Der Tod Kritikerin - Der Gestank 13. Teil

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Pentzw
Kalliope
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Der Tod Kritikerin - Der Gestank 13. Teil

Beitragvon Pentzw » 16.07.2012, 17:17

Plötzlich hörte ich etwas. Sie kam und ich, ich musste sie mit einem erwartungsvollen Blick empfangen, so in etwa: und nun, blättern Sie mal die nächste Seite auf, ich Leser bin schon ungeduldig. Schließlich bin ich hier der Gast.
Aber was muss ich zu meiner Beschämung sehen, nach einem Geräusch, das eigentlich eindeutig war: eine Katze schlich sich durch den Türspalt herein und kratzte ihren Rücken an der Türkante.
Ich kriegte mich schier nicht mehr ein. Wartest auf eine Person, was erscheint aber: eine verlauste Katze. Was für ein Blödmann du doch bist, indem du dich zum totalen Affen mit deinen verkorksten Erwartungen machst, ma bella ami, zieh ich mich.
Ich saß da. Ich beobachtete mich, wie ich dahockte holzklotzartig und dachte gleichzeitig: „Wie ein begossener Pudel!“
Plötzlich kam sie aber doch wieder hereingeschossen, blieb abrupt stehen, schnupperte angewidert wie ein Tier, das einen Braten röche und blies aus: „Ach, wenn es Sie nicht stört, machen Sie doch das Fenster auf. Ich fürchte, es muffelt hier ein bisschen“, stellte erneut etwas auf den Tisch und flog wieder aus dem Zimmer.
War das nicht eine indirekte Anspielung darauf, dass ich der Verursacher dieser hier herrschenden schlechten Luft war?

Ich riss mich zusammen, gebot mir: sei vernünftig und logisch. Denk nach!
Ich saß hier im Raum, wie lange nun, einige Minuten zwar, okay, dann kommt sie herein und behauptet, der Raum sei mit schlechter Luft angefüllt. Als ob meinem Körper schlechte Luft entwiche, wie, wie einem Schwein, nein, wie, wie einem räudigen, verfilzten, ungewaschenen Straßenköder, den sie auf der Müllhalde aufgelesen hatte und ihr nun die saubere Bude vollstänke.
Ich spürte, wie ich zitterte ob dieser Unverschämtheit. War das nicht ein Wink mit dem Zaunpfeil? Hielt sie mich vielleicht genauso wie ihren Ex-Mann für einen stinkenden Ekelbatzen?
Das war unerhört, schrie es in mir.
Es war aber klug, sich erst einmal zu gedulden und abzulenken, beschwichtigte ich mich. So stand ich auf und öffnete ein Fenster.
Wie ausgestorben. Zunächst drang kein einziger menschlicher Laut aus der verdunkelnden Fassade der unzähligen Reihenhäuser ringsum hervor. Zudem, überall, wo ich Häuser sah, waren die Fenster dunkel. Anzunehmen, die Menschen tummelten sich irgendwo auf einem großen Event. Samstagabend im gediegenen Vorort einer Großstadt!
In weiter Ferne heulte jetzt eine Erste-Hilfe- oder Feuerwehr-Sirene durch die Nacht. Auch Geräusche da und dort brachen sich mit einem Mal Bahn, am markantesten und als einzige Menschenstimme die hysterische Lache einer Frau irgendwo weit in diesem nächtlichen Schwarz, bei der man sich nicht sicher sein konnte, ob sie nun lachte oder schluchzte. Bei der man sich fragen musste, ob sie bedroht wurde; oder ob sie andererseits mit Lachen und Kichern dem zu vermutenden Bedränger gefügig, milde stimmen und vom Halse halten wollte?
Ich lauschte angestrengter, ohne mir jedoch einen Reim darauf bilden zu können.
Plötzlich erschrak ich darüber, als hätte mir jemand kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und fand dieses gepresste, unterdrückte, voller Ängstlichkeit durchsetzte Lachen abstoßend und widerwärtig und trat abgewidert davor einen Schritt zurück ins Zimmer. Dann wandte ich mich träge wieder dem Sitzplatz zu.

