Eines Nachts ...

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Robert
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Eines Nachts ...

Beitragvon Robert » 20.06.2002, 23:00

Eines Nachts träumte sie genau das, was er einige Stunden zuvor erdacht hatte; etwas das seinen Sinn stark beschäftigte. Es war ein kurzer Traum, und sein Inhalt schien ihr dumm, abstoßend, aber – schlimmer noch – vor allem gänzlich banal. Jedoch spürte sie im Schlaf, wie sehr ihn jener Gedanke bewegte. Sie entschied sich daher aufzuwachen.
Den Rücken zugewandt lag er neben ihr. Auch er schlief nicht und fixierte mit dem geöffneten Auge – das andere war im Kissen vergraben – den Spiegel, in dem er betrachtete, wie sie sich aus der Ruhelage aufrichtete. Sie drehte ihren Kopf leicht, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Vorübergehend verharrten sie in der Erstarrung. Er spürte die Verachtung, die langsam aus ihrem Ohr in seines rann.
Nach einigen Sekunden löste sie sich vom Anblick des Spiegels. Gequält sank sie nieder und siechte bis zum nächsten Morgen.
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gelbsucht
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Re: Eines Nachts ...

Beitragvon gelbsucht » 21.06.2002, 19:35

Hallo Robert,

ich wußte ja nicht, daß du schreibst!!! Interessant ...

Also das erste Prädikat das mir zu deinem Text einfiel, war: surreal. Das ist so ein Begriff, den man gerne mal benutzt, wenn man mit derartigen verschachtelten Mysterien konfrontiert wird. Aber die Elemente deines Textes rechtfertigen, den Begriff durchaus: wesenhaft geht es ja ums Träumen, um wortlose Kommunikation und auch der Spiegel war -- zumindest im surrealistischen Film -- immer ein wichtiges Element. Passend dazu hinterläßt dein Text eine ganze Reihe Fragen bei seinem Leser und gibt damit einen sehr weiten Interpretationsrahmen vor: z.B. wird ja garnicht klar, was ER sich erdacht und SIE geträumt hat. Ich renne wahrscheinlich irgendwo in einer Sackgasse herum ... aber es wirkt alles sehr übernatürlich und telepathisch auf mich, was hier vor sich geht. Jemand träumt, was einen anderen beschäftigt. Jemand spürt im Schlaf, was einen anderen sehr bewegt. Jemand hat die Macht, sich mitten in einem Traum zu entscheiden, aufzuwachen. Was ich aber am merkwürdigsten von allem finde, ist folgendes: SIE ist in der ganzen Szene die Beherrschende, sie ist der Ausgangspunkt der Verachtung, sie findet, was ihn beschäftigt, dumm, abstoßend und banal. Aber am Ende wendet es sich plötzlich: es heißt, sie siecht dahin. Unerklärt bleibt auch hier, warum. Warum hat sie plötzlich all ihre Macht und Kontrolle eingebüßt?

Viele Fragen ... ich hab keine Ahnung worum es geht. Die Stimmung allein finde ich interessant. Obwohl mir doch viele Geschehnisse in diesem kurzen Text unglaubwürdig erscheinen.

MfG,
gelbsucht
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Robert
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Re: Eines Nachts ...

Beitragvon Robert » 24.06.2002, 11:35

Hallo Dirk,

vielen Dank zunächst für Dein Interesse an meinem kleinen Versuch. Deine Einsichten sind soweit absolut zutreffend; besonders was die Surrealität betrifft. Allerdings hast Du das Thema, wodurch sich das Surreale als Reales erschließt, nicht erkannt. Es geht um die Entfremdung zweier Personen (oder zumindest um einen Ausschnitt aus diesem Prozeß).

Nur kurz eingeschoben sei die Bemerkung, dass ich das bewusste Aufwachen aus dem Schlaf nicht surreal finde. Ich behaupte, das ist möglich. Ich jedenfalls kann das (manchmal).

Aber zurück zur Entfremdung: Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen unwichtig zu wissen, was sie geträumt und er gedacht hat. Ich habe mir darum auch keine Gedanken gemacht. Wichtig ist nur die unterschiedliche Bewertung der Idee durch die beiden Partner.

Eine bedeutende Rolle spielt auch die non-verbale Kommunikation. Sie und er kennen sich lange und gut. Der Informationsaustausch funktioniert auch ohne Worte. Zu träumen, was der andere denkt, ist sicher überspitzt, aber auch im wahren Leben finde ich die non-verbale Kommunikation von Paaren manchmal befremdlich.
Aber in diesem Text will ich diese Form des „Gedankenaustauschs“ vielmehr als Abwesenheit verbaler Kommunikation verstanden wissen. Die ehemals Liebenden reden nicht über ihre Probleme, kennen sich aber gut genug, um zu wissen, was der andere denkt.
Sie verachtet ihn, aber auch sich selbst, weil sie nicht darüber spricht. Und zwar aus Angst; Angst ihn zu verletzen (mehr noch als bisher), Angst die Beziehung zu beenden. Sie hat zwar die Machtstellung, aber sie will diese gar nicht. Darum ist sie auch diejenige, die am Ende leidet.

Liebe Grüße,
Robert
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Alexander
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Re: Eines Nachts ...

Beitragvon Alexander » 14.08.2002, 13:44

Moin Robert und Dirk!

Ich habe den Text gelesen und mich ebenso wie Dirk gefragt, was diese Szene genau zu bedeuten hat. Dirks Fragen sind gerechtfertigt und schließlich will man ja auch Antworten.

Aus dem Traum aufzuwachen, wann man will, das klappt bei mir auch ab und an. (Sobald man sich bewußt wird, dass man träumt ist das ja kein Problem - man muß es nur wollen!) Aber das nur am Rande.

Um nochmal zum Text zu kommen:
Ich hatte einige Vermutungen angestellt, die letztendlich von Roberts Antwort bestätigt wurden. Dennoch finde ich, dass es dem Text nicht geschadet hätte, wenn Robert näher auf die Begleitumstände eingegangen wäre. Man muß ja keine Romane schreiben, aber einige Andeutungen, dass sich die Zwei schon sehr lange und gut kennen, wären für das Verständnis von Vorteil.
Die verschworenen Blicke, die sie sich zuwerfen; zu wissen, was der Andere denkt und fühlt; das alles sind für mich Anzeichen einer innigen Beziehung. Aber das heißt noch lange nicht, dass jeder sofort darauf kommt.
Wie schon Dirk sagte: Surreal.
Durch derartige Vermutungen kommt man schnell an einen Punkt, der vom Autor möglicherweise nicht erwünscht ist, oder?

Natürlich kommt es immer darauf an, was man mit seinem Text beabsichtigt. Wenn man eine Situation beschreiben will, um einen Zustand darzustellen (was Du ja hier wolltest, Robert, oder?), dann ist es zwingend, dass die Beschreibungen genau sind oder zumindest einige Andeutungen gemacht werden, die den Leser in die richtige Richtung führen.
Andererseits kann es Absicht das Autors sein, dem Leser eine gewisse Freiheit in der Entscheidung, was er aus dem Text lesen will, zu geben. Somit kommen wir zum "surrealen" Aspekt der Geschichte.

Ich finde den Text interessant und auch gut geschrieben. Nur war es für mich persönlich so, daß er mir zu viele Fragen aufwirft, die ich ohne Rücksprache mit dem Autor (was ja im Endeffekt durch Roberts Antwort auf Dirk geschehen ist) nicht klären kann.

Ich hoffe, ich bin Dir nicht auf die Füsse getreten, Robert.

Gruss,
Alexander


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