Arbeitstitel "Die Kapsel"

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markoose
Erinye
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Arbeitstitel "Die Kapsel"

Beitragvon markoose » 20.10.2013, 20:37

Erstes Kapitel »Wozu?« oder Prolog
Peter Klein lag in seinem Bett und starrte an die Decke. Der Stimme des Radioweckers hörte er nur halbherzig zu. Es wurde gerade über irgendeinen Prominenten berichtet. Phlegmatisch fixierte er einen Punkt an der Decke und dachte wieder einmal über sein Leben nach. Was hatte das alles hier noch für einen Sinn?
Seit nunmehr zwei Jahren war der Diplom-Betriebswirt jetzt arbeitslos. Er war achtunddreißig und hatte keine Kinder. Die Frau, die ihm hätte welche schenken können, hatte ihn schon vor über drei Jahren verlassen. Immer wenn er an Christiane dachte, fühlte er einen kleinen Stich im Herzen. Dieser wurde allerdings von Mal zu Mal kaum spürbar aber stetig schwächer. Manchmal fragte er sich sogar, ob er sie überhaupt jemals geliebt hatte. Anfangs hatten sie sich eine schöne gemeinsame Zukunft gemalt, aber irgendwie war ihnen der Alltag dazwischen gekommen und hatte ihre Liebe nach und nach begraben. Peter hatte es damals wohl nie richtig wahr haben wollen und jedwedes Gespräch zu diesem Thema, das Christiane anstrengte, entweder nicht ernst genommen oder im Keim erstickt. Schließlich hatte sie die Konsequenz gezogen. Er war ihr nicht einmal böse.
Nach der Scheidung war dann alles irgendwie ganz schnell gegangen. Im Job war es immer schlechter gelaufen und am Ende hatten sie ihn entlassen. ‚Sorry, Peter, aber du verstehst doch? Ich habe hier fast nur Familienväter und du, du bist schließlich allein. Aber mach dir keinen Kopf, wenn man so flexibel ist, wie du jetzt, bekommt man leicht wieder eine Anstellung.’ Jede seiner Bewerbungen war unbeantwortet geblieben. Auto und Wohnung verlor er dann ebenfalls.
Das Geld vom Jobcenter war ihm vor zwei Tagen ausgegangen und bis zur nächsten Überweisung würde es mindestens noch eine Woche dauern. Der Wecker dudelte mittlerweile „Don’t worry, be happy.“ Lächerlich.
Zu bequem, die Schlummertaste zu drücken, drehte sich Peter auf die andere Seite. Sein Blick wanderte durch das Zimmer, das einzige seiner Wohnung.
Kleider, Zeitschriften, zerknüllte Zigarettenschachteln, Schuhe, alles wechselte sich ab. Selbst Teile seines Computers lagen herum. Sie waren liegen geblieben, als er versucht hatte, ihn wieder zu reparieren, allerdings nur, um festzustellen, dass das Motherboard hinüber war. Geld für einen Neuen hatte er nicht. Wozu auch?
Als er sich seine kleine Wohnung so besah, war er klug genug, zu wissen, dass er auf dem besten Wege war, zu verwahrlosen. Irgendwie musste dringend etwas geschehen. Aber wozu? Klein schloss die Augen und wollte etwas dösen. Vielleicht konnte er so die grauen Gedanken und den dumpfen Schmerz ein wenig vertreiben.
Nach nur wenigen Augenblicken wurde ihm klar, dass das nicht funktionieren würde. Wieder wanderte sein kraftloser Blick durch sein Zimmer, bis er an einer Überschrift der zahllosen Zeitschriften hängen blieb. »Testpilot – ohne Ausbildung!«
Angestrengt versuchte Peter weiter zu lesen, ohne sich bewegen zu müssen, konnte aber lediglich die Unterüberschrift entziffern. »Das Raumfahrtinstitut Neu-Schwerin sucht jetzt Freiwillige für Tests an einer neuartigen Rettungskapsel.«
Umständlich streckte er sich aus dem völlig durchgelegenen Bett der willkommenen Ablenkung entgegen, angelte sich die Zeitschrift nach mehreren Versuchen und begann zu lesen.
»... Die neuartige Rettungskapsel wird die Raumfahrt nicht nur revolutionieren sondern vor allem auch sicherer machen. Nähere Informationen erhalten sie unter http://www.raumfahrtzentrum-neu-schwerin.com

Zweites Kapitel »Formalien« oder 12:29
Endlich stand er vor der gesuchten Tür, die wie Hunderte andere ihre Schwestern in einem schlichten Weiß gehalten war. Auf dem Türschild stand ‚400.12, W. Minzig, Testkoordinator’.
Klein war jetzt schon den ganzen Vormittag in dem riesigen Bau, der ihm als Personalkomplex benannt worden war, unterwegs. Nach einer kleinen Odyssee durch das riesige Parkhaus und einem Zwischenstopp bei einem autoritären Pförtner hatte man ihn irgendwelche Tests an einem Computerterminal durchführen lassen. Er war sehr gründlich untersucht worden und hatte jede Menge Formulare und Laufzettel ausfüllen müssen. Man hatte ihm Vitamine gespritzt und beim Sehtest wäre er dann fast eingeschlafen. Endlich stand er nun etwas laufmüde vor der angeblich letzten Tür. Ein flüchtiges ‚Wozu?’ flatterte wieder durch sein Bewusstsein.
»Countdown für Testreihe 2-17, noch 1 Stunde und 30 Minuten.«
Die emotionslose Durchsage riss ihn endgültig aus seinen Gedanken. Peter hielt kurz die Luft an und klopfte.
Ein gedämpftes »Herein.« drang durch die Tür, worauf er erst wieder ausatmete und die Klinke nach unten drückte.
Der Raum hatte genauso viel Charme wie die anderen Zimmer und Flure des Gebäudes. Zu viele hochmoderne Neonlampen tauchten alles in ein unwirkliches leicht bläuliches Licht, das heute auch tagsüber angeschaltet war, um dem trüben Wintertag die Stirn zu bieten. Unsicher streckte er den Kopf in die Tür. »Bin ich hier richtig für«, er musste noch einmal auf einen seiner Zettel schauen, »Testreihe 1-22?«
»Herr Klein? Ja, ja. Kommen sie nur herein. Minzig mein Name. Setzen Sie sich doch. Einen kleinen Augenblick noch.«
Abgesehen von ein paar wenigen Accessoires wie einem Pflanzenkübel und zwei Bildern an der Wand unterschied sich der Raum nur wenig von den bisherigen Labors und Untersuchungsräumen. Peter setzte seinen Fuß allerdings auf dunkelblauen Teppich, den die anderen Räume nicht aufzuweisen hatten.
Der Mann hatte kurz aufgeblickt und ihm mehr beiläufig die Hand gereicht, während er sich gleich wieder einem Monitor widmete. Zurückhaltend setzte sich Klein auf den ihm gewiesenen Stuhl, einer unbequemen Kombination aus Stahl und Leder, hielt seine Unterlagen wie zum Schutz vor seinen Bauch und sah sich kurz um.
Minzig, ein hagerer Mann, saß ihm gegenüber hinter einem modernen Glastisch und schrieb etwas in ein E-Formular, das er mit irgendwelchen Daten auf einem Bildschirm abzugleichen schien. Sein Alter war schwer zu bestimmen, aber die Vierzig mochte er schon erreicht haben. Sein Haar hatte einen grauen Schatten, der wie aufgepudert wirkte. Die hohe Stirn hingegen glänzte in dem hellen Neonlicht wie poliert. Die zwei grauen Augen saßen hinter einer randlosen Brille und wirken abwesend. Eine durchschnittliche Nase und ein schmaler Mund rundeten den Eindruck, es handle sich hier um einen Wissenschaftler, ab.
An der Wand entdeckte Peter neben einem abstrakten Kunstdruck das Plakat eines Kinderbuches – Peterchens Mondfahrt – wohl eine kleine Anspielung auf das ganze Raumfahrtzentrum. Der kleine rotbraun gemalte Käfer stand dem großen, runden Mond gegenüber, während das stilisierte Sternbild des großen Bären beinahe bedrohlich zwischen ihnen hing. Er musste schmunzeln, denn er hatte dieses Buch tatsächlich schon einmal gelesen. Damals hatte es ihm sein Patenonkel der Namensverwandtschaft wegen geschenkt. Er war vielleicht acht oder neun Jahre alt gewesen. Losgetreten durch diesen Eindruck rieselten schwache Erinnerungen und blasse Bilder seiner Kindheit durch sein Bewusstsein. Nach einigen Minuten riss der Mann Klein schließlich aus den Gedanken.
»Herr, Klein. Wir werden noch ein paar Formalien abschließen müssen. Ich zeichne das jetzt auf - aus versicherungstechnischen Gründen, sie verstehen doch?« Ohne Klein anzublicken oder dessen Reaktion abzuwarten, machte sich der Mann an einem Gerät zu schaffen, welches das Objektiv einer kleinen Kamera darstellte.
Peter nickte und wollte ja sagen, wobei er sich kurz verschluckte und sich dann räuspern musste. Unruhig rutschte er auf der schwarzen Lederfläche hin und her. Ihm war nicht klar, woher die plötzliche Unruhe kam. Gefilmt zu werden, hatte ihm eigentlich nie etwas ausgemacht.
Minzig betätigte eine Taste und der dünne Kameraarm begann sich selbständig auf Kleins Gesicht auszurichten.
»Testreihe 1-22, Projekt REKA, 23. November, 2064.« Minzig blickte routiniert auf seine Armbanduhr. »Es ist jetzt genau 12:36 Uhr. Der Proband Nummer 17 hat alle Tests positiv durchlaufen und ist jetzt zugegen. Abschließende Sicherheitsbefragung beginnt:« Erst jetzt hob Minzig seinen Blick und sah Klein in die Augen. »Sie heißen Peter Klein und sind am 17.03.2026 in Berlin geboren?«
»Ja.«
»Sie haben sich beim Raumfahrtzentrum als Testpilot für das Projekt REKA beworben und sind freiwillig hier?«
»Ja.«
»Ihnen ist klar, dass das Raumfahrtzentrum für etwaige Folgeschäden keinerlei Haftung übernimmt. Das gilt sowohl für körperliche wie geistige Schäden?« Minzig machte ein aufmunterndes Gesicht und wollte Klein ermutigen, weiterzumachen, doch der stockte für einen Moment.
Minzig betätigte wieder die Taste, nahm die Brille ab und begann in versöhnlichem Ton. »Herr Klein, das sind reine Formalien. Wir sorgen für Ihre Sicherheit. Es handelt sich hier doch nur um einen Testlauf am Boden. Sie werden sich die ganze Zeit hier auf dem Gelände befind ...«
»Countdown für Testreihe 2-17, noch 1 Stunde und 20 Minuten.« Die emotionslose Stimme hatte Minzig unterbrochen.
»Ihr schießt mich doch nicht aus Versehen nach da oben?« Peter lächelte unsicher, da ihn mit einem Mal Zweifel überkamen.
»Aber Herr Klein, Testreihe 2-17 ist ein scharfer Raketenstart und hat nichts mit unserer Testreihe zutun. Ihre Aufgabe ist es lediglich, unserem Bordcomputer die letzten Kinderkrankheiten auszutreiben. Machen Sie sich da mal keine Sorgen.« Minzig schaltete die Kamera wieder an und sofort wurde sein Ton wieder sachlich und unpersönlich. »Ihnen ist klar, dass das Raumfahrtzentrum für etwaige Folgeschäden keinerlei Haftung übernimmt. Das gilt sowohl für körperliche wie geistige Schäden?«
»Ja.« Klein dachte an das viele Geld, das sie ihm für diesen Test geboten hatten. Für achtundvierzig Stunden bekam er fünftausend Eurodollar.
Minzig sprach weiter. »Ich stelle fest, dass alle Unterlagen einschließlich der Bankverbindung,« hier schaute er kurz lächelnd zu Klein, »polizeilichem Führungszeugnis, der ärztlichen Atteste und des psychologischen Gutachtens vorhanden sind. Der Proband ist bei guter Gesundheit, geistig klar und willens, den Test durchzuführen. Testkoordinator Minzig. Ende.«
Augenblicklich drückte Minzig wieder die Taste und setzte einen beinahe väterlichen Blick auf, als er Peter einen Zettel entgegen schob. »Hier empfangen sie ihre Kleider für den Test. Wir sehen uns dann im Testlabor in sagen wir fünfzehn Minuten.