Und die Wut kochte jetzt wieder auf, ohne genau zu wissen, woraufhin, oder besser wohl, auf alles, was ich erfahren musste: Menschen, die sich ekeln, haben zusammen eine Partnerschaft und wenn das so ist, wie konnte man sich noch sicher sein, sobald man eine Frau berührte, ob sie dies überhaupt mochte?
Es blieb einem im Grunde nichts anderes übrig, dass dies einem egal war.
Aber mir es nicht gleichgültig.
Ich stand auf, ich setzte mich, erhob mich wieder und stand vor Ungeduld auf meinen Beinen einige Minuten. Ich hutschte dabei mit meinen Füßen am Boden, als scharrte ich nach etwas, konnte mich aber nicht wegbewegen. Dann wurde ich auf ein Mal wieder salzsäulig, wobei ich angestrengt horchte, ob sie denn endlich wieder käme und setzte mich wieder. Ein paar Mal in der Weise. Meine Gedanken rotierten, spielten JoJo mit mir, schier nicht mehr wissend, wo unten und oben war.
Wer spielte überhaupt hier die erste Geige, frage ich mich ärgerlich.
Dann wieder regte ich mich in anderer Richtung auf: Warum erschien sie nicht; was hatte sie dort in der Küche so lange zu werkeln?
Wartete bloß darauf, dass ich etwas in ihrer Wohnung hier entdeckte, welches mich in Bann schlug und denken ließ; toll, welch eine Persönlichkeit wohnt in diesem Gemächern? Wie in einem Theater. Jawohl, zum Teufel mit dieser Theaterspielen!
Mochte auch alles inszeniert sein, mochte ich dies auch durchschauen, so konnte ich mich doch nicht davon freimachen, nagende und peinigenden Zweifel aufkommen zu spüren: Ob ich ihr das Wasser reichen konnte, ich kleiner Wurm. Ja, kleiner Wurm, der ich bin, denn kann ich malen?
Mein Blick fiel instinktiv auf dieses ganz und gar unfertige Bild von ihr.
Nein! Malen konnte ich auch nicht. Und damit hatte es sich.
Ich starrte vor mich hin.
Was konnte ich überhaupt?
Das einzige, was ich konnte, meines Erachtens, war das Schreiben. Was aber würde sie von diesem denken? Sie war ja Berufskritikerin. Was das bedeutete, wusste ich allerdings auch nicht genau. Hoffentlich trogen meine Ahnungen, dass dies bedeutete: stets das Haar in der Suppe eines Autoren zu suchen.
Aber ich musste überhaupt auf der Hut sein, war doch damit zu rechnen, dass sie mich ansonsten wieder triumphierend und jubilierend überraschen würde. Allmählich musste ich wieder das Heft in die Hand bekommen, sonst würde sie mir gehörig auf dem Dach herumsteigen.
So kreisten die Gedanken Minuten lang hin und her.

