Der Tod der Kritikerin - Das Unglück 18. Teil

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Pentzw
Kalliope
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Der Tod der Kritikerin - Das Unglück 18. Teil

Beitragvon Pentzw » 21.10.2012, 20:17

„Was mir noch bei Ihren literarischen Männertypen aufgefallen ist:“
Verwunderlich, auf einmal redete diese Person gegenüber wieder laut und vernehmlich - wunderbar.
„Von Charakteren wollen wir gar nicht sprechen.“
„Natürlich nicht.“ Lass sie reden, dachte ich.
„Sie zeichnen stets „harte Kerle“, obwohl Sie selbst in Wirklichkeit so s...“
„Ein Softie, Warmduscher und Weichei sind!“, ergänzte ich diesmal unhöflich ihre Worte und räusperte mich dazu. „Ich verstehe.“
Den Druck nicht mehr ausgehalten, während sie nach Worten gesucht, oder vorgegeben hatte, zu suchen, musste ich einfach ihren Satz vollenden.
„Sie sagen es!“, kam es lapidar herüber. Zwar keine eindeutige Bejahung meiner Worte. Aber eine Phrase und kein Widerspruch war auch ein solche. Sie freute sich wohl, nicht das gesagt zu haben, was sie mir in den Mund gelegt und ich schlussendlich ausgesprochen hatte.
Aha, ich bin also ein Schlappschwanz und weiblicher Typ, der sich von dominanten Männer-Frauen beherrschen lässt. Aber nicht mit mir, sagte ich mir, wenigsten nicht in dieser Beziehung hier zwischen ihr und mir, worauf ich gesteigerten Wert legte. Schließlich wollte ich doch auf etwas Bestimmtes hinaus.
Aber hm, wie war es heute? Sie war es doch, die mich nach dem Essen verführt und an diesen Ort hierher gelockt hatte, nicht wahr? Also, wenn ich literarisch „starke“ Kerle zeichnete, verwies dies darauf, dass ich als Urheber dieser erfundenen Personen gegenteilig gepolt war, nämlich permissiv und weich.
Kuhmist, das sprach gegen meinen Plan, sie in mich verliebt zu machen.
Aber was redete ich da, was sagte das schon? Wie viel auch immer von den Frauen auf echte Kerle stehen mochten, es gab genügend Ausnahmen. Womöglich zählte auch sie dazu?
„Auf welche Typen von Männer stehen Sie denn?“, zaghaft.
Sie kicherte erst einmal schwachsinnig, wie mir schien.
„Nun, ich habe keine Vorlieben!“
Ja ja, zu blöd, solch eine Antwort hätte ich mir denken können. Sich alle Türen offen halten. Das besagte wieder gar nichts, ich war so schlau wie vorher, Kuhmist.
Aber eins war gewiss: wenn ich in meiner Literatur ihrem Dafürhalten nach Kerle zeichnete, sah sie mich in Wirklichkeit als Schlapponello, als Schlaffi schlechtweg.
Das ist jedoch nicht so!
Beruhige dich wieder, sagte ich mir. Ich atmete bewusst.
Also!
Was auch immer, wie stand sie zu weichen Männern? Sie hatte gesagt, sie stünde auf keinen bestimmten Typen. Aber ob das wahr war? Um das herauszufinden, musste ich ein bisschen weiterbohren. Und warum nicht aufs Ganze gehen?
„Wie gefallen Ihnen solche Typen wie mich?“
„Wie Sie?“
„Ja!“
Mit einem Mal riss sie erneut den Kopf in den Nacken, um in bekannter Weise schrill und grell loszulachen, zu keifen, zu girren, zu... einfach grotesk! Damit hatte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gerechnet, nun, wo es nachgerade ernsthaft und intim zu werden versprach. Und da lachte sie darüber so hemmungslos, als wäre alles bloß ein schlechter, blöder Witz!
Allmählich verflüchteten sich immer mehr die Dampfschwaden und die Umrisse einer Schreckensgestalt wurden immer deutlicher - wie der Tod! Aber so herausfordernd, frech und gewitzt wie das Leben! Allerdings ein Klamauk, ein Kaspar, ein Lach-Dich-Unverblümt-Aus!
Ich erkannte, ich war meinem Ziel keinen Schritt näher gekommen: statt endlich in den Hafen einzufahren, wurde ich wie ein steuerloses Schiff auf stürmischer See davon weg aufs offene Meer hinaus getrieben.
Aber weiterdenken, solche Frustrationen erst gar nicht Überhand werden lassen.
