Die Niederlassung - Gelobtes Land und Treue IX.

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Pentzw
Kalliope
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Die Niederlassung - Gelobtes Land und Treue IX.

Beitragvon Pentzw » 25.06.2013, 21:26

Aber zunächst machten sie einen verhängnisvollen Fehler, der ihr späteres Leben tiefgreifend prägen sollte.
Abends gelangten sie völlig erschöpft und verausgabt mit der ganzen Meute, Frauen, Männer, mit drei Frischlingen mittlerweile in dieses Tal, vielmehr zunächst bis zum Eingang. Davor waren merkwürdigerweise solche Bäume aufgestellt, die Früchte trugen, die selbe Sorte, die ihnen immer wieder ein Stück weit ihres Weges begleitet hatte, der nunmehr bereits einen Mondaufgang umfasste.
Herbst, wie sie diese Jahreszeit nannten, war es: die Blätter, gelb und rot, fielen auf dem Boden herab, umfassten diese Frucht-Baum-Stämme mit einer dicken Decke sozusagen, und auch durch die herabgefallenen, faulen Früchte, von ihnen als Äpfel betitelt, bildeten eine derartig weiche, nachgiebige Schlafunterlage und Bettstätte, dass sie sich sofort darunter legten und bis zum Morgen durchschliefen und –schnarchten. Den Gestank nach Moder empfanden sie als wundersames Schlafmittel-Balsam. Und morgens konnte man sich die herrliche, wenn auch meist faule Frucht in den Mund stecken, ohne sich körperlicher Anstrengungen unterziehen zu müssen, etwas Essbares zu organisieren – herrlich!