Mein Blick fiel auf die Überschrift einer Zeitung: MEHR FRAUEN ALS MÄNNER MEDIKAMENTENSÜCHTIG. Da hatten wir es wieder. Frauen sind zwar nicht anders als Männer, aber Männer sind direkter, ehrlicher und aufrechter! Frauen nehmen es in Kauf, sich selbst zu zerstören, nur um die Fassade und den Glimmer der heilen Welt aufrechtzuerhalten – nichts anderes sagte diese Studie aus.
Sie setzte sie sich neben mich, schlug galant einen Oberschenkel über den anderen, nahm dabei das Stilglas in die Hände und richtete es gegen mich: „Chears!“
Ich war überrascht von ihrem lautlosem Kommen. Aber ich erhob mein Glas - jedoch nur unter Mühen, denn was ich sah, verschlug mir total den Atem.
Sie trug eine fast durchsichtige rote Bluse, hinter der sich ihr Büstenhalter in schwarzen Striemen und Bandagen abzeichnete. Offenbar hatte sie sich unterdessen etwas frisch gemacht und den Pulli gewechselt.
Hinter diesem war deutlich eine Magerkeit erkennbar, die sämtliche Knochen, Knorpeln und skelettartigen Erhebungen hervorhob.
Damit war ich zum zweitenmal sprachlos.
Je mehr ich verstohlen ihren Oberkörper durch das netzartige Gewebe erkundete, desto mulmiger wurde mir zumute. Mit solch einem Tod hatte ich nicht gerechnet.
Sie lachte auf, indem sie auf den Artikel Bezug nahm: „Ha, glauben Sie dieser Studie wirklich und...?“
Ich wollte etwas dazu sagen, aber ihre Körperhaltung deutete eindeutig an, dass sie mit etwas anderes beschäftigt war.
Sie wendete sich ab, die Breitseite zeigend, indem sie auf dem Boden eine Fusel aufhob. In der Seitenansicht zeichneten sich der Bergrücken und –kamm wie ein Relief ab. Die spitz herausstakenden Knochenwölbungen offenbarten eine abgemagerte, androgyne und frugal-zerbrechliche Frau, die, wenn man ihrem Skelett näherkam, bestimmt sofort in ihre Einzelteile zerfiele. Kaum Fetzen Fett und Fleisch auf dem Körper - das war eine noch unbekannte Variante einer Frau, die mir in meiner Sammlung fehlte.
Sowohl an- als auch abgestoßen war ich.
Dieses Anblick, kein Wunder, dass ich deswegen schon kein Wort hervorbrachte,
Aber neben dem Körperlichen hing noch das „Und“ in der Luft. Das war ihre Art zu reden, dir mich noch ganz schön in die Tollwut treiben würde. Denn jedes Mal, wenn sie etwas sagte, fügte sie „und“ oder „oder“ oder „denn“ hinzu, um eine künstliche Pause entstehen zu lassen, während der sie Zeit gewann zu überlegen, was sie als nächstes folgen lassen konnte, und ich hielt mich artig zurück. Dabei kam ich nicht zum Reden.
Immerhin, diese erzwungen Zurückhaltung brachte mich dazu, mich eingehender mit ihrer Körperlichkeit auseinander zu setzen, leider, muss ich allerdings sagen.
Diesem schlotterndem Gestell konnte man sich nur mit der Vorsicht eines abbruchreifen, altes Holzhauses nähern. Das beruhigte mich, denn dieses Unterfangen käme einem stürmischen Wind gleich, als den ich mich sah, der da in ihre Gebälke hineinblies und zum Ächzen bringen würde. Diese Vorstellung machte mich stark.
Wie würde es sich anfühlen, sie zu berühren? Bestimmt behutsam würde man vorgehen müssen, um ihr nichts zu brechen? Konnte man sich auf diesem Körper überhaupt ausruhen? War sie zu greifen oder rutschte man nicht dauernd ab? Fände man keine Nische, es sich bequem zu machen, weil wieder einem unversehens – hopp - ein Speer aufspießte?
Diese Fragen basierten nur auf einer starken Verunsicherung und ich kann jeden verstehen, der darüber nur den Kopf schüttelt oder sich ihn sich hält.
Wie würde der Sex überhaupt mit ihr stattfinden können? Musste man größtmöglichen Abstand zu ihrem Körper wahren, um sie nicht zu verletzen? Wie sollte das dann aber zugehen – aha, die Karnickel-Stellung, da hatten wir es wieder.
Das waren aufregende Fragen, die mich ziemlich wild machten, aber auch bis in die Knochen verunsicherten. Mir wurde richtig mulmig zumute. Herrlich!
Ich spitzte die Ohren, um knackende Geräusche während der Bewegungen ihres Knochengerüstes wahrzunehmen. Da musste es doch quietschen, krumpeln und ächzen, schließlich war da doch kaum Fett zwischen Knorpeln, Gelenken und Getrieben. Das ging doch gar nicht anders!
Nun eben, ich würde ja sehen.


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