Kritikerins Tod - Verhandlungen 33. Teil

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Pentzw
Kalliope
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Kritikerins Tod - Verhandlungen 33. Teil

Beitragvon Pentzw » 25.05.2013, 20:28

In welcher Lage befinde ich mich?
Ich stecke mitten in einer Entführung als Ausführender und Protagonist, dessen Sinn und Zweck sich überholt hat. Die Aufmerksamkeit, die ich erreichen wollte, habe ich in der Tasche. Zwar habe ich ursprünglich das Weggesperrtwerden wegen einer Lappalie, nämlich des Totschlags der Lehrerin, verhindern, nach dem Motto, wenn schon, denn schon und den gewaltsamen Tod der Kritikerin durch eine Entführung unter Beweis stellen wollen, auf dass ich einerseits so über eine ordentliche Bestrafung so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit katapultiert werde, um auf mich, auf mein Schriftstellertum aufmerksam zu machen. Aber, wen interessiert schon das Warum?
Durch diese spektakuläre Handlung einer Entführung stehe ich im Fokus der Aufmerksamkeit der Bevölkerung, denn alle Welt verfolgt das Geschehen, deren Mittelpunkt und Initiator ich bin, auf dem Bildschirmen, bis in den Wohnzimmern dieser Republik hinein. Ich darf mich bekannt wie ein bunter Hund wägen, als Geiselnehmer, aber auch als ein Schriftsteller.
Sicherlich, es ist nicht ganz berechenbar und vorhersehbar, wie mit letzterem Aspekt meiner Person umgegangen wird. Aber ich hege doch Zuversicht, dass man meine Bücher lesen wird. Dazu sind die Menschen zu neugierig. Auch zu verdorben. Alles Ungewöhnliche, je perverser, desto besser, zieht sie letztlich in den Bann. Mögen sie meine für den Durchschnitts-Bürger zu anspruchsvolle und zu hohe Literatur nach nur oberflächlichem Durchblättern gleich in ihr mickriges Bücherregal neben die Alkoholika stellen, aber doch werden sie sie stolz einem Party-Besucher zur fortgeschrittenen, feuchten Stunde präsentieren: schau mal, ein Buch von diesem Knallkopf da, na, du weißt schon, letzthin, der diese spektakuläre Entführung durchgezogen hat - mir egal, welchen Beweggrund die Auflagensteigerung meiner Bücher forciert.
Aber einige, wenige, auserwählte Leser werden es hoffentlich zu schätzen wissen, oder? – Schwer zu sagen. Ach, egal. Hauptsache, der Rubel rollt und ich kann mir ein schönes Leben leisten. Mehr braucht es nicht!? Genau, ich will den Luxus frönen, Reisen machen und mich in Spitzen-Hotels einbuchen, meine Visage aus den Illustrieren herausgrinsen sehen, dabei sein und high sein. So ungefähr. Mehr nicht. Oder? Ich weiß es momentan nicht. Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken.
Jedenfalls, langer Überlegung kurzer Sinn, ich könnte eigentlich jetzt die Entführung kanzeln, sagen, ich gebe auf, egal, wie ich dann dastehe. Inkonsequent! Macht nichts, wie gesagt, die Masse denkt sowieso, lesen wir mal seine Bücher, mag der Autor auch ein jämmerlicher Versager und Luser sein. Aber allein schon, weil er uns auf die Füße und auf den Schlips getreten ist, steckt vielleicht etwas dahinter. Was immer sie denken mögen...
Nun, die Entführung muss beendet werden, ich muss mich nicht zum Deppen machen, den Helden spielen, dass ich diese ernsthaft betrieben habe bis zu bitteren Neige. Ob Glaubwürdigkeit oder nicht, ich bin berühmt, ein gemachter Mann (höchstwahrscheinlich!) Und die Zeiten, wo es mir Spaß gemacht habe, die Bullen sich als rotes Tuch zu präsentieren und zu ärgern, um ihnen galant mit meinem Fahrrad über Wiesen, Wäldern, engen Gassen oder dichtbevölkerten Fußgängerzonen nur mehr meinen Allerwertesten zu präsentieren, sind auch vorbei. Außerdem hasse ich Wiederholungen.
Nur, da ist ein Problem.
Wie es anstellen, dass ich mich selbst dabei nicht opfere, im Verlauf der Entführungsaufgabe nämlich? Bislang mussten sie die anderen schützen, die mit mir im Auto sitzen, ansonsten wäre ich gewiss schon wie ein Sieb durchlöchert.
Aber weit gefehlt, dass diese Gefahr auszuschließen ist. Einige Scharfschützen warten ja nur auf eine Unachtsamkeit meinerseits. Also, heißt es, Bullen besänftigen, sie von meinem seriösen Willen restlos überzeugen, sonst, sonst gnade mir Gott.
Nur, lassen sie sich überzeugen?
Oder soll ich mich etwa absichtlich überwältigen, überrumpeln, reinlegen lassen – das Spiel spielen, hoppla, Polizist, jetzt hast du mich aber erwischt, obwohl ich es nicht wollte – nein, ein zu gefährliches Spiel! Das Risiko des Zu-Schaden-Kommens ist zu hoch. Widersetzlichkeiten werden mittlerweile gnadenlos geahndet. Das ist nicht mehr so wie vor einigen Jahren noch. Man liest allenthalben und immer wieder jetzt von Polizistentötungen.
Es ist klar: freiwillig die Waffen strecken, dieses Handtuchwerfen allerdings so arrangieren, dass die Polizei nicht im entscheidenden Moment die Nerven verliert. Und ich habe weiß Gott kein Vertrauen in die Professionalität dieser. Ist nicht letzthin erst ein Student von einem halben Dutzend von ihnen mit 20 bis 30 Kugeln wie eine tollwütiger Hund abgeknallt und hingerichtet worden? Dort unten in Regensburg zwar. Aber so weit weg ist das auch nicht.
Fuck mich, ich sitze ganz schön in der Scheiße.
Komisch, so eine Knarre verroht meine Sprache.
Nicht, dass ich nichts von der Polizei halten würde. Die einzelnen Polizisten, die ich wiederum kenne, sind schwer in Ordnung. Aber die oberen Chargen – da liegt das dicke Problem: arrogant, selbstgefällig und skrupellos. Oder aber treffen sich viele Polizisten, braut sich Schreckliches zusammen...
Ist auch egal, woran’s liegt. Du hast jetzt keine Zeit, Analyse und Kritik zu betreiben. Du steckst mitten im Dilemma, Hirnochse.
Plötzlich verharrt mein Auge auf einem Poster mit 10 Bildern, das da in der Auslage der Tankstelle hängt. Von links nach rechts in zwei Reihen Fotos von Menschen, ein Ermordeter nach dem anderen. Fast ausnahmslos sind sie Ausländer gewesen, außer beim letzten Getöteten, da hat eine deutsche Polizistin dran glauben müssen. Aber daraufhin hatten sie die Täter gefasst. Nach 9 Morden, das muss man sich vorstellen und versuchen zu verstehen? Schließlich fängt die Polizist die Täter erst, als aus ihren Reihen selbst eine herausgerissen worden ist. Wenn das nichts besagt?
Können Bilder lügen? Gute Frage...
Und ich, ich sitze hier mit einem Ausländer und einem Behinderten, nachdem ich einen dicken Fisch, den Polizisten, mir habe entwischen lassen. Bin ich nicht hirnverbrannt, dumm und leichtsinnig gewesen? Ich habe meine Chancen damit erheblich reduziert. Wer wird sich jetzt noch für diese Geiseln die Finger verbrennen, wenn es nicht unbedingt sein muss, Mann?
Aber vielleicht ist es wirklich nun auch ein Vorurteil. Leben wir nicht in einem sogenannten Rechtsstaat?