Krixl hatte sehr unruhig geschlafen und das hatte seinen realen Grund. Diesen Augenblick, als er die Augen aufschlug, wird er niemals vergessen. Zunächst rieb er sich dieselbigen noch, nicht nur von der Sonneneinstrahlung herrührend, als vielmehr des Anblicks wegen: Ein leerer Platz dort, wo sie abends, völlig erschöpft unachtsam die Frauen hatten platziert, ohne die nötige Vorkehrung, ihnen die Fesselung anzulegen getroffen zu haben. Dieses Lässligkeit den Frauen gegenüber würde ihnen noch teuer zu stehen kommen, wenn auch in ungeahnter Weise.
Aus Unachtsamkeit, der Erschöpfung und der Freude über die neue Bleibe und Heimstatt wegen hatten sie also versäumt und vergessen, am Abend erneut den Frauen ihre Fesseln zu knoten und zu binden. Ja, sie hatten ihnen bis gestern jeden Tag Stricke umgebunden, aus Angst, sie würden entfliehen und Reißaus nehmen bei günstiger Gelegenheit, welche Furcht sich jetzt bestätigte. Hatte jemand die keifenden, widerspenstigen und kratzbürstigen Frauen flüchten, sich ausscheren und versprengen gesehen - mitnichten!
Krixl kratzte sich am Hinterkopf. Doch, er, als er geschlafen hatte, als er meinte schlecht geträumt zu haben, da hatten sich die Gazellen-Affen beraten, getuschelt und klammheimlich davon gestohlen.
Wie beschämend für die Männer! Und vor allem für die Jäger unter ihnen! Dieser schlief eigentlich nicht, er lag halbwach im Schlaf, gewärtig im Ohr, Nase mit allen Sinne außer dem Augen Geräusche, Gerüche, Bewegungen, alles, was aus der Reihe tanzte und ungewöhnlich anmutete, wahrzunehmen, was sofortiges Erwachen zur Folge hatte. Mitunter schreckten die Jäger ein paar Mal des Nachts auf deswegen, was nicht ungewöhnlich war, mussten sie doch ohnehin Herbst und Winter das Lagerfeuer mit Holzscheite neu befeuern. Zwar war es Herbst, aber zum Entfachen eines Lagerfeuer hatten sie keine Zeit gehabt und das war Grund mehr, dass sie überhaupt nicht aufgewacht waren des Nachts, was nur auf den extremsten und schlimmsten Erschöpfungszustand hinwies, den sie je erlebt hatten und überhaupt denkbar war.
Aber nunmehr hatte sich das Schlimmstmögliche, was sie sich ausdenken konnten, ihre wertvolle Beute, ihr frisches Blut, die verbissen geliebten Frauen in die Flucht geschlagen, aus dem Staub gemacht und im Tal unerkannt verstreut.
„Wie die Gazellen“, dachte Krixl ironisch, wobei das so widersinnig jetzt nicht erschien, da sie sich so rasch und agil wie die Namensvettern verabschiedet und verflüchtigt hatten.
Fassungslos schauten noch immer die meisten in die große Senke des weit sich erstreckenden Tales hinab. Nichts rührte sich darin, außer ein paar Vögel-Gezwitschere, einigen Lux-Schreien und Hyänen-Gebelle. Gerade im Moment sahen sie, wie auf dem Gipfel eine sehr hohen Baumes eine Vogelschar aufgescheucht wurde, begleitet durch einen Schwall und Sternenregen von Wasser, die diese mit aufwirbelten. Aus der Ferne kam ein Falke mit ungeheuerer Geschwindigkeit auf diesen Gipfel und diese Vögel zugesaust, verfehlte den Wipfel, natürlich absichtlich und sauste mit noch größerem Tempo sicher durch die darunterhängenden kahlen Äste gen Boden. Dann verlor sich die Sicht auf ihn.
Nur dass nicht des Säbeltigers Gebrüll in dieser Natur-Symphonie hörbar war, konnten sie beruhigen. Vor diesem hatten sie am meisten Furcht. Schnell, agil und scharf war dieser Tiger mit seinen langen Säbeln vorne am Maul. Wohl hatten sie ihm wegen noch kein Opfer beklagen müssen, doch war es oftmals zu sehr brenzligen Situationen während sowohl ihres stehenden Daseins in der Großen Höhle als auch in Laufe des Wanderdaseins gekommen. Doch stets vermochten sie ihn bislang kraft lautstarker Lärmverursachung in Schach halten, zurückweichen und schließlich die Flucht ergreifen sehen.
Genauso wie die Frauen hatten der Säbeltiger sich verhalten müssen. Nur dass die Frauen absichtlich und gewollt die Flucht ergriffen hatten.
Krixl fasste sich als erster: „Ach, lasst sie laufen. Sie können uns nicht entkommen. Wir wissen doch, dass dieses weite Tal mit seinen hohen Felswänden keinen weiteren Ausgang mehr hat als den, wo wir gerade stehen.“ Er musste ja wissen, was er gemächlich aussprach und nonchalant behauptete, als Späher mit Nullix zusammen hatte er diesen Umstand ja schon ausgekundschaftet.
Trotzdem. Vermeidbar ist es gewesen. Mit allem musste gerechnet werden, mit Dingen, die die Späher eventuell übersehen und nicht mit einberechnet hatten.
So saß die Angst saß tief in den Knochen.
Es wiederholten sich die Selbstvorwürfe im Laufe des Tages: Wie hatten sie es geschehen lassen können, tatenlos zusehen können, wie sich diese neuen Frauen schreiend und befreit im Tal verstreuten, wenn sie es denn gesehen hätten!?
Wie auch immer, der Fluß strömte weiter.
Inzwischen verkrochen sich die Frauen nach Belieben in kleine Höhlen in den Felswänden, das heißt, nahmen sie regelrecht in Beschlag, indem sie sich darin einnisteten und nach außen hin mit Ast-, Busch- und Holzwerk abschirmten, wozu, wussten keiner noch. Dies blieb nicht das einzig Merkwürdige, denn es war nicht so, dass sie sich vereint in einer Höhle festsetzten, also mehrere Frauen in einer, auch wenn sie noch so groß war, wie sie, die Mitglieder des Urstamm dies wohl getan hätten. Nur immer eine Frau tat das, dass sie eine Höhle für sich in Anspruch nahm und dies so begierig, eifersüchtig und ausschließlich, dass keine andere ihrer neuen Behausung zu Nahe kommen durfte.
Wie konnte das sein? Hatten sie denn kein Stammesleben gehabt? Oder wollten sie keines? - Sie wollten also nicht wie sie, die Männer, das gerne taten, zusammenleben? Was waren das für „Wesen“ oder „Tiere“ oder „Was-auch-immer“ überhaupt?
Brüllixsohn bekräftigte erneut seinen Verdacht, dass es sich hier unmöglich um „Menschlinge“ handeln konnte, sondern, wie sie auch aussahen, um jene Mischung aus Affe und Gazelle, von dessen Wahrnehmung er zu Anfang ihres Kennenlernens und unmittelbar nach ihrer Gefangennahme bereits gesprochen hatte.
Dabei war dieses Verhalten nicht einmal das besonders Eigenartige. Ach hätten sie nur gewusst, welche Katastrophe ihre Nachlässigkeit an jenem Abend im aufziehendem Herbst nach sich ziehen würde, nicht so leicht hätten sie sich dem Meister Schlaf und der Frau Erschöpfung ergeben, sondern wachsam ein Auge auf ihre neuen Frauen geworfen, sie geknebelt und gefesselt, wie sie es verdienten, Malefix.

