Was ist mit dem Vater los?

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griechen
Kerberos
Beiträge: 3
Registriert: 11.08.2012, 21:44

Was ist mit dem Vater los?

Beitragvon griechen » 11.08.2012, 21:53

1.
Der Tag ist ernüchternd ausgefallen,es hatte die ganze Zeit geregnet und man konnte nichts machen,man konnte nicht rausgehen,man konnte nicht Fahrradfahren,das einzige,was man tun konnte,und was ich auch tat,war,vor dem PC zu sitzen und irgendwelche Browserspiele zu zocken.Meine kleine Schwester Lisa unterhielt sich lieber mit Barbypuppen,ist ja normal für 6-jährige Mädchen.Ich bin 14 und Lisa nervt mich den ganzen Tag.
„Spiel mit mir!“
„Nein!“
„Bitte!“
„Ich hab gesagt 'Nein'!“
Das ist das ist das typische Gespräch zwischen mir und Lisa.Sie ist es mittlerweile gewohnt,von mir abgewiesen zu werden,denn sie weiß,dass ich lieber „Need for Speed“ oder so was Ähnliches spiele.
Auf jeden Fall passierte an diesem regnerischem Tag Folgendes:
Mein Vater kam wie immer abends von der Arbeit.Er sah fix und fertig aus,das darf man ja auch,wenn man den ganzen Tag im Büro sitzt.Mein Vater ist sehr nett,er schenkt uns immer Sachen und ist immer freundlich.aber an diesem Tagf war alles anders.Er kam von der Arbeit und war knurrig,das kannten wir nicht von ihm.Er kommandierte meine Mutter herum,legte sich ins Bett und mehr hörten wir an diesem Tag nicht von ihm.
„Schlecht Laune“,vermutete meine Mutter und ich konnte ihr nur zustimmen.

2.
Es war noch am selben Abend,kurz vor Mitternacht und alle schliefen schon,da kam Lisa in mein Zimmer.
„Lukas,“sagte sie,“was ist denn mit Papa los?“
Ich dachte,sie sei völlig verrückt geworden,mich um zwölf Uhr in der Nacht aufzuwecken.Aber ich dachte,es wäre besser mitzukommen,vielleicht war doch etwas passiert.So wie sich mein Vater am Abend verhalten hatte,war das zu befürchten.Deshalb ging ich mit Lisa mit und das,was ich sah,war sehr merkwürdig:wir sahen aus dem Fenster,wie unser Vater durch die dunklen Straßen Hamburgs lief,es war er,das konnte man aus dem zweiten Stockwerk ganz genau erkennen.Er trug diese grässliche blaue Jacke,von derem Kauf ihm unsere Mutter abgeraten hatte.Es war auf jeden Fall Papa,aber was tat er da?Das einzige,was wir genau wussten,war,dass er genau auf die S-Bahn Station lief.Was wollte er da?Und warum musste er in der Nacht dorthin?Wir wussten es nicht,aber wir sollten es bald erfahren.Sogar sehr bald.

3.
Wir hielten es für das Beste,unsere Mutter nicht zu wecken.Stattdessen liefen wir selbstständig zum S-Bahnhof,wo wir unseren Vater sahen.Der Bahnhof war klein und es kamen nur selten Züge vorbei,ungefähr jede Stunde.Der nächste Zug kam in fünf Minuten und fuhr nach Buxtehude,
einer Kleinstadt in der Nähe von Hamburg.Unser Vater stieg ein,wir auch,
aber wir gingen in einen anderen Wagon.Wir konnten ihn sehen,er uns aber nicht.Der Zug fuhr los und wir ahnten nicht,was wir in dieser Schicksalsnacht erblicken sollten.
Wie auch immer,wir fuhren zuerst durch die Vororte von Hamburg,alles lag still da.Neuwiedenthal,Neugraben,Fischbek,Neu Wulmstorf,wir fuhren an all diesen und schließlich waren wir in Buxtehude.
Papa stieg aus und joggte aus dem Bahnhof.Es dauerte nicht lange,da war er schon fast am Ziel:ein zweistöckiges Backsteinhaus.Es war reich geschmückt und bunt verziert,alles in einem,ein richtiger Hingucker.
Was wollte unser Vater da?Und warum mitten in der Nacht?
Fragen über Fragen,die immer noch nicht beantwortet waren.
Aber sie sollten bald beantwortet sein.