markoose
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Drittes Kapitel »Der Tunnel«

Beitragvon markoose » 24.10.2013, 17:40

Der graue Overall roch noch unangenehm neu, war aber sehr bequem zu tragen. Auf der linken Brustseite prangte das Logo des Raumfahrtzentrums und direkt darunter sein Name mit dem Zusatz ‚Testpilot’. Es fühlte sich irgendwie gut an, wieder eine Aufgabe zu haben, einen Posten zu bekleiden.
Peter trat auf den quietschenden Sohlen der neuen Turnschuhe aus dem Umkleideraum und warf den beschrifteten Plastikbeutel mit seinen eigenen Kleidern und den wenigen persönlichen Gegenständen, wie ihm gesagt worden war, in den dafür vorgesehenen Schlitz.
Kaum war die Metallklappe ausgeschwungen, öffnete sich auch schon eine Tür und Minzig trat ein. Er hatte sein Jackett gegen einen weißen Laborkittel getauscht und trug einen flachen Handcomputer. »So, Herr, äh, Klein.« Minzig hatte noch mal schnell einen Blick auf das Display des handlichen Computers geworfen. »Steht ihnen ja ganz ordentlich. Wie sagt man so schön? Kleider machen Leute. Na, dann wollen wir mal.«
Er ging an Klein vorbei auf ein rundes Metallschott in der Wand zu. Dieses hatte einen Durchmesser von etwa siebzig Zentimetern und ein massiver Griff war darüber angebracht.
»So. Ab hier beginnt der Test. Bitte seien sie sich im Klaren, dass die Rettungskapsel für jedermann konzipiert ist. Sie brauchen keinerlei ...«
»Countdown für Testreihe 2-17, noch 60 Minuten.« Peter schaute unsicher nach oben, während Minzig einfach nur mit dem Sprechen aufhörte und wartete.
»... Vorkenntnisse. Verhalten sie sich also völlig normal, das heißt eben so, als müssten sie wegen eines Notfalls ihr Schiff verlassen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie dazu verpflichtet sind, ein Logbuch zu führen, sodass wir den Test besser auswerten können.« Minzig machte eine kurze Pause, wohl um sich zu sammeln, während Klein nur nickte.
»Herr Klein, haben sie vor den nächsten achtundvierzig Stunden noch Fragen. Während des Tests werden sie nicht mit mir sprechen können.«
»Nein.«
Minzigs Stimme veränderte sich unmerklich und doch spürte man sofort wieder den sachlichen Unterton. Er sprach in den Raum hinein. »Aufzeichnungsbeginn ... Testreihe 1-22, Projekt REKA, 23. November, 2064.« Minzig blickte wieder auf seine Armbanduhr. »Es ist jetzt genau 13:01 Uhr. Der Proband Nummer 17 steht an der Sicherheitsschleuse und ist bereit für den Test. Testkoordinator Minzig erbittet Testfreigabe. Haben wir grünes Licht?«
Während Minzig einfach vor sich hinstarrte, blickte sich Peter suchend um, doch sah er keine Lautsprecher.
»Testreihe 1-22 bestätigt. Sie haben grünes Licht.« Die Stimme hätte beinahe dieselbe sein können, die die Countdowndurchsagen machte, allerdings war sie etwas älter.
Minzig drehte sich zu Peter. »So, Herr Klein. Holm- und Rippenbruch, wie man wohl unter den Piloten sagt.«
Klein interpretierte Minzigs Handbewegung falsch und wollte ihm die Hand schütteln, doch der hatte nur auf die eiserne Luke gezeugt. Verlegen versuchte Peter seine Bewegung zu kaschieren und nestelte nervös an dem Schleusenverschluss herum. Er versuchte, sich zu erinnern, was vorher in dem Sicherheitsflyer gestanden hatte, den er lesen sollte. Nach endlos scheinenden Sekunden löste sich schließlich die Verriegelung und zischend öffnete sich das Schott ein Stück. Klein hob die schwere Tür weiter an und klappte sie um, während Minzig schon die ersten Notizen in seinen Computer tippte.
Wie ein großer Schlund gähnte nun ein schwarzes Loch vor ihm. Schon nach wenigen Zentimetern war trotz der polierten Metalloberfläche nichts mehr in dem Rutschtunnel zu erkennen. Peters nun schweißige Hände umschlossen den Griff, der oberhalb in der Wand saß. Beinahe wie an einer Rutsche in einem Vergnügungspark wippte er kurz auf den Fußballen, sprang dann hoch und schwang sich in die Röhre, nur um sofort loszulassen.
Er drückte die Beine durch und spannte die Schienbeinmuskulatur an, wie man ihm erklärte hatte, sodass die Sohlen seiner Bordschuhe sein Rutschen nicht abbremsten. Im Nu hatte Klein eine hohe Geschwindigkeit und spürte den Fahrtwind um die Nase. Kaum hatte er einen kleinen wiederkehrenden Leuchtpunkt an der Decke der Röhre ausgemacht, der wohl der Orientierung galt, endete die Rutschpartie abrupt und recht unsanft. Peter saß wohl ein einer Art Polstersessel. Es roch wie in einem neuen Auto und um ihn war absolute Schwärze.

markoose
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Viertes Kapitel »REKA«

