Väterlicherseits

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Muffin
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Väterlicherseits

Beitragvon Muffin » 15.11.2005, 16:00

Väterlicherseits


„Sag mal, Lotte, hast du schon Omas Ediths Brandwunde gesehen?“ fragt meine Mutter beiläufig, als sie meiner Großmutter, väterlicherseits, Kaffee einschüttet.
Tante Lotte sieht sensationsbegierig auf. Ich kann mir nicht helfen, aber manchmal, eigentlich gar nicht so selten, treten bei meiner Tante, mütterlicherseits, eigenartige Parallelen im Verhalten mit einer gewissen Reporterin aus meinen liebsten Kinderhörspielen auf.
Oma Edith lächelt schief und rollt den Ärmel des rechten Armes ein wenig hoch. Vom Handrücken an bis weit über das Handgelenk zeigt sich ein hässlicher roter Fleck.
„Oh mein Gott!“ ruft Tante Lotte. Sie liebt theatralische Floskeln. „Wie hast du das gemacht?“
Oma Edith lächelt noch schiefer.
„Ich habe versucht in den Schnellkochtopf zu gucken, um zu sehen, ob die Suppe schon fertig ist.“
Alle am Tisch sitzenden saugen erschrocken die Luft ein. Man erinnert sich nur zu gut an meine Cousine, die sich in einer ähnlichen Situation krankenhausreif verbrannt hat.
„Ich sag dazu mal nichts“, sagt eben jene Cousine und nimmt Tante Lotte ihre Tochter vom Arm, wahrscheinlich ahnend, dass die Tante jetzt loslegen würde, aber sie hat sich geirrt.
„Das geht nicht“, sagt Tante Lotte nur.
„Oh, doch es geht“, erwidert Oma kühl. „Es ist nicht einfach, aber es ist definitiv möglich.“
„Ich hab das auch schon mal geschafft“, meldet sich Tante Karin, mütterlicherseits, zu Wort. „Als ich mit Svenja hoch schwanger war.“
Welch eine Verbindung. Svenja ist zufällig auch diejenige meiner Cousinen, die gerade mit der kleinen Tochter den Raum verlassen hatte, weil sie von Schnellkochtöpfen bis ans Ende ihrer Tage nichts mehr zu tun haben will.
„Ich hab Apfelmus gekocht“, fährt Tante Karin fort. Meine Mutter verzieht das Gesicht.
„Na ja, und dann wollte ich mal reingucken. Ich hatte den Topf schon lange vom Herd genommen, aber der blöde Pin ging nicht raus und ich habe gedacht, der wäre halt kaputt und hab ihn aufgemacht.“
„Das geht nicht!“
„Oh doch es ging sogar sehr gut, so zu sagen von alleine. Der Deckel schoss mir aus der Hand an die Decke und der Apfelmus, kochend heiß, verteilte sich gleichmäßig in der Küche. Ich hab nur noch geschrieen. Ich hatte ein paar Tropfen ins Gesicht bekommen; es war furchtbar heiß. Tom hat mich nur genommen und ins Krankenhaus gebracht. Tja und nachdem ich drei Stunden auf den Arzt gewartet hatte, kam der rein guckte mich an und sagte: ,Sieht doch gar nicht so schlimm aus’. Da hat Tom natürlich sofort gefragt: „Und das Kind?“ und da meinte der Arzt doch tatsächlich: “Das sehe ich nicht““
„Hast du was drauf getan?“ fragt Oma Hilde, mütterlicherseits, auch Kleine Oma genannt, Oma Edith, väterlicherseits, auch Große Oma genannt.
„Nein, mein Mann, (Opa väterlicherseits) hat gesagt, ich soll drauf pinkeln, aber ich habe mich geweigert. Aber mal Schnellkochtöpfe beiseite. Ich hab eine Story für euch, das glaubt ihr nicht.“
Sie macht eine Pause, um sicher zu sein, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Tisches zu haben.
Dann wendet sie sich mir zu:
„Sarah, du kennst doch Onkel Harald.“
Onkel? Ich überlege. Es muss ein Onkel väterlicherseits sein, wenn große Oma, väterlicherseits, ihn kennt. Ein direkter Onkel, väterlicherseits, kann er nicht sein, weil mein Vater nur einen Bruder hat und der seit Jahren tot ist. Ein Großonkel kann er auch nicht sein, weil alle Brüder meiner Oma im Krieg geblieben sind und nur ein Onkel meines Opas den Krieg überstanden hat und der Bruno heißt und nicht Harald.
Kurz: ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wen sie meinte.
