Train leaves Town

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Zarmaz
Kerberos
Beiträge: 1
Registriert: 27.10.2012, 17:19

Train leaves Town

Beitragvon Zarmaz » 27.10.2012, 17:21

Ein Blick auf den alten, vergilbten Fahrplan – fünf Minuten bleiben uns noch.

Wir halten uns an den Händen und schauen still über die aufblühende Landschaft. Um uns herum ist ein Frühling wie man ihn in den besten Büchern mit den schönsten Geschichten beschreiben würde. Über uns fliegen dutzend Vögel, bringen Futter für ihre Jungen zu den Nestern und lassen ein buntes Singen ihren zarten Stimmen erklingen. Wir stehen still und schauen ihnen zu. Wenn der Zug kommt, werde ich dir ein letztes Mal durch deine Haare fahren, dich ein letztes Mal küssen und versuchen mir die Farbe deiner Augen einzuprägen. Wenn der Zug kommt, wirst du mir ein paar letzte Abschiedsworte in die Ohren flüstern, ein letztes Mal winken und, wenn der Zug schließlich schnaubend und Dampf ausstoßend am Bahnhof steht, in ihm verschwinden.

Und dann werde ich gehen, meine Maske wieder aufsetzen und die Farbe deiner Augen vergessen haben. Ich werde in meinen leeren Tanzsaal zurückkehren, die geborstenen Violinen aufheben und mein trauriges Lied auf ein Neues spielen. Werde mich selbst wieder in Alkohol ertränken. Werde irgendwann mit getrübtem Blicke aufstehen und mir eine neue Tänzerin suchen. Und eine neue Puppe finden. Ich werde genauso mit ihr spielen können wie mit dir, werde sie genauso hochleben – und danach fallen lassen. Ich kenne mich und ich kenne die Lektion – wie ein Schuljunge pauke ich sie immer wieder. Du wirst irgendwann genauso in meinen Erinnerungen verblassen wie die Mädchen vor dir und genauso wie die, die noch kommen werden. Du warst schön, aber du warst nicht die Schönheit. Du bist vergänglich. Alles vergeht um mich herum, selbst der Frühling.

Nur ich selbst bin die Konstante. Ich bin der, der morgen wieder ein neues Mädchen zum Bahnhof bringen wird. Der ihre Hand halten und ihr die Liebe versprechen wird. Und doch bin ich auch der, für den der Zug schon lange abgefahren ist.

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