Der Tod der Kritikerin - Geheimnis des Elchs Teil 20. Teil

In diesem Forum kann sich jeder mit seinem Text der Kritik des Publikums stellen. Selbstverständlich auf eigene Gefahr ...
Pentzw
Kalliope
Beiträge: 951
Registriert: 11.04.2011, 19:59

Der Tod der Kritikerin - Geheimnis des Elchs Teil 20. Teil

Beitragvon Pentzw » 11.02.2013, 21:09

Das Geheimnis des Elchs

Dabei beugte ich mich über sie. So sieht ein toter Mensch aus. Interessant, faszinierend und unangenehm – so zwiespältig berührt und bewegt war ich.
Mir kam eine grandiose Idee im Angesicht des Todes.
Vom großen, imposanten Sekretär im Wohnzimmer holte ich mir den Uhu-mit-einer-Feder-im-Mund. Mühelos ließ sich das Schreibutensil herausziehen. Ich ergriff das Tintenfass daneben, drehte die Öffnung auf und hineintunkend feuchtete ich die rautenförmige Kuppe schwarz an.
Dieses Feder-Vorderteil lugte denn aus dem Mund sichtbar hervor, nachdem ich ihn wohlgemerkt mit dem Stiel voran hineingeführt hatte. Von weitem sah das aus, als ob man auf einem Fieberkranken mit im Mund steckenden Thermometer entgegenschreitet, sobald man ihn im Raum erblickt und sich nun auf ihn zubewegt.
Ich ging einen Schritt zurück um mein Kunstwerk zu mustern.
Hm.
Natürlich!
Indem ich die gesamte Flüssigkeit in den Mund kippte, wollte ich überdies die Schockwirkung erhöhen, weil die volle Mundpartie schwarz ausgefüllt war.
Zurück zum immer näher Herankommenden: dieser würde einen furchtbaren Schreckmoment erleben: schwarze Pest, gallertartig pechschwarzes Erbrochenes hat eine misteriöse Krankheit bis über den Mund aus dem vergifteten und üppig metastierenden krebsverseuchten Inneren herausquellen lassen.
Davon zeugte zwar nicht feuchtglänzende Tintenflüssigkeit selbst, aber doch ein schwarzer Flecken um die Mundpartie. Der absickernden Tinte musste ich leider zusehen, wie sie ins Innere verschwand. Doch lauschte ich hingebungsvoll dem Gurgelgeräusch der Tinte, die sachte blubbernd in das Körperzentrum abfloß: blubb, blubber-di-blubb, blubb, blubb.
Entzückend, berauschend, unheimlich, einfach toll und ... mir fehlten mit einem Mal die Worte.
Stattdessen fiel mir da der schräge Vogel ein. Jetzt war mir klar, weshalb hier solche eine Plastik aus Stein stand, zerfranst und zerfleddert, als wäre er durch das Triebwerk eines Flugzeuges geschleudert worden. Diese Erkenntnis erstaunte mich weit weniger als die jetzt erfolgende.
Was der Elch?
Ja, was mit dem Elch könnte es auf sich haben?
Kopfschmerz kriegte ich schier darüber nachzudenken...
Dieses Tier mit seinen großen schaufelartigen Geweih.
Ich fixierte dieses Gebilde ideenlos und bestimmt idiotisch dreinschauend.
Nun, dieses Exemplar aus Holz, nicht so groß, ja genau - passte gut in ein Rohr, jetzt hatte ich es – oder in einen MUND.
Das war’s. Endlich löste sich das Geheimnis, das in meinem Hirn schon die ganze Zeit in ganz hinterster Ecke gebrodelt hatte.
Ich griff mir das Ding und steckte es umgekehrt, mit dem schmalen Hinterteil voran, in den offenen Mund, wobei der Federkiel nicht störte, die Tinte sowieso nicht, die mittlerweile längst schon die Speiseröhre eingeschwärzt hatte. Immerhin, die Mundpartie innen sowie außen herum, war von Schwärze ausgefüllt, eingedeckt und gefüllt und ein riesiger Fleck wie bei einem von Brei sich vollgesabberter Säugling überzog Lippen, Kinn und alles Drumherum.
Bislang ließ sich ihr Maulwerk reibungs- und widerstandslos bewegen, war der Körper noch weit davon entfernt, von seiner ohnehin natürlichen Sperrigkeit in die unwiederbringliche, dehnbare und unbewegliche Todesstarre zu erkalten.
Ich wusste nicht, da sie trotzdem sehr steif war, ob sie selbst es war, die sich so hart anfühlte, ich berührte sie ja das erste Mal jetzt. War sie nicht schon von der Schockstarre selbst verhärtet worden, da sich verkrampfend, so fühlte sie sich also so an, diese Frau – endlich traute ich mich und konnte ich sie berühren. Es war eine Wohltat, nachdem überüberwindliches weite Meer überschritten, unübersehbar hohe Mauer übersprungen, endlich diesem widerspenstigen Stacheltier zwischen die Stacheln greifen zu können.
Ich drehte sie auf den Bauch um, weil ich mich etwas schämte mit meinem Vorhaben jetzt. Denn endlich wollte ich sie berühren. Ich streichelte sie verliebt über den Schädel, ihr die Haare mit beiden Händen kurz zu einem Pferdeschwanz zusammengeführt und gebunden. Dann wanderte ich über die Schulterpartie den steinhügeligen, karstigen Rücken hinab, schloss dabei die Augen, um unbeeinträchtigt wahrnehmen und empfinden zu können. Meine Handfläche fühlte die Höhlung ihres Rückens, jede Rippe nach beiden Seiten von der Wirbelsäule abgehen und kaum aus dem Tal heraus, als ich über die bescheidene Rundung ihres Pos fuhr. Um die Taille herum fügte ich spaßes-, neugieriger- und interessenshalber meine beiden gespreizten Hände aneinander, um abzumessen, ob ich damit um ihre schmale Hüftverengung reichte.