Ich ließ mir nichts anmerken und starrte sie nur irritiert an.
„Äh, also das ist von der Großtante Erna, väterlicherseits, der Cousin dritten Grades…“
„Ist doch egal, wer er ist“, unterbricht meine Tante, mütterlicherseits, Omas Stammbaumanalyse. „Erzähl lieber, was ihm passiert ist.“
Oma sieht beleidigt aus. Sie liebt lange Abhandlungen über Verwandtschaftsgrade.
Ich erinnere mich immer gerne an den Geburtstag meines Vaters, an dem unser armer Nachbar ihm ein Buch von Meinhart Miegel geschenkt hat. Diesen Aufschrei, der über den Tisch hallte, kann man auch gar nicht vergessen. Plötzlich waren alle in Aufruhr, wollten das Buch sehen, stritten sich sogar darum. Ich erinnere mich gerne an das verwirrte Gesicht des Nachbarn, der schon glaubte etwas Falsches gekauft zu haben, bis mein Vater ihm erklärte, dass der Autor sein Cousin war. Ich beruhigte ihn damit, dass ich zugab den Mann auch nicht zu kennen.
Ich war also froh, dass die Erklärung des genauen Verwandtschaftsgrades der Tischgesellschaft erspart blieb.
„Na gut,“ willigte meine Oma ein. „Also, Harald hat sich ein Auto gekauft. Ich weiß nicht was für eines, nur das es teuer war. Der Autohändler hat gesagt, wenn Harald das Auto selbst beim Werk abholen würde, bekäme er Ermäßigung und ein Essen für vier Personen am Werk noch obendrauf. Kein schlechtes Angebot.“
Die Familie nickte zustimmend.
„Ja, das ist nicht schlecht“, gab meine Tante zum Besten.
„Ich hätte dem ja gleich nicht getraut“, rief Opa, väterlicherseits, ein, doch niemand schien geneigt mit ihm über derlei Lockangebote zu diskutieren.
Oma fuhr fort ohne weiter auf ihren Mann einzugehen.
„Wie auch immer“, sagte sie nur. „sie haben das gemacht. Mit dem Zug und den Kindern sind sie hingefahren, haben dort gegessen und wollten mit dem neuen Auto nach Hause fahren.“
Sie kichert jetzt schon.
„Das ist aber auch zu schön“, grinst sie. „Den Kindern war langweilig nach so viel fahren und sie beschlossen noch etwas zu unternehmen, wenn man schon mal hier war. Ganz in der Nähe oder zumindest auf dem Weg muss so ein Safaripark gewesen sein. So einer, wo die Tiere frei herumlaufen und man mit dem Auto durchfahren kann.“
Mir schwant furchtbares. Muss man mit einem neuen Auto durch einen Safaripark?
„Muss wohl toll gewesen sein“, fährt Oma fort. „Sie hatten Futter gekauft und haben die Tiere durchs Autofenster gefüttert. Eine Giraffe, Affen und zum Schluss einen Elefanten. Allerdings haben sie den Elefantenrüssel nicht mehr aus dem Wagen bekommen. Der wollte immer mehr von den Erdnüssen.“
„Hätte ich auch so gemacht. Einfach Rüssel rein und schlemmen“, lacht mein Opa.
„Als Harald das zu viel wurde, hat er die neunen elektrischen Fensterheber ausprobiert und einfach das Fenster zu gemacht. Der dachte der blöde Elefant würde seinen Rüssel schon rausnehmen, doch der Elefant war noch blöder als angenommen und Harald wollte nicht nachgeben und so hat er dem Elefanten den Rüssel eingeklemmt. Nur ganz kurz und ohne, dass er ihn verletzt hatte, aber der Elefant wusste sich zu wehren. Er hat mit einem Fuß kräftig vor die Tür getreten.“
Betretenes Schweigen brach herein. Meine Mutter schlug die Hand vor den Mund.
„Das schöne neue Auto.“
„Ja“, bestätigt meine Oma. „das schöne neue Auto hatte eine Fußball große Beule in der Fahrertür, aber das ist noch nicht das Schlimmste.
Auf dem Rückweg nach Hause sind sie in eine Verkehrskontrolle gekommen. Der Polizist fragte sie, wie denn die hässliche Beule in das schöne neue Auto käme und Harald antwortete, das sei ein Elefant gewesen und da musste er auch noch zur Alkoholkontrolle und weil er zum Mittagessen ein Bier getrunken hatte, musste er Strafe blechen und das Auto irgendwo stehen lassen.“
Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen. (Mark Twain)