Beitragvon markoose » 04.11.2013, 22:01

Die unangenehme Landung schlug Klein etwas auf den Magen. Wenige Augenblicke, nachdem seine Augen begannen, sich an die absolute Dunkelheit zu gewöhnen, machte er links von sich ein schwaches Glühen aus. Es war ein Rechteck.
»Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...« Dieses Mal war es eine weibliche Stimme, die unaufhörlich vor sich hinquäkte.
Peter ertastete mit seiner linken Hand noch immer nervös einen Gegenstand in dem leuchtenden Rechteck. Beinnahe wie bei einem metallenen Handschuh ließ er nun die Hand in eine Art Armband gleiten und hob sie dann an. Direkt über seinen Kopf leuchtete eine Lampe auf und tauchte seine Umgebung in ein schwach gelbbräunliches Licht, das stetig heller wurde. Die Stimme vom Band brach sofort ab. Sie wurde von einer in Qualität und Stimmlage weitaus angenehmeren zweiten Frauenstimme abgelöst.
»Piloteninterface aktiviert, beginne m ...«
»Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...« Das Licht ging aus und die erste Frauenstimme quäkte wieder unablässig durch die Kapsel.
Peter hob den linken Arm, schnitt eine etwas genervte Grimasse in die Dunkelheit und schüttelte das Interface. Das Licht ging wieder an. Die Stimmen wechselten erneut.
»Piloteninterface aktiviert, beginne mit der Notfallstartsequenz. Schnallen sie sich bitte sofort an.«
Noch ehe Klein das Wort WACKELKONTAKT überhaupt denken konnte, erwachte ein Monitor knapp über seinen Knien zum Leben und zeigte in einfach zu verstehenden Piktogrammfolgen, wo die Gurte waren und wie er sich anzuschnallen hatte. Oben rechts auf dem Schirm war eine Zehn eingeblendet, die sich sofort in eine Neun verwandelte, dann in eine Acht. Bei jeder Verwandlung war ein kleines Piepsen zu hören.
Das Licht über ihm reichte gerade, um die Verschlüsse zu finden und begann dann schon wieder, schwächer zu werden. Hektisch nahm Peter die Verschlüsse der Gurte in die Hand und schnallte sich an – es ist nur eine Simulation.
Ziemlich angespannt lehnte er sich dann zurück und starrte auf den Monitor. Ab der Drei sprach die Stimme mit. »Drei – zwei – eins – Zündung.«
Zu hören war nicht viel, aber Klein spürte in seinem Rücken eine dumpfe, harte Erschütterung und wurde schlagartig in den Sitz gepresst. Er war schon in irgendwelchen Vergnügungsparks in vermeintlichen Raumschiffsimulatoren gesessen, aber das hier war eine andere Liga. Er glaubte wirklich zu spüren, wie die Rettungskapsel beschleunigt wurde und sich vom Mutterschiff entfernte. Langsam nahm sein Körper die Beschleunigung auf.
»Sicherheitsabstand zum Mutterschiff erreicht in fünf, vier, drei, zwei, eins. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben soeben die Zerstörung ihres Mutterschiffes überlebt. Auf künstliche Schwerkraft wird verzichtet. Scanner zeigen keine lebensgefährlichen Verletzungen. Beginne nun mit der Kalibrierung des Systems anhand der bestehenden Körperdaten. Sie hören zu ihrer Entspannung das Stück ‚Ave Maria’ von Bach/Gounod interpretiert von Maria Callas.«
Auf dem Monitor war ein Statusbalken zu sehen, der langsam wuchs. Peter fragte sich, wie oft in seinem Leben er wohl schon auf so einen Statusbalken geblickt hatte.
Der Monitor erleuchtete das Innere der Kapsel nur schwach, passend dazu begannen die Klavierakkorde sich ganz zart in einem harmonischen Auf und Ab aneinanderzureihen und die griechische Opernsängerin fing den frischgebackenen Testpiloten mit ihren Klängen auf. Dann ging ein leichter Ruck durch die Kapsel und wo eben noch schwarze Wände gewesen waren, wurde das Material transparent. Durch die sich klärenden Scheiben konnte man noch Teile der Fensterpanzerung sehen, die gerade wegklappte. Dahinter tat sich das All in seiner unbegreiflichen Weite auf.
Als Peter die Erde unter sich sah, lief es ihm kalt und heiß den Rücken hinunter. Gerade ging die Sonne auf. Etwas Schöneres hatte er wohl noch nie gesehen. Der Mond schwebte gestochen scharf rechts neben ihm und halblinks unter ihm ließ die Sonne die Erde beinahe wie einen Edelstein glänzen.
»Countdown für Testreihe 2-17, noch 55 Minuten.« Unsanft hatte die Stimme die Sängerin übertönt, obwohl sie dieses Mal nur gedämpft zu hören gewesen und definitiv außerhalb der Kapsel war. Hatte Minzig vergessen, die Lautsprecher in der Simulatorhalle abzuschalten. Was sollte das? Klein fühlte sich um seine Illusion betrogen. Als er nun auf die Erde sah, war der Zauber irgendwie weg. Es ist nur eine Simulation.
Frau Callas kam zum Ende des Stückes, der Statusbalken war komplett und verschwand vom Bildschirm. Jetzt erschien das Wort REKA und darunter das Logo des Raumfahrtzentrums, eine stilisierte Erde mit einem startenden Raumschiff.
»Kalibrierung abgeschlossen. Ich hoffe, sie haben die Havarie seelisch gut überstanden. Wenn sie Zuspruch brauchen sollten, sagen sie einfach SEELSORGE.«
Peter starrte etwas skeptisch auf den Bildschirm.
»Mein Name ist REKA. Ich bin das Kommunikationsprogramm dieser Rettungskapsel und meine Aufgabe ist es, ihnen ihre Rettung so angenehm wie möglich zu machen. In Zukunft werde ich von der Rettungskapsel und mir in einer Person sprechen. Wie darf ich sie nennen?«
»Äh, Peter.«
»Hallo, Ähpeter. Darf ich ...«
»Nein, nein, mein Name ist Peter, einfach nur Peter.«
»Oh, Entschuldigung. Hallo, Peter. Darf ich mich ihnen nun vorstellen?
»Ja.«
»Ich bin eine Rettungskapsel, Modell Nummer 6 der Baureihe Beta. Für den weiteren Gebrauch ist es sicherlich von Vorteil, genau über mich Bescheid zu wissen. Soll ich fortfahren?«
»Ja, ich bitte darum.« Es gab in Kleins Alltag Tausende Geräte, die mit Voicecontrol gesteuert wurden, jedoch nur wenige, mit denen man sich richtiggehend unterhalten konnte. Peter war gespannt, wie sich Reka machen würde.
»Ich verfüge über einen hochleistungsfähigen Bordcomputer der neuesten Generation und einem experimentellen Bussystem, dass sowohl die Installation als auch meine Wartung erleichtert. Meine Energieversorgung wird durch einen Minireaktor gewährleistet, der neben den Nottriebwerken auch die Lebenserhaltungssysteme und alle weiteren Verbraucher versorgt. Er ist in der Lage, insgesamt 12,3 Megawatt zu erzeugen, die aber hauptsächlich von den Triebwerken in Anspruch genommen werden.«
Auf dem Monitor war eine schematische Darstellung der Kapsel zu sehen und die angesprochenen Teile wurden immer hervorgehoben.
»Bei normalem Verbrauch kann ich bis zu zwei Astronomische Einheiten mit Kurswechseln zurücklegen. Bei Ausfall des Reaktors verfügt die Kapsel über ein Solarsegel, das bei ausreichendem Sonneneinfall für den Betrieb der Lebenserhaltungssysteme ausreicht. Die Hülle der Kapsel ist aus einem speziellen Titan-Carbon-Verbundstoff gefertigt und hält äußersten Belastungen stand. Die Kapselfenster können bei Bedarf verdunkelt und mit Schilden abgedeckt werden, was optimalen Schutz vor umherfliegenden Partikeln bietet.
An Bord befinden sich neben einer Hochleistungsklimaanlage und einem Luftaufbereiter auch achtzehn Liter Trinkwasser, die über das Versorgungsinterface aufgenommen werden könne.«
Rechts neben Peters Kopf war ein kleiner Motor zu hören und eine metallene Röhre mit einem Mundstück schwebte in der Nähe seiner Wange. Über dem Mundstück war eine Einwegabdeckung. Ein zweites Surren und alles war wieder verschwunden.
»Sagen sie einfach TRINKEN und das Versorgungsinterface steht ihnen zur Verfügung. Bei sparsamem Verbrauch in Verbindung mit dem Hygieneadapter sollte der Wasserspeicher für achtzehn bis zwanzig Tage reichen. Wenden sie sich nun bitte nach rechts. In dem Fach mit der Aufschrift VERSORGUNG befinden sich verschiedene Lebensmittelkonserven, die sowohl in warmem wie auch in kaltem Zustand verzehrt werden können. Die Zubereitung ist außen auf der Packung aufgedruckt. Sie können dazu den Induktionsofen halbrechts vor ihnen nutzen. Die Vorräte sind für den Bedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen ausgelegt und sollten etwa zwei Wochen reichen. Die Notdu ...«
»Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...« Der Monitor war wieder einmal schwarz geworden. Fluchend schüttelte Klein den linken Arm mehrere Minuten und klopfte schließlich mit der flachen Hand auf das silbermetallische Objekt.
Erneut belebte sich der Bildschirm und ihm gelang noch ein kurzer Blick auf die letzte Überschrift – SCHLEUSENKLAPPE.
»... ntsorgen sie über die Schleusenklappe. Um eine verzugslose Rettung zu gewährleisten, berechne ich die augenblickliche Position. Sie können sich mit dem Unterhaltungs- und Fitnessprogramm an Bord vertraut machen. Beschäftigen sie ihren Geist. Ein glücklicher Überlebender ist ein gesunder Überlebender.«
Auf dem Monitor erschien ein Menü mit mehreren Piktogrammen, die für verschiedene Angebote standen. Darunter waren Denkspiele, Hörbucher, Bücher, Musik, Filme, Fitnessprogramme und das Logprogramm.
Lustlos drückte Peter auf das Wort Filme, um die Auswahl in Augenschein zu nehmen. Irgend so ein Spaßvogel hatte John Carpenters Darkstar, eine Sciencefictionparodie aus dem Jahr 1974, hinterlegt, ansonsten waren keine Filme verfügbar. Na toll! Das konnten ja lange achtundvierzig Stunden werden. In Peters Alltag flimmerten Filme von jeder erdenklichen Werbefläche. Sie waren aus seinem Umfeld nicht mehr wegzudenken. Von großen Plakatbildschirmen über Litfaßsäulen bis hin zu Lebensmittelverpackungen wurde alles als Projektionsfläche genutzt. Und hier oben war nur ein neunzig Jahre alter Film vorhanden, den er aus seiner möchtegern-intelektuellen Zeit als Student kannte, und dieser Film handelte auch noch von einer Weltraumhavarie.
Gefrustet entschied er sich für eine Auswahl verschiedener aktueller Songs. Diese entpuppte sich allerdings als eine Sammlung von Johnny Cash, die wohl falsch eingeordnet war. Peter durchforstete das Musikarchiv weiter, fand aber außer dem Countrysänger nicht einmal Maria Callas. Das Logbuch kam ihm in den Sinn und dann das, was Minzig dazu gesagt hatte.
»Also los.« Er drückte das Wort Logbuch und sogleich sah er sich selbst auf dem Bildschirm. Durch die flache Scheibe wirkte er aufgedunsen und sein leichtes Doppelkinn kam unangenehm zum Vorschein. Datum, Uhrzeit und ein um hunderachtzig Grad gebogener Pfeil waren eingeblendet. Ein roter Punkt blinkte in der linke oberen Ecke.
»Hier ... hier ... äh ... spricht Peter Klein, Proband des Versuchs ... äh ... 1 ... 1/22. Der Start liegt hinter mir. Soweit alles in Ordnung, nur das Piloteninterface hat einen Wackelkontakt ... äh ... ja ... achso und irgendwas mit den Mediendateien stimmt nicht. Ist nur ein Film da und musikmäßig nur Country ... ja ... äh ... Klein Ende.«
Obwohl niemand anwesend war, fühlte Peter, wie er rot wurde. Daran musste er sich erst noch gewöhnen. Schnell drückte er den Pfeil und war wieder im vorigen Menü. Er entschied sich, unter den urigen Klängen Cashs zu einer Partie Schach.

