Die Niederlassung - Flucht in ein Tal VIII.

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Pentzw
Kalliope
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Die Niederlassung - Flucht in ein Tal VIII.

Beitragvon Pentzw » 24.06.2013, 21:11

Wie zu erwarten hatten sie keine Ruhe vor den Männern jenseits des Flusses, von denen ihre neuen Frauen stammten - sie überwanden ihre Barrieren, in die Irre gelegten Wege und Pfade, dass es nur mehr entmutigend und hoffnungslos war. Ohnehin, was Krixl wusste und ahnte, war es eine Frage der Zeit gewesen, dass jener Stamm die blockierte Schlucht, das große Haupthindernis, umgehen konnten und würden. Jene überquerten nachts den Strom mit flotten Kanus, Einbaum-Booten und schützenden Sträuchern und nahmen einen Umweg, um die herabgerollten Steine und Blöcke zu umgehen. Für die Diesseitigen war damit auch der Zugang zum großen länglichen Polypen blockiert - ein wichtiger Pfad, was hieß: kein leicht zu erbeutendes Frischfleisch mehr. Es war die Quelle zum Fischen versiegt!
Zwar hatten sie die Eindringlinge zurückgehalten, aber nur kurzzeitig und vorübergehend.
Nun kamen sie ihnen immer näher, waren auf ihrer Spur, standen kurz vor dem überraschenden Eindringen – was ein unerträglicher Zustand war und bildete.
Unterdessen waren sie nicht untätig gewesen. Der neue Häuptling, Krixl, seine Leute warnend, redete ihnen nimmermüde ins Gewissen, sich darauf vorzubereiten, eines Tages ihre gewohnte, geliebte Höhle und Umgebung zu verlassen. Schwer vorstellbar - weil sie schon immer hier lebten, ihre Vorfahren, ihre Vor-Vorfahren... Wenn es schon sein sollte, mit welchem Land und unter welchen Bedingungen sollten sie ihre gewohnte Heimat eintauschen? Dies würde einem blinden Vortasten und Vordringen in eine totale Finsternis und dunkle unendliche Höhle gleichkommen, dem sie keiner freiwillig stellen will. Nur Krixl war sich darüber im klaren, dass es so kommen müsse.
So hielt er sie unnachgiebig zumindest dazu an, Vorräte anzulegen: Pilze, die man trocknen, Beeren, die man einlegen und Fleisch, das man räuchern und aufhängen konnte, und zwar soviel wie sie nur zusammenbrachten. Sie würden viel Nahrungsmittel brauchen für die lange, ungewisse Reise, die eines Tages beginnen musste, dessen war er sich sicher, schließlich würde der Feind doch einmal kommen. Die Konsequenzen würden eben die sein, das Land verlassen zu müssen. Dies war eine Vorstellung, die für seine Leute schrecklich und voll der Angst besetzt war.

