Eine ganz besondere Werbung

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gelbsucht
Pegasos
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Eine ganz besondere Werbung

Beitragvon gelbsucht » 28.07.2002, 21:55

Eine ganz besondere Werbung

Ein Mensch, nennen wir ihn Peter Peperoni, mußte jeden morgen zu dem Ort, der seine Anwesenheit erforderte und bisweilen auch Arbeit genannt wird, mit der Straßenbahn fahren, denn Peter P. besaß kein Auto so wie andere Leute. Die Betreiber dieses städtischen, meist sehr zuverlässigen Verkehrsmittels waren so gescheit, direkt in Augenhöhe eine Werbung zu plazieren. Sie war nicht so groß, daß sie das Fenster ganz verdeckte, aber immerhin groß genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn, wenn man, wie Peter P. allein zu reisen pflegte. Zugegeben es war eine kurze Reise, aber es war schon sehr angenehm, daß diese Fenster den Menschen nicht so ohne weiteres anstarren konnten, so daß er zwanghaft hinausgucken mußte, um den indiskreten Augen der Mitreisenden zu entgehen. Und was hätte es auch dort zu sehen gegeben: Häuser, Bäume, Menschen. Also durchaus gewöhnliche, langweilige und des Ansehens kaum lohnenswerte Dinge. Was dort klebte, und einen Fixpunkt der Ablenkung bot, war keine dieser aufdringlichen, dreisten, das Unterbewußtsein mit archaischen Reizen und Bedürfnissen infiltrierenden Werbung für Schokoriegel, Parfum oder Wasserentkalker, nein, es war dezente Werbung für praktische Dinge, die man noch wirklich gebrauchen konnte: Pfelgeservice, Ausbildungsplätze bei der Polizei, Theaterkarten. Leider waren das alles Dinge, deren praktischen Nutzen Peter P. abzuschätzen wußte, deren er aber - im Moment jedenfalls - nicht bedurfte. Aber ab und zu war auch etwas für ihn dabei. Es war eine ganz besondere Werbung, über die er sich jedesmal freute, wenn er sie sah. Es war die Werbung eines Bestattungsunternehmens aus der Stadt, das seine Dienstleistung mit Attributen wie "seriös" und "diskret" anpries. Sie war aber auch sehr informativ - und Peter P. wußte: dies unterscheidet die gute Werbung von der schlechten - denn es wurden zugleich verschiedene Produkte vorgestellt: der potentielle Kunde - und in diesem Fall war ja tatsächlich jeder ein potenzieller Kunde, nicht etwas so wie bei Tampons, was ja bekanntermaßen nur jeden zweiten Mensch betrifft - also der künftige Kunde konnte sich zwischen Erd-, See- und Feuerbestattungen entscheiden oder sich zumindest dadurch inspiriert einmal Gedanken machen, was er bevorzugen würde. Besonders praktisch: der Preis für das entsprechende Produkt war gleich mit angegeben, was für die Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen oft nicht unerheblich ist. Einige Menschen hätten das geschmacklos gefunden, Peter P. aber erfreute dieser sachliche und rationale Umgang mit der Ware Tod. Denn so wußte er, daß er noch einige Zeit sparen mußte, ehe er eines Tages im Badezimmer mit dem Rasiermesser verunglücken würde.

SCHLAGT DIE PREISE AN
FÜR SCHLICHTE BEGRÄBNISSE
UND WERBT UM TOTE.
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

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