markoose
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Fünftes Kapitel »Sicherheitsprotokoll«

Beitragvon markoose » 16.11.2013, 21:13

»Bauer E2 auf E...«
»Countdown für Testreihe 2-17, noch 50 Minuten.« Wieder war die Durchsage durch die Bordwand zu hören gewesen. Allmählich machte sich Peter ernste Gedanken darüber. Wie konnte das sein? Er war in einem abgeschlossenen Testlabor und wurde rund um die Uhr überwacht. Hörten sie die Durchsagen nicht? Vielleicht hatten sie nur Mikrofone innerhalb der Kapsel. Aber selbst dann hätten sie etwas hören müssen. Er nahm sich vor, irgendwie mit Minzig Verbindung aufzunehmen, wenn eine weitere Durchsage käme.
»Bauer E2 auf E...«
»Verzeihung, wenn ich sie unterbreche. Die Positionsbestimmung ist abgeschlossen. 47 Stunden, 49 Minuten und 53 Sekunden bis zum nächsten Zeitfenster für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Entsprechende Kursänderungen werden initiiert.« Sofort erfolgten mehrere kleine Erschütterungen. Peter konnte auf den ausgeklappten Fensterschilden den Widerschein der Triebwerke sehen, die der Kapsel stoßweise Impulse gaben und sie parallel zu Erdoberfläche drehten.
Ihm war jetzt die Lust an Schach vergangen. Er spürte einen leichten Druck auf der Blase und begann sich Gedanken zu machen, wie es hier wohl um die Toiletten bestellt war. Ein Grummeln im Bauch ließ ihm zudem bewusst werden, dass er seit heute Morgen außer irgendeiner Aufbauspritze bei einer der zahlosen Untersuchungen nichts zu sich genommen hatte.
Er wollte sich gerade umschauen, als ein sonderbares orangefarbenes Blinken die Illusion des Weltraums zeriss. Eine Drehspiegellampe leuchtete gerade mal fünfzehn Meter von der Kapsel entfernt an der Wand und ein Warnsignal gesellte sich dazu. Durch das unstete Licht, das die Weltraumprojektion immer wieder störte, konnte Klein die ungefähren Ausmaße der Laborhalle erkennen. Wenn auch zu Teilen durch die Rückwand der eigenen Kapsel verdeckt sah er mindestens zwanzig weitere Kapseln an der hinteren Wand der Halle stehen.
»Testreihe 2-17, noch 45 Minuten. Ladesequenz der Testkapseln beginnt.« Kaum war die Stimme verklungen, begannen sich die hinteren Kapseln auf einem Band in Richtung Wand in Bewegung zu setzten. Die Vorderste wurde durch eine Art Sonde an einem Roboterarm geprüft, was mit einem durchdringend hohen Ton verbunden war, dann leuchtete kurz ein grünes Licht auf und sie verschwand in einer Klappe.
Peter konnte seinen Ärger nur mit dem Gedanken an das Geld beruhigen. Dieses Institut war anscheinend ein ziemlich dilettantischer Verein, wenn sie den einen Test mit dem anderen störten. Offenbar hatten sie Platzmangel.
Immer wieder verschwand eine Kapsel nach dem Aufleuchten der grünen Lampe in der Wand, als plötzlich eine rote Lampe brannte.
»Sicherheitsprotokoll aktiv, Kapsel 14 weist unzureichenden Zustand auf. Routine für Behelfskapsel läuft an.«
Schlagartig erlosch der Bildschirm vor Peter und in der Halle ging eine weitere Lampe an, diesmal über ihm an der Decke. Sie beleuchtet einen mächtigen Greifarm. Dieser setzte sich auch sofort in Bewegung und nahm nach mehreren zackigen Richtungsänderungen die Kapsel vor der Wand vom Band und setzte sie außerhalb seines Sichtbereiches ab.
Klein beschlich ein sonderbares Gefühl, das sich von seinem Unterleib schnell in Richtung Magen vorarbeitete – es ist nur eine Simulation.
Plötzlich war der Greifer wieder über ihm und senkte sich in Angst einflößender Geschwindigkeit herab. Etwa zwei Meter über der Kapsel blieb er dann abrupt stehen und die Fensterschilde begannen sich zu schließen. Schwärze umhüllte ihn.
»Behelfskapsel festgelegt. Austausch eingeleitet.«
Peter überkam Panik. Was sollte das um Himmels Willen! Er war doch gar nicht für eine scharfe Testreihe vorgesehen. Das war ein Fehler!
»Hallo! Herr Minzig? Hallo!« Er rief lauthals in die Dunkelheit, nur um vor der Lautstärke seiner Stimme und der Panik, die darin mitschwang, zu erschrecken. »Hallo! Ihr macht einen Fehler.« Schließlich begann er, wie wild an die verschlossenen Fenster zu klopfen. Seine Stimme hallte unangenehm dumpf und trotzdem überlaut in der Kapsel wieder. Dann war ein metallisches Geräusch zu vernehmen und ein Ruck fuhr durch die Kapsel. Spürbar wurde sie in die Höhe gerissen und vollführte in der Schwebe einige Richtungsänderungen. Mit einem blechernen Hall setzte sie wieder auf. Klein verstummte. Der Schweiß war ihm ausgebrochen, seine Hände schmerzten und er keuchte schwer. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit und versuchte zu erahnen, was nun geschehen würde.
Dann hörte er ihn, diesen durchdringend hohen Ton, der von der Robotersonde stammen musste. Als er verklungen war, setzte sich seine Kapsel wieder in Bewegung. Die Kapsel hatte die Kontrolle bestanden. Was sollte er nur tun?
Kraftlos ließ sich Peter in den Sessel zurücksinken und schnappte nach Luft, während er aus dem Summen und Ruckeln schloss, dass er sich wohl immer noch auf dem Band befand. Nach einer nur schwer messbaren Zeit in absoluter Dunkelheit wurde die Kapsel so gedreht, dass er auf dem Rücken lag. Dann fand das Ruckeln in einem Klicken und einigen Servos, die mehr zu spüren als zu hören waren, ein Ende.
Der Bildschirm erhellte sich und zeigte Minzig in Großaufnahme. »Herr Klein? Herr Klein, sind sie da?«
»Wo soll ich denn sein, bitte schön?« Peters Panik war einer großen Verärgerung gewichen.
»Ah, sehr schön.« Er wirkte verlegen. »Wir haben hier einen kleinen Fehler in den Missionsparametern des Hauptrechners. Ich habe das bereits weitergemeldet, warte jetzt aber noch auf die Entscheidung von oben. Ich bin mir sicher, dass wir sie da bald rausholen.«
»Was heißt hier ‚Ich bin mir sicher’? Ich will sofort hier raus! Kümmern sie sich darum! Gibt es hier keinen Notaustieg? Sagen sie mir jetzt nicht, dass es aus dieser Rettungskapsel keinen Notaustieg gibt!«
»Herr Klein.« In Minzigs Stimme schwang auf einmal eine große Distanz mit. »Das hier ist kein mittelständischer Betrieb. Wir sind ein Weltunternehmen. Allein ihre Testreihe kostet mehrere Millionen und der scharfe Start geht in die hundert Millionen. Seien sie versichert, dass wir alles tun, was möglich ist. Wir sind aber auch ein gewinnorientiertes Unternehmen, das seinen Aktionären gegenüber verantwortlich ist. Das verstehen sie doch, Herr Klein? Ich melde mich in ein paar Minuten wieder. Minzig Ende.«
Klein blieb fast die Luft weg. Er hatte sich diesem Konzern offensichtlich ausgeliefert. Konnte das sein? War er so blauäugig gewesen? Gehörte das vielleicht auch zum Test?
»Licht.« Die Standbydiode des Monitors blieb das Einzige, das den Innenraum der Kapsel erhellte.
Frustriert durch das fehlende Licht begann Klein fieberhaft, alles abzutasten, um vielleicht selbst den Ausstieg zu finden.
»Testreihe 2-17, noch 40 Minuten. Ladesequenz der Testkapseln abgeschlossen.« Ohne jegliche Regung hattte die Stimme seine ergebnislose Suche kommentiert.
Peter wurde es heiß und kalt und er sank wieder zitternd in seinen Sessel. Er kam sich schrecklich ausgeliefert und betrogen vor. Was sollte er nur tun?
