Der Tod der Kritikerin - Geiselnahme 30. Teil

In diesem Forum kann sich jeder mit seinem Text der Kritik des Publikums stellen. Selbstverständlich auf eigene Gefahr ...
Pentzw
Kalliope
Beiträge: 950
Registriert: 11.04.2011, 19:59

Der Tod der Kritikerin - Geiselnahme 30. Teil

Beitragvon Pentzw » 08.04.2013, 15:14

„So drücken Sie endlich ab!“
Silberne Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. Er sieht ziemlich verunstaltet aus mit seinen roten Blutergüssen über dem Gesicht.
Und wenn ich nun falsch denke? Steckt irgendwo in meinem Gedankengebäude eine Fehlkonstruktion, was dann? Bricht das Gebäude späterhin zusammen...angesichts dieses aus Fleisch, Blut und Seele bestehende Ding Mensch hier, versagt etwas, versage ich. Mein Gott, bin letztendlich doch nur ein erbärmlicher Schriftsteller! Und wenn es eines letzten Beweises bedurft hat, dann ist er hiermit erbracht, Kuhmist: Meine Hand zittert.
„Sie können wohl nicht?“
Unheimlich - als ob er tatsächlich meine Gedanken lesen könne.
„Sind wohl ein Feigling?“
Verdammt, der Polizist spielt mit seinem Leben.
„Ich erzähle Ihnen jetzt einmal etwas, sie siebengescheiter Intellektueller.“
Meine Hände verkrampfen sich um den Pistolenknauf.
Er lacht erst einmal ansatzweise herzhaft, dann verreckt allerdings seine Freude im Meer der körperlichen Schmerzen, wobei er sich diese aus den Schultern zu reiben versucht.
„Sie halten mich wohl nicht für so blöd, dass ich unabsichtlich meine Waffe abgelegt habe?“
Er versucht meine Gedanken zu lesen.
„Mann, ich wollte Sie testen, das ist alles. - Allerdings, ich geb’s zu, habe ich nicht damit gerechnet, dass Sie es auch wirklich tun.“
Pause.
Da er keine Antwort mehr von mir erwartet, senkt er den Kopf.
„Das war ein Fehler. Ich habe Sie unterschätzt.“
Er hebt wieder seinen Kopf, lächelt.
„Aber in dieser Hinsicht unterschätze ich Sie nicht. Sie werden es nicht tun!“
Meine Hand hält die Knarre um den Knauf, mein Arm hält sie in horizontaler Linie, mein Auge zielt auf die Person vor mir.
So leicht.
Erster Schritt ist längst erledigt, die Außergefechtsetzung der Polizisten, aber Schritt zwei, Ermordung, spielt in einer ganz anderen Liga. Ich schlucke.
Wo du jetzt eine Waffe hast, ist es doch ein Kinderspiel, oder? Methode, du setzt diese an die Schläfe des zu Ermordenden und drückst ab.
Erneut justiere ich die Pistole auf das Opfer, krümme den Zeigefinger, ansatz- und annäherungsweise.
Was tue ich hier?
Aber ist doch klar - Ein Schriftsteller, dem die Anerkennung fehlt, ist ein jämmerlicher Idiot. Erheischt er mit seinen Werken keine Aufmerksamkeit, so über den Umweg seiner Taten und leitet er diese darauf zu. Je schlimmer seine Taten sind, desto dichteren, stärkeren Umleite- und Shitstrom wird er hervorrufen.
Deswegen erschieße ich jetzt den Polizisten.
Das Interesse anderer ist mir damit sicher. Habe ich erst einmal auf mich und meine bösartige Person und gefährliche Persönlichkeit dadurch hingewiesen, wird man sich für meine Werke interessieren.
Natürlich werde ich dadurch ins Gefängnis wandern müssen.
Aber das ist egal.
Für einen Autoren ist es gleich, ob er draußen in der Welt sitzt oder drinnen in einem abgeriegelten Gebäude, aus der er keinen Fuß mehr setzen darf. Denn beides sind Gefängnisse. Das hat nichts damit zu tun, dass er beide mal schreiben darf. Dies ist bloß ein philosophisches Empfindungsmoment für ihn.
Was aber ändert sich durch solch eine grausame öffentliche Tat im Bewusstsein? Ist danach ein anderer Zustand herbeigeführt?
Absolut! Ein Schriftsteller in der Welt ohne Resonanz befindet sich in Isolationshaft. Auch wenn er im Gefängnis einsitzt, kann das der Fall sein. Wird er aber plötzlich von den Menschen beachtet, wenn auch negativ, so hat er seine schreckliche Einsamkeit und Isolierung durchbrochen – er ist sozusagen ausgebrochen und frei. Er hat eine andere Stufe erklommen – dass diese gleichfalls über kurz oder lang als Sackgasse empfunden wird, ist nicht auszuschließen, sogar wahrscheinlich, aber zunächst ein Mal irrelevant.
Langer Rede kurzer Sinn: drück jetzt endlich ab!
Jetzt stehen mir Schweißperlen auf der Stirn. Ich wische sie mit den Handrücken ab.
Du wankst also, ist festzustellen.
Plötzlich rutscht mir endgültig das Herz in die Hosentasche.
Nein, ich werde es nicht zustandebringen, einen Menschen zu töten, niemals nicht in diesem Leben. Fertig.
Das ist eine unverrückbare Tatsache, der du dich stellen musst.
Selbst angesichts dessen, was auf dem Spiel steht. Selbst ich mir mein Leben ruinieren werde mit meinem Wankelmut, brr, meinem Mangel an Courage. Sprich’s aus: meiner Feigheit!
So ist es!
Ich schweige.
Ich denke einige lange Sekunden überhaupt nichts.
Was dann, was nun, was tun?
Weniger schlimm ist, dass ich es nicht kann, sondern, dass ich es mir nicht eingestehen würde. Aber ich tue es!
Spielst Du wieder den Helden in Deiner Mutlosigkeit, was? Glück im Unglück, Hans im Glück! - Das kannst Du sehr gut vor Dir: immer das Positive aus den objektiv misslichen Umständen herauszulesen. Aber hier in dieser Lage hilft Dir das nichts.
Ich merke, dass ich wieder dort herauskomme, wo ich vor ein paar Minuten längst gewesen bin.
Du wirst es nicht tun. - Was anderes stattdessen kannst du aber dann machen?
Ich merke, die Verzweiflung nimmt Überhand, je länger ich über meinen Mangel an Zivilcourage und Konsequenz nachdenke.
So kommen wieder die falschen Gedanken. Schieß doch! Schieß doch! Schieß doch!
Plötzlich habe ich die Erlösung.
Lass es anderen machen. Andere sollen auf den Polizisten schießen, auf mich meinetwegen auch, aber du wirst keinen töten können. Denn du bist Schriftsteller! Wahrer Schriftsteller! UND SCHRIFTSTELLER LASSEN SICH LIEBER TÖTEN ALS DASS SIE TÖTEN.
Was mir dabei vorschwebt, impliziert entweder Getötet- oder Entwaffnetwerden und bei beide Male springt im Endeffekt das Gleiche heraus: Das Interesse der Bevölkerung, des potentiellen Lesers. Mehr will ich ja nicht!
Also Geiselnahme. Das bedeutet aber auch: Flucht von hier. Denn, muss ich schon ins Gras beißen, so soll es ein schönes Fanal werden, ein sensationelles, eines verkannten großen Schriftstellers würdiges, aufsehenerregender Event, in einem Umfeld, die eine Staffage und ein Set darstellen, das seiner würdig ist.

