Allein unter Menschen

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La Luna
Kerberos
Beiträge: 1
Registriert: 05.11.2012, 18:08

Allein unter Menschen

Beitragvon La Luna » 05.11.2012, 18:11

Allein unter Menschen

Eine Straße voller Leute strömt um sie herum. Zu schnell. Zu laut. Heller Sonnenschein reflektiert auf den Scheiben.
Hunderte Stimmen verschmelzen zu unartikuliertem Gemurmel. Schleichend tritt Neues aus den Winkeln und Gassen,
verzerrt und falsch. Farben zu grell, bemerken sie es nicht? Sie wird langsamer, bleibt stehen. Grauer Nieselregen tropft
vom wolkenverhangenen Himmel. Sie schaut die leere Straße entlang. Die kalten Fassaden der Häuser starren mit leerem
Blick auf sie hinunter, während sie sich fragt, wo die Menschheit geblieben ist. Das Neue, Fremde lächelt von den Dächern
auf sie herab. Sie bemerkt es, es ist ohne Form und schwer zu fassen, bloß ein verwirrter Gedanke.Die nassen Steine
scheinen mehr zu wissen, sie streckt sich ihnen entgegen, oder ist es andersherum? Ein stechender Schmerz durchzuckt
ihren Rücken , alle Gedanken werden dunkel, dann verfliegen sie, zurück bleibt Schwärze.
Sie blinzelt, eine Straße voller Leute strömt um sie herum. Zu schnell. Zu laut. Irritierte Blicke durchstechen sie wie feine
Nadeln. Sie steht im Weg. Ein Mann in Farben geht hinter ihr vorbei, wirft sie fast um, berührt sie nicht. Ihr Rücken brennt,
sie fühlt sich eingeengt, niemand bemerkt es. Sie muss fort, sie braucht Platz. Sie rennt, drückt sich durch die Menge, alles
rast an ihr vorbei, alles wirbelt um sie herum, ein schwindelerregendes Wesen aus Farben und Worten und Enge. Sie bricht
heraus, steht im Freien. Vor ihr das Meer, hinter ihr die Stadt. Freiheit, Platz. Ihre Atmung verlangsamt sich wieder.
Ruhe, Geborgenheit. Wind umspielt sie, spielt mit ihr. Schwindel benebelt ihre Sinne, sie stolpert zur Seite, vom Wind
getrieben. Die Brise umflüstert ihre Gedanken, nimmt sie mit. Sie merkt, sie fällt, der Klippenrand lächelt sie boshaft an,
unter ihr, jetzt über ihr. Sie fällt, das Wasser rückt näher. Ihre Gedanken klären sich, sie weiß, sie muss sie ausstrecken,
öffnen, in den Wind ausbreiten. Die Luft hebt sie herauf, fängt sich in der schillernden Membranhaut, wickelt sich um die
hauchdünnen Ränder. Ihre Finger streifen den Klippenrand, sie findet Halt im feuchten, kühlen Gras. Sie stemmt sich hoch,
der sicheren, festen Erde entgegen. Unterstützt vom sanften, freundlichen Wind in den durchscheinenden, filigranen
Verlängerungen ihrer Seele. Emporgetragen und geborgen landet sie sanft auf den Straßen der Stadt, wild, frei, lautlos.
Vereinzelt Menschen an den Straßenecken. Sorglos, unaufmerksam. Ihre Blicke streifen sie, nichtssehend, entseelt.
Ein Flimmern, ein Rufen aus den Gassen und vom Platz her. Sie folgt dem glockenhellen Lachen bis zum lichterfüllten
Ursprung. Zwischen den Menschen Anderes, Gleiches. Funkelnd, glitzernd, wie bei ihr. Sie erzeugen Windstöße, unbemerkt,
Farbexplosionen im Sonnenlicht, überirdische Schönheit. Alle gleich, doch unterschiedlich. Sehen sie sie an, oder durch sie
hindurch? Sie streckt die Hand aus, will sie erreichen. Ein flimmernder Lidschlag, Regen auf ihrer Hand.

Eine Straße voller Leute strömt um sie herum. Zu schnell. Zu laut. Geblendet, der Platz verschwunden. Die Menschen fliehen
vor dem Regen. Lassen die Straßen leer zurück. Nass, einsam. Der Regen übertönt ihre aufgewühlten Gedanken. Sie steht
mitten auf der Straße. Mitten im Regen, allein. Denkt nach über Antworten ohne Fragen und Fragen ohne Antworten und streicht
mit der vom Gras grün gefärbten Hand durch ihr regennasses Haar.

Darf gerne kommentiert werden ;)

Freidenker
Erinye
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Wohnort: München

Re: Allein unter Menschen

Beitragvon Freidenker » 07.11.2012, 19:25

Hallo La Luna,

Dein Text gefällt mir.

Schöne Grüße aus München


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