Zäh vergingen die Momente, in denen er nur seinen eigenen Atem hörte und von Atemzug zu Atemzug wurde die Luft heißer und stickiger. Aus irgendeinem Grund lief die Klimaanlage nicht. Peter begann, schrecklich zu schwitzen.
»Testreihe 2-17, noch 35 Minuten. Externe Energiezufuhr wird abgekoppelt. Trägersystem versorgt sich jetzt selbst.« Für einen Moment flackerte die kleine Standbydiode am Monitor. Ein kurzes anschwellendes Rauschen und ein eisiger Luftzug auf seiner Stirn kündeten von der wieder laufenden Klimaanlage. Dankbar um die vermeintlich frische, aber auf jeden Fall kühle Luft, wischte sich Peter die verschwitzten Haare, so gut es eben ging, mit seinen Overallärmeln trocken.
»Herr Klein?« Von einem Moment auf den anderen war Minzigs ausdrucksloses Gesicht wieder auf dem ganzen Bildschirm zu sehen. »Herr Klein, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Kommen sie mir nicht so.« Peter ließ die Arme sinken und ahnte bereits, dass das nichts Gutes bedeutete.
»Dann fang ich mit der Schlechten an. Herr Klein.« Minzig ging noch näher an die Kamera heran, sodass nur noch Augen, Nase und Mund zusehen waren. »Sie fliegen ins All.«
»Das könnte ihr nicht machen! Dafür habe ich meine Einwilligung nicht gegeben! Ich will hier sofort raus! Ich …«
»So beruhigen sie sich doch.« Minzig wartete eine Weile schweigend bis Klein sich ausgetobt und die Aussichtslosigkeit seines Protestes begriffen hatte.
»Herr Klein. Sie haben uns ihre Einwilligung gegeben, auch wenn das so nicht geplant war. Die Ladeautomatik des Zentralrechners muss neu justiert werden. Der Austausch einer scharfen Kapsel mit der aus einem anderen Testlauf war so nicht vorgesehen.«
Peter war den Tränen nahe und es schürte ihm die Luft ab.
»Sie sind, wenn man den Ärzten glauben schenken darf, topfit, Herr Klein. Ihre Kapsel ist auch weltraumtauglich, da kann ich sie beruhigen, und der Test dauert genau genommen sogar kürzer, als wir besprochen haben. Sie sind nur gute zwei Stunden im All. Sie fliegen da rauf, werden abgekoppelt, der Bordcomputer berechnet den Wiedereintrittswinkel, sie kommen in der allgerischen Wüste runter und das war’s. Im Anschluss gibt es noch ein paar medizinische Tests und ein Debriefing.« Minzig lehnte sich zurück, dass beinahe seine Schultern zu sehen waren. »Und dann gibt es einen dicken Bonus, der ihnen das Fünffache einbringt. Statt fünftausend für achtundvierzi Stunden bekommen sie jetzt fünfundzwanzigtausend für gerade mal zwei Stunden « Ein kleines selbstgefälliges Lächeln umspielte seinen linken Mundwinkel.
Peter wusste nicht recht, was er sagen sollte. Er fühlte sich gefangen und dennoch. Jetzt war er schon einmal hier und fünfundzwanzigtausend Euro-Dollar würden ihm immerhin einen Neustart ermöglichen.
»Und außerdem, Herr Klein«, Minzig näherte sich der Kamera mit verschwörerischer Miene, »dann können sie mit Fug und Recht behaupten, ein echter Testpilot mit Raumerfahrung zu sein. Das kann nicht jeder. Das kommt bei der Frauenwelt bestimmt nicht schlecht an. Sie verstehen doch, Herr Klein?«
Langsam nickte Peter den Bildschirm an, war sich aber über seine Gefühle überhaupt nicht im Klaren.
»Also, Kopf hoch, Herr Klein. Das schaffen sie schon. Ich bin ja immer bei Ihnen. Während der Startsequenz muss ich mich allerdings ausklinken, damit ich der Startkontrolle nicht dazwischen funke. Sie verstehen doch, Herr Klein? Denken sie einfach an das Geld. Minzig Ende.« Schlagartig war der Bildschirm schwarz.
Im selben Augenblick beschlich Klein wieder ein ungutes Gefühl. Er versuchte, seine Gedanken zu sortieren.
Im Endeffekt war es so, wie Minzig gesagt hatte. In spätestens zwei Tagen würde er darüber lachen und das Geld kassieren. Peter kniff die Augen zusammen und atmete kurz und kräftig aus. Also gut. Wenn das All einen neuen Besucher wollte, sollte es wohl so sein. Ein flüchtiger Gedanke flackerte durch seinen Hinterkopf – er hatte nichts mehr zu verlieren.
»Testreihe 2-17, noch 30 Minuten. Triebwerke werden angefahren.«
Klein spürte ein unterschwelliges Vibrieren, das die gesamte Kapsel erfasste. Nervös rieb er seine schweißigen Handflächen an seinen Oberschenkeln ab. Die Luft war mittlerweile beinahe zu kühl, und da er sich einigermaßen beruhigt hatte, war sein Kreislauf nach unten gegangen, was ihm ein leichtes Frösteln bescherte. Als hätten seine Hände davon nichts mitbekommen, waren sie mit kaltem Schweiß bedeckt. Das Vibrieren wurde jetzt merklich stärker.
»Testreihe 2-17, Triebwerke bei dreißig Prozent.«
Peter ging sein Leben durch den Kopf. Nicht in einzelnen flüchtigen Bildern, sondern in mehreren, deutlichen Passagen. Ihm kam sein Vater in den Sinn, wie er mit ihm zusammen vor einem Videospiel gesessen hatte und nicht verlieren konnte. Er sah seine Mutter, wie sie ihm sein Pausenbrot gab und ihm auf dem Weg zur Schule nachwinkte, während sie ihm irgendetwas nachrief, an das er denken solle. Seine erste Freundin, und wie sie sich küssten, sein Schulabschluss und die verrückten Flausen, die er und seine Freunde damals im Kopf gehabt hatten. Er hatte ein Leben gehabt, wie andere auch, ein schönes Leben. Was war aus ihm geworden? Er saß geschieden und ohne eine Festanstellung wie eine Laborratte in einer dunklen Kapsel, hatte feuchte Hände und war auf dem Weg ins All.
Peter versuchte, sich das Geld vorzustellen und was er als Erstes damit machen würde.
»Testreihe 2-17, Triebwerke bei fünfundsechzig Prozent. Testlauf beendet. Countdown bei 21 Minuten.«
Als Erstes würde er richtig fein essen gehen. Vorher würde er sich neue Kleider kaufen müssen. Und dann würde er Urlaub machen. Nein, kein Urlaub. Er war jetzt lange genug untätig in phlegmatischer Zeitverschwendung versunken. Er würde sich in Bewerbungen stürzen. Vielleicht bekam er eine Anstellung in einer größeren Stadt. Er könnte ja umziehen. Es würde sich ja sowieso niemand um ihn scheren. Vielleicht Christiane? Nach allem, was er wusste, war sie immer noch allein. Vielleicht könnte er ja ...
»Testreihe 2-17, Transfer des Trägersystems in drei, zwei, eins.«
Wieder ein Ruckeln und Klein wusste, dass sich die Trägerrakete mit den Rettungskapseln auf die Startrampe schob. Seine Magennerven spielten verrückt und in seinen Bauch rumorte es. Wenn er doch endlich wieder ein Licht hier drinnen hätte oder wenigstens mit diesem REKA-Programm reden könnte. Das würde ihn ablenken. Doch ihm blieb nichts anderes als zu warten. Minuten, in denen nur ein leichtes Vibrieren zu spüren war und er von seinem Gleichgewichtsinn nur vage Informationen bekam, wohin die Reise ging.
Die Trägerrakete stoppte.
»Testreihe 2-17, Transfer Trägersystems abgeschlossen. Countdown bei fünfzehn Minuten.«
Peter wurde einmal mehr bewusst, dass das Zeitfenster eines zumindest theoretischen Ausstiegs oder gar einer Flucht immer kleiner wurde. Unterbewusst tasteten seine Hände noch einmal in der Dunkelheit umher, ob da nicht doch irgendwo ein Griff und ein Notausstieg waren.
»Testreihe 2-17, vierzehn Minuten bis zum Start.«