„Handeln!“, sage ich mir, „Handle!“
Ich drehe mich jetzt ein paar Mal um die Achse meines Körpers, zu sehen, auf welchem Stand der Dinge sich meine Gegenspieler befinden. Lauert bereits ein Sondertrupp martialisch bewehrter Robotniks von Polizisten vor der Tür, schwere Waffen im Anschlag?
Ich schaue in die Ecken der Zimmerdecke. Was, keine Videokameras – wie enttäuschend! Niemand hat meine Heldentat aufgezeichnet. Das wäre doch ein gutes Lehrbeispiel für zukünftige Polizistengenerationen. Daraus könnten sie doch lernen, Mensch.
„Handeln!“, sage ich mir, „Einfach handeln!“ und wende mich an den Vertreter dieser Gruppe, ihm mit der Knarre vor der Nase herumfuchtelnd: „Kommen Sie!“
Er zögert.
Ich werde ungehalten: „Kommen Sie schon!“
Ich packe ihn am Unterarm und ziehe ihn hoch. „Aufpassen!“, denke ich, „Auf das Mordinstrument aufpassen, sonst geht es unabsichtlich los,“
Ich stoße ihn zurück: „Bleiben Sie noch einen Moment sitzen!“, befehle ich und gehe zum Sekretär, ziehe den Gürtel mit dem Halfter aus der Lade und spanne ihn mir um die Hüften. Dann stecke ich zur Übung die Pistole rein und wieder raus. Gut, geht doch. Im Bedarfsfall ist das nötig, wenn ich sie verbergen und wegstecken will, dass das reibungslos und schnell geschieht.
So, jetzt können wir los.
Ich lasse den Polizisten vorgehen, die Knarre unter der Jacke verborgen, noch.