Schließlich fühlte ich mich stark genug und wagte es, sie endlich auf den Rücken zu drehen. Noch immer hielt ich jedoch die Augen geschlossen.
Endlich, aha, so fühlte sich der Busen an, vielmehr, was man als solches bezeichnete gemeinhin. Manch einer schien ja auf solch androgyne Körperlichkeit zu fliegen, abzufahren, fixiert zu sein, was mir jedoch kaum etwas wäre, zu arg käme es mir wie ein Kind vor, worüber ich da strich, quasi nichts eben, was mich anzog und abstieß, sprich mich reizte, zu erreichen und zu überwinden, tz.
Ich fuhr wieder das Tal hinunter, in den Nabel hinein, der sehr klein und eng war, dann weiter, umkreiste die furchige Vertiefung jetzt mit dem Finger ein paar Mal, wobei ich durch die Augen blinzelte, um überhaupt etwas zu sehen, jedoch diese schlagartig ganz aufriss. Damit hatte ich niemals gerechnet. Sie war rasiert. Darauf durfte auch sonst niemand getippt haben, oder? Ich dachte, was sie doch raffiniert war, dass sie wohl mit allem rechnete! Wozu schließlich rasieren sich Frauen unten?
Ich merkte, wie wenig ich von Frauen verstand. Obwohl ich mich hinlänglich erfahren erachtete bislang.
Wie ein Schatten, der sich über mich legte, spürte ich: das ist sie nicht mehr, dieser Körper, dieser toter dort.
Diese kalte Erkenntnis ließ mich zurück- und zusammenschrecken: die Kritikerin war mausetot, sie war nicht mehr, punktum. Die Todesstarre, zwar noch nicht eingetreten, ließ aber doch erahnen: ein mehr aus Muskeln, geronnenen Blutes und diversen Knorpeln bestehender Überrest denn sie selbst war es – allmählich nur noch todesstarrer Balg aus Haut und Knochen, mehr nicht.
Ich sah mich vor der Toten stehen und empfand ein jämmerliches Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit.
Einen Schritt weiter wich ich erschrocken zurück, weil sich andererseits plötzlich ein anmutiges Kunstwerk entfaltete und gestaltete, als würde es sich just zusammensetzen und entfalten, war es jedoch nur meine Wahrnehmung: die herauslugenden Schaufeln des Elchs machten die Tote zu einem imposanten, pittoresken, artifiziellen Artefakt seinesgleichen.
Mehr jedoch noch zu einem vielsagenden Symbol.
Neben meiner vorherrschenden Traurigkeit registrierte ich mit etwas Genugtuung: Darüber musste der dümmste Kriminaler stolpern bei der Frage: warum nur steckt denn in deren Maul da dieser Elch? Welchen Ritus hat der verrückte Mörder denn hier verfolgt? Was nur will er uns damit sagen? Natürlich, kaum wird er es lösen können. Nur Eingeweihte stoßen auf des Rätsels Lösung.
Gleichzeitig war ich über mich nicht weniger entsetzt. Was machte ich hier? Was tat ich denn? Bin ich doch nicht das, was ich hier tat! Wissenschaftliches Interesse oder perverses Handeln, was auch immer mich bewegte und antrieb, ich fühlte mich von mir selbst abgestoßen oder auch nicht – sollte ich denn? Ach was, jetzt war einmal Schluss damit, bereite deinen Abgang vor, den endgültigen hier von diesem Ort.
Alles entscheidende Frage: was musste ich zuletzt noch tun, damit von dem Unglück des Erstickungstodes abgelenkt werden konnte? - Eigentlich nichts. - Überflüssig würde sein, sie zurück zu verfrachten, woher sie kam, da der dümmste Mediziner herausfinden dürfte, dass sie an einer zu heißen Dampfwasser-Einstrahlung erstickt war.
Stifte dennoch ein bisschen Verwirrung, welche in diesem Fall nicht schaden könnte, man würde auf verwirrten Geisteszustand beim Täter schließen, um so besser. Ich hievte sie auf jeden Fall erneut zurück in die Badewanne. Also zurück in den Badewanne, Wasserbottich, Wasserzuber, Wasserbütt, Wasserpool, Wasserurne…
Diese Wörter elektrifizierten, plotteten und laserten mein aufgeladenes Hirn, während ich das tat, was ich mir vorgenommen hatte, woran man ermessen mag, wie sehr ich mittelweile blind daneben stand vor dem, in was ich da hineingeraten war…
Als ich das Haus verließ, war mir entsetzlich bange darum zumute, nicht etwas vergessen, übersehen und unberücksichtigt gelassen zu haben, doch längst nicht mehr dazu imstande, noch einen klaren Gedanken zu fassen und meine sieben Sinne zusammenzuhalten…

http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

Zurück zu „Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 57 Gäste