Na und? Hieß es, wenn eine Frau dem Mann überlegen war, dass sie nicht auch etwas für ihn empfinden konnte? Und dieses schrille Lachen war das nicht bloß ein Abwehrverhalten, ein ganz starkes, weil sie in Wirklichkeit von ungeheuren Emotionen und Druck gleich Laokoon von den Schlangen stranguliert war? Wenn es sich so verhielt, dann konnte man sich sehr wohl diese Überreaktion erklären.
Stattdessen wollte sie mir damit nur signalisieren, ich als starke Frau empfinde für solche Typen wie ich einer bin allenfalls Mitleid – wenn ich nicht gerade geruhe, aus vollem Halse über sie zu lachen. Sie machte sich selbst und wollte mir auch etwas vormachen – einfach Kuhmist!
Plötzlich kam mir eine Idee, vielleicht würde das gehen, intelligent genug war sie.
Ich spielte erneut auf das Bücherverbrennen an: „Sie kennen sicher diesen berühmten Spruch aus der Literaturgeschichte her.“
„Sicherlich!“, stöhnte sie nonchalant herüber.
„Genau, wer kennt den Satz schließlich nicht? Er gehört beinahe zum Schatz der geflügelten Worte unseres Kulturkreises.“
„Ja, allerdings. Ein Satz, der sich in unserer Geschichte ja als traurige Wahrheit herausgestellte hat, in der Tat.“
„Nun, wenn Sie jemanden kennen, der auch Bücher dem Feuer übergibt, würden Sie sich schon fragen: was das für ein Mensch ist?“
„Ja!“, gedehnt. Aber ich schickte mich an, sie nicht aussprechen zu lassen.
„Gewiss würden Sie es befürworten, ein Psychogramm oder sagen wir es harmloser und weniger medizinisch, halt nach der Persönlichkeit desselben aufzustellen, am Ende könnte er ja diesen bedauerlichen Satz wieder einmal bewahrheiten?“
„Ja!“ Und schnell weiter, damit sie gar nicht groß zum Nachdenken kommt.
„Und selbst dann wissen wir nicht seine Motive, ob nicht aus Spiel plötzlich und unvorhergesehen Ernst wird.“
„Ja!“ Gleich weiter reden.
„Wir kennen ja den Evaluationsgrad von therapeutischen und psychologischen Gutachten. Wenn man sich vor Augen führt, wie viele als geheilt entlassen straffällig Gewordene wieder rückfällig werden…“
„Ja!“ Dieses „Ja!“ kam schon deutlich weniger locker über ihre Lippen.
Nun schien es mir günstig, eine Pause einzulegen, um den Sinn meiner Worte oder die Absicht meiner Rede sich in ihrem angstbesetzten Gehirn oder Herzen, wo immer ihre Gefühle lokalisiert sein mochten, sich gebührend entfalten zu lassen. Mir schien auch, allmählich begriff sie, da ich ein Aufrücken ihres Körpers glaubte wahrzunehmen. Nahm sie sich endlich zusammen, weil sie sich in ihrem Hingefälztsein etwas aufrichtete?
Nun wagte ich etwas: ich pfiff sorglos vor mich hin. Ich glaubte, das war eine gute Untermalung für meine zur Entfaltung gekommene Drohung.
Wiewohl die Luft allmählich durchlässiger wurde und sich immer mehr Einzelheiten herauskristallisierten, konnte ich leider immer noch nicht richtig ihre Mimik einschätzen.
Aber ich will es nur noch einmal klar sagen: natürlich stand hinter der erkennbaren Drohung: wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen nur die Absicht, ein Spiel zu spielen, einen Spaß zu machen, schlicht einfach ein makaberer Scherz dahinter.
„Warum verbrenne ich Bücher, muss ich Sie fragen. Oder ist diese Frage schon beantwortet zwischen uns?“
Jetzt war ich aufs Ganze gegangen.
Ein Schweigen zunächst. Kein „Ja!“ mehr, kein Gicks, kein Gacks, nur Schweigen.
„Habe ich nicht schon eine Antwort darauf gegeben?“ Erstaunlich diese kühne, legere Erwidrung, als hätte ich sie überhaupt nicht beeindrucken können bislang.
„Meinen Sie wirklich, ich verbrenne letztendlich meine eigene ungenügende Literatur? Oder vielleicht ist es weit mehr, ein Ersatz vielleicht?“
„Ein Ersatz?“, kam es neugierig, zögerlich.