markoose
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Kapitel 6 - Start

Beitragvon markoose » 28.11.2013, 20:52

»Testreihe 2-17, drei Minuten bis zum Start. Alle Systeme auf Grün.«
Ein Jammer. Peter flog ins All und sah außer einem schwach leuchtenden Monitor und einer winzigen Standbydiode nichts. Plötzlich erwachte der Bildschirm wieder zum Leben. Der sekundengenaue Countdown wurde angezeigt. Er war überrascht, wie glücklich ihn ein wenig Licht machen konnte. Mittlerweile war es aber richtig kühl geworden in der Kapsel, sodass er sich schließlich auf seine Hände setzte, um sie zu wärmen. Wann würde nur dieses Notfallprogramm endlich wieder aktiv?
Die Countdownanzeige schwebte in die obere rechte Ecke des Schirms und ein schlichter unformatierter Text erschien.

‚You are using a Cheapsky Rescue Pod © Modle No. 6 B. Please fasten your seatbelt and follow the further instructions. Keeping your tongue behind your teeth will avoid injury. Thank you for trusting our product. Good luck and have a good day. For further information you may visit us at http://www.Cheapsky-rescue-pods.com.’

Darunter war die Piktogrammfolge zu sehen, die ihm schon einmal gezeigt hatte, wie die Gurte zu schließen waren.
Mit wachsender Nervosität öffnete er die Gurte noch einmal, richtete seinen Overall und gurtete sich dann wieder an.
»Testreihe 2-17, zwei Minuten bis zum Start. Zündung der Triebwerke in fünf, vier, drei, zwei, eins.«
Peter musste sich irgendwie beschäftigen, um seine Nerven zu beruhigen. Er hätte in diesem Moment viel um einen Kaugummi gegeben. Er begann schließlich selbst mit geschlossenen Augen, die Sekunden herunterzuzählen, nur um festzustellen, dass er viel zu schnell war.
»Testreihe 2-17, eine Minute dreißig Sekunden. Triebwerke bei vierzig Prozent.« Das Vibrieren nahm wieder zu und überall, wo sein Körper das Polster berührte, regte es die Durchblutung an. Ihm wurde wieder wärmer.
»Testreihe 2-17, eine Minute bis zum Start. Triebwerke bei siebzig Prozent. 54 ... 53 ... 52 ...«
Wieder schossen Peter Zweifel durch den Kopf. Was machte er hier nur? Dieser verdammte Minzig hatte ihn über den Tisch gezogen. Zwei Tage! Dann würde er neu anfangen. Nur zwei Tage. Komm schon!
»... 41 ... 40 ... 39 ...«
Seine Hände begannen zu zittern, sodass er sich krampfhaft an den Gurten festhalten musste, um sie unter Kontrolle zu bringen. Er hatte den Mund die ganze Zeit geschlossen, um die Zunge hinter seinen Zähnen zu lassen und dabei auch noch die Luft angehalten. Explosionsartige atmete er aus. Oh, Gott!
»... 24 ... 23 ... 22 ... 21 ... Triebwerke bei neunzig Prozent.«
Peter Klein fühlte sich winzig und ausgeliefert. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch, der auf dem Trocknen lag.
»... 13 ... 12 ...«
Lieber Gott, mach, dass ich hier heil wieder rauskomme!
»... 10 ... 9 ... 8 ... 7 ... 6 ...«
Scheiße, ich werde sterben!
»... 3 ... 2 ... 1 ... Start.«
Mit einer Gewalt, die er so nicht erwartet hätte, presste ihn die Beschleunigung der Rakete in den Sitz. Er konnte spüren, wie seine Wangen und alle anderen beweglichen Teile seines Gesichtes in Richtung Ohren gedrückt wurden. Es fühlte sich an, als würde ein Riese einen Fuß auf seinen Brustkorb setzen und langsam das Gewicht verlagern. Seine Blase fing an, zu schmerzen. Er verlor jedes Gefühl für die Zeit.
»Höhe, 18,9317 Kilometer, Geschwindigkeit 2198,52 km/h.«
Klein hätte nicht sagen können, wie lange es dauerte, bis der Druck nachließ, aber er war sehr dankbar darum.
»Höhe, 443,25 Kilometer, Geschwindigkeit 10.638 km/h.«
Was das Ganze besonders unangenehm machte, war die Tatsache, dass er außer dem Bildschirm mit den wenigen Daten und der völlig teilnahmslosen Computerstimme nichts hatte, an dem er sich gedanklich festhalten konnte. Peter spürte nur die extremen Belastungen und vergaß darüber beinahe, wer er war oder wo es hinging.
Plötzlich trat für einen kurzen Moment so etwas wie eine absolute Stille ein. Die Raketenmotoren hatten gestoppt oder waren irgendwie an den Rand seines Bewusstseins getreten. Die Erschütterungen und die Belastung durch die Beschleunigung hatten ausgesetzt. Peter atmete auf.
»Höhe, 2145,33 Kilometer, Geschwindigkeit 23403,6 km/h. Beginn der Testreihe 2-17 in - drei – zwei – eins – Zündung.«
Mit einer Beschleunigung, die die Erste beinahe in den Schatten stellte, wurde Klein erneut in den Sitz gepresst.
»Erfolgreicher Start der Rettungskapsel. Wiedereintrittswinkel wird berechnet.« Auf dem Monitor begann die Uhr erneut bei Null.
Peter verlor jede Orientierung.
»Wiedereintrittswinkel berechnet. Kurs der Kapsel wird angepasst.« Zu dem Rauschen in seinen Ohren gesellte sich ein Brummen, das die ganze Kapsel erzittern ließ. Es stockte mehrmals, um gleich wieder von Neuem zu beginnen.
»Gehe in Gravitationsmodus.« Das Brummen veränderte sich und wurde schwächer.
Jetzt kam ein Gefühl hinzu, als säße er in einer Berg- und Talbahn, nur dass diese in absoluter Dunkelheit fuhr. Peters Magen rebellierte und sein Sichtfeld flimmert, als wurde jemand an der Helligkeit eines Monitors herumspielen.
Jetzt allerdings ließen die Belastungen schneller als beim ersten Mal nach.
Hatte ihn der Simulator vorhin beeindruckt, so war die Realität noch einmal um einiges eindrücklicher und nicht mehr mit einem Vergnügungspark zu vergleichen.
»Sicherheitsabstand zum Mutterschiff erreicht in fünf, vier, drei, zwei, eins. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben soeben die Zerstörung ihres Mutterschiffes überlebt. Scanner zeigen keine lebensgefährlichen Verletzungen. Beginne nun mit der Kalibrierung des Systems anhand der bestehenden Körperdaten. Sie hören nun zu ihrer Entspannung das Stück ‚Ave Maria’ von Bach/Gounod interpretiert von Maria Callas.«
Auf dem Monitor war wieder der langsam wachsende Statusbalken zu sehen. Peters Abneigung gegen jene langsam wachsenden Balken wuchs in diesem Moment beträchtlich.
Der Monitor erleuchtete das Innere der Kapsel immer noch nur schwach, und obwohl es dieselben Klavierakkorde waren, die sich beim ersten Mal so wundervoll angehört hatten, schien es Peter, als wolle Maria Callas ihn verhöhnen. Er wartete darauf, dass sich endlich die Panzerung öffnete, sodass er wenigstens etwas zu sehen hatte. Der erwartete leichte Ruck ging durch die Kapsel, die Wände wurden transparent und durch die sich klärenden Scheiben konnte man wieder Teile der Fensterpanzerung sehen, die gerade wegklappte. Dahinter tat sich dieses Mal allerdings nicht das All in seiner unbegreiflichen Weite auf.
Peter wurde beinahe schlecht, da sich seine Augen, jedes Mal, wenn sie sich gerade an etwas festgehakt hatten, losgerissen wurden, um nur einen Augenblick später am nächsten Punkt festzuhaken und wieder losgerissen zu werden.
Er erkannte nur fahle Streifen aus Licht, die sich über die Fenster zogen. Sie wurden immer wieder von einem schrecklich grellen Licht und dann von einem blauen Schatten unterbrochen. Peter kniff die Augen zusammen und es lief ihm wieder heiß und kalt über den Rücken, dieses Mal aber nicht durch die empfundene Rührung sondern durch die aufkommende Übelkeit. Was war hier los?
»REKA, was ist hier los? Warum sehe ich das All nicht?«
Als Antwort sang Maria Callas gerade ‚Wir wollen uns still dem Schicksal beugen’.
Peter Klein war es übel und er war verärgert, wobei die unterschwellige Angst und die gereizten Magennerven den Ärger schnell verdrängten. Er blickte absichtlich auf seinen Schoß, um die Übelkeit zu niederzuzwingen. Endlich kamen das Musikstück und auch der Statusbalken zum Ende und es erschien wieder das Wort REKA und darunter das Logo des Raumfahrtzentrums.
»Kalibrierung abgeschlossen. Ich hoffe, sie haben die Havarie seelisch gut überstanden. Wenn sie Zuspruch brauchen sollten, sagen sie einfach SEELSORGE.«
Kleins Ärger wuchs wieder ein wenig.
»Mein Name ist REKA. Ich bin das Kommunikationsprogramm dieser Rettungskapsel und meine Aufgabe ist es, ihnen ihre Rettung so angenehm wie möglich zu machen. In Zukunft werde ich von der Rettungskapsel und mir in einer Person sprechen. Wie darf ich sie nennen?«
Peter fühlte sich wie in einem schlechten Film oder als müsste jeden Augenblick irgendwo eine Klappe aufgehen, aus der ein grinsender Fernsehmoderator hervorlugte, nur um ihm zu sagen, dass das ja alles ein ganz toller Scherz gewesen sei. Frustriert starrte ins Leere, atmete desillusioniert aus und fluchte leise vor sich hin. »Fuck ...«
»Hallo, Fuck. Darf ich ...«
»Nein, nein, Scheiße noch mal, mein Name ist Peter, einfach nur Peter!«
»Oh, Entschuldigung. Hallo, Peter. Darf ich mich ihnen nun vorstellen?
»Ja.« Peter war sichtlich genervt und wollte das alles nur schnell hinter sich bringen.
»Ich bin eine Rettungskapsel, Modell Nummer 6 der Baureihe Beta. Für den weiteren Gebrauch ist es sicherlich von Vorteil, genau über mich Bescheid zu wissen. Soll ich fortfahren?«
»Mh, nein. Das hab ich doch schon alles gehört. Warum seh’ ich hier kein All und was sind das für Streifen?«
»Peter, das ist das All. Es stellt sich ihnen jedoch in Streifen dar, da die ich rotiere.«
»Rotieren? Wieso rotierst du, also wir?«
Auf dem Bildschirm wurde erneut eine Schemadarstellung der Kapsel eingeblendet. »Ich verfüge über ein externes Antriebsmodul, das beim Abschuss automatisch abgekoppelt wird. Es ist dann nur noch über ein hundert Millimeter starkes Teleskopversorgungskabel mit mir verbunden.« Der Bildschirm zeigte nun eine Art Bola, aber statt der Steine hing an der einen Seite die Kapsel und an der anderen ein Raketenmotor. »Beim Start werde ich so aus dem Mutterschiff geschleudert, dass durch die Rotation eine künstliche Schwerkraft an Bord erzeugt wird. Wenn sie diese Rotation unterbrechen wollen, muss ich den externen Antrieb zu Bremsung zünden. Ich rate aber davon ab. Länger anhaltende Schwerelosigkeit kann zu Formen der Raumkrankheit führen, außerdem kostet das Bremsmanöver einen Großteil meiner Energievorräte.«
»So viel zur schönen Aussicht. Dann schließ die Fenster wieder.« Augenblicklich setzten sich die Panzerschotte in Bewegung. »Wo kann man den hier mal pinkeln, verdammt?«
»Ja, Peter, fluchen sie ruhig. Fluchen kann ein gutes Ventil für angespannte Menschen sein. Lassen sie alles heraus, ich höre es mir gerne an.«
»Was ist jetzt mit meiner Notdurft?«
»Die Notdurft verrichten sie mit dem Hygieneadapter. Er befindet sich unter ihrem Sitz.«
Peter griff tastend unter den Sitz, während sich in seinem Kopf sein urmenschliches Bedürfnis und der Begriff HYGIENEADAPTER in einem unüberwindbaren Widerspruch gegenüber standen. Schließlich fühlte er einen Plastikbeutel, den er hervorholte. Darin befanden sich verschiedenste eingeschweißte Utensilien vom Taschenmesser über eine Notfalldecke bis hin zu wasserfesten Streichhölzern, die alle wohl für das Leben nach einer Notlandung gedacht waren. Peter spürte seine Blase nun sehr deutlich und rutschte immer unruhiger auf dem Sitz hin und her.
Endlich hielt er einen Beutel mit eingeschweißten Gegenständen in der Hand, auf dem groß und breit HYGIENEADAPTER stand. Leicht schockiert und skeptisch hielt Peter die Ansammlung von Gummiringen und Schläuchen vor seinem Gesicht und besah sich die Piktogramme auf der Packung. Diese beschrieben eindeutig unangenehme Tätigkeiten und versprachen ein Gefühl von Krankenhaus. Seine Blase allerdings ließ kein Zögern mehr zu.
Fahrig riss er die Packung auf und nestelte die Kabel und Schläuche heraus. Als Peter jedoch nach unten auf seinen Schoß sah, wurde ihm schlagartig bewusst, dass der Overall zwar einen zweiten Reißverschluss besaß, der unten angebracht war, aber die ganze Aktion wohl doch ein größeres Unterfangen werden würde.
Nach mehreren schweißtreibenden Minuten, in denen seine Blase immer stärker rebellierte, saß Klein nun mit entblößtem Geschlecht und dem Overall auf Knöchelhöhe in der Kapsel und begann den grafischen Anweisungen auf der Verpackung zu folgen. Alle Verbindungen waren schließlich hergestellt.
»Hygieneadapter aktiviert, Peter. Notdurft kann jetzt verrichtet werden.«
Peter begann, sich zu entspannen.
»Achtung, Peter! Hygieneadapter abgekoppelt, bitte prüfen sie die Anschlüsse.« Zusehends hektischer fummelte er erneut an den Kabeln und Schläuchen.
»Hygieneadapter aktiviert, Peter. Notdurft kann jetzt verrichtet werden.«
Wieder lehnte sich Peter ausatmend zurück.
»Achtung, Peter! Hygieneadapter abgekoppelt, bitte prüfen sie die Anschlüsse.«
Schwer fluchend und beinahe wie von Sinnen prüfte er erneut die Anschlüsse.
»Hygieneadapter aktiviert, Peter. Not ... Achtung, Peter! Hygieneadapter abgekoppelt, bitte prüfen sie die Anschlüsse.«
Dann ging das Licht aus. »Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...« Die andere Frauenstimme quäkte wieder unablässig durch die Kapsel.

