Karibische Impressionen

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Mancini
Erinye
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Karibische Impressionen

Beitragvon Mancini » 02.05.2003, 23:07

Wenn ich durch die Stadt schlendere und an Reisebüros vorbeikomme, packt mich regelmäßig die Reiselust und ich werde melancholisch. Normalerweise begnüge ich mich mit dem Studium der Angebote im Fenster, um nach einer Weile wieder weiterzugehen. Meist begleiten mich Urlaubsideen und Anregungen bis ins nächste Cafe und belagern mich beim Cappuccino. Doch nicht an jenem Freitag vor knapp 2 Wochen. In Fenster meines Lieblings-Reiseveranstalters hing ein überdimensionales Poster. Ich starrte fasziniert auf einen menschenleeren, feinsandigen Strand. Kitschig schöne Palmen säumte das pflaumenblaue Meer. Ich meinte, eine leise Brise zu spüren, bildete mir ein, sie strich durch mein Haar und schmeichelte meine Haut. Das Last-Minute-Angebot Karibik, - Hotel mehrfach besternt und all inclusive, versteht sich -, übt eine magische Anziehungskraft auf mich aus und verspricht exotisches Ferienglück. Kurz entschlossen betrete ich das Reisebüro. Die Buchung ist sofort erledigt, das Packen geschieht am gleichen Abend.

Ich will Land und Leute kennen lernen, lasse ich meine Freunde wissen und werde mit neidischen Mienen bedacht. „Alleine in die Karibik? So gut möchte ich es auch mal haben“. In den Kommentaren schwingen versteckte Anspielungen, als habe ich einen Besuch in einem Swingerclub angekündigt. Auf verklärten Gesichtszügen spiegeln sich pikante Gedanken. Auch Bedauern entdecke ich. Bedauern darüber, dass sie Ehefrau und Kinder nicht einfach dort lassen können, wo sie sich gerade aufhalten, um sich mir anzuschließen. Jeder von ihnen kennt eine Junggesellen-Geschichte über einen Aufenthalt auf der Inselwelt der Südsee. Sie erzählen von Limboklängen, schönen Frauen und haufenweise herumstehende Palmen. Freiheit, Abenteuer, unbekümmertes Strandleben ziehen an mir vorbei und ich blicke in ihre verklärten Augen. Ich begegne den sehnsuchtsvollen Wunschträumen mit hintergründiger Miene und Gelassenheit. Genießer lächeln und schweigen.

Tags darauf zwänge ich mich auf den letzten freien Platz einer Alitalia-Maschine. Die Tatsache, dass fünfzehn Stunden starre Bewegungslosigkeit und angesichts der räumlichen Enge nur noch flaches Atmen möglich sein würde, kann mich nicht schrecken. Schließlich erwartet mich zwei Wochen Verwöhnaroma unter karibischer Sonne. Ich stopfe eine Reisetasche unter die Füße, stecke meine Reiselektüre in die Sitztasche vor mir und ziehe die Knie vor die Brust. Einhundertvierzig Kilo männliches Lebendgewicht fallen schnaubend neben mich und nehmen mir die restliche Bewegungsfreiheit. Ich presse die Ellbogen in die Hüften und schnalle mich fest. Mahlzeiten versuche ich so einzunehmen, dass mein Nachbar ohne Schnittwunden in Puerto Plata ankommt und ich trotzdem satt werde. Gebannt folge ich auf dem Fernsehmonitor an der Frontwand des Fliegers dem roten Positionsstreifen der Flugroute, bis mich der Schlaf übermannt.

Ankunft. Infernalische Luftfeuchtigkeit und 32 Grad im Schatten treffen mich wie eine Keule, als ich dem Bauch des Jumbos entsteige. Die Aussicht auf ein klimatisiertes Auto lässt mich frohlocken. Formalitäten gehen zügig vonstatten. Zwanzig Dollar Insel-Eintritt, - das ist Vorschrift -, dann darf ich die Passkontrolle hinter mir lassen. Meine Laune ist angeschlagen. Im Büro des Autovermieters drängen sich auf 4 Quadratmeter 20 Leute und jeder redet gleichzeitig. Ich bekomme keine Luft mehr. Endlich. Ich habe den Schlüssel und die Papiere, aber das Auto keine Klimaanlage. Ich schwitze wie ein Schwein und suche das Hotel. Ich habe nur noch drei Gedanken. Einchecken, Badehose anziehen, und nix wie an den Strand. Eine Stunde später sitze ich unter der Palme, die auf dem Poster des Reisebüros abgebildet war. Das Gewimmel am Strand allerdings gleicht einer Ersten-Mai-Kundgebung am Baggersee in Duisburg.