„Ja, eine Ausgleichshandlung?“
Schweigen. Es lag im Raum – wenn, was dann? Nämlich, falls der Ersatz nicht mehr genügt, was dann?
„Sie wollen doch nicht etwa damit sagen: aus Mangel an denjenigen, die ihre Literatur missverstehen und verkennen, zu aller erst natürlich die Kritiker, verbrennen Sie selbst anderer Autoren Literatur?“ Das sagte sie natürlich auch nur zu ihrer Beruhigung, denn das auszusprechen, worauf ich es abgesehen hatte, wäre ja ein Affront und Höflichkeitsüberschreitung gegenüber mir gewesen.
Jetzt konnte ich ihr Gesicht so deutlich wie sonst nicht erkennen. Gleichzeitig irritierte mich dies. Dieses Grinsen über den schwulstigen Lippen. Ja, das war eigenartig. Hohlwangig, abgemagert, dünn war sie, jedoch ihre Lippen schienen zu pulsieren, so wie bei einer sinnlichen schwarzen Frau.
Irgendwie ärgerte mich aber auch ihre Verharmlosung meiner Rede. Ich hatte doch recht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich mich kaum mit Bücherverbrennung allein begnügen dürfte. Sie nahm mich einfach nicht ernst.
„Ob das wohl stimmt?“, gab ich noch einmal als Gegenfrage zurück, um ihre Aussage in Zweifel zu ziehen.
„Ja!“, echote sie, aber laut, etwas zu schrill gekichert und herausfordernd.
Doch setzte sie ihr Lachen nicht mehr fort. Sie schwieg. Gut so! Da schwang Unsicherheit mit, voilá.
Doch dann kam es nach einer Weile wieder, dieses schrille Lachen und Kichern, so dass ich wirklich am liebsten vor Wut aus der Haut gefahren wäre. Denn damit war klar, dass sie mir wirklich kein bisschen seriös kam.

„Sie wollen mir nur Angst machen!“, sagte sie überraschend, ihr Lachen damit unterbrechend. Ich konnte jetzt deutlich den Teil ihres Körpers wahrnehmen, der über der Oberfläche sich aufgerichtet hatte: ihre Büste. In ihrem Gesicht standen die Augen weit offen und ihre Pupillen fixierten mich mit starrer Durchdringlichkeit, dass mir heiß und kalt wurde.
„Ich kenne Sie.“ Sie schluckte jetzt erst einmal, gleichzeitig setzte sie wieder an, denn es kamen nun die Worte wie aus der Maschinenpistole herausgeschossen.
„Ihr Männer, ihr wollt nur, dass man sich in Euch verknallt. Dann, wenn das doofe Weibchen trächtig vor Liebe wie ein besoffenes dickes Huhn durch die Gegend torkelt und den Mann von unten mit klimpernden Wimpern anhimmelt, dann habt ihr euer Ziel erreicht. Bestenfalls werden wir dann wie heiße Kartoffeln fallengelassen, wenn wir uns nicht zu Sklavendiensten verirren, ausbeuten und abrichten lassen.“
Wieder schluckte sie.
„Ist es nicht so?“, fragte sie rhetorisch oder nicht. Wenigstens raffte sie sich jetzt völlig zusammen und richtete sich noch weiter auf, so dass sich auch ihre Brüste aus dem Wasser erhoben oder das, was dort die Brüste sein sollten. Genau konnte ich es nicht ausmachen, war ich zu sehr von ihrer Erregung hypnotisiert. Außerdem sagte sie jetzt: „Und Sie, Sie Trottel von einem Mann, Sie wollten auch nichts anders. Stimmt’s? Verlieben, verknallen, sich verschauen sollte ich mich in Sie. Abhängig machen wollten Sie mich mit ihrer gemeinen männlichen Absicht, dass ich mich in Sie verschaute, richtig?“
Ich schwieg, noch war ich nicht wirklich zur Antwort aufgerufen.
Sie wiederholte sich jedoch, die Stimme um einige Herz gehoben: „So antworten sich endlich?“
Wieder schwieg ich.
„So geben Sie es doch endlich zu, Sie – Mann!“ Dieses letzte Wort kam im verächtlichsten Tonfall aus ihrem Mund wie herausgespuckt, welcher sich dabei in verächtlicher Groteske drehte, spiralisierte und verzerrte wie ein Kreisel.
