Der Tod der Kritikerin - Spurenbeseitigung 19. Teil

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Pentzw
Kalliope
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Der Tod der Kritikerin - Spurenbeseitigung 19. Teil

Beitragvon Pentzw » 25.11.2012, 16:43

Ich hopste aus der Wanne, um von außen besser an den Körper heranzukommen und aus dem heißen Wasser zu hieven. Leichter als gedacht, denn obwohl dieses Gestell ein windig längliches war, war es griffig, weil nur aus Haut und Knochen bestehend. Das Schleppen gestaltete sich trotz des glitschigen Körpers und wegen der staksigen Griffigkeit reibungslos. Hastig kopfscheu geworden, trug ich ihn in den Armen und ohne groß zu überlegen schnurstracks ins Schlafzimmer, wo ich ihn sanft auf ein französisches Bett legte.
Ich warf einen Blick auf das großflächige Mobiliar, wo die darin Liegende fast verschwand und empfand reumütig, welch Verschwendung, solch ein großes für eine solch kleine Person, wenn es doch zu nichts zu Nütze war außer für sie selbst. Aber damit ist vielleicht definitiv Schluss!?
Sie immer noch als ohnmächtig einschätzend, überlegte ich angestrengt: Was jetzt tun mit ihr? Fenster auf? Nein, kühl genug war es! Was aber dann?
Rotglühend ihr Gesicht und ihre Augen waren geschlossen. Die Lider gaben, nachdem die Hand auf die Stirn so gelegt, dass der Daumen mithilfe eines leichten Ballendruckes diese nach unten öffnen konnte, einen leblosen Fischblick frei. Ich schrak zurück, albern, ich weiß, aber ich hatte überhaupt keine Erfahrung mit Toten, Halb- oder Scheintoten. Zudem, Mensch, die wird mir doch nicht weggestorben sein, bekam ich plötzlich Panik. Dumm, nicht zwischen Besinnungslosigkeit und Tod unterscheiden zu wissen.
Ist jemand ohnmächtig, dann geht noch sein Puls, sein Atem, sein Herz, richtig?
Ich umgriff ihr Handgelenk - keine Empfindung. Ich legte meinen Kopf auf ihre Brust; konnte zunächst jedoch nichts vernehmen, aber dann nahm doch ihren Atem - der plötzlich sehr heftig, regelrecht stoßartig ging, so als könnte er jeden Moment überschnappen und zu quietschen und zu japsen anfangen, kraft der Kontraktion der in die Enge und Taktlosigkeit übergegangenen Lungenflügel. Röcheln, Glucksen und Pfeifen wechselten einander taktlos ab.
Krepiert die mir jetzt unter den Händen weg, stellte ich mir nahe dem Verrücktwerden die Frage.
Mit einem Mal türmte sie sich bäuchlings auf – atmete sie denn mit dem Bauch? – blieb einige Zeit in dieser Lage, bevor sie wieder zusammensackte und endgültig aufgehört hatte, eine Regung von sich zu geben. Keine Reaktion mehr, nichts mehr, gar nichts mehr aber auch.
Sie war tot, es konnte nicht anders sein, Kuhmist. Ich Hornochse hatte sie umgebracht, unglücklicherweise; es war ein Unglück, genau, aber dennoch, so oder so, ich habe sie getötet.
Wie sollte ich damit umgehen, was jetzt anstellen, reagieren, machen, tun, weiß es einer?