Selbst wenn ich bewegungslos auf dem Liegestuhl verharre und versehentlich den Finger hebe, um einen Kellner herbeizurufen, hat diese Bewegung exorbitante Transpirations-Schübe zur Folge. An etwaige Betätigungen anderer Art, außer Augenlider zu schließen, ist nicht zu denken. Nichtsdestoweniger bleibt mir der Anblick atemberaubender Bikinischönheiten am Strand nicht erspart. Was die Fleischeslust angeht, kann ich mich kaum erinnern, je eine gehabt zu haben. Ich komme mir vor wie ein Verdurstender, der vergessen hat, wie man ein Glas Wasser zum Munde führt. Ich beschließe mich aufs Meer zu konzentrieren und das Spiel der Wellen zu beobachten oder abzuschätzen, wann mir die nächste Kokosnuss in den Schoß fallen könnte.

Doch mein Vorhaben erweist sich als undurchführbar. Wohin ich auch meine Augen wende, stets bin ich umgeben von jungen, braungebrannten Mädchenkörpern in knappem Outfit. Die Bikinis treiben mir die Dürre in die Kehle. Hiobs Heimsuchung konnte nicht schlimmer gewesen sein, und langsam verstehe ich die vielsagenden Untertöne meiner Freunde in der Heimat. Ich kann nicht abstreiten, dass die eine oder andere Karibikblüte mir gerne gewogen gewesen wäre. Schließlich muss ich mich, was mein Äußeres angeht, noch nicht verstecken. Doch angesichts der brüllenden Hitze und meines vorgerückten Alters verzichte ich auf kraftzehrende Tätigkeiten, die möglicherweise mein Herz und meinen Blutdruck in Mitleidenschaft ziehen.

Wie es scheint, sind die kaffeebraunen Gazellen ganz versessen darauf, ältere Herren kennen zu lernen. Ich begreife schnell. Arbeitsplätze auf karibischen Inseln sind rar, die Armut groß und männliche Touristen, die sich als „Big Spender“ aufführen, gibt es zuhauf. Das betörende Lächeln der Inselschönheiten gilt nicht den alten Säcken, sondern vielmehr ihren attraktiven Brieftaschen. In meinem Falle ist die Sache relativ unkompliziert. Schriftsteller sind grundsätzlich sehr arm und einem leeren Beutel kann man beim besten Willen keinen Cent entnehmen. Die Metapher hat etwas für sich. Ich drehe mich im Sand liegend auf den Bauch und beobachte mit einem Auge meine Umgebung. Ich erinnere mich an die Geschichte mit dem Fuchs, dem die Trauben zu hoch hingen und er mit der Bemerkung weiter schlich, sie seien ohnehin sauer.

Mit heroischer Selbstbeherrschung kämpfe ich gegen alle Regungen, die sich in meiner Badehose bemerkbar machen. Ich rede mir ein, dass Sex nicht alles sei und 10 Tage ziemlich schnell vorübergehen. Hastige Quickies in feuchtem Mangrovengebüsch dürften ohnehin nicht sonderlich angenehm sein. Andererseits verabscheue ich auch Sandflöhe am Strand. Die mir selbstverordnete Keuschheit fällt mir jetzt nicht mehr so schwer. Ich versuche mich mit einem Buch abzulenken. Sinnlos. Ich bemerke, dass ich den gleichen Satz schon zum 4ten Male lese. Drüben an der Strandbar ist ein Tisch frei geworden. Jetzt, da ich genügend Argumente für mich gefunden habe, die Wildbahn des Augenflirts anderen zu überlassen, bin ich beinahe glücklich. Ich beschließe trotz Strand, Hitze und Palmen, die Insel für mich zu entdecken und Ausflüge zu unternehmen.