Treue

Das, was so unglaublich war, war, dass die Frauen dazu übergingen, sich ihre Männer auszuwählen. Ja, sie bestimmten, mit wem sie ihre Höhle teilten, nicht wir, die Urväter, der Haupt- und wahre Stamm! Dass sie dies fertigbrachten, war nur ihrer ungeheueren Geschicklichkeit und Planbarkeit zuzuschreiben, welche sie an den Tag und an die Nacht legten, muss man leider schon sagen, und uns völlig überraschte und an der Nase herumführte, dass es unserer Würde absolut unangemessen und schädigend ankam. Aber was konnten wir schon dagegen tun. Während der unheimlichen Vorgänge bereits, fühlten wir uns, als hätte man uns Hände und Füsse gefesselt, wie wir es mit unseren Frauen bislang auf unserem langen Weg zu tun pflegten. Aber erst lange im Nachhinein mussten wir resigniert dieses Handeln und diese durchtriebene Handlungsweise als solche Bezeichnung am besten treffend kategorisieren, wo die Würfel bereits gefallen war, oh Malefix!

Was also ging so Unheimliches vor? Was, das wir nur so mit den Ohren schlackerten, den Kopf schüttelten und den Bauch verkrampft hielten, weil wir nicht wussten, was das alles sollte?
Wir saßen gerade um unser großes Lagerfeuer, das am Anfang der Schlucht aufgetan worden war, damit wir eventuelle Eindringlinge und Verfolger davon abhalten konnten, in unser friedliches Tal einzudringen. Wer wusste, ob uns nicht ein anderer Stamm, andere „Menschlinge“ oder „Affen-Gazellen-Wesen“ aufgespürt, entdeckt und belauert hatten, dass wir uns noch lange nicht sicher und mit einer festen Bleibe belohnt, gesegnet und beschenkt fühlen durften.

Es war schon Abend, der Tag hatte sich gerade verabschiedet.
Da kam Brüllixsohn, ein gestandener Mann bedenke man, heulend vor Schmerz zu uns Männern gerannt. Was er erzählte, klang unglaubwürdig, angesichts dieses Hüne von einem Mann. Aber doch, er klagte darüber, dass ihn eine Frau gekratzt, gestochen und brutal abgewehrt hatte, als er bei ihr Beischlaf hatte finden wollen.
„Am liebsten würde ich sie umbringen. Was haltet ihr davon?“, stampfte er mit den Füßen auf, so dass Staub aufwirbelte und sein Speer fuhr in den trockenen, krustigen Boden.
„Nein, nein. Du weißt, wie wenig Frauen wir haben! Das können wir uns nicht leisten!“, schlichtete Krixl, die Arme erschrocken in die Höhe gereckt. Das war eine sehr eindringliche Geste, die über den Ernst der Aussage keinerlei Zweifel übrigließ.
„Stimmt!“, räumte Brüllixsohn schließlich ein.
Alle Männer waren amüsiert. Der große Mann hatte sich von einer kleinen Frau in die Schranken weisen lassen! Das war doch zum Totlachen. Es war ihnen zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar, dass diese kleinen Frauen derartig widerspenstig, zäh und willensstark sein konnten. Aber darin sollten sie sich noch ganz gehörig täuschen.
„Also, was hast du ihr angetan?“, rief Wullix lachend, während das Gelächter der anderen wieder abgeebnet war. Er hatte ja gut Lachen, weil ihm diese Frau gestern bereitwillig und liebevoll bei sich in ihrer Einbuchtung aufgenommen hatte. „Zu mir war sie gestern Nacht ausgesprochen nett gewesen!“, sagte er süffisant und zwinkerte mit den Augen in die Runde.
„Nichts, wirklich nichts!“, schwor Brüllixsohn auf seinen mächtigen Vater, den legendären Häuptling.
Es musste also gestimmt haben, was Wullix berichtete. Die Frauen konnten sehr stark, widerspenstig und durchsetzungsfähig sein..
Wir waren ratlos. Es war so widersprüchlich: heute ist diese Frau lieb und brav, morgen wütend und garstig. Was steckte dahinter? Was führte dazu, dass sie verstimmt waren: Was war die Ursache dafür, dass sie erheitert waren? Rätsel über Rätsel.
Wir seufzten ratlos und eingedenk unserer verbrannten Frauen, die im Gegensatz dazu berechenbar, zugänglich, freundlich, willfährig und immer nett waren. Da gab es überhaupt keine Streitereien und Gezänke, wegen nichts, wirklich kaum etwas.
Krixl, wieder einmal Krixl, kam auf eine absonderliche Idee. Aber dafür war er ja schon bekannt, genauso bekannt, dass seine komischen Vorschläge Erfolg zeitigten. So wurde auch dieser Vorschlag befremdlich aufgenommen. Er gebot den friedfertig Behandelten, zu dieser Frau noch einmal hinzugehen.
Müllix, wohl noch immer schmunzelnd über den erbärmlichen Brüllixsohn, kam doch etwas ins Schwitzen bei diesem Gedanken. Wer weiß, ob sie ihn nicht auch jetzt so behandelte wie sie Wullix behandelt hatte. Ach, diese Frauen waren doch unberechenbar. Da aber Krixl drängte und nicht locker ließ, fügte er sich. Dabei ahnten wir nicht, was in den Frauen vorging, Meixis ging aber am nächsten Abend sehr zögerlich, aber immerhin doch los.
Wir anderen lachten darüber, als er wegwar, weil wir bald mit einem furchtbaren Geheule und Geschreie rechneten, aber als nach einer ganzen Perlenkettenzeit das Tal so friedlich blieb wie immer, verstummten wir doch und wurden nachdenklich. Erstaunlich, unglaublich, wer hätte das gedacht: er kam nicht mehr zurück an diesem Abend bis in der Frühe.
Zunächst vermuteten wird, dass dieser Mann vielleicht besonders beliebt war bei den neuen Frauen. Als er aber des nächsten Abend genauso heulend und verkratzt von einer anderen Frau zurückkehrte, verfielen wir in langes Grübeln.
Was steckte dahinter?
„Nein, das Schreien der Frauen bedeutet nicht Angst. Die Frauen fürchten sich keineswegs vor uns.“, behauptete Krixl. „Was aber dann?“, riefen wir bestürzt. Es musste stimmen, denn der Mann wurde ja in der ersten nicht zurückgeschlagen, sondern freudig aufgenommen. Was bedeutete es aber, dass er in der zweiten Nacht von der zweiten Frau zurückgestoßen worden war?
Es konnte doch nicht sein, dass Frauen einmal von diesem Mann in Panik gerieten, beim nächsten wiederum nicht.