Eja
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Eja » 15.11.2005, 16:53

Gibs zu, du meinst ganz sicher, 100% Benjamin Blümchen :-D Du mochtest Benjamin? yeah!! Is eh besser als das kleine Blocksberg-Hexchen ^^

Also, so einen Arzt müsste man ahben, das ist echt gut

LoL, armer Harald, aber die pointe mit dem Elefanten ist echt hammer!!

Die Geschichte ist wirklich klasse, ich hab echt glacht.

nur das ganze mit "väterlicherseits" "mütterlicherseits" und so, des war verwirrend, aber das ist absicht, oder?

lg, Eja
..., oda.

Muffin
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Muffin » 15.11.2005, 17:14

Hihi, meine Familie ist halt verwirrend. Ich blick da selbst schon nicht mehr durch.

Ja, na klar, Benjamin Blümchen, obwohl Karla Kolumna ja auch bei Bibi Blocksberg vorkommt, oder?
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Eja » 15.11.2005, 17:21

Echt? keine Ahnung, ich war immer nur Benni-fan...^^

Jaja, die liebe Verwandtschaft, ich hab da auch kein Durchblick *hrhr* das macht das ganze aber umso lustiger :-D
..., oda.

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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Edekire » 15.11.2005, 18:10

die Geschichte ist wirklich lustig :-D Allerdings wundert mich das betretene schweigen, ich weiß, bei mir in der Familie würden das alles nur lustig finde. Ich finde es auch lustig. :-D
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Silentium » 15.11.2005, 18:11

:rofl:

Ja, wirklich schräg.

Die Pointe schwächst du allerdings ein wenig ab, find ich.

Auf dem Rückweg nach Hause sind sie in eine Verkehrskontrolle gekommen. Der Polizist fragte sie, wie denn die hässliche Beule in das schöne neue Auto käme und Harald antwortete, das sei ein Elefant gewesen und da musste er auch noch zur Alkoholkontrolle und weil er zum Mittagessen ein Bier getrunken hatte, musste er Strafe blechen und das Auto irgendwo stehen lassen.“


Der eigentliche Gag ist ja, dass der Onkel zugeben muss, dass er einen Elefantenschaden hat. Da würde schon reichen, wenn du mit der Frage des Polizisten aufhören würdest.

Der Satz ist noch ein bissi seltsam:
Ich beruhigte ihn damit, dass ich zugab den Mann auch nicht zu kennen und er war ein wenig beruhigt.


Ansonsten - wirklich ausgesprochen witzig. So einen Druckkochtopftantenverbrennungsgeschichte gibts bei uns in der Familie auch. Gulasch Explodiert, Großtante Peppi schwer verletzt, Urgroßmutter (also Peppimama) kommt ins Zimmer, sieht die heulende Tochter und den Eintopfdetonationskrater und wird ihrem Ruf als Familienekel gerecht: "Schad ums Gulasch."
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Väterlicherseits

Beitragvon wicked irene » 16.11.2005, 17:24

Törööööööööööh. Coole Story. :-)

Dennoch: Bibi Blocksberg rules! :-p
All things truly wicked start from an innocence. (Hemingway)

Muffin
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Muffin » 21.11.2005, 19:21

Tja, mit dem Ende könnstest Du recht haben. Vielleicht ist es ein bisschen zu ausführlich.