markoose
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»Essen«

Beitragvon markoose » 12.12.2013, 19:23

Dumpf starrte Peter auf die Patience, die er sich auf dem Bildschirm gelegt hatte. Das Kartenspiel wollte nicht recht vorangehen und, wenn er es sich recht besah, hatte er es sowieso nur angefangen, um auf andere Gedanken zu kommen. Das war ihm nicht wirklich gelungen, aber wenigsten hatte er sich wieder beruhigt.
Nachdem zusätzlich zum Hygieneadapter auch noch des Piloteninterface ausgefallen war, hatte er sich in seiner Not entschieden, einfach in den Verpackungsbeutel des Hygieneadapters zu pinkeln. Im wahrsten Sinne des Wortes notdürftig verknotet lag dieser jetzt im Fußraum zwischen seinen Beinen und gluckerte gefährlich, wenn er ihn zufällig berührte.
Doch der Beutel machte ihm nicht wirklich Sorgen. Was ihn viel mehr beschäftigte, war die Frage, wohin beziehungsweise wohinein er das nächste Mal machen sollte, denn eines war klar - den Hygieneadpater würde er nie wieder benutzen. Zudem hatte er keine Lust, die nächsten zwei Tage zwischen mit seinen eigenen Exkrementen gefüllten Beuteln zu verbringen.
»Herr Klein, hier Groundcontrol, Minzig spricht.« Das Gesicht des ernsten Mannes erschien in einem kleinen Fenster am oberen Rand des Schirmes. Peter tippte darauf, dann nahm es den ganzen Bildschirm ein.
»Ja, hier ist Klein.«
»Herr Klein, wie haben sie den Start überstanden. Alles in Ordnung?«
»Na ja, so weit so gut. Ich bin unverletzt, aber ich muss gestehen, die Bordtoilette ist weit schwieriger zu überstehen als der Start.«
»Schön, dass sie noch scherzen können, Herr Klein.« Das Lächeln Minzigs wirkte aufgesetzt.
»Das war eigentlich nicht als Scherz gedacht. Um es mal auf Deutsch zu sagen, der Hygieneadapter funktioniert nicht und ich weiß nicht, wo ich hier hinpinkeln soll. Von schwereren Fällen will ich hier noch gar nicht anfangen.«
Bei der geknurrten Antwort Kleins wurde Minzig schlagartig wieder ernst. »Ich verstehe. Ich werde veranlassen, dass die Fehlerdaten ausgelesen werden. Vielleicht bringt uns das weiter.«
Peter starrte finster auf den Schirm.
»Herr Klein. Ich muss ihnen da noch etwas sagen.«
Die Nackenhaare des unfreiwilligen Raumfahrers stellten sich augenblicklich und seine Miene wurde, obwohl es kaum möglich war, noch finsterer.
»Wir haben hier auf den Schirmen einen kleinen Schwarm aus hoch beschleunigten Teilchen. Sie stammen vielleicht von einem Satelliten oder es sind besonders große Meteoride.«
»Und das heißt?«
»Die bewegen sich genau auf sie zu. Sie sollten alle Schutzschotten schließen und ... beten.«
»Wie bitte? Sie meinen, diese Dinger können mich treffen?«
»Ja, nur sehen sie, es ist so, die Außenhülle ihrer Kapsel ist aus besonders gehärtetem Material und hält den normalen Belastungen im Raum durchaus stand. Diese Teilchen sind meist äußerst klein, aber man weiß eben nie und es handelt sich bei ihrer Kapsel ja genau genommen um ein nicht einsatztaugliches Modell. Deshalb war es ja in der Simulatorhalle installiert.«
»Aber sie haben doch gesagt, sie sei einsatztauglich. Das ist euer Verschulden! Außerdem hat die Robotsonde die Kapsel doch geprüft und sie selbst haben gesagt, dass … Ach, ich weiß immer noch nicht, warum ich überhaupt hier oben bin. Habt ihr wenigsten den Fehler gefunden?« Peters Stimme war kurz davor, sich zu überschlagen und seine Stimmung kurz davor, ins Haltlose zu kippen.
»Um ehrlich zu sein, Herr Klein, das gibt uns noch Rätsel auf, aber ein hochqualifiziertes Team von Technikern hat sich der Sache bereits angenommen.« Minzig versuchte dieses Mal ein zuversichtliches Lächeln, das ihm aber nicht gelingen wollte.
»Na toll. Ich dachte, ihr alle da unten seid hochqualifiziert.« Klein machte eine Pause, in der sein Ärger noch deutlich nachschwang. »Wie lange habe ich noch bis zum Eintreffen der Meteoriden?«
Minzig sah auf etwas, das wohl neben seiner Kamera stand. »Noch genau dreiundvierzig Minuten. Ich synchronisiere ihren Bordcomputer. Dann können sie die Daten jederzeit abrufen. Wegen der Notdurftfrage melde ich mich, sobald ich etwas Neues habe. Ach, Herr Klein? Ich glaube nicht, dass es durch die Meteoride zu einer Verzögerung kommt, also, immer dran denken, nur noch eine knappe Stunde bis zur Landung, viel Glück. Minzig, Ende.« Dann zeigte der Bildschirm wieder das Kartenspiel, das einfach nicht aufgehen wollte.
Das Wort Verzögerung hallte noch in Peters Bewusstsein nach, als er sich wieder seiner Ablenkung zuwenden wollte. Schon war unter der Missionsuhr, die mittlerweile auf 01:04:38 stand, eine zweite zusehen, die von rückwärtslief – 42:38, 42:37, 42:36 ...
Misstrauisch besah er sich die beiden Zahlenreihen, die auf einander zuzulaufen schienen. Er hob die Hand, um auf Neues Spiel zu tippen, als ein Knurren das leise Rauschen der Klimaanlage übertönte. Sein Magen hatte sich zu Wort gemeldet und Peter musste sich eingestehen, nicht ganz zu unrecht, hatte er doch seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Es war wohl an der Zeit, einmal die Bordküche auszuprobieren. Die Vorfreude auf ein Essen wurde dem Astronauten wider Willen allerdings ziemlich verdorben, als er an das dachte, was die Nahrungsaufnahme und die damit verbundene Verdauung für Konsequenzen mit sich brachte. Zweifelnd schaute er sich das kluckernde Etwas zwischen seinen Füßen an. In Tüten pinkeln war eine Sache.
»Reka?«
»Ja, Peter?«
»Reka, wie war das noch gleich mit dem Essen?«
»In dem Fach mit der Aufschrift VERSORGUNG befinden sich verschiedene Lebensmittelkonserven, die sowohl in warmem wie auch in kaltem Zustand verzehrt werden können. Die Zubereitung ist außen auf der Packung aufgedruckt. Sie können dazu den Induktionsofen halbrechts vor ihnen nutzen. Die Vorräte sind für den Bedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen ausgelegt und sollten etwa zwei Wochen reichen.«
Neugierig öffnete Peter das besagte Fach und ihm bot sich der Blick auf eine ganze Auswahl an verschiedensten Lebensmittelkonserven. Ein zweiter Blick ließ ihn allerdings ernüchtert zurücksinken. Beim größten Teil handelte es sich lediglich um Platzhalter aus Pappe, die einem nur Appetit aber keine Sättigung verschaffen konnten.
»Na toll.« Lustlos beugte er sich wieder nach vorne, um zu prüfen, was denn überhaupt vorhanden war. Seine Ausbeute war nicht gerade groß, zwei Beutel mit Kartoffelpüree und Bratensoße, ein Müsli, drei Packungen Kekse und ein Päckchen Kaugummis. »Kartoffelpüree oder Kartoffelpüree? Hm, dann nehmen wir eben Kartoffelpüree.«
