will, aber wenn der Text schon einfach und schlicht geschrieben ist, dann muss er zumindest durch seine Formulierungen packen und mitreißen. Sich, wenn man schon weiss was kommt, als Leser von einem Komma zum nächsten zu hangeln, nimmt dem Text einiges.
Ein Beispiel:

Es war sein Geburtstag, doch Feiern war das letzte, was er jetzt brauchte. 26 Jahre, dachte er, 26 Jahre wofür?


Du müsstest versuchen an solchen Stellen flüssiger zu formulieren, damit ein Lesefluss beim Leser erstmal aufkommt.

Auch sprachlich liegt ein bisschen was im Argen.
Beispiel:

Schnellen Schrittes erreichte er sein Ziel, stieg in den Fahrstuhl, fuhr nach oben - auf zum Balkon


An dieser Stelle finde ich, nebenbei gesagt, deinen Stil passend zum Text, da dieser kurzatmige Stil sehr gehetzt wirkt, was zu "Schnellen Schrittes" passt, aber eine Formulierung wie "auf zum Balkon", die niemand so benutzen würde ist einfach schwach. Hier müsstest du versuchen sprachlich feiner zu schreiben, damit man als Leser nicht über eine solche ungelenke Formulierung stolpert.

Auch verstehe ich nicht warum du bei dem zitierten Gedicht hinter fast jede Zeile einen Punkt gesetzt hast. Das ist bei einem Gedicht nicht üblich, höchstens wenn die Strophe abgeschlossen wird. Also dürften auch nur dort - wenn überhaupt - Punkte stehen.

Er blickt dem Auto hinterher und ihm fiel etwas auf.

Drinnen saßen stehend Leute.


Hier hätte beispielsweise die Möglichkeit bestanden mehr Wirkung zu erzeugen, indem hinter "ihm fiel etwas auf" ein Doppelpunkt oder drei Punkte gestanden hätten, um die Verzahnung deutlicher zu machen. Überhaupt hätte das das Niveau des Textes gehoben, eine auch durch die Grammatik deutlichere Verzahnung von Lyrik und Prosa.

Ein logischer Widerspruch ist für mich im letzten Absatz zu finden:

Komischer Sandberg, der da bei der Baustelle entstanden ist. Verließen ihn jetzt auch noch seine Augen? Jetzt schon? Wird er da wo er hin geht sehen können?


Wie kommst du hier auf das eventuell verlöschende Augenlicht des Protagonisten? Für den Leser ist das nicht ersichtlich. Nur weil man einen aus der Ferne einen Sandberg sieht, der "komisch" aussieht, heisst das doch lange nicht, das man bald nicht mehr sehen kann.

Nun zu meinem geschmacklichen Urteil:

Dein Text ist viel zu kurz. Er macht eine Reihe von mysteriösen Andeutungen ("Es ist Zeit etwas zu tun", "So was ärgerte ihn. Nicht mehr lange."), die durchaus Interesse wecken. Auch wenn manche Formulierungen mir etwas fade erscheinen...


war das letzte, was er jetzt brauchte. 26 Jahre, dachte er, 26 Jahre wofür? 26 Jahre in einem normalen Leben mit normalen Freunden in einer normalen Umgebung.


so will ich nun doch einiges wissen: Es ist wohl davon die Rede, das da jemand an seinem 26.Geburtstag Selbstmord begehen will, aber warum? Die Probleme des Protagonisten werden nicht erwähnt oder nur so allgemein, das er nicht individualisiert, nicht charakterisiert wird und ich mich folglich auch nicht mit ihm identifizieren kann. Gut, ihn ärgert eine Baustelle, vielmehr das die Baustelle Autofahrer belästigt und sein Leben scheint ziemlich dröge zu sein - aber das ist etwas wenig um Identifikation zu schaffen.
Weiter: Wer ist die Frau, der er am Schluss begegnet? Welche Rolle spielt sie? Warum hast du sie eingeführt?

Ausserdem: Der Sinn der Verzahung des Gedichtes und deines Textes erschliesst sich mir nicht. Das Gedicht ist lustig, da es von seinen offensichtlichen Widersprüchen lebt. Der Text bietet mir keinen Ansatzpunkt, diese Erkenntnis über das Gedicht auf ihn zu übertragen.

Mein Gesamturteil: Eine originelle Idee von dir, die unter den stilistischen Mängeln etwas leidet. Inhaltlich spricht mich der Text aber deshalb nicht an, weil er - und darin liegt die Hauptschwäche - dem Protagonisten kein Gesicht verleiht. Sollt er lustig sein, so ist dir das meiner Meinung nach nicht gelungen.

Schöne Grüße,

Hamburger
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Re: Dunkel war´s

Beitragvon Imhotep » 10.11.2002, 22:13

Danke Hamburger für dein Kritik. Ehrlich gesagt stimme ich mit dem meisten deiner Punkte überein.

Wie kommst du hier auf das eventuell verlöschende Augenlicht des Protagonisten?

Nun ja, er sieht einen totgeschossenen Hasen, der über einen Sandberg an einer Baustelle Schlittschuh fährt. Wer würde da nicht zuerst an ein Augenproblem denken?

Es ist wohl davon die Rede, das da jemand an seinem 26.Geburtstag Selbstmord begehen will, aber warum?

Genau danach sollte es aussehen. Ein Selbstmord. Allerdings lässt der Schluss offen, ob es sich um einen handelt oder ob er ein neues Leben irgendwo, nur nicht dort wo er lebt, beginnt. Was mir scheinbar missglückt ist - den Leser auf einen Selbstmord vorzubereiten und ihn dann abblitzen zu lassen. Naja "practise makes perfect" oder in Deutsch: "Übung mach den Meister".

Wer ist die Frau, der er am Schluss begegnet? Welche Rolle spielt sie? Warum hast du sie eingeführt?

Sie sollte symbolisch für den Neuanfang stehen, der wie ich eben beschrieben habe, überraschend sein sollte. Mit ihr würde er überall hingehen....


Sollt er lustig sein, so ist dir das meiner Meinung nach nicht gelungen.

Er sollte weder lustig noch traurig sein, er sollte "stehend und sitzend" sein.


Danke nochmal ;-)

Mal sehen, womit ich euch als nächstes auf die Nerven gehe.

P.S. Ich glaube nicht, dass Kommerfehler drin sind - aber ich lasse mich gerne berichtigen.
autos epha

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Re: Dunkel war´s

Beitragvon Hamburger » 11.11.2002, 02:19

Hallo Imhotep!

Danke für deine Antwort. Eine letzte Sache an deinen Erklärungen ist für mich noch nicht klar.

Wie kommst du hier auf das eventuell verlöschende Augenlicht des Protagonisten?

Nun ja, er sieht einen totgeschossenen Hasen, der über einen Sandberg an einer Baustelle Schlittschuh fährt. Wer würde da nicht zuerst an ein Augenproblem denken?


Irgendwie merkt man als Leser nicht, vielleicht auch nur ich dummer Leser nicht, dass du das Augenproblem auf den totgeschossenen, schlittschuhlaufenden Hasen zurückführst, da du beim Übergang in die Prosa nur von dem "komischen Sandberg" redest. So entstand bei mir der Eindruck, er verlöre sein Augenlicht aufgrund des Erblickens eines Sandberges, was mir etwas seltsam erschien :-)

Ansonsten bekrittelte ich deinen Text nicht weiter, kann mit dem Rest deiner Erklärungen gut leben und stimme dir
zu: Übung macht den Meister. Bin gespannt auf deinen nächsten Text.

Gute Nacht,

Hamburger
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