4.
Ich nahm Lisa bei der Hand und wir liefen zum Haus.Meine Schwester war nicht so aufgeregt wie ich.Sie war die ganze Nacht lang ruhig und nervte nicht einmal.Das war heute richtig aufregend.
„Unsere Geschichte kann man sogar verfilmen“,dachte ich.“Zwei Geschwister,die unzertrenlich sind,suchen den Grund für das Verhalten ihres Vaters.“Während ich so dachte,holte unser Vater aus einem Schuppen eine Schaufel,anscheinend war er schon mal hiergewesen,woher sollte er denn sonst wissen,wo die Schaufel liegt?Dann eilte er ins Haus und holte einen riesigen Kartoffelsack raus.Er sah sich um und ging in den Garten.Wir folgten ihm.Dann nahm er die Schaufel und begann zu graben.Nach einer Weile war ein riesiges Loch im Boden.Er nahm den Kartoffelsack und warf ihn hinein.Und in diesem Moment musste Lisa niesen.

5.
Papa erstarrte und hörte auf das Loch zuzugraben.Er kam zu unserem Gebüsch.Das war das erste Mal,dass ich Angst vor meinem Vater hatte.Lisa verstand nicht,was geschehen ist,sie begriff nicht,dass sie uns in Lebensgefahr gebracht hatte.Plötzlich gefror das Blut in meinen Adern und ich war wie gelähmt vor Schrecken,denn mein Vater zückte eine Waffe.Hinter mir spürte ich Lisa.Sie versteckte sich hinter meinem Rücken und ich hörte ihren Atem.Sie war genauso verstört wie ich,sie verstand also doch,was hier passierte.Für sie musste es noch viel schlimmer sein,als für mich.Niemand kann sich vorstellen,wie es für ein kleines Mädchen ist,wenn ihr Vater auf einmal mit einer Pistole auf sie zukommt.Unsere einzige Hoffnung war,dass er uns nicht erschießen würde,weil wir seine Kinder sind.Aber auch diese Hoffnung verschwand ziemlich schnell.Als Papa bemerkte,dass wir es sind,richtete er seine Waffe auf uns und sagte:
„Wenn ihr jetzt rauskommt,Kinder,passiert euch nichts!“
Natürlich waren wir nicht so dumm ihm in die Arme zu laufen,aber wegrennen konnten wir auch nicht,er hätte auf uns geschossen.An diesem Abend hätte ich ihm alles zugetraut.
„Wisst ihr was,Kinder,“sagte er,“ich erzähle euch jetzt die ganze Geschichte:gestern wurde ich auf dem Heimweg überfallen.Die Typen haben von mir verlangt irgendeinen reichen Geschäftsmann zu umzubringen und seine Leiche wegzubringen.Wenn nicht,dann würden sie mich und alle aus unserer Familie umbringen.Alle Onkel,Tanten,Omas,Opas,jeden,der mit uns verwandt ist.Und ich soll jeden erschießen,der mir über den Weg kreuzt.Aber euch werde ich nicht töten,ihr seid mein eigenes Fleisch und Blut!“
Er hatte Tränen in den Augen und warf die Waffe weg.
„Ich werde jetzt weggehen und erst zurückkehren,wenn diese Verbrecher verhaftet sind.Bitte legt ein gutes Wort bei der Polizei für mich ein,Kinder.“
Wir versprachen es ihm und er verschwand,vom Mond begleitet,in dieser dunkle Sommernacht für lange Zeit.
An den weiteren Verlauf dieser Nacht erinnere ich mich nicht mehr.Ich war wie in Trance.Woran ich mich aber noch erinnern kann ist,dass meine Mutter wochenlang auf einen Anruf von meinem Vater und von der Polizei gewartet hatte.Lisa war auch anders geworden,irgendwie war sie plötzlich ganz still und ich hätte alles dafür gegeben,dass sie mich gefragt hätte,ob ich mit ihr spielen würde.Doch schließlich war alles vorbei,die Verbrecher waren verhaftet und mein Vater war wieder da,aber es war natürlich nicht wie sonst.Wir hatten ein gutes Wort für unseren Vater bei der Polizei eingelegt und die Gerichtsverhandlung war auch positiv ausgefallen.Und obwohl mein Vater freigesprochen wurde,mussten wir alle erstmal verdauen,dass er mit einer Pistole auf uns gezielt hatte.Aber ehrlich gesagt,ich habe nie an das Böse in meinem Vater geglaubt.

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