Nach der Anleitung musste man die Packung öffnen, etwas Wasser hinzugeben, wieder verschließen, schütteln und dann für fünf Minuten in den Induktionsofen stecken. Alles verständlich, aber woher bekam er Wasser.
»Trinken ...« Schon surrte das Röhrchen neben seinem Kopf herunter. Peter zog die Hülle vom Mundstück. Nach einem erfolglosen Versuch, die Packung einfach an das Röhrchen zu halten, wandte er sich wieder an den Bordcomputer.
»Reka, wie soll ich Wasser aus der Leitung in den Speisebeutel bekommen?«
»Sagen sie einfach TRINKEN und das Versorgungsinterface steht ihnen zur Verfügung. Bei sparsamem Verbrau ...«
»Nein, nein, nein. Ich will wissen, woher ich das Wasser für das Essen bekomme.« Peter wurde ungeduldig.
»Verzeihung. In dem Fach mit der Aufschrift VERSORGUNG befinden sich verschiedene Lebensmittelkonserven, die sowohl in warmem wie auch in kaltem Zustand verzehrt werden können. Die Zubereitung ist außen auf der Packung aufgedruckt. Sie ...«
»Herrgott, Reka! Woher bekomme ich Wasser für die Lebensmittelkonserven?«
»Wünsche Sie religiösen Zuspruch?«
»Nein, aaah! Wo gibt’s hier Wasser?«
»Sagen sie einfach TRIN ...«
»Reka, ich brauche Wasser für meinen Speisebeutel.«
»Bitte als Frage formulieren.«
»Wie kommt das Wasser in den Speisebeutel?«
»Frage nicht verstanden.«
»Ich brauche Wasser zum Kochen.«
»Diese Option ist nicht vorgesehen, wenden Sie sich bitte an den Hersteller.«
Frustriert saß Peter Klein in der nur spärlich beleuchteten Kabine und starrt auf die aufgerissene Packung Kartoffelpüreegranulat. Schließlich kam ihm eine Idee. »Also gut. Sieht ja keiner zu.«
Mühselig nahm er immer einen Schluck Wasser aus dem Röhrchen und spuckte ihn in den Beutel, bis das Wasser die Markierung erreicht hatte. Er verschloss das Ganze sorgfältig und schüttelte kräftig. Schließlich öffnete er den Ofen und stellte den Beutel hinein. Die Bedienung schien denkbar einfach. Zeit einstellen, Startknopf betätigen, warten.
Zu dem unterschwelligen Rauschen der Klimaanlage gesellte sich das Summen des Induktionsofens. Skeptisch schaute Peter durch die Ofenscheibe und dann auf den Bildschirm, noch zweiunddreißig Minuten. Das sollte wohl für ein Essen reichen.
Ein leises ‚Ping’ verriet ihm, dass der Ofen am Ende seiner Arbeit war. Hungrig griff er nach dem Beutel nur, um festzustellen, dass er für seine bloßen Finger viel zu heiß war. Mit dem Öffnen der kleinen Tür war neben dem Duft nach Bratensoße auch der Geruch nach angebrannten Kartoffeln und Kabelbrand bemerkbar geworden. Halbenttäuscht und halbrätselnd sah Peter auf den dampfenden Beutel. Schließlich nahm er mehrere der Pappschilder aus dem Verpflegungsfach. Diese ergaben auf seinem Schoß gestapelt einen ganz passablen Hitzeschutz. Mit spitzen Fingern holte er das Kartoffelpüree rasch aus dem dampfigen Fach. Wenigstens war eine Plastikgabel außen auf die Verpackung aufgeklebt gewesen. Es dauerte einwenig, bis Peter die erste Gabel mit dem gelblich verbrannten Brei herausbalanciert hatte. Der Geruch war durchaus angenehm, der Geschmack aber eher durchschnittlich.
Kaum hatte er ein paar Gabeln verspeisen können, musste Peter feststellen, dass der Rest des Breis entweder an der Innenwand der Packung festgebacken, noch granuliert oder nicht fertig war. Im Grund hungriger als zuvor beendete er sein erstes Mahl im All äußerst unbefriedigt.
»Reka, wie ist das mit dem Müll hier an Bord?«
»Oberhalb des Piloteninterface befindet sich eine Klappe mit einem Ausrufezeichen. Das ist eine Minischleuse. Hier können Sie Müll entsorgen. Achtung! Alles, was einmal weggeworfen wurde, kann nicht wieder hergeholt werden. Es befindet sich dann im All.«
Peters Blick wanderte zwischen den Überresten des Pürees und dem Urinbeutel im Fußraum hin und her. »Und wie ist das, wenn ich ein großes Geschäft erledigen muss?«
»Ich habe nicht verstanden. Frage bitte neu formulieren.«
»Oh, Mann! Kot, Kacke, Exkremente, was mache ich damit?«
»Für diesen Fall gibt es die großen Hygienebeutel. Diese befinden sich ebenfalls unter ihrem Sitz.«
Einigermaßen zufrieden, sein Anliegen verdeutlicht zu haben, aber nicht glücklich über die Antwort öffnete Peter die Abfallschleuse und blickte hinein. Ein Hohlraum von der Größe eines Schuhkartons. Er packte die Essensreste hinein und schloss die Klappe. Die Taste daneben leuchtete grün. Als er den Knopf betätigen wollte, kam ihm eine Idee. Peter nahm den geöffneten Beutel heraus und tauschte ihn mit dem Urinbeutel. Jetzt betätigte er den Knopf. Sofort wurde die Taste rot und die Tonbandstimme, die ihn schon mehrfach auf den Wackelkontakt am Piloteninterface aufmerksam gemacht hatte, quäkte wieder los. »Achtung! Schleuse in Betrieb. Achtung! Schleuse in Betrieb.« Gleichzeitig hörte man das Geräusch einer Pumpe und ein roter LED-Balken wurde nach und nach länger. Bei der zehnten LED hörte man ein leises Klack. Als die Luft offenbar wieder in die Schleusenkammer drang, erloschen die roten LEDs wieder nacheinander und die Taste wurde zum Schluss auch wieder grün.
Neugierig öffnete der frischgebackene Schleusenwärter die Klappe. Der Müll war weg.

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»Meteoride«

Beitragvon markoose » 26.12.2013, 13:14

Meteoriden, Meteoriden. Das klang wie Hämorriden. Von Meteoriten hatte Peter schon gehört, aber Meteoride? »Reka, was sind Meteoride?«
»Meteoroide sind meist Staubteilchen, kleine Metall- oder Gesteinskörner aus dem interplanetaren Raum, von denen pro Tag etwa 10 Milliarden vom Weltall aus mit einer Gesamtmasse von 1.000 bis 10.000 Tonnen in die Atmosphäre der Erde einfallen. Wegen ihrer enormen Geschwindigkeit von etwa 11,2 bis 72 km/s – je nach Einfallswinkel zur Bahnbewegung der Erde – verdampfen die meisten in etwa 80 Kilometer Höhe durch Luftreibung; dabei ionisieren sie die Luftmoleküle, was helle Leuchtspuren hervorruft.«von Wiki kopiert (nachweis)
»Wie groß sind diese Dinger eigentlich?«
»Dinge ist der Plural eines Sammelbegriffs. Eine Größe kann hier n...«
»Wie groß sind Meteoride genau?« Seiner Wut entsprechend qualmten die Worte aus Peters Mund.
Wie erwartet reagierte Reka aber in keiner Weise auf seine heißerzornige Stimme. »Meteoride können kleiner als ein zehntel Millimeter sein. Ihre Größe variiert bis über einen Zentimeter hinaus.«
Peter wurde schlecht bei der Vorstellung, dass die Kapsel von gewehrkugelgroßen Teilen mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit durchlöchert werden könnte.
»Und du hast alle Schutzmaßnahmen, die diese Kapsel zu bieten hat, ergriffen?« Peter wurde plötzlich bewusst, mit welch großen Worten er die kläglichen Schilde der Kapsel umschrieben hatte.
»Ja.«
Er schaute auf den Bildschirm. Die berechnete Aufschlagszeit