Eigenartig, die Zielstrebigkeit und Logik meines Handelns war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Während des Nachdenkens verrichtete ich unkontrolliert und unbewusst folgende Dinge: ich ging zum Fenster, versuchte durch den Store hinaus zu lugen. Was ich sah, erschien durch diesen verwischt und unscharf. Um noch sicherer zu fahren, schob ich ihn ein klein bisschen zurück, ja, genauso, wie man es in Filmen sieht. Der Einbrecher, der Mörder, der Dieb spähte erst durch vorsichtiges Zurückziehen des Stores das Umfeld draußen nach verdächtigen Hinweisen ab: Blick in den Hinterhof, über die Mauer, auf die Straße und ein Schrägblick mit nach oben gekehrtem Rollen der Augen und in Falten gelegter Stirn auf Dächer und First. Erst dann traf er die ersten Vorbereitungen für sein verwerfliches Handwerk, seine Spuren verwischen zu wollen, indem er sich die Handschuhe über seine Hände streifte.
Ich nahm ein Handtuch, wickelte es um meine Hand und fertig war mein Notbehelfs-Handschuh. Es hieß, beim kommenden Vorgehen vermeide Spuren wie zum Beispiel Fingerabdrücke. Letztere versuchte ich mit dem Handtuch auszuwischen, wegzuwischen und zukünftige zu vermeiden.
Verweist das nicht darauf hin, gründlich vorzugehen? Worauf verweist nun diese Gründlichkeit wiederum? Hatte ich nicht schon unbewusst des öfteren solch eine Situation in Gedanken durchgespielt? Und wenn ja, worauf deutete dies hin?
Mir schwindelte einen Moment, mir graute vor mir selbst - vielleicht bist du gar nicht der, den du dir vorstellst; bist gar ein anderer? Darüber rotierte nun mein Kopf fieberhaft, statt um die existentiell wichtige Frage: Wonach würde die Polizei suchen? Oje, wie musste ich mich zusammennehmen, bei der Sache zu bleiben. Späterhin hatte ich doch genug Zeit, darüber zu philosophieren, Mensch!
Also, im Falle, die Ermittler gingen von einer Beziehungstat aus, würden sie verbissen und akribisch nach allen Personen, die mit dem Opfer zusammenhingen, recherchieren. Bei Bekannten, Kollegen, Nachbarn möglicherweise, überall würden sie nachfragen, und natürlich auch bei umliegenden Restaurants.
Verwies jedoch der Tatort eher darauf, es handele sich um keine Beziehungs-, sondern Ritualtat, würde die Strategie der Kripo anders gelagert und ausgerichtet sein. Hatte ich Glück, so klammerten sie den Untersuchungsgegenstand Restaurant-Im-Umfeld aus, zumindest vernachlässigten ihn - was mich retten könnte. Ich war ziemlich in Panik, rechnete mir schlechten Karten und trübe Chancen aus; es beherrschte mich ein unbestimmtes Gefühl der Unsicherheit. Dachte ich zudem an die hoch-technischen Möglichkeiten der Ermittlung, davon ausgehend, viel mehr, als sich überhaupt eine Laie vorstellen konnte – dann bekam ich weiche Knie und war nahe daran, sofort die Polizei anzurufen und zu bekennen.
Aber, nein, das kam überhaupt nicht in Frage! Das war kein bewusster, sondern sehr wohl intuitiver Entschluss, wie ich im Nachhinein erkenne.
So kam ich wieder auf das Restaurant zurück.
Ich nickte bejahend mit den Kopf und versicherte mir, ja, genau dieser Punkt ist die Schwachstelle. Dort konnte man fündig werden. Keine andere Person als die Wirte oder einige Gäste hatten uns zusammen gesehen: kein Bekannter, kein Nachbar, niemand sonst.
Diese Überlegungen mit besagtem Entschluss sprachen mich zusehends an.
Also zusammenfassend: Aus den Handlungsmöglichkeiten besaß diejenige die höchste Wahrscheinlichkeit, um einer Überführung und Entlarvung zu entgehen und zu vereiteln: die Inszenierung des Szenarios eines Ritualmordes.
Ich drehte und wand es noch einmal und schloss andere vorstellbare Beziehungstaten aus: Kollege, bösartiger Nachbar, gekränkter oder Pseudo-Liebhaber, was immer so in Betracht stand – zu kompliziert, zu umständlich und mit zu vielen Unwägbarkeiten behaftet, um Indizien zu lancieren für ein Set, das auf einen solchen Täterkreis hinwies. Nein, immer mehr bestärkte sich mein Wille, aufgrund der festen Überzeugung, richtig zu liegen, darauf zu setzen: Ritualmord eines getriebenen anonymen Psychopathen.

Ich insistierte mir, es könne nicht oft genug der Gedanke wiederholt werden, der mir als der beste erschien, setzte mich bewusst nieder auf einen Stuhl, um in Ruhe nachzudenken und stellte erneut die Frage: was war jetzt das Ziel der Vorgehensweise?
Also, es als Ritualmord aussehen zu lassen.
Welche Fährten, Spuren und Hinweise verstreuen, die Polizei zum Schluss kommen sehen zu müssen, es sei diese Art von Mord und die Dinge wiesen eindeutig auf einen zufällig hier hereingeschneiten Irren hin? Um einen völlig Unbekannten handelnd, wäre diesen ausfindig zu machen sehr schwierig und die Erfahrung, der Täter besitze stets wenn auch entfernte Berührungspunkte mit dem Opfer, lassen die Ermittler auf einen Unbekannten setzen, der ein weitläufig mit dem Opfer in Berührung Stehender sei, ein gekränkter Autor etwa. Damit käme ein sehr umfangreicher Menschenkreis in Frage. Der Ermittlungsradius müsste derartig weit gezogen werden, dass er ins Uferlose ausfranzte. Untersuchungen würden sich in weite Feldern verirren, verzweigen und verlieren. Nachdem im Sande verlaufen, merkten sie das, stellten schlussendlich das Verfahren vorübergehend ein, um auf Eis gelegt, irgendwann wieder einmal aufgerollt zu werden.

