Ausgang 21 (Teil 2)

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chriskahl
Kerberos
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Ausgang 21 (Teil 2)

Beitragvon chriskahl » 05.08.2012, 19:48

Nachdem Ben im Club mit Yvette geschlafen hat (siehe Eintrag 1), muss er zurück zu Julia, seiner neuen Freundin, und die...


Auszug Nummer 2:

Eva sitzt auf dem Küchenboden und starrt ins Leere. Zerbrochene Teller liegen auf den Fliesen. Das Licht der Straßenlaternen fällt in die Küche. Bis auf das leise Zirpen der Grillen ist der Raum still. Evas Gesicht wirkt weiß und blass. Versteinert und leblos wie eine Statue sitzt sie zwischen den Tonscherben und konzentriert sich auf einen unbestimmten Punkt an
der Wand.

Ich stehe in der Tür zwischen Wohnzimmer und Küche. Ob Eva meine Anwesenheit
bemerkt hat, ist schwer zu sagen.

„Ich dachte, wir wollten heute reden“, meint sie plötzlich, ohne mich dabei anzusehen. Ihre Stimme ist ruhig und gefasst.
„Aber das hat sich dann ja wohl erledigt“, fährt sie fort, „Deine Sachen sind bereits gepackt.“

Erst jetzt fällt mir mein Rucksack auf. Er steht neben dem Küchentisch. Daneben liegen zwei Plastiktüten. In der einen entdecke ich meine braunen Lederschuhe und in der anderen Handtücher und mein Toilettenbeutel.
„Ich kann das…
„Du brauchst nichts zu erklären. Yvette hat bereits alles gesagt“, murmelt sie
abwesend und starrt weiter diesen unbestimmten Punkt an.
„Ich… also…es…
„Natürlich tut es dir leid. Mir tut es auch leid. Und Yvette auch. Allen tut es leid.“

Evas Stimme bleibt leise und kontrolliert. Es ist fast unheimlich wie klar und deutlich sie redet. „Ich bin traurig und enttäuscht. Und ich bin wütend. Sehr wütend sogar. Aber alles ist bereits entschieden.“
„Ich will nicht, dass es so endet.“
„Das kommt ein bisschen spät.“
„Eva…
„Geh!“ Sie konzentriert sich immer noch auf diesen Punkt an der Wand und auch die Intonation ihrer Stimme hat sich nicht verändert. Das scheint ihr endgültiger Entschluss zu sein. Ich trete einen Schritt nach vorne, hebe meinen Rucksack auf den Küchentisch und ziehe
die Schlaufen über. „Eva hör zu. Ich…
„Geh! Jetzt!“
Warum sollte sie mir auch zuhören? Ich habe ihrer besten Freundin eine Pille
untergejubelt und mit ihr geschlafen. Ich habe unserer Beziehung den Todesstoß verpasst und all das zerstört, was wir in den letzten Wochen aufgebaut haben. Und das auch nur, weil es sich gerade so ergeben hat.

Ich riskiere einen letzten Blick. Blonde Strähnen fallen in ihr Gesicht. Die
Sommersprossen an ihren Nasenflügel heben und senken sich. Vielleicht gibt es wirklich nichts mehr zu sagen. Vielleicht ist auch dieses Ereignis Teil eines Plans, dessen Ausgang ich nicht kenne, Teil eines Plans, dem ich mich unterwerfen muss, weil alles bereits entschieden ist.


Das milchige Grau der Dämmerung löst sich langsam auf. Mit Rucksack und Plastiktüten laufe ich durch die Straße. Ich habe keine Ahnung wie viel Uhr es ist. Die Häuser wirken verschlafen. Nirgendwo brennt Licht. Ich passiere Vorgärten, parkende Autos und verlasse schließlich die Calle de Reina.
Auf der Hauptstraße ist es erstaunlich ruhig. Nur ein Auto der Müllabfuhr durchbricht die Stille. Wieder einmal taucht ein orangefarbener Leuchtkegel den Bürgersteig in ein unwirkliches Licht. Unachtsam und grob wuchten zwei Männer die Mülltonnen in eine Metallvorrichtung und bedienen einen Hebel. Die schwarzen Tonnen werden hochgehievt und der Müll verschwindet im Inneren des Wagens.

Ich muss an Eva denken. Ohne mich zu fragen, was ich wirklich für sie empfinde, hatte ich sie einfach entsorgt. Ohne darüber nachzudenken, wie sehr es Eva verletzen würde, hatte ich mich auf Yvette eingelassen. Wie eine Verpackung hatte ich Eva benutzt und dann weggeworfen. Und als es darauf ankam, hatte ich mir eingeredet Teil eines Plans zu sein.

Anstatt unsere Beziehung zu verteidigen, hatte ich die Küche verlassen.
Kampflos.

Ohne darüber nachzudenken was ich wollte, hatte ich mir angewöhnt Situationen
hinzunehmen. Alles was zählte, war das nächste Ereignis und meine Rolle bestand einzig und allein darin dieses Ereignis zu akzeptieren. Yvette zu ficken und mich von Eva vor die Tür setzen zu lassen waren keine Entscheidungen, sondern Gesetze. Äußere von der Welt aufgesetzte Handlungen, die sich unabhängig von mir selbst bewegten. Zu keinem Zeitpunkt
hatte ich mich dagegen gewehrt. Im Gegenteil, ich akzeptierte alles, was irgendwie zufällig passierte, nur um eine wirklich gute Alternative zu finden, eine Vision, von der ich glaubte, sie habe das Potential mich aus meiner Unentschlossenheit zu befreien. Doch letztendlich ging es schon lange nicht mehr um diese Alternative.

Es ging nur noch darum die Dinge zu nehmen wie sie kommen. Um ein Dogma. Das Mittel war zum Selbstzweck verkommen.

Und bei dieser Suche hatte ich vergessen, dass ich bereits jemanden gefunden hatte. Jemand, der mich nicht nur verstand, sondern mir auch das Gefühl gab, angekommen zu sein. Jemand, den ich auf gar keinen Fall verlieren wollte.
Wenn ich nicht auf der Stelle umkehre und zu Eva gehe, werde ich mir das nie
verzeihen...



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