Als ich die Schall-Tür öffne, bedeute ich dem Sheriff zuerst rauszugehen. Wir befinden uns zunächst in einem leeren, hellen Gang. Ich stoppe, ich sehe links und rechts, ich sehe in jeder Ecke des Ganges, soweit das Auge reicht, Videokameras, Mist.
Sollten wir uns an den Wänden gedrückt durch den Gang bewegen?
Ach was: „Handeln! Handle jetzt! Egal, wie und was!“
Wir gehen weiter, indem ich den Polizisten vor mich herstoße, bis wir an der offenen Tür zur Sekretärin kommen. Sie sitzt wieder auf den Tisch gebeugten Rückens da und schreibt. Als sie aufschaut, erschrickt sie über den Anblick. Ich bedeute ihr unmissverständlich, Ruhe zu bewahren. Allmächtig hebe ich dazu meine Waffe hoch. Damit versteht sie und nickt. Wir gehen weiter.
Wir kommen zur Ausgangstür, gehen hinaus. Ein herrlicher Tag schlägt uns entgegen. Zu schade, um zu sterben. Aber was soll’s?
„Wo steht ihr Wagen?“
Der Polizist deutet vor uns auf die spitz zum Präsidiumsgebäude hinweisenden Parkplätze, und dort auf einen Bullenwagen. Für unseren Zweck ist es ja egal, ob Porsche, Ferrari oder VW, aber es müsste ja noch ein Privatwagen des Polizisten in der Nähe stehen.
Ich stoße ihn in den Rücken: „Ich meinte natürlich Ihren Privatwagen. Wo steht der?“
Doch diesen zu suchen, bleibt keine Zeit mehr.
Plötzlich blinken die beiden Warnlichter an den Garagen aus roten Ziegelgesteinen des Präsidiums rot auf und ein Rolleau-Tor rollt in die Höhe, aus dem ein Polizeiauto langsam herausschert. Die Vergitterung schließt sich automatisch hinter ihm, die Bremslichter leuchten auf, der Wagen stoppt. Er wartet, bis wir uns vorwärtsbewegen, um anzuschließen.
„Handeln!“, denke ich. „Handle, tu etwas, egal wie oder was!“
Und unterdessen habe ich der Geisel befohlen: „Los! Mach die Karre auf!“ Dabei stoße ich ihm den Lauf der Pistole in die Niere. Er öffnet unter Ächzen und Stöhnen hastig den Wagen, ich schubse ihn sofort weg, damit er auf der Beifahrer-Seite einsteigen kann, ich selbst werfe mich auf den Steuersitz.
Dann los.
Ich habe nichts anderes erwartet, bin nicht überrascht, als uns der Kamerad von der Grünen Minna dicht folgt, nachdem wir losgefahren. Ich schlage irgendeine Richtung ein, egal wohin. Ich kenne den Weg. Dort wo wir herauskommen, ist unser Ziel.
„Fahr los!“, befehle ich mir: Trotzdem, wie um mir selbst einen Ruck zu geben, tröste ich mich: „Irgendwo werden wir schon rauskommen!“
Allmählich komme ich wieder zur Ruhe, zumal das Fahren Spaß macht, trotz dichter Verfolgung. Es kommt noch ein zweiter, dritter Wagen hinzu, als wir schon aus der Stadt heraussind. Ich denke mir, ein Platz zum Sterben ist am besten außerhalb dichtbewohnter Bereiche, auf dem Land, in der Provinz, an den Wurzeln der Menschheit sozusagen, umgeben von Wäldern, Feldern und Wiesen - ach, was bin ich irgendwie komisch drauf, was ich da denke.
Egal. Es ist schön zu leben. Leider ist das Wetter weniger schön.
Die Luft ist schwül geworden, der Himmel zeigt eine graue Front. In der Ferne hört man verhaltenes Donnergrollen. Wahrscheinlich Platzregen steht uns bevor, so dass wir kaum mehr ein paar Meter weit sehen werden. Vielleicht noch Schlimmeres! Hagel?
Noch ist das Unwetter nicht da.
Außerdem, es kümmert mich nicht. Ich kenne den Weg genau.

Buch erhältlich unter:
http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.html

Zurück zu „Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 55 Gäste