Die Niederlassung - Wozu "Schulen"? XV.

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Pentzw
Kalliope
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Die Niederlassung - Wozu "Schulen"? XV.

Beitragvon Pentzw » 31.07.2013, 21:14

Adele kommt zu Krixl gelaufen und weint.
„Was ist geschehen?“
„Ich soll in die „Schule“ gehen. Aber ich weiß überhaupt nicht, was das ist, eine Schule? Weißt Du das, Vater?“
Krixl kratzt sich am Kopf, räuspert sich, denn es ist ihm unangenehm, etwas nicht zu wissen, spricht, schlingt und schlängelt sich in der Weise heraus: „Warte bis zum Abendessen!“
Adele ist das zwar nicht recht, aber Krixl, der Vater, ist Ihr Autorität genug, damit sie sich bis dahin begnügt, abwimmeln lässt, es vor sich herzuschieben und sich hinanzustellen vorübergehend.
Krixl macht sich bei Brüllixsohn unterdessen kundig. Brüllixsohn ist mittlerweile wie selbstverständlich der Mittler zwischen den Neuen und dem Stamm geworden, deswegen vor allem, weil der als Erster, Drängenster und Eilfertigster sich in das Erlernen der Schrift geworfen hat.
Brüllixsohn erklärt es ihm. Vielmehr versucht es.
„Nun, Schule ist eine Versammlung von Menschen an einem Ort, wo sie sich regelmäßig versammeln!“
„Und? Wozu versammeln sie sich?“
Hauptsächlich deswegen, um über die Pergamente zu grübeln.“
„Zu grübeln?“
„Halt die Schrift zu erlernen!“
„Wie Du!“
„Wie ich!“, sagt Brüllix stolz.
„Hast Du das eingefädelt, verkündet und aufgerufen, alle Kinder zu solch einem regelmäßigen Versammlungsort zu schicken?“
Brüllix ist das nun peinlich. Er hat sich eigenmächtig dazu aufgeschwungen.
„Ja, in der Tat!“
„Warum aber hast Du nicht die Rats- und Stammesversammlung befragt, die sich doch auch regelmäßig an einem Ort triff, sammelt und Beschlüsse fasst!“
Brüllix, sehr unangenehm berührt, zwingt sich zu einem Lachen, um seine Unterfangen als harmlos und wie selbstverständlich dastehen zu lassen.
„Ich habe gedacht, dass dazu keine extra Beschließung des Stammes nötig sein dürfte!“
„Wieso hast Du das gedacht?“
„Nun, Du weißt doch sicher und es ist Dir bestimmt nicht entgangen zu beobachten und zu erfahren, dass die Kinder der anderen eine solche Schule besuchen, und zwar tagtäglich!“
„Aha, ich verstehe. Deswegen müssen es unsere Kinder auch tun!“
„Ja, denn was gut ist für die Neuen, ist auch für unsere Kinder gut. Das versteht sich von selbst!“
„Nun, wenn Du glaubst!“ Was schließlich soll er noch sagen, da das Kind schon in den reißenden Fluss gefallen ist. Nachdem alle Kinder, Erwachsenen und hier im Tal Lebenden nun einmal dazu aufgefordert worden sind, Kinder in die Schule zu schicken und zwar ausnahmslos, wie Brüllix dies bedingungslos für richtig ausgesprochen und erachtet hat, will es Krixl nicht auf einen Affront, eine Verunsicherung aller und vor allem auf keine Auseinandersetzung mit Brüllixsohn hinauslaufen, ankommen und eventuell Missstimmungen heraufziehen lassen. Er denkt, man wird sehen, wie es unsere Kinder aufnehmen, was dabei herauskommt und wie es sich entwickelt.
Nichtsdestotrotz sagt er im nachdenklichen Ton, mehr zu sich selbst, als zum neben ihm stehenden Brüllixsohn, der sich mit einem Finger an einer großen Ohrmuschel zupft: „Wieso nur unsere Gäste, die Neuen, die Eindringlinge, hm, so viel Wert auf einen sogenannten Schulbesuch der Kinder legen?“
Brüllixsohn fügt dazu: „Ich kann Dir sagen, die Neuen waren in dieser Forderung derartig heftig, wie bei keinen anderen Dingen.“
Krixl stutzt, na, wie das klingt, als ob Du, Brüllix, nicht selbst von dieser Regelung ganz und gar überzeugt wärst, du Schriftschüler, Du, einer der eifrigsten unter ihnen. (Allmählich tut er es bereits ohne Nachdenken mehr, dass er Schriftlernende als Schüler bezeichnet, ist nunmehr auch klipp und klar, worum es sich bei einer sogenannten Schule handelt. Kinder tun etwas in einer Schule, - Schrifterlernen, was zu dieser Wortbildung jedoch nichts beiträgt und aussagt - so dass man sie „Schüler“ nennen kann! Kinder, die in die Schule gehen sind Schüler. )
Während Brüllixsohn weiter deren resolutes Drängen auf Schulbesuch der Kinder ausmalt, stellt sich Krixl um so drängender die Frage, wieso und weswegen nur deren Verhalten so kompromisslos, eifrig, ja sogar richtig feuereifrig bestürmend und bedrängend gewesen war?
Das warf ein Zwielicht auf die Schulen selbst: Geht es denn mit rechten Dingen zu in diesen?
Beide Gesprächspartner verabschieden sich, indem Nullnix sich immer wieder nervös seine Ohrwascherl langzieht und zupft, und Krixl schwer in Gedanken und Grübeln versunken sich nach Hause zum Abendmahl umwendet und begibt, mit der Bürde belastet, seiner Tochter den Schulbesuch als Muss aufzuerlegen.

Warum nur bestehen Sie so unerschütterlich darauf, dass wir unsere Kinder in sogenannte Schulen tun?
Der Dringlichkeitsappell ihres Aufrufs bei der letzten Gesamtversammlung drängt sich mit einem Mal Krixl deutlich ins Ohr - was er längst schon vergessen geglaubt, wohl weil so fremd wie ihm Schriftlesen- und –erlernen ankommt, hat er sich darüber den Kopf zerbrochen und die Sache ernst genommen: überhaupt nicht.
Schulen sind also Versammlungen von meist Kindern an Orten, wo jemand Erwachsener diesen die Schrift, vielmehr das Schreiben und Lesen derselben beibringen wollten. Ausnahmslos allen Kindern, auch seinen. Hm!
Was er dabei denkt, wobei er nachdenklich und in Gedanken vertieft nickt, verdeutlicht nur zu gut die Schwere dieser Misere, in derer sich und sein Stamm befindet und wirft überhaupt ein grelles Schlaglicht auf diesen Vorgang: Alle-Kinder-müssen-in-die-Schule! Warum nur ist den Neuen dieser Schul-Pflicht-Besuch so wichtig?
Er sieht vor sich die in der Versammlung erregt aufspringenden Neuen, mit geballten Fäusten und heftigen Nicken drohend, wenn ihre Forderung weiterhin auf Unverständnis und Ablehnung stieße.
„Ja, gegen alle ihre Anforderungen auf dieser letzten Zusammenkunft hatten wir uns wehren und sie abwehren können, nicht aber diese. Darauf bestanden die Neuen unverrückbar. - Ich verstehe es nicht. Wird mir die Zeit sagen, weshalb!? Ja, wahrscheinlich, mit der viel kommenden und gehenden Zeit werde ich es auch verstehen.“
„Geduld! - Wieder so ein Wort, das ich erst vor kurzem von Ihnen gehört habe“, denkt er etwas verzweifelt. Es fällt ihm schwer, wie es heißt, man müsse sich „in Geduld üben“, sich in dieser zu üben. Dieses Geduldüben hat nichts mit dem zu den, was man brauchte, wenn man ein wildes Tier jagte. Da erscheint ihm dies selbstverständlich, schließlich weiß man genau, dass es sich gelohnt hat, sich „in Geduld geübt“ zu haben, weil man meistens ja eine Belohnung, die Beute des erlegten Tieres in Empfang nehmen konnte. Aber dieses Geduldüben in Umgang mit den anderen nunmehr, eine schwer verdauliche Doktrin; schließlich kann der unmittelbare oder mittelbare Gewinn davon nicht direkt erkannt, genossen und erfreut werden, tja.
Jedenfalls weiß er, dass die Neuen wohl ihre Doktrin, ihre Weltanschauung, ihre Gemeinschaftsregelungen und ihr Denken an diejenigen weitergeben, die dafür am empfänglichsten sind: Kinder, unsere und auch ihre, ausnahmslos.
„Dabei muss ich aufpassen, dass Sie nicht versuchen, uns unsere Kinder zu entfremden.“
Er denkt noch sehr betrübt an der Neuen kennzeichnenden Charaktereigenschaften, wofür er überhaupt noch kein richtiges Wort, Ausdruck und Begriff gefunden hat. Gerade kommt er vor seine Höhle oder besser ihre Höhle, wie wir wissen, dass es besser heißen soll, bleibt stehen, seufzt und atmet schwer aus und ein, wobei er an seine kleine Tochter denkt, die jetzt wohl schon etwas zitternd an ihrer Mutter gelehnt auf ihn wartet und bereit ist dafür, den Vater und seine nicht zu erschütternde Aussage, seinen Befehl und sein Wort vernehmen hören zu müssen: „Adele, auch Du besuchst ab jetzt diese Schule!“
Dass er einen befremdlichen Klang mit diesem Wort einherkommen und gesellen lassen wird, wird sowohl Adele, als auch seine Lebensgefährtin keineswegs entgehen.

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