Da ich immer noch schwieg, sie hoch aufgerichtet aus dem Wasser auf mich herabschaute wie ein Elefant auf einen Winzling, den zu klein und erbärmlich sie empfand, um ihn zu zertreten, schwieg ich mehr von dieser bedrohlichen Gestalt in ihrer karikierten und verzeichneten Ansicht fasziniert, als dass ich noch Aufmerksamkeit genug gehabt hätte, außer diesem mich auf eine Reaktion zu konzentrieren.
Mein Blick begann wie von selbst allmählich von ihrem Gesicht abwärts den Hals hinunter zu wandern, langsam, weil jede Schlagader, jeder Knochen, jeder Knorpel daran mein Interesse erweckte, fast ein medizinisches.
Sie sah es, deutete aber es „natürlich“ anders – sexuell. Noch bevor ich mit meinem Blick zu ihrem Busen gekommen war, ließ sie sich wieder zurück plumpsen gegen die Wanne, dabei erneut den Kopf nach hinten gerissen und noch verächtlicher als bisher lachend, tobend und keifend, schien mir. Das war nur schwer zu ertragen, nicht so sehr wegen des Spottes, sondern wegen des abscheulichen Anblicks, das ein Mensch hier einem anderen bot. Waren wir denn Tiere?
Eine Zeitlang konnte ich noch diesen Schauspiel ertragen, aber dann wurde es mir zu viel.

So griff ich zur Duschgabel, richtete diesen gegen sie und drehte am Hahn. Kochend heißes Wasser sprudelte heraus, das sie mit den dichtesten Dampfwolken einlullte und kaum noch zu sehen machte. Man muss sich vorstellen, dass die Wanne, in der wir zwei Personen lagen, genauso gut für vier oder sechs gereicht hätte. Es war eine ziemliche Distanz von mir zu ihr. Aber der Strahl der Dusche hätte jedem Feuerwehr-Schlauch Ehre gemacht. Zumal ich mich natürlich zu ihr hinübergebeugt hatte.
Sie schrie fürchterlich auf, begann heftig zu atmen, zu schlucken und zu japsen beim Atmen, heißt man das im Fachchinesisch nicht, zu hyperventilieren, nicht lange jedoch und nur insoweit und passgenau mit dem Kunststück, bis ich den heißen Wasserstrahl wieder weg-, abgedreht und in seine Verankerung zurückgeschleudert hatte.
Man bedenke, dieses Procedere verwehrte mir eine normale Wahrnehmung dessen, was ich hier so im Einzelnen beschrieben habe, denn genauer gesagt war ich vollständig davon in Anspruch genommen, diesen klitschigen Schlauch in seine Halterung zurückzubefördernd, nämlich förmlich von mir werfend, um mir nicht durch die brennende Hitze des Chromgürtels meine Hände zu verbrennen.
Nachdem dies getan, sah ich zunächst fasziniert nichtsahnend auf ihre Hände, die sich krampfhaft am Beckenrand geklammert hatten, als befürchte sie unterzugehen, eine Geste, die ich überhaupt nicht deuten konnte.
Es war schon zu spät. Die Kritikerin war ohnmächtig geworden, wenigstens dachte ich das, als ich die am Rande wahrgenommene Geräusche von vorhin und ihre Regungslosigkeit richtig deutete. Jedenfalls gab sie keinen Pips mehr von sich.
Als wäre sie tot.
Der kichernde, quiekende Affe, Kaspar oder Teddybär war verstummt!
Herrlich! Insoweit. Ein bisschen Ohnmacht schadete da nicht und würde ihr ein kleine Lektion erteilen. Nachdem, dass sie keinem Laut mehr von sich gab, musste ich zunächst so denken. Ein Gefühl, dass da lautete: jetzt hat sie, was sie verdiente, basta.
Ich weiß, ich sage das zu meiner Entschuldigung, denn ich rührte mich zunächst eine ganze lange Zeit überhaupt nicht auf ihre Regungslosigkeit hin. Bis mir dann doch mulmig zumute wurde.
Andererseits war es überhaupt nicht gut, sagte ich mir denn da.
Also ich es endlich für bare Münze nahm, dass sie aufgehört hatte zu schnaufen, zog ich die Konsequenzen und Überlegungen: Sie konnte doch schon tot sein, zwar schnell, aber möglich war es doch. Außerdem, wie eng ist der Grat zwischen Ohnmacht und Exitus? Was wusste ich schon, was selbst ein paar heiße Strahlen siedenden Wassers Vernichtendes und Verheerendes anrichten können.
Egal, Ohnmachtsanfall oder nicht, ich muss etwas tun, kam ich zum Schluss und erhob mich endlich.

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