Plötzlich überfällt mich totaler Überdruss, ich bin diese Situation so etwas von Leid, mir gefällt das hier gar nicht, dieser Job mit der Pistole und dem ganzen Rattenschwanz, der sich dahinter herzieht: Polizei, Presse, Geiseln und und und. Ich würde lieber wieder einen Bleistift zwischen den Griffeln halten. Mensch, fühle ich mich jetzt gotterbärmlich einsam und verlassen. Ich möchte wieder nach Hause zu meiner Mami, kommt es mir in den Sinn, will heißen zu meinem Schreibtisch, Bleistift und Blatt Papier. Hier mal einen Blick in mein dichtbevölkertes Aquarium werfen, oder in die vom Wind flatternden Birkenblättern beobachten oder seinen Blick hinaus in die Weite der vorm Fenster sich ausbreitenden Feldern und Äckern schweifen zu lassen, mehr braucht’s nicht. Selbst als ich noch nicht berühmt war, war ich doch glücklicher als hier in meiner Rolle und Situation als Rambo, Gott-verdamm-mich!

Ich drehe mal am Radio, Polizeifunk, nicht schlecht, zu wissen, was der Feind tut.
Zunächst nur ein Gekrächze und Gepiepe, dazwischen Stimmen, die ich momentan nicht verstehen kann.
Aber mit der Zeit kristallisiert sich doch immer mehr Verstehen heraus.
„Wie viel Geiseln hat der Geiselnehmer?“
„Zwei?!“
„Um welche Personen handelt es sich?“
„Um den Tankwart, einen Behinderter.“ Räuspern. Immerhin, dieser Zusatz ist dem Blödmann wohl auch überflüssig erschienen. Nichtsdestotrotz hat er sie gemacht. Es wird sich herausstellen, leider, dass das seine Bewandtnis hat.
„Die zweite Person ist ein Kunde der Tankstelle. Ein zufällig dazugekommener. Der geflüchtete Polizist ist sich ziemlich sicher, dass es sich um einen ausländischen Jugendlichen handelt. Einen Türken, höchstwahrscheinlich!“ Räuspern. Scheinbar ist das auch wichtig.
„Nun, um den türkischen Jugendlichen brauchen wir uns nicht besonders zu kümmern. Türken gehören nicht zur Europäischen Union. Für diesen Personenkreis hat der deutsche Staat keine besondere Sorgfaltspflicht auszuüben...“, mischt sich irgendeiner ein, weiß der Teufel, was für ein Scharfmacher das wohl ist. Bestimmt Jurist.
„Nun, wenn Sie es sagen, Herr Dr. Dr. Meier-Huber!“
„Aber der Behinderte ist bestimmt deutscher Staatsbürger...“
„Wenn auch ein Behinderter!“, fügt noch ein Unbekannter ein.
Was soll das jetzt heißen? Ist ein Behinderter ein Weniger an Mensch, proportional zu seinen deformieren Armen und Händen oder wie? Und was hat das mit dem Staat zu tun?
Hm, so ein Contergangeschädigter kostet diesem natürlich auf Dauer eine Menge Kohle mit seinen Berufsunfähigkeits- und Rentenansprüchen. Weil Firma Grünenthal, die die Monsterpillen auf den Markt geschmissen hat, wird und muss bestimmt nicht diese horrende Rente für solch einen Geschädigten aufbringen.
Einerseits dieser teuere Behinderte hier und andererseits das mit dem türkischen Jugendlichen, das Mitglied einer Personengruppe, die ungerufen hierher ins Land gekommen ist und von daher keinen vollwertigen bürgerlich-rechtlichen Status innehat, ist nur in der Richtung zu verstehen, dass hier eine Für-und-Wider-Abwägung stattfindet, inwieweit eine Geiselerstürmung juristisch gerechtfertigt, gesellschaftlich wünschenswert und wirtschaftlich lohnenswert erscheint.
Fix den Fuchs, das ist ja der Oberhammer!