Würdest Du mit der Frage des Polizisten aufhören?

Es ist eine wahre Geschichte und die Alkoholkontrolle gefällt mir eigentlich...


Der Satz ist wirklich komisch. Was habe ich bloß damit sagen wollen?

Ich hab´s mal geändert:

Ich beruhigte ihn damit, dass ich zugab den Mann auch nicht zu kennen.
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Hamburger » 25.11.2005, 01:31

Juchhhuuuuu,

Muffin ist wieder da. :-)

Etwas spät mein Lob, aber nichtsdestotrotz: lustiger Text.



Tja, mit dem Ende könntest Du recht haben. Vielleicht ist es ein bisschen zu ausführlich.

Würdest Du mit der Frage des Polizisten aufhören?

Es ist eine wahre Geschichte und die Alkoholkontrolle gefällt mir eigentlich...


In diesem Punkt möchte ich mich dann noch auf Sillys Seite schlagen. Das Ende - auch wenn es eine wahre Geschichte ist - wirkt wirklich ein bisschen ausführlich.

Ich würde die Geschichte mit der Antwort Haralds "Das war ein Elefant" aufhören lassen. Das wäre ein schöner Knalleffekt zum Schluss.

Noch ne` Nachfrage zu dem sehr lustigen kleine Oma/große Oma-Vergleich. Ist es wenigstens so, um das Chaos perfekt zu machen, dass kleine Oma von der Körpergröße größer ist als große Oma? ;-)

Liebe Grüße und schön wieder was von dir gelesen zu haben,

Ham
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Muffin
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon Muffin » 25.11.2005, 10:44

Öh, leider nicht. Kleine Oma ist so ungefähr einen Meter kleiner, Tendenz steigend.
Äh, sprich sie wird immer kleiner.
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Re: Väterlicherseits

Beitragvon razorback » 02.12.2005, 21:55

Gute Idee und schöne Geschichte. Zwei Einwände aber:

1.) Du hast wieder (ich habe etwas Ähnliches vor längerer Zeit schon einmal bei Dir kritisiert) aus zwei potentiell sehr guten Geschichten eine gute gemacht. Du hast Dich sonst oft richtig in eine einzige Kleinigkeit verbissen und aus der einen Kleinigkeit kommödiantisch wirklich alles herausgeholt. Hier hast Du zwei schöne Geschichten (Schnellkochtopf / Auto) die Du unnötig verklammerst (denn die Klammer ist ja etwas, dass viele Deiner Geschichten verbindet - Deine Familie). Da Du zwei Schwerpunktthemen hast, die an sich gar nichts miteinander zu tun haben, kannst Du sie natürlich auch nicht so bis ins Detail ausnutzen, wie Du es tust, wenn Du Dich auf eine Sache konzentrierst. Letztlich halte ich das für eine fahrlässige Verschwendung von Ideen und Talent.

2.) Du schluderst ein wenig:

Tante Lotte sieht sensationsbegierig auf.


"Sensationsbegierig", na ja...

Alle am Tisch sitzenden saugen erschrocken die Luft ein.


"saugen", na ja...

Das kannst Du besser, oder? ;-)

Fazit: Vielleicht etwas mehr Zeit nehmen und statt der einen gelungenen zwei erstklassige Geschichten schreiben.

P.S: Ich verabscheue diesen dauerbekifften Elefanten und die immergute Hexe ebenso wie das ganze dödelige Weltbild dieser Geschichten. Aber ich hasse, hasse, hasse Karlakolumna. Und dabei bin ich gottlob alt genug, dass meine Kindheit mir nicht von diesen Ausgeburten eines perfiden Sonderkreises der Hölle verschwefelt wurde.
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You


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