Welch eine wunderbare Eingebung, denke ich, als die Landschaften an mir vorbei fliegen. Die überwältigende Fauna und Flora zieht mich völlig in ihren Bann, sobald ich die Hauptstraßen verlasse. Ich entdecke Kakaobäume, Reisfelder, Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen. Selbst an den Straßenrändern gedeihen in üppigem Überfluss Papaya, Mango und Bananen. In abgelegenen Tälern zwischen Platanen und Mangroven-Wildwuchs kauern elende Holzbaracken, windschief und baufällig. Kurvige, unbefestigte Wege führen durch eine atemberaubende Tropenwelt, die ich wie im Kokarausch in mich aufnehme. Unvermittelt erreiche ich ein Dorf. Vor den Holzbehausungen liegen auf dem Straßenpflaster Kakaobohnen zum Trocknen. An Wäscheleinen flattern Büstenhalter neben Tischdecken, rote Slips neben bunten Hemden. Ich sehe eine Ziege, angekettet an einem Holzpflock direkt an der Straße.

Im Dorf herrscht laszives Treiben ohne Hast und Eile. Mir begegnen lachende, freundliche Gesichter, zeigen distanzierte Neugierde. Ich bin überrascht über die kindlich-naive Gastfreundschaft. Sie macht mich ein wenig verlegen. Zögernd lasse ich mich ein, folge der einladenden Geste kartenspielender Männer. Sie haben faltige, tiefbraune Physiognomien, rissige Arbeiterhände und warme Augen. Ein wenig unsicher sitze ich am wackligen Holztisch vor der Tür der Agrar-kooperative, rede, lache und trinke Culpe mit den Bauern. Der Alkohol löst meine linkische Anspannung, die Unsicherheit fällt von mir wie ein Mantel, den man an der Garderobe abgibt und mein Spanisch wird immer besser. Ich verabschiede mich und gehe weiter, tauche ein in ein Leben voller Musik und rhythmischer Bewegungen. Die beschwingte Stimmung reißt mich mit, versetzt mich in atemloses Staunen. Ich ertappte mich, wie sich der Lebenstakt der Menschen auf meinen Gang überträgt.

Fasziniert betrachte ich die schreiend bunten Hütten und Häuser. Kindergeschrei, Musik und Farben vermengen sich symbiotisch mit einer heiteren Atmosphäre. Knatternde Motorräder, ächzende Autos und überladene Lastwagen, dazwischen Kinder und Hunde, Frauen mit schweren Wäschebündeln auf dem Kopf und altersschwache Eselskarren. Alles drängt und quält, schnaubt, qualmt, hupt und knattert sich im heillosen Durcheinander durch die Hauptstraße. Dieselgestank. Graublau und penetrant zieht er durch die Gassen. Beißender Rauch steigt aus den Feuerstellen kreolischer Fischküchen und überlagert den Dunst schwelender Abfälle. Bedrückende Armseligkeit springt in meine Augen und lähmt meine Seele und doch scheint sie niemand außer mich zu berühren. Ich verlasse das Hinterland, überquere einen Bergrücken und blickte unvermittelt hinunter auf das tiefdunkle Meer, das sich im Dunst einer weitläufigen Bucht verliert. Ich habe Lust auf ein Bad in der Brandung. Ich setze meine Fahrt fort und finde schnell einen ruhigen Strand.

Beim Anblick des Strandlebens wird die Vergangenheit in mir lebendig. Als Christoph Kolumbus 1499 am Strand von Santo Domingo landete, war er sicher ebenso begeistert, wie ich. Die Lebensmittel auf seinem Schiff waren nach der langen Reise knapp geworden. Was lag näher, sich auf der Insel zu bedienen. Vermutlich traf er am Strand auf Eingeborene, die ihn mit ähnlicher Freundlichkeit begrüßten, wie mich, als ich eintraf. Doch er hatte Sorgen und seine Männer Hunger. Er bot den Insulanern eine halbe Schiffsladung Glasperlen im Tausch mit Lebensmittel und Gold an. Die Wilden waren ganz scharf auf den billigen Plunder und überschütteten den Seefahrer mit Edelmetall.