Aber lass mal Moral und Menschenrechte beiseite, denke ich, dann sieht es schlecht aus für Dich. Viel hast Du offensichtlich nicht in die Waage zu werfen mit Deinen Zweien. Die Zeichen sind ungünstiger für mich geworden, seitdem der Polizist Reißaus genommen hat.
Das heißt aber auch: der Wind hat sich gedreht und steht kurz vor einem Sturm. Die Stürmung ist also nur eine Frage von Minuten. Verdamm mich, ich muss mich schleunigst entscheiden.
Oder besser so tun als ob. Die Kojoten, natürlich. Machen wir, wenn nicht auf endlos sich hinziehende Verhandlung, so doch um solche sich dehnende, bis mir eine Idee gekommen ist.
Also winke ich den Oberkojoten zu mir her.
„Frage mal die Polizei, wie es aussieht, wenn ich kapituliere.“
Der Journalist schaut mich aufmerksam an. überlegt wohl, was das für die Freie Pressewelt oder besser für die Auflagenstärke seines Schmonzens-, Käse- und Revolverblättchen bedeutet. Mir egal, ich muss meinen Kopf aus der Schlinge ziehen, jetzt und bald, Hornochse.
„Das wir uns richtig verstanden haben. Ich gedenke, aufzugeben, ja, verstanden!“
Für diesen muss das glasklar sein, wenn er auch gerade Gegenteiliges wünschen mag insgeheim.
Aber für mich gibt es keine Alternative als aufzugeben. Es bleibt nur die Frage: wie soll ich das bewerkstelligen, ohne dabei den Kopf zu verlieren? Ein schießwütiger Polizist verliert die Nerven und knallt mich ab, als ich sogar gerade mit in den Himmel hochgestreckten Armen dastehe und mich ergeben will. Gerade so etwas ist nicht mehr auszuschließen. Und genau das muss vermieden werden bei den kommenden Verhandlungen.
Des Journalisten Blick verrät Enttäuschung. Kein Geballere mehr, keine hektische, spektakuläre Flucht, nichts in dieser Richtung, auweh – der schlechtestmögliche Ausfall, Vorfall und Wendung journalistisch gesehen, so eine vorzeitige Aufgabe des Geiselnehmers.
„Okay, wir haben uns verstanden. Übermittle mir die Umstände, wie ich mich ergeben soll, wie sich das die Polizei vorstellt. Sie soll mir diese mitteilen, damit sie auf der sicheren Seite sein können – und ich natürlich auch!“
Mann, mein Leben steht auf dem Spiel, das ist hier definitiv der gefährlichste Punkt: das sich Übergeben in gesicherte Polizistenhände. Wenn die nervös werden, losballern, um sich knallen, meine Fresse. Meine Geiseln scheinen dabei ohnehin keinen Pfifferling wert zu sein, es geht einzig allein um die öffentliche Ordnung. Bestimmt wären die Bullen am liebsten wieder alle nach Hause abgezogen. Aber das geht natürlich nicht, Geiselnahme ist Geiselnahme und das ist ein Verärgernis, Ärgernis oder Hervorrufung von Ärger der öffentlichen Ordnung oder so.
Ja, darüber bin ich mir im Klaren, es geht nur noch um die Ordnung. Menschenleben spielen dabei keine Rolle. Aber meins ist mir noch wichtig. Abgesehen, dass ich ein großer Schriftsteller bin und auch einen hohen Stellenwert in der wenn nicht materiellen Gesellschaft, so doch auf geistigen Gebiete innehabe. Wobei auch dies bloß ein gering zu veranschlagender, gen Null tendierender Faktor in der aufgestellten Formel der Ordnungshüter sein dürfte.
Aber, wir werden jetzt sehen!
Es dauert und es zieht sich die Verhandlung des Journalisten mit der Polizei ungemein lang hin. Ich muss auf der Hut bleiben, das ist verdächtig, nicht dass die mich plötzlich aus düsterem Schatten so von hinten überwältigen wollen in dieser besonders heißen Phase der Entführung.
Vorsichtshalber ziehe ich meine Knarre und blicke hinter, vor und seitlich um mich.

