Nur einmal noch

In diesem Forum kann sich jeder mit seinem Text der Kritik des Publikums stellen. Selbstverständlich auf eigene Gefahr ...
Ramona Heber
Kerberos
Beiträge: 5
Registriert: 21.01.2013, 23:26
Wohnort: Lößnitz

Nur einmal noch

Beitragvon Ramona Heber » 21.01.2013, 23:30

Vermutlich bin ich bis jetzt noch nicht wirklich zu mir gekommen. Denn anders kann ich mir sonst nicht erklären, dass ich noch in der Lage bin zu atmen, zu denken oder überhaupt noch zu leben.
In den vergangenen Jahren warst du an jedem Tag an meiner Seite, bist neben mir eingeschlafen und wieder aufgewacht. Es war klar, dass sich das eines Tages ändern würde, denn keinem von uns ist ewiges Leben bestimmt. Jedenfalls nicht auf dieser Welt.
Ich weiß nicht wie ich es fertig gebracht habe die Erde auf dein Grab zu werfen und dann nach Hause zu gehen. Dich dort allein zurückzulassen, ich habe mir nicht erlaubt darüber nachzudenken.
Aber je mehr Tage vergehen, ohne dich, um so lauter drängen sich diese schmerzhaften Gedanken
hervor und lassen die Seele nicht zur Ruhe kommen. Ich vermisse dich, stärker als ich jemals einen
Anderen vermisst habe.
Wenn du noch etwas spüren oder denken könntest würdest du wissen, dass ich oft an dich denke.
Du wüsstest, wie sehr ich mir wünschte das Geräusch deiner Schritte auf dem harten Boden zu hören. Oder deine Stimme, nur einmal noch zu hören. Manchmal hab ich zu dir gesagt, sei doch mal still. Wie sehr ich diese Worte bereue. Wenn du noch was von all dem mitbekommst, dann weißt du
wie es mir geht.
Es ist leicht zu sagen, dass das Sterben zum Leben dazugehört, solange es Theorie ist. Aber diese
Vergänglichkeit hautnah zu erleben, zu wissen, du wirst die Stimme des Anderen nie wieder hören
und du wirst ihn nie mehr berühren. Dieses Gefühl ist etwas ganz anderes und es kann dir dein Herz aus der Brust reißen.
Das Unvorstellbare ist passiert. Die Tür hat sich hinter dir geschlossen und unsere Welten voneinander getrennt, unwiederbringlich. Auch wenn die Worte abgedroschen klingen werden sage ich sie. Ich habe dich geliebt und werde dich nie vergessen. Und all das was ich falsch gemacht habe tut mir leid, ganz ehrlich.
Vermutlich werde ich noch lange brauchen bis ich ohne dich wieder glücklich sein kann.
Aber selbst dieses neue Glück wird ein wenig unglücklich bleiben, weil es Wunden gibt die nicht
ganz verheilen können.

Nun sind wir schon über einen Monat voneinander getrennt und ich fühle mich nicht wirklich besser. Wenn ich schlafen gehe denke ich oft darüber nach ob ich wieder aufwachen werde, oder nicht. Ich bin traurig, weil mein Leben seine Struktur verloren hat. Du und deine Bedürfnisse haben
bestimmt was ich tat und es hat mir gefallen. Wir waren uns nah, so nah wie eben möglich. Ja, ich
weiß du konntest nicht länger aushalten, dass hatten wir besprochen und trotzdem wird es davon nicht einfacher. Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an dich.

Ich habe mein Leben behalten, auch wenn ich nicht genau sagen kann wofür. Alles hat sich in kurzer Zeit verändert und ich habe meine Orientierung verloren. Was zurückbleibt ist lähmende Traurigkeit und Verunsicherung. Es ist klar, dass du nicht zurückkommen kannst und ich werde auch nicht versuchen dich zu ersetzen. Niemand würde das können, denn du warst etwas ganz einzigartiges. Obwohl ich eingesehen habe, dass ich dich gehen lassen musste, schaffe ich es nicht nach vorn zu sehen. Weißt du, ich habe sogar das Laken aufgehoben und verpackt, auf dem du zuletzt gelegen hattest. Ich will mich irgendwann an deinen Geruch erinnern können.
Zum ersten Mal habe ich so intensiv Abschied genommen. Doch vermutlich liegt das daran, dass meine Zeit auf dieser Erde ihren Höhepunkt auch überschritten hat.