Es ist anzunehmen, dass die dunklen Wilden der Haitianischen Insel ziemlich bald bemerkten, dass sie beschissen wurden. Also lagerten sie den wertlosen Glasschrott in ihren Hütten und warteten 500 Jahre. Ihre Geduld sollte sich bezahlt machen. Heute bieten sie die bunten Perlen, maschinell hergestelltes Kunstgewerbe und Ölgemälde mit immer gleichen Motiven gegen harte Dollars und Euros den Touristen aus Wanne-Eikel, Dortmund und Herne an. Kaum richtet sich der weitgereiste Tourist am Strand ein, schon ist er umzingelt von fliegenden Händlern. Der Landessprache unkundig kämpfen sie mehr oder weniger vom Caipirinha benebelt gegen die Invasion von Souvenirverkäufern. Gleichgültig, was immer man nicht haben will, man kauft, um die Kerle loszuwerden. Es nutzt nichts, auch wenn man einige von ihnen in die Flucht schlägt. Sie verdoppeln sich im Stundentakt. Sie verkaufen Armbändchen, Kettchen und Ringe zu schwindelerregenden Preisen. Zwar feilscht jeder Urlauber was das Zeug hält und lamentiert über unverschämte Preise, letztendlich gibt er nach, im Glauben er habe ein gutes Geschäft gemacht. Aber selbst wenn man den Ursprungspreis um 50% herunter handelt, könnten man die gleichen Urlaubspräsente bei Herti oder Kaufhof für weniger als ein Viertel des bezahlten Preises erstehen. Mir scheint, hier findet in der Geschichte von Haiti zum ersten Mal Gerechtigkeit statt, sieht man von den Urlaubern ab, die von einer Kokosnuss erschlagen werden, bevor sie bei einheimischen Strandräubern ihr Geld loswerden können. Da die Einfuhr von Pistolen und Gewehren verboten ist, ergibt man sich besser seinem Schicksal. Innerhalb weniger Tage ist man Besitzer von duzenden bunt bedruckter T-Shirts, Plastikbällen, Luftmatratzen und natürlich Säcken bunter Glasperlen.

Das karibische Strandleben ist anstrengend, ich leide unter Durst und permanent stimulierter Libido. Meine Virilität habe ich im Griff, den Durst nicht. Um dieses Bedürfnis zu stillen liegen ganze Regimenter junger Burschen auf der Lauer und bieten „Cocolocco“ oder „Pina Colada“ an. Praktischerweise wachsen diese Getränke an den Palmen. Unpraktisch dagegen ist die Höhe, in der sie hängen. Da man als Tourist selten eine 12 Meter lange Leiter dabei hat, bleibt einem nur, braun gebrannte Jünglinge auf die Bäume zu schicken. Die Jungs können zwar nicht lesen, dafür um so besser klettern. Sprachprobleme gibt es nicht, im Durchschnitt beherrschen sie 7 Sprachen in jeweils 5 Dialekten und nehmen bevorzugt amerikanische Dollars. Von Plastikperlen wollen sie partout nichts wissen. Mir scheint, seit Kolumbus haben sie eine Menge hinzu gelernt.

Und während wir den Insulaner staunend beobachten, wie er affengleich schwindelerregend hohe Kokospalmen erklimmt, wienert der herbeigeeilter Schuhputzer eine Etage tiefer unbemerkt deine Badelatschen. Gleichgültig, ob die Farbe der undefinierbaren Schuhcreme dazu passt oder nicht, sie wird fingerdick aufgetragen. Drei Minuten Unaufmerksamkeit, die Strandsandalen sind ruiniert und der Schuhputzer um einen Dollar reicher. Gegen eine geringe Gebühr kann man in der nächsten Snackbude Tücher erstehen, um die Plastiktreter vom Fett zu befreien. Danach sollte man die Schlappen besser in den Badetaschen verstecken, sonst beginnt das Spiel von Neuem. Ab dem zweiten Tag stecke ich mein Schuhwerk in die Hosentaschen, wenn ich den Strand betrete.

Nichtsdestoweniger habe ich immer noch Durst. Leider aber keine Machete zur Hand. Die braucht man nämlich, um die Nuss zu knacken. Schlau, wie die Kreolen nun einmal sind, verkaufen sie solch nützliches Werkzeug nicht am Strand. Mit gutem Grund! Je größer der Durst, desto kostbarer das Nass und teurer die Nuss. Kurz vorm Hitzschlag erbarmen sie sich, kappen gegen Vorkasse die Frucht, an der ich mich zu laben gedenke und kassieren Dollars. Den Strohhalm dazu gibt es gratis. Am Abend hat man vom Verteidigen der Geldbörse Schwielen an den Händen. Kolumbus hatte es entschieden einfacher.