Der Journalist kommt endlich herüber
„Sie müssen zuerst alle Geiseln freilassen. Dann die Pistole aus dem Auto werfen. Schließlich mit erhoben Händen daraus hervorkommen. Dann passt’s!“
Ha, dass ich dann problem- und reibungslos abgeknallt werden kann von diesen Schießwütigen, darauf dürften die doch bloß warten. Nein, ohne Unterpfand, ein Schlupfloch, zeig ich mich nicht auf dem Präsentierteller, da muss schon noch etwas in der Hinterhand sein, wenn ich aufgeben soll.
Dies versuche ich dem Kojoten zu verklickern. Ich schlage vor, die Reihenfolge geringfügig zu verändern. Ich komme zuerst heraus, dann dürfen sie mich in Ketten legen, schließlich sind dann erst die Geiseln wieder frei. Die Polizei steckt in keinerlei Gefahr, denn ich habe ja zuvor die Waffe aus dem Gefährt weit genug weg davon geworfen. Und zwecks Sorge, noch eine zweite Pistole in Petto zu haben, wird der entflohene Polizist bestätigen können, besteht kein Anlass.
Ich lehne mich daraufhin zurück, weil ich mir sicher bin, dass die Cops darauf eingehen werden, ja müssen. Ich schnaufe richtig stark durch. Endlich ist der Alptraum ausgeträumt.
Unterdessen verhandelt der Journalist.

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