Blut auf Haut

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Marot
Kerberos
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Blut auf Haut

Beitragvon Marot » 18.12.2002, 19:34

Ich schreibe mit Blut auf zarte weiße Haut. Die Adlerfeder ist scharf und spitz denn ich habe sie lange geschnitzt und so vermengt sich nun mein dunkles zähes Blut mit dem hellroten nun unnütz gewordenen Lebenssaft des kleinen Körpers.
Die Sirenen heulen in der ganzen Stadt und zeugen von der verzweifelten Suche nach dem Schrecken.
Ich bin es den sie suchen, ich bin der Schrecken der euch schlaflose Nächte bereitet, der euch verführt eure Kinder einzuschließen aus Angst ich könnte sie holen.
Und ich hole sie, nicht weil ich es will, nicht weil ich dabei Freude empfinde, nein ich hole sie, weil ihr es so wollt, weil ihr mich herbeigesehnt habt , weil ihr mich braucht, nicht ich euch.

Ich schreibe mit Blut auf Haut und weis, dass keiner von euch überrascht sein wird, wenn mich die Sirenen erreicht haben und ihr morgen von meiner Tat in der Zeitung lesen könnt.
Nur das was ihr schon immer gedacht habt ist nun eingetreten , nichts ist neu, nur eine Bestätigung eurer Gedanken.
Ich weis, ich hätte mich nicht von dem Strudel in den ihr mich gestoßen habt in die Tiefe ziehen lassen dürfen, hätte stark sein und euch ignorieren müssen.

Die zarte Haut wird allmählich kalt und starr. Vermischt mit meinen Tränen wird das auf ihr geschriebene morgen kaum noch zu lesen sein. Ich hoffe ihr könnt es noch lesen, wenn man uns findet.

Mein Vater war ein Mörder. Sechs Menschen hat er ermordet, mit einem Küchenmesser, schnell, effizient und eiskalt, nicht einmal geblinzelt hat er, als er die Kehlen seiner Opfer öffnete. Nur mich hat er verschont, seinen jüngsten Sohn, weil ich ihm so ähnlich sähe, hatte er mir ins Ohr geflüstert, als das Küchenmesser auch sein Herz durchdrang.
Man brachte mich, den kalkweißen, verängstigten, acht jährigen Knaben in ein staatliches Heim, denn alle Angehörigen zu denen ich hätte gehen können waren von meinem Vater ermordet worden.

Ich schreibe mit Blut auf Haut das Leiden meines Lebens, das Leiden eines Mörders Sohn.

Keine Schwester hatte etwas gesagt, aber die Kinder des Waisenheimes, so wie alle Menschen denen ich je begegnet bin, wussten wer ich, nein wussten was ich war.
Ich weis nicht, vielleicht konnten sie es in meinen Augen sehen, vielleicht sieht man in ihnen das blutige Messer geführt von meines Mörders Hand.
Nein, sie haben sich nicht verlesen und das dünne Blut hat das Wort auch nicht entstellt.
Ich wollte Mörder schreiben, denn nichts anderes ist er. Er tötete meine Zukunft, als er mich am Leben lies.
Die Kinder im Heim mieden mich, wo sie nur konnten, nicht weil sie mich nicht mochten oder weil ich hässlich war, sie mieden mich, weil sie Angst vor mir hatten, Angst vor meinen Augen und vor dem Messer was nie da war, aber da zu sein schien.
Ich habe ein einsames Leben gelebt, dabei liebe ich Gesellschaft, aber wo ich auch hinkam , sei es nun ins Heim, aufs Gymnasium oder auf die Uni, nie fand ich das Ersehnte, denn stets verrieten mich meine Augen.
Ich hatte Sex mit ein oder zwei Frauen, die es wohl geil fanden mit dem Sohn eines Monsters zu ficken, ja sogar diese Schlampen wussten es, aber es war nicht das, was ich wollte.
Was ich wollte war Freundschaft , Liebe und Respekt, nicht mehr und nicht weniger.

Durch die dicken fleischigen Regentropfen hindurch kann ich die blauen umherwirbelnden Lichter schon sehen. Sie tauchen kurz auf und verschwinden dann wieder im Schleier des dichten Regens. Wie Motten ums Licht schwirren sie um mich herum und werden mich bald finden.