Überwältigend sind die Sonnenuntergänge. Übergangslos verfärbt sich der Himmel von azurblau in verwehtes Lila. Die untergehende Sonne inszeniert eine spektrale Farbsymphonie. Minuten später fällt der scharlachglühende Feuerball ins Wasser und es ist stockfinster. Streunende Hunde bewachen mich unablässig, beobachten mich, ob ich etwas von meinem Abendessen erübrige. Selbst sie können Touristen von Einheimischen unterscheiden. Einer dieser vierbeinigen Herumtreiber überwindet seine Scheu und weicht mir nicht von der Seite. Seine bernsteinfarbenen Augen scheinen mich nicht mehr loslassen zu wollen. In einer Apotheke kaufe ich Flohvernichtungsmittel und eine Zeckenzange und befreie ihn von seinen Plagegeistern.

Er ist hässlich wie die Nacht und humpelt ein wenig. Ich nenne meinen neuen Begleiter Shoeshine, weil er sich beinahe so penetrant aufdrängt, wie die Schuhputzer am Strand, die genauso gierig und hungrig sind. Tagsüber liegen wir dösend in einsamen Buchten. Während ich Muscheln am Strand suche, buddelt er tiefe Löcher, bis der Untergrund feucht ist und schubbert sich im Sand. Haben wir genug davon, suchen wir uns ein schattiges Cafe, verschlingen Croissants und Marmelade oder belegte Brötchen. Spät am Abend lungern wir bei MacDonalds herum. Er bevorzugt Chicken MacNuggets während ich lieber Cheeseburger und Pommes esse.

Die Nächte sind nicht weniger aufregend. Snakbars, Bistros, Discos, unter Bambusdächern, Restaurants, wie Perlen reihen sie sich aneinander und säumen den Strand. Jetzt ist die Zeit der Jugend. Wahre Heerscharen junger, ausgeflippter Weltenbummler aus allen Sprachräumen vermischen sich mit Einheimischen, drängen sich um die Bars und Tanzflächen. Man trinkt und feiert. Schwitzende Leiber tanzen Merenghe und Salsa, als wolle man Eros die Referenz erweisen. Aus den Lokalen dröhnen die Bässe in hundertfacher Phonstärke und schleudern unbedarfte Urlauber, wenn sie sich nicht rechtzeitig an einer Palme festklammern, unweigerlich ins schäumende Meer. Am Ende der Amüsiermeile, dort wo es ein wenig ruhiger zugeht, finde ich ein stilles Plätzchen, Shoeshine im Schlepptau, und schreibe meine Eindrücke auf. Ich esse eine Kleinigkeit und genieße die bebende Kulisse aus sicherer Entfernung. Gegen 1 Uhr morgens schleichen wir uns über den Hintereingang des Hotels ins mein Zimmer und pennen bis in den späten Vormittag.


Wenn sich nach ein paar Tagen Rituale entwickeln, ich im gleichen Cafe frühstücke, nachmittags in meinem angestammten Bistro einen Orangensaft zu mir nehme und abends mit Shoeshine die gleiche Strandbar aufsuche, rasen die Stunden. Ich begrüße vertraute Gesichter, die ich am Strand wiedererkenne, wechsle ein paar Worte und setzte meinen üblichen Spaziergang an der Brandung fort. Ehe ich mich versehe, stehe ich wieder mit gepacktem Koffer am Flughafen. Wieder sind 20 Dollar fällig, damit ich das Land verlassen darf. Ich bezahle, passiere die Kontrollen und nehme meinen Platz im Flieger ein. Sechs nehme 6 Kilo Muscheln, eingepackt in meiner Reisetasche und einen gelebten Urlaubstraum, eingepackt in meiner Seele mit nach Hause. Haiti, ein unvergessliches Naturspektakel. Im Bauch des Jumbos schläft Shoeshine in der Hundebox.


PS: Ich bin wieder zu Hause. Shoeshine hat die Katze verjagt, schläft jetzt in meinem Bett und liebt Spaghetti über alles.

Hamburger
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Re: Karibische Impressionen

Beitragvon Hamburger » 05.05.2003, 11:24

Hallo Mancini!