Eine gute Überlegung, so sagte ich mir, langsam und bedächtig. Nur, wie es umsetzen, Opfer und Tatort als Schauplatz eines Ritualmordes erscheinen zu lassen? Für einen gut Teil hatte schon die Kritikerin selbst gesorgt mit ihrem romantisch verbrämten Badezimmer: Kerzen, Räucherstäbchen und indirekte, bunte Lichterchen und sonstigen Firlefanz und Tand.
Nun, was musste ich noch tun?
Aber halt, bevor diesbezüglich weiterer Gedanken, erst die Spuren meines „Mordes“ beseitigen. Was wies daraufhin? Unfall in der Badewanne, sprich Verbrühung derselben. Hinweise auf mich, den Täter, mussten ausgelöscht werden, welche nur in Fingerabdrücken bestehen konnten, zumindest dies die einzigen Verweise waren, die ich meinerseits auszumerzen vermochte: gründliches Schruppen der Badewanne. Haare, Hautpartikelchen und sonstige Partikel waren nur mit Hilfe des Einsatzes eines Staubsaugers entfernbar. Dabei, nicht zu vergessen, Mitnahme des benutzten Staubbeutels und Einsetzen eines neuen.
Bevor der Staubsauger zum Einsatz kam, setzte ich mittels des Handtuches und zwar bemüht systematisch die Spurenverwischung um. Die Fensterklinke, das Weinglas, der Aschenbecher, der Bademantel, die Badeklinge, das Bett undsoweiter bis - fertig, das müsste es gewesen sein.
Die nächste Aufgabe zu erledigen, denn Auf- statt Abbau, gestaltete sich weit schwieriger: was nun anstellen, dass Ritualmord sei! Kein aufgewühltes Bettlaken, angetrunkene Sektflasche oder Lippenstiftspuren auf Gläsern. Der Eindruck sollte entstehen, ein Fremder habe sich mit Gewalt Zutritt in diese Wohnung verschafft, das Opfer überrascht und überwältigt, ohne großartigem Drumherum, Hin- und Her oder andauerndem längerem Zögerns bis zur Tat. Der Psychopath handelte nur nach seinen perversen Trieben, die Menschlichkeit, ja Individualität des Opfers, geschweige deren Fraulichkeit, war ihm einerlei, einzig von Bedeutung hinsichtlich ihrer rituellen Verwendbarkeit - mit gezückter Schalldämpfer-Pistole auf Schläfe gehalten, gewährte er ihr noch einige Minuten Zeit gnädigerweise, ein paar Gebetsformeln zu murmeln, bis er zur Tat überging, mehr kaum.
Hierzu blieben nicht viel Dinge zu tun übrig. Aber sie gestalteten sich schwierig. Zunächst die Frage zu entscheiden, in welche Richtung der Ritus verweisen sollte?
Sollte er religiös motiviert erscheinen: Weihwasser versprengen etwa?
Worin unterscheidet sich solche von normaler Flüssigkeit? Unmöglich festzustellen für die Ermittler, die einzig auf materielle Dinge setzten und ausschließlich solche für glaubhaft, vertretbar und beweisbar erachteten. Waren die Chemiker schon so weit, unterschiedliche Leitungswasser-Zusammensetzungen bestimmten lokalen Ursprüngen zuzuordnen? Wollte ich dieses Indizium einsetzen, müsste ich durch Beschaffung eines nicht hier in diesem Haus abgezapften Wassers sorgen. Zum einen wusste ich nicht, ob die Bio-Techniker eben diesen Hinweis eruieren konnten und zum anderen waren mit der Herbeischaffung dieses Überführungsmittels weitere, schlecht zu kalkulierende, das Risiko der Entlarvung sich verstärkende Umstände verbunden – ausgeschlossen!
Plötzlich fühlte ich mich platt. Mir fiel nichts mehr ein. Immerhin wusste ich, was in solchen Fällen förderlich sein könnte: Vom Allgemeinen zum Konkreten schließen. Was sonst, weil mir momentan nichts mehr einfiel.
Welche Riten existierten? Folgende Arten: religiöse, hatte ich schon, archaische – hm.

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