Wie sehr habe ich mir ein normales Leben gewünscht, wie habe ich all diese Mittelschichtkinder mit einer geordneten Familie und all ihren belanglosen Freundschaften beneidet, deren einzige Sorge eine schlechte Note in Mathe ist. Ich hätte alles dafür gegeben dieses Leben, so langweilig es auch sein mag, führen zu können, aber es war mir nicht vergönnt, denn ich bin der Sohn eines Mörders.
Ihr habt mich nie als Mensch gesehen, egal was ich tat. Ich habe immer fleißig für die Schule gelernt, war im Schulchor, habe Fußball gespielt und immer die Kleidung getragen die gerade Mode war.
Ich war normal, mein Gott ich war sogar normaler als ihr alle zusammen und doch war ich immer das Monster. Früher in euren Augen und heute auf der Haut dieses schlaffen Menschenkörpers.
Ich bin so wie ihr mich immer wolltet, das Monster eurer kranken Phantasie, der Spiegel eurer dunkelsten Träume. Ihr habt mich erschaffen weil ihr mich braucht.

Vielleicht ist dies eine abgedroschene Phrase, eine Entschuldigung für all jene die ihr Leben nicht in den Griff bekommen.
Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft die Verantwortung für die Tat eines Einzelnen trägt, wenn er sie aus freiem Willen beging.
Ich bin bereit die Verantwortung zu übernehmen und die Rechnung zu bezahlen, aber ich will, das ihr wisst, das es nicht meine Rechnung ist. Ich habe die Speisekarte nie gesehen, ihr habt für mich bestellt.
Ich schreibe mit Blut auf Haut die letzten Zeilen meines Lebens, denn die Sirenen nahen und ich werde nicht in eure Arme laufen. Lange genug war ich die Schaufensterpuppe eurer perversen Phantasie. Ich sprenge das Glas und folge meinem Mörder.

Hamburger
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Re: Blut auf Haut

Beitragvon Hamburger » 23.12.2002, 01:55

Hallo Marot!

Dieser Text erinnert mich an die ersten Texte, die ich geschrieben habe. Auch dies waren innere Monologe und ich schätze ihre heutige Qualität nicht mehr sehr hoch ein. Dennoch muss ich überraschenderweise sagen, das mir dein Text insgesamt ganz gut gefällt.

Zunächst gefällt mir die Thematik, mit der du dich auseinandergesetzt hast. Ich kann mich als ehemaliger Extrem-Aussenseiter sehr gut mit einigen Passagen des Textes identifizieren (besonders mit dem vorletzten Absatz), auch wenn bei mir das Unheil ein Aussenseiter zu sein nicht durch eine solche Vorgeschichte meines Vaters übertragen wurde, so wie es bei deinem Protagonisten der Fall ist. (ich werde noch eine Einschränkung machen bezüglich dem Grad der Identifikation, aber dazu später mehr)

Ausserdem hat mich dieser Text an viele Debatten erinnert, die ich mit einem meiner Freunde geführt habe, die sich inhaltlich um die Bestrafung straffällig gewordener Menschen (insbesondere straffällig gewordener Jugendlicher) drehten. Er plädierte unter anderem dafür in Deutschland die "Chain Gangs" einzuführen, die ein amerikanischer Sheriffs in einem Gefängnis-Camp in der Wüste etabliert hat. (ich weiß nicht mehr genau welcher Bundesstaat) Was Täter antreibt wollte er gar nicht wissen sondern einzig und allein: Wie hart soll man sie bestrafen? Und er meinte ganz allgemein: Lieber sehr hart - zur Abschreckung.
Zum anderen hat mich dein Text an Grönemeyer`s Lied "Fanatisch" erinnert, in der aus der Sicht eines Beläsigers die Wonne desselbigen geschildert wid. Es hat mich wegen dem Perspektivwechsel (Tätersicht) daran erinnert.

Ich war also schon nach dem ersten Absatz am Text interessiert...

Zum Text selber: Was gefällt mir, was nicht?

Mir gefällt...

...das der Text nicht einfach nur ein Ausschnitt einer Handlung ist, sondern die Vergangenheit nachholt bei der Beschreibung der Gegenwart und einen Abschluss mit dem Suizid findet. Mit Ausschnitten kann ich überhaupt nichts anfangen.

...die Form des Textes, die insbesondere am Anfang durch die Wiederholung "Ich schreibe mit Blut auf Haut" geschaffen wird. Das gibt dem Text eine gewisse Straffheit.