Eine merkwürdige Geschichte. Auf der einen Seite sind deine Impressionen sehr elegant und ausführlich beschrieben, auf der anderen Seite fehlt ihnen irgendwie der zündene Funken.
Das hat hauptsächlich zwei Gründe:

1) Nur wenige Stellen im Text sind so witzig wie die Gegenüberstellung von Kolumbus und den Wilden damals sowie den Wilden und den Touristen heute.

2) Ich vermisse relevante Handlung. Impressionen sind ja gut und schön, aber letztlich wirken diese auch ziemlich einsam. Hast du dich denn mit niemandem unterhalten? Niemanden kennengelernt jenseits der Strandschönheiten? Keine Geschichten gehört? Um in ein fremdes Land einzutauchen ist es fast unerlässlich die Natur dort zu beschreiben - aber eben nicht nur. Ziemlich gegen Ende des Textes steht folgender Satz...

. Ich begrüße vertraute Gesichter, die ich am Strand wiedererkenne, wechsle ein paar Worte und setzte meinen üblichen Spaziergang an der Brandung fort.


Das hätte mich schon viel früher im Text interesiert. Wie diese Gesichter vertraut wurden? Welche Worte du mit ihnen wechseltest?

Alles, was du bezüglich Erotik und Fleischeslust schreibst, hätte meiner Meinung nach dafür unterbleiben oder anders gestaltet werden sollen. Es wirkt nicht wirklich überzeugend, nicht wirklich witzig und auch nicht erotisch.

Beispiel...

Doch mein Vorhaben erweist sich als undurchführbar. Wohin ich auch meine Augen wende, stets bin ich umgeben von jungen, braungebrannten Mädchenkörpern in knappem Outfit. Die Bikinis treiben mir die Dürre in die Kehle. Hiobs Heimsuchung konnte nicht schlimmer gewesen sein, und langsam verstehe ich die vielsagenden Untertöne meiner Freunde in der Heimat. Ich kann nicht abstreiten, dass die eine oder andere Karibikblüte mir gerne gewogen gewesen wäre. Schließlich muss ich mich, was mein Äußeres angeht, noch nicht verstecken. Doch angesichts der brüllenden Hitze und meines vorgerückten Alters verzichte ich auf kraftzehrende Tätigkeiten, die möglicherweise mein Herz und meinen Blutdruck in Mitleidenschaft ziehen.


Ein etwas älterer Mann, denn die ein oder andere Strandschönheit gerne verführt hätte, der aber aufgrund der Hitze und deshalb aufgrund seines Herzens und seines Blutdrucks nicht verführt werden will. So was wirkt bei mir irgendwie nicht.

Gefallen hat mir hingegen die Stelle, als du einmal aus dem Strandleben ausbrichst und in ein Dorf fährst. Diese Beschreibungen mit der anschliesenden lustigen Kolumbus-Geschichtsstunde
- das sind für mich ganz eindeutig die Höhepunkte deiner Impressionen.

Dass allerdings dein neuer Hund denn gleich die Katze verjagt hat ist wirklich seelische Grausamkeit. :-D
So schnell kann man ersetzt werden.

MFG,

Hamburger
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Re: Karibische Impressionen

Beitragvon Imhotep » 05.05.2003, 20:39

Kann mich Hamburger nur anschließen. Dein Text liest sich gut,


an manchen stellen vielleicht ein wenig gehackt

Meine Laune ist angeschlagen. Im Büro des Autovermieters drängen sich auf 4 Quadratmeter 20 Leute und jeder redet gleichzeitig. Ich bekomme keine Luft mehr. Endlich. Ich habe den Schlüssel und die Papiere, aber das Auto keine Klimaanlage

- aber insgesamt gut. Wie hier (ähnlich geschrieben, aber, finde ich, besser):

verabscheue ich auch Sandflöhe am Strand. Die mir selbstverordnete Keuschheit fällt mir jetzt nicht mehr so schwer. Ich versuche mich mit einem Buch abzulenken. Sinnlos. Ich bemerke, dass ich den gleichen


Spannung, Witz (nicht unbedingt... aber wenn witzig, dann bitte richtig - hat Hamburger schon erklärt), Überraschung sind Dinge, auf die du vielleicht ein bischen mehr Wert legen solltest.
autos epha

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Re: Karibische Impressionen

Beitragvon Mancini » 06.05.2003, 10:03

...danke, guter Hinweis!


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