Versunken in all diese tiefsinnigen und trübsinnigen Gedanken schlendere ich durch den Park. Über dem kleinen See, der in seiner Mitte liegt, hängen noch dichte Nebelschwaden. Das aufgeregte Schnattern der Enten ist zu hören, aber es berührt mich nur ganz entfernt. Meine Schuhspitze stößt gegen einen Stein, den ich wütend zur Seite treten will und ein zorniges Verdammt entweicht meinem Mund, als der Schmerz in mein Hirn dringt. Natürlich setzt sich dieser blöde Stein zur Wehr und ich lass mich, von einem stechenden Schmerz getroffen, ins feuchte Gras fallen.
Keine Ahnung warum es ausgerechnet diese Situation ist die mir den letzten Rest gibt, dass ist wohl
einfach so. Da sitze ich nun um sieben Uhr morgens auf diesem nassen Rasen und bin froh darüber allein zu sein, denn ich habe den Tränen nichts mehr entgegenzusetzen. Mir tut alles weh, mein
Herz, meine Augen, mein Hals. Und doch tut es mir auch gut die Trauer rauszulassen.
Mit meinen bloßen Fingern zerre ich diesen dämlichen Stein aus dem Boden und schleudere ihn von mir. Das ich dabei schreie ist mir nicht bewusst und auf das was dann passiert bin ich nicht vorbereitet, nicht im Geringsten.
Etwas weiches berührt meine Hand und zwingt mich dazu mich umzudrehen. Schwerfällig wende ich mich dem kleinen Hund zu und nehme im selben Moment die Stimme einer Frau wahr die ihn zu rufen scheint. Rex wo steckst du denn? Ihre Schritte kommen näher, dass kann ich deutlich hören und ich wünsche mir die Fähigkeit mich unsichtbar machen zu können. Aber selbst meine Gedanken sind zu langsam und so kommt es, dass die Frau erschrocken stehen bleibt und mich anspricht. „Brauchen sie Hilfe?“ Mit einer raschen Bewegung wische ich über mein Gesicht und versuche meine Lüge gut rüberzubringen. Natürlich brauche ich Hilfe, aber das kann ich wohl kaum einer fremden Frau erklären. Also schüttle ich den Kopf. „Danke, alles okay. Bin nur gestolpert. Es ist nichts ernstes passiert.“ Mit einem leichten Klaps schiebe ich das Hündchen in ihre Richtung und
sage, damit es ungezwungen klingt „Nun lauf schon zu deinem Frauchen.“ Während sie sich zu ihrem Hund beugt und ihn hochnimmt bleiben ihre Blicke prüfend auf meinem Gesicht haften.
„Wirklich alles okay?“ Ich kann, nein ich will sie nicht ansehen und dann machen meine Gefühle sich selbstständig. Wieder laufen mir Tränen übers Gesicht und ich bin sicher, dass ich mich dafür hassen werde so emotional geworden zu sein. „Sie ist tot, nicht mehr da. Einfach tot und begraben, allein in der kalten Erde und ich will nicht allein sein. Verstehen sie, ich will nicht allein sein.“
Die Frau setzt kurz entschlossen den Hund wieder auf den Boden zurück und hockt sich zu mir ins Gras. Ganz behutsam greift sie nach meiner Hand, die ich ihr einfach überlasse. Mir fehlt die Kraft mich gegen diese Berührung zu wehren und irgendwie tut diese Anteilnahme mir auch gut.
Den Namen der Frau kenne ich nicht, ist auch egal. So seltsam es auch scheinen mag, aber sie bedeutet in diesem Augenblick Geborgenheit und ich fange an ihr von dir zu erzählen.
Ich rede davon wie wir uns kennenlernten.
Und ich erzähle ihr auch von deinem langen, schmerzhaften Abschied. Eine ganze Weile nachdem ich aufgehört hatte zu sprechen sagte die Frau leise. „Sie hatten dreizehn wunderbare Jahre mit jemandem den sie geliebt haben. Das ist weit mehr als die meisten von uns je haben werden, glauben sie mir.“

Michaeldo
Erinye
Beiträge: 12
Registriert: 14.09.2011, 10:54
Wohnort: Darmstadt

Re: Nur einmal noch

Beitragvon Michaeldo » 31.07.2013, 10:52

Hallo Ramona,

ein sehr persönlicher text, eine gute Möglichkeit mit der Trauer über Verluste umzugehen.
Ich vermute, dass dies nicht nur eine "erdachte" Geschichte über den Verlust eines wichtigen Menschen ist, ich lese hier sehr starkes, eigenes persönliches Erleben heraus. Schöne Momente, schöne Erinnerungen und Traurigkeit über deren Vergänglichkeit.
Grüße und gute Wünsche!
Michaeldo

Ramona Heber
Kerberos
Beiträge: 5
Registriert: 21.01.2013, 23:26
Wohnort: Lößnitz

Re: Nur einmal noch

Beitragvon Ramona Heber » 31.08.2013, 12:29

Lieber Michaeldo,
vielen Dank für die Zeilen. In einigen wenigen Punkten habe ich mich auch der künstlerischen Freiheit bedient etwas dazu
zu tun, doch dem Grunde nach stimmt die Geschichte so. Sie ist inspiriert von einer ganzen Menge Verlust.
Ich habe in relativ kurzer Zeit meine Schwiegermutter (die ich auch in den Tod begleitet habe) verloren, meine Ehe ging nach fünfundzwanzig Jahren und drei Kinder auseinander und dann musste ich meinen Hund (den ich von siebenhundert Gramm
Gewicht aufgezogen habe) wegen Krebs einschläfern lassen. Mein Leben hatte komplett jede Struktur verloren und mit über fünfzig ein weiteres Mal von vorn anzufangen ist nicht so einfach.
Aber das Schreiben ist mir seit vielen Jahrzehnten ein wirklich gutes Ventiel, dass ich nur empfehlen kann.
Inzwischen habe ich über vierzig Kurzgeschichten und einen dreibändigen Roman verfasst (noch unvollendet).
Vielen Dank nochmal und ein schönes Wochende wünscht Ramona


Zurück zu „Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Bing [Bot] und 23 Gäste