...die Betrachtung der Perversion der Gesellschaft aus Tätersicht und die somit angesprochene Mitverantwortung der Gesellschaft. Denn dadurch wird ein einseitiges Täterbild vermieden. Ausserdem ist es heute, insbesondere in den Print-Medien, fast schon verpönt sich mit den Motiven des Täters auseinanderzusetzen, da die härteste Bestrafung für bestialische Verbrechen (am Besten Auge um Auge, Zahn um Zahn) gerade gut genug zu sein scheint.

Mir gefällt nicht...

...die einseitige Stigmatisierung der Gesellschaft. Genau das, was an der Gesellschaft, hier natürlich exemplarisch an den Personen mit denen der Mörder zu tun hatte, kritisierenswert ist wird zu exzessiv kritisert. Es gab ja wirklich nicht Einen, der sich ernsthaft mit diesem Kind eines Mörders beschäftigt hat. Es gab keine Freundschaft, keine Liebe, nichts und niemals. Alle hatten Vorurteile von Beginn an und so war der Weg dieses Kindes vorgezeichnet. Das wirkt unrealistisch, aber viel schlimmer: Es macht viel von der berechtigten Gesellschaftskritik kaputt (wobei mir die Mataphorik mit den Augen sehr gut gefiel, da dadurch die Angst vor dem der ausgestoßen wird sehr gut beschrieben wird) denn es wirkt platt. Der Täter kommt einfach zu gut weg.

...das der Täter seine Verantwortung durch Suizid übernimmt. Was ist das für eine Verantwortungsübernahme? Er lehnt es ab sich mit seiner Tat auseinandersetzen zu müssen und verlässt diese Welt. Das hat für mich nichts mit Verantwortung zu tun.

... die Formulierung freier Wille. Unser Wille ist niemals frei, wir haben immer Gründe für unser Handeln. Handlungsfreiheit hätte es besser getroffen. Ausserdem sprichst du die Gesellschaft erst von ihrer Verantwortung frei um sie ihr einen Satz darauf in voller Breitseite wiederzugeben (was übigens auch schon vorher reichlich geschieht):


Ich bin bereit die Verantwortung zu übernehmen und die Rechnung zu bezahlen, aber ich will, das ihr wisst, das es nicht meine Rechnung ist. Ich habe die Speisekarte nie gesehen, ihr habt für mich bestellt.


Der Täter ist nur noch ausführendes Organ. Er übernimmt hier die Verantwortung für Taten der Anderen (Derjenigen, die die Rechnung bestellt haben). Aber das die Anderen die Rechnung bestellen impliziert sehr wohl eine Verantwortung für die Tat bei Denjenigen, da sie den Täter dazu drängten das zu tun, was er tat.

Fazit: Ein guter Versuch, eine interessante Thematik. Ein differenziertes Gesellschaftsbild und eine daran anschliessende differnziertere, tiefergehende Reflexion über Verantwortung hätte ich mir gewünscht.

By the way: Ich habe im Gedichtforum deinen Dialog mit gelbsucht gelesen. Dort tauchte unter anderem das Wort "Gesellschaftsfeind" auf als du die Sprache deines Gedichtes verteidigt hast. Mich würde sehr interessieren, was das heisst:"Ich bin ein Gesellschaftsfeind!"

So du denn einer bist. Wie definierst du das für dich? Was ist so schrecklich an dieser Gesellschaft? Was ist überhaupt die Gesellschaft für dich? Was treibt dich zu solchen Texten, in denen die Gesellschaft ja einiges abkriegt?

So weit meine Meinung und meine Fragen. Gute Nacht!

Hamburger
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Re: Blut auf Haut

Beitragvon razorback » 09.01.2003, 12:09

Ist nicht ganz einfach, diesen Text zu bewerten. Ich versuche es mal.

Ich finde ihn leider misslungen. "Leider", weil er nicht hätte misslingen müssen, er hätte meines Erachtens ziemlich gut sein können. Du formulierst gut, schaffst starke Bilder, eine fühlbare Atmosphäre - nur leider wird Deine Hauptfigur dem Ganzen nicht gerecht. Denn ehrlich gesagt - er ist weniger beängstigend als eklig. Er ermordet Kinder und greint, er sei nicht schuld, sondern sein böser Vater, die böse Gesellschaft, wer auch immer. Er schreibt mit dem Blut seiner Opfer, schreibt auf Menschenhaut, das hat etwas dämonisches, und gerade dieser dämonische Eindruck wird durch Deine starken Formulierungen, die guten Bilder und die tiefe Atmosphäre gestützt. Aber welche Art von Dämon trägt das ganze - einen, der mordet um Grund und Mittel zu haben, der Welt etwas vorzuheulen. Na...
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You


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