Krixls Stunde war wieder einmal gekommen. Er hielt eine lange Rede, die sehr verwirrend und kompliziert war. Er hatte auch kaum dafür Ausdrücke, für dieses so seltsame Verhalten der neuen Frauen. Der Sinn seiner Rede war folgendermaßen:
„Frauen wollen irgendeinen Mann, einen bestimmten. Keine Frau will keinen Mann mit einer anderen Frau teilen. Kein Mann durfte also einmal mit dieser Frau, dann in der nächsten Nacht mit einer anderen Frau schlafen. Jeder Mann durfte nur mit einer Frau schlafen. Frauen wollten nur einen Mann und jeweils einen bestimmten.“
Es entstaunt ein Raunen unter uns. „Eigenartiges Verhalten. Unglaublich!“, stießen wir aus. Aber was blieb uns übrig. Wir akzeptieren es schließlich, was sollten wir schließlich anderes tun? Wir nahmen uns vor, es hinzunehmen. Vielleicht konnten wir etwas bei günstiger Gelegenheit dagegen unternehmen. Abwarten.
Nur, welchen Namen sollten wir der ganzen eigenartigen Verhaltensweise der Frauen geben? Da wir das alles nicht kannten, hatten wir auch dafür kein Wort. Krixl nannte es in seiner Rede „Treue“.
Dieses Wort verursachte stets lustige Erinnerungen, nämlich das kindliche Geheule dieses wirklich hünenhaften Mannes, wie er aus dem Zwielicht kam und wir kaum unseren Augen trauten. So lachten wir jedes Mal, sobald dieses Wort fiel, aber ob aus Freude oder Wehmut, sei dahingestellt.

Danach verhielt sich jeder dementsprechend. Jeden Abend ging der Mann zu seiner jeweiligen Frau, die ihn schon erwartete. Krixl hatte also recht gehabt.
Dass dies Verhalten von Frauen so wichtig, bindend und streng gehandhabt wurde, ersah man daran, dass es eines Tages sogar passierte, dass sich zwei Frauen gegenseitig angriffen, weil ein Mann den anderen Mann verletzt hatte und der Verletzte derjenige Mann der Angreifenden und der Verletzende derjenige Mann der Angegriffenen war.
So weit ging also Treue gar. Unglaublich!
Dieses Treue-Verhalten ging uns wirklich gegen den Strich. Wenn die Frauen so sehr an ihren Männern hingen, was konnte man aber dagegen tun? Uns gingen die Augen nur langsam und mit der Zeit auf: nichts.

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