Leider bewahrheiteten sich seine Ahnung rascher als ihm lieb sein konnte. Späher kündeten eines Tages das Nahen des fremden Stammes mit dem großen Hünen an. Zwar kannten sie die Umgebung weitaus besser als die Eindringlinge, versteckten sich geschickt und unsichtbar, um jene zu irritieren mit aus dem Hinterhalt erfolgenden Anschlägen. Das kam Mückenstiche gleich. Es wurde schnell absehbar, dass dieser Zustand nicht andauern konnte, schließlich waren die anderen in einer überwältigenden Mehrzahl. Wie eine nimmerverendende Quelle strömten unentwegt neue Stoßtrupps in ihr Gebiet. So wurde es Zeit.
Die Männer verstanden nun auf einmal das emsige Horten von Nahrungsmitteln. So sich in einer viele Wochen dauernden Sicherheit wiegen könnend, was wenigstens das Essen anbelangte, entschlossen sie sich, ihre bisherige Bleibe zu verlassen. Eines Morgens brachen sie auf. Allesamt. Frauen, Männer, die Frischlinge, wie sie die Neugeborenen nannten, die sie auf ihre Rücken banden wie die Säcke mit Proviant, Wegverzehr und Vorrat.
Am Aufbruchstag hatte es zuvor schon vierzehn Tage geregnet. Überall herrschte Nässe und Schlamm bis zu den Knöcheln eines Mannes hoch. Feuchtigkeit allüberall. Der Polyp Wasser, der mit seinem Tentakeln, Greifarmen und Gliedern vom Berg herab in ihre Höhle sich wand, schlängelte und unaufhaltsam rann, hatte davor eine riesige Lache gebildet. Es war absehbar, sie würde bald so angeschwollen sein, dass sie auch nicht mehr vorm Höhleninneren Halt machen und dahinein vordringen würde. Insofern konnten sie etwas leichteren Herzens diese Bleibe ver- und zurücklassen, glaube man jedoch nicht, es fiel ihnen leicht. Was bereits seit Menschlingengedenken Mittelpunkt darstellte, konnte kaum leichten Schulters aufgegeben, zurückgelassen und abgeworfen werden. Die Rucksäcke, die Tragebahren, die Gepäcksstücke standen jedoch bereit und so setzte sich ein Tross von traurigen, bangen und hoffnungsvollen Wesen in Bewegung – in Richtung wo auch immer hin. Die vermeintlich leichteste Route und die jeweilige Beschaffenheit des Landstriches würde ihr Kompass sein, den Weg bestimmen und ihren Pfad öffnen und was hinter dem nächsten Berg oder Horizont sich befand und auf sie harrte, wusste keiner. Aber sie mussten los.

Es war beschwerlich: Berg auf Berg, Hügel nach Hügel, Fluss auf Fluss, Trocken- auf Feuchtgebiet, Wiesengrund auf endlose Ebene wurden wir ansichtig und durch- und überquerten wir.
Die Bahren, die wir hinter uns herzogen, waren schwer mit unseren Habseligkeiten bewehrt. Einige Male blieben wir mit ihnen im morastigen Sumpf stecken oder in wasserdurchtränkten Feldern und Wiesen. Ein anderer Mal hätten wir unsere beschwerlichen Habseligkeiten am liebsten stehen- und liegengelassen, wenn die Sonne nicht aufhören wollte zu scheinen und sich keine Wolken erbarmten, diese zu bedecken. Dann sehnten wir uns nach Regen, so wie wir ihn verdammten, wenn er wiederum nicht aufhören wollte, Nässe auf die Erde zu schütten.
Auch hatten wir mit den wildesten, unbekannten Tieren zu kämpfen. Manche waren zwar gefährlich, wie die, die uns ähnlich sahen, Affen nannten wir sie, wenn sie in Scharen um uns herumlungernden und versuchten, das ein oder andere Essbare zu stibitzen. Die Gefahr steigerte sich sogar, standen wir unvermutet und plötzlich einer Büffelherde auf ihren Routen im Weg und gegenüber. Vor den ganz gefährlichen Raubtieren fürchteten wir uns weniger, waren wir ja in Gemeinschaft. Vor allem vorm Feuer hatten diese Angst, welches wir mittlerweile gut beherrschten.
Mit welchen Gefahren und Unwägbarkeiten also die Flucht begleitet war, müsste ausführlicher und längere Zeit in Anspruch nehmend geschildert werden. Die Erzählung mag sich aber dahingehend beschränken, dass wir den Verlust von zwei Frischlingen, einer Frau und einem Mann zu beklagen hatten, die Opfer von wilden Tieren, schlechtem Wasser, Unternährung oder körperlicher Überbeanspruchung wurden. Entscheidend war doch, dass wir in ein Land, ein riesiges Tal gelangten.

Eines Tages standen Brüllixsohn und ich auf einem hohen Felsen. Wir waren unserem Tross vorangegangen, spähen nannten wir das, auszukundschaften, wie am besten die ganze Meute vorankommen könnte.
Brüllixsohn deutete erregt, als wir am höchsten Punkt standen, nach abscheulichen Vögeln, die unbeirrt über einen fixierten Punkt unterhalb ihre Kreise flogen und beschrieben.
Er bewegte dazu aufgeregt seinen Bogen, hin- und herschunkelnd, weil er wohl von Jagdfieber geschüttelt war, oder was? Nein, krank war er nicht, es war erstaunlich logisch und vernünftig, was er da behauptete.
Er stieß die Vermutung aus: Wo diese waren, die totes Getier verzehrten, mussten viele Tiere sein. Tiere waren Nahrung.
Ich war über Brüllixsohn Schlussfolgerung erstaunt, sie erschien mir richtig, ich wäre nicht darauf gekommen. Er war eben ein Jäger.

Als wir diesen verheißungsvollen Ort erreicht und gefunden hatten, der unseren Vorstellungen entsprach, gelangten wir an dem Punkt, an dem wir uns sagen mussten: das ist der Ort, wofür wir alle Strapazen, alle Hoffnungslosigkeit, alles Liebgewordene und Gewohnte zurückgelassen haben. Umkehr war nun ausgeschlossen und neue Zuversicht besiegelt. Zwar erwogen einige unserer Leute sogar, wieder zurückzukehren, woher wir kamen, weil sie Sehnsucht nach unserer wohlausgebauten Höhle hatten, die ihnen auf dem offenen Feld und unbekannten Lagern so sehr fehlte. Aber was würde das bedeuten? War es nicht so, dass wir damit rechnen mussten, dass der Feind erneut kam? Nein, einen Weg zurück gab es nicht mehr. Vor uns lag ein Berg von Arbeit, das wohl. Aber wir mussten uns ihm stellen, woran kein Weg vorbeiführte. Wir mussten uns einer neuen Situation, neuem Land, neuen Umständen, kurzum einem völlig neuem Leben stellen. Dieses Tal in einem Kreis von großen Bergen sollte es sein!

Es schien und erwies sich schließlich auch als richtig, dorthin den Fuß zu wenden. Alles sprach dafür, dass es sich um ein fruchtbares, wildgesegnetes Gebiet handeln könnte, was sich schließlich auch bewahrheitete.
Brüllixsohn und ich kundschafteten zunächst hier dieses Ort, der sich glücklicher- und günstigerweise als weites Tal zwischen es begrenzenden hohen Bergerhebungen herausstellte, aus. Was wäre schließlich, wenn bereits dort andere Stämme hausten? Unausdenkbar! Schrecklich! Alle Hoffnung zunichte! Oh, nein!
Wie lähmend diese Vorstellung für uns zunächst war, wenngleich sie sich glücklicherweise, nachdem wir uns vorsichtig an das Objekt der Erkundung heranbegeben hatten, als unbegründet und nichtig erwies. So war es, und es war unglaublich schön, erfreulich und unausdrückbar, als sich alle unsere flatternden Nerven, flirrenden Ängste und schaukelnden Gefühle, die mittlerweile mit uns üblen Schundluder trieben und uns beutelten, als unbegründet herausstellten.
Mit der zunächst gebotenen Umsicht und Sorgfalt, jeden Schritt im voraus planend und jeden als Versteck dienenden Baumstamm und Strauch mit argwöhnischen Augen fixierend und taxierend, hatten wir das ganze Tal nach einigen Tagen vollständig zu unserer Befriedung auskundschaften, erforschen und durchmessen können. Immer tiefer und freudiger seufzten wir dabei aus. Ja, ja, es war unbewohntes Gebiet! Und so gerieten sie mit jedem Schritt an Erkundung in einen immer stärkeren Glücksgefühlszustand.
Sogar ein paar Quellen sprudelten aus den Steinen – so war für Frischwasser gesorgt. Höhlen enthielten auch die Berge und Steinhügel – so war für Behausungen gesorgt. Wald und kleinere Bäche – so war für Schutz, Jagd- und Sammelgebiet gesorgt. Die umfriedeten Berge sorgten für wünschenswerte Schutz und Abgeschlossenheit – niemand würde eindringen können, ohne von uns bemerkt zu werden, da wir an den zwei Eingängen des Tales Behausungen und starke Männer ansiedeln würden.

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