In einem anderen Land - Regenzeit X.

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Pentzw
Kalliope
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In einem anderen Land - Regenzeit X.

Beitragvon Pentzw » 07.10.2013, 21:01

Regenzeit – Zeit, sich die Zeit zu vertreiben

Eine gewaltige Glocke im Turm einer rotbraunen Ziegel-Backstein-Kirche als Klangkörper erschallt, als viertelte es die Luft durch seinen die Stunden ankündigenden Donnerhall und malträtiert mein Nervenkostüm ein gerüttelt Maß, welches kontrapunktisch von dem nahen berggebirgsbachartigem Rauschen des Flusses hier im Wiesengrund wieder beruhigt wird. Sich aufplusternde, trutzige, grau-bauchige Wolkenbänke türmen sich bedrohlich über uns auf.
Da, ein Hoffnungsschimmer, dass die Sonne einen Spalt quer über das ganze Firmament aufreißt!
Spät aufgewacht bin ich und fiebere, welches sich in den regnerischer Tag fügt, rieselt es doch wie von einem Spiegel zerborstene Glassplitter herab, – diese monotone Himmelsruhe, diese Ruhe des Himmels i m Regen macht mich abgrundtief traurig: kann sich der Himmel nicht etwas mehr beeilen? Als ob er es nicht nötig habe und demonstrieren müsse, anders als der Mensch, als Du und Deinesgleichen, könnt ihr mich allesamt einmal den Buckel herunterrutschen. Diese gelassene Gleichgültigkeit ist zum Überschnappen.
Neidisch? Ja, warum nicht auch?
Warum nicht ich, ja, ich will und möchte auch, auch und auch...
„Aber Du kannst nicht haben, was der Himmel hat. Deswegen heißt er ja auch Himmel.“
Himmelherrgott, da täuscht Du Dich, vielleicht nicht können, aber wollen. Und das mit dem Können muss sich erst noch erweisen.
Hohngelächter von oben.
Mir reicht’s! – Ich schreie und presse aus tiefster Kehle meinen schrillsten Ton, der jedoch in derGemengelage von Glockentönen und Bachrauschen untergeht.

Mir fehlt die Energie, gegen meinen trägen Vollbauch anzukämpfen – mühselig und schwerfällig wie ein Ackergaul trete ich in die Pedale, bemüht, unter mir Kilometer um Kilometer abzustrampeln.
Dann verfolgt uns wieder der Regen, zuerst mit sachtem Nieseln, welches uns einen Aufschub und die Chance einräumt, den nächsten trockenen Ruhepunkt und heißersehnte Oase zu erreichen, aber dann prasselt und trommelt er unerbittlich auf dem schwarzen Asphalt, so dass er einen schwarzen Ausschlag bekommt.
Nur nicht in die Knie zwingen lassen – und siehe, der nächste Ort - und siehe, eine Eisdiele.

Dort schlagen wir die Stunden tot, bis das trübe Wetter („Sauwetter“) weitergezogen ist, tun unbeteiligt und unaufmerksam gegenüber dem Personal, dass immer wieder aufmunternd um unseren Tisch herumscharwenzelt, um die unvermeidliche Frage der Fragen anzubringen: „Darf’s noch ’was sein?“ – die wir durch plötzlich angestrengtes Vertiefen in unsere Lektüre versuchen, erst gar nicht sich stellen zu lassen, endet dies doch stets bei Abschlägigkeit peinlich und unangenehm. Man würde ihnen doch zu gerne eine Umsatzsteigerung wünschen, fehlte nicht das nötige Kleingeld.
Jetzt wieder steht eine Bedienung unter dem Türrahmen und lugt zu uns her, klamm, heimlich und scheel aus den Augenwinkeln, so dass ich mich gezwungen sehe, meine Schreibanstrengungen zu vergrößern, auch wenn ich nicht die blasseste Idee habe, was ich niederlegen könnte. Aber schreibe einfach, so tue, wie wenn, als ob man schriebe; zwar schreibt man, aber sagt nichts aus, wenn das denn geht, jedenfalls, wie Paul Watzlawick aus Palo Alto seinerseits schon wusste: man kann nicht nicht kommunizieren, oder besser noch angeführt: sobald man über die Kommunikation spreche, ist dies das untrügliche Zeichen dafür, dass etwas nicht mit dieser stimme.
(Ich lasse diese gerade aus der Situation entstandenen Sätze stehen. Man möge mir die Wilderei im Sumpfgefilde eines anderen Autoren nachsehen.)
Tut mir nicht das Mädchen mit der weißen Schürze leid, dass ich mich erhebe und die Toiletten aufsuche, wozu ich sie nach dem Weg fragen darf und wofür sie sich sichtlich dankbar erweist und zeigt.
Nach kurzer Bestätigung meiner Erwartungshaltung mit Blick auf den frisch riechenden und sauberen Toilettenraum suche ich Seelentrost auf dem dort an der Tür gepinnten selbstfabrizierten Hinweiszettel. Auch hier werde ich nicht enttäuscht mit meiner Annahme, es stecke bestimmt darin ein Orthographiefehler, meist bei der Substantiv-Bildung des Verbs – richtig!
Wären es hingegen deutschsprachige Betreiber würde ich vor Entsetzen mein Gesicht verziehen über ein englisches Genitiv-s, das beim Fall und überbeflissenen Abriss der dt-dt Mauer als überflüssiges Partikelchen hängengeblieben ist. Da sieht man einmal, wie viel unnötiger Staub dabei aufgewirbelt worden ist.
Ich verlasse wieder gutgelaunt die Toilette, werfe den herumstehenden Angestellten hinter ihrem Tresen ein Lächeln zu, das sie gerne parieren, indem sie es sofort aufmerksam aufpassen, wenn auch leider falsch auffassen und doch zu unser beider Glück und Zufriedenheit richtig zurückgeben.
Wen kümmert’s schon?
Dann pirsche ich mich von hinten an die Mitfrau heran. Ich lege die Hände über ihre Augen und frage: „Wer ist es?“
„Hm, oh!“
„Bin ich ein Einheimischer? Einer hier vom Ort?“, mit verstellter dialekteingefärbter Stimme gezischt (Leser aus dieser Region wissen, wo wir uns gerade befinden; tut aber nichts zur Sache).
Der bislang simpel Dreinschauende und heimlich neugierige Blicke aussendende vom Nebentisch vertieft sich mit einem Mal mit heißem Begier und ernster Anstrengung in sein liebevoll und vernachlässigt auf dem Tisch ausgebreitetes Lokalblättchen.
„Hm, oh!“
„Wer bin ich also? Bin ich vielleicht Ausländer mit guten Sprachkenntnissen von neben Ihnen am Tisch?“
Dieser erwidert meine Worte mit einem Schmunzeln, Respekt! Er nickt verständlich mit dem Kopf und lächelt freundlich zu mir herüber.
Ob er verstanden hat, worauf ich anstupste?
Wenn juckt’s? Ihn am allerwenigsten und er schmunzelt nachgerade.
Wenn Spaß sein muss, ist der kürzeste Weg der schnellste und beste, also lass fahren die überflüssigen Artikel im Deutschen. Sie sind eh nicht nur schwierig, sondern meist auch unnütz, wenn das ein gewichtiges Argument sein sollte. Ob Du den Mond nun als Frau oder Mann ansprichst, wird ihn kaum erzürnen, oder?
Aber wahrscheinlich grinst sich der Mann jetzt sowieso einen, weil ich meine, er verstünde uns nicht. Da täuscht Du Dich aber, denkt er, Du Neunmalkluger, lache und freue Dich nur, Naivling. Ich weiß es, haha, wohingegen du es nicht wissen kannst...
Sie hat mich endlich geraten, so dass ich die Arme fallen lasse und beim Hinsetzen noch einmal ostentativ nach links und rechts zwinkere.
„Du ziehst aber auch wirklich schneller als die Polizei erlaubt die Männer wie die Blüten die Bienen an, dass muss ich Dir schon sagen, sobald ich Dir nur den Rücken zukehre. Also deine Koketterie ist schon nicht mehr feierlich.“
Sie lacht und schaut sich begehrlich ihre Eroberungen an, als wolle sie sie am liebsten auf der Stelle vernaschen.
Ich bin mir bewusst, dass mein Verhalten die Schamschwelle des guten Benehmens verletzt und auf seinem Weg über die Grenze des Unhöflichen bis Unfreundlichen, wenn nicht Diffamierenden geschritten ist.
Aber sicher kann ich mir nicht sein, selbst wenn die Betroffenen so tun, als ob sie meine Bemerkungen überhaupt nicht verstanden haben. Ist auch besser so.


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