Der Tod der Kritikerin - Chance genutzt 9. Teil

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Pentzw
Kalliope
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Der Tod der Kritikerin - Chance genutzt 9. Teil

Beitragvon Pentzw » 25.05.2012, 14:58

Bloß, wie anstellen fehlte der Plan - war ja selbst außerstande dazu, ein einigermaßen flüssiges Gespräch zustande zu bringen, so dass ihr Interesse an mir geweckt worden wäre. Wir saßen noch immer stumm voreinander. Also hoffnungslos!
Unerträglich war das, zumal der Zug an einer Station festsaß. Darauf machte ich aufmerksam, um überhaupt ein paar Worte fallen zu lassen. „Das dauert aber!“ Sie nickte nur. Hartnäckig!
Plötzlich kam mir eine Idee. „Wohin müssen sie denn?“ Es stellte sich heraus, aussteigen wollte sie dort, wo auch ich. Das war meine Chance.
Ich versuchte es: „Kommen Sie, wir nehmen ein Taxi!“ Sie schaute konsterniert. „Keine Widerrede. Ich lade Sie ein!“ Ich ergriff ihre Koffer - ich selbst hatte kein Gepäck - und überrumpelte sie somit.
Übernahm weiterhin die Führung, indem ich die Treppe voraus hinunter stolperte, durch die Unterführung hastete, den rollenden, scheppernden Koffer im Schlepptau führend und je zwei Stufen nehmend die nächste Treppe erstieg. Davor war gleich der Taxistand. Sie hinterher, kaum wahrnehmend, nur am Geräusch ihrer viel Wind aufwirbelnder Kleidungsstücken hörbar, war mir, was blieb ihr anderes übrig, haha, mit viel Mühe, atemlos, aber artig gefolgt.
Ich machte Anstalten, sofort einzusteigen, so dass ich erst gar nicht den Fahrer fragte, ob er frei habe, sondern eigenmächtig den hinteren Verschlag auf riss, um in einer Bewegung die Koffer auf die Sitzbänke zu wuchten, nachdem ich mit der rechten Hand die Tür aufgerissen, mit der anderen die Koffer gehalten und schließlich, nicht den Boden berührend, diese mit einem agilen Schwung in das aufgerissene Loch hinein bugsiert hatte.
Dabei fragte ich gleichzeitig nach ihrer Adresse, die ich alles in dieser Bewegung involviert dem Fahrer wiederholte. (Wenn ich mir das jetzt vergegenwärtige, bin ich richtig stolz darauf.) Glücklicherweise waren wir so beschäftigt und es ging derartig rasant, dass sie keinen Einspruch erheben konnte.
Und los ging die Fahrt.
Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, ihre Koffer vor ihre Haustüre zu tragen. Inzwischen hatte ich die Rechnung bezahlt, das Taxi war weg. Sie öffnete eine schwere schmiedeeisernes Gartentor mit goldfarbenem Knauf und wir durchschritten ein paar Meter wildwuchernden Garten, bevor wir auf eine Veranda kamen. Ihre Haustür ging auf diese hinaus, wenn man heraustrat rechts: ein Stuhl und einen Rattanohrensessel vor einem runden mit blumenverzierter Wachstuch überlapptem Tisch. Das Haus war alleinstehend inmitten eines Gartens. Die Bepflanzung selbst, üppig und überall dort, wo es unbedingt freigelassen werden musste, eben Wege ausgenommen, machte dieses Domizil zu einer uneinnehmbaren Burg. Die Burgmauer selbst war eine entsprechend dichte Hecke.
Da ich Fakten geschaffen hatte, deutlich untermalt durch die Motorengeräusch des Taxis, welches gerade um die Ecke bog und wegfuhr, konnte sie quasi nicht umhin, mich auf einen Kaffee einzuladen.
Ein Windfang empfing uns nach der geöffneten Tür.
Sie instruierte mich selbstverständlich und exakt, wohin ich die Koffer stellen sollte, als ob sie darin Routine besaß, Kofferträger, Chauffeure oder sonstige Diener zu befehligen.
Eine erschrockene Katze flüchtete durch ein Loch in der Küchentür rechts in den Keller hinunter – der heftig hin- und herpendelnden Lochklappe nach zu schließen.
„Meine Katze!“, sagte sie entschuldigend. „Ist keine Besucher gewohnt. Kennt nur mich!“ Das war weiter nicht überraschend, passte haargenau zu meinem Eindruck von ihr: Alleinstehende Frau mit Katze. Wunderbar!
Sie dirigierte mich links in den Ess- und Lebensbereich, ein sehr geräumiger Raum, der für beide Lebenszwecke fungierte, das wurde sofort offensichtlich. Eine Küche und dieser große Raum im Parterre, darüber einen Stockwerk höher das Schlafzimmer und vielleicht noch ein Bad, war das bescheidene kleine Refugium für eine alleinstehende Dame.
Somit war ich jetzt schon einmal in ihrer Wohnung. Ich schaute mich um, während sie in der Küche zu Gange war. Die Bücher, diese unzähligen Bücher an den Wänden, war das eine, aber geradezu lustig waren die verschiedenen Plastiken aus Stein oder Metall: Eine Eule mit Brille, ein kleiner mit langem Schnabel versehener Vogel aus Stein und der schepse Elch aus Holz. Weiblicher Tüttelkram, wenngleich mit einigem Quentchen Stil.
Es wirkte hier weniger steril als sie selbst, erstaunlicherweise nachgerade muffig, beladen und überbordet, passte aber insofern zu diesem Eisvogel, weil sie sich in diesem weiblichen Trash, diesem sentimentalen Klimbim veräußerte.
Ich nickte vor mich hin: was sie nicht aus sich herausließ, steckte in diesem Kitsch, das war klar.
Das war das eine.
Aber an dieser Wohnung störte mich etwas.
Ich setzte mich nachdenklich.
Was nur?
Ich schlug die Beine übereinander.
Aber ja, die zu vielen Büchern!
Ich schmiegte mein Knie in meine Handschale.
Ich wurde nachdenklich.
Ich erhob mich, ging geistesabwesend auf diese Bücher zu, um sie zu durchforsten nach etwas, dass mich über etwas, was ihre Person betraf, klarer sehen lassen würde.
Als sie zurückkam aus der Küche, hatte ich mich vor ihren Reihen von Büchern aufgestellt und somit hatten wir einen Anhaltspunkt, um gleich ins Gespräch zu kommen.
Sie erzählte mir, dass sie Kritikerin für diverse Zeitschriften war. Mein Blick fiel instinktiv auf die Nachteule, die auf einem dicken eisernem Buch ruhte. Die Brille der Eule, na ja.
Ich war Schriftsteller, sagte ich verschämt. Vielleicht hätte ich es besser nicht erwähnt, nicht gleich zu Anfang, aber ich wusste nichts Besseres zu sagen. Mittlerweile gab es nichts zu tun, konnte mich nicht mit Kofferschleppen ablenken und diese Sprachlosigkeit, die sie bei mir hervorrief, hatte sich wieder aufgebaut. Ihre blauen, klaren Augen, hinter dicken Brillengläser, starrten erneut unverrückbar und leicht dümmlich in die Welt und trafen mich, als wäre ich ein Gegenstand und kein Lebewesen.
Eine Pause entstand trotzdem.
Damit stockte wieder alles. Aber es versprach andererseits interessant zu werden: Kritiker und Autor treffen sich privat - das versprach spannend zu werden.
„Was schreiben Sie denn?“, kam es bald. „Och, wenn es Sie interessiert...“, freilich gebot die Höflichkeit, dies zu bejahen, „kann ich Ihnen gerne ein paar Exemplare zukommen lassen.“ „Warum nicht!“.
Na, diese Zurückhaltung passte ja zu gut.
Wir sprachen schließlich noch über einige Lektüren, die wir weniger oder mehr gut fanden, eher weniger, es waren außer dem Kanon keine, die sie lesenswert fand. Das überraschte mich nicht weiter.
Als ich ging, hatte ich jedenfalls einen Grund, erneut mit ihr Kontakt aufzunehmen. Das wollte ich gerade.
So erschien ich an einem Samstag, um ihr eines meiner Bücher vorbeizubringen, nicht ohne vorher einen passenden Termin ausgemacht zu haben, der noch Freiraum ließ. Da sie mir versicherte, dass sie an jenem Samstag nichts weiter vorhabe, ergab sich theoretisch die Möglichkeit, diesen Abend mit ihr zu verbringen, egal in welcher Form, bei ihr zuhause, was mir nicht opportun erschien, oder bei einem Essen in einem Restaurant, zu dem ich sie einladen wollte.
Da ich ihr ein Geschenk machte, mein Buch, als solches deklarierte ich es ihr gegenüber, ein Präsent, stand sie in meiner Schuld und konnte kaum nein sagen. Das bot einen weiteren Schritt der Annäherung.
Bis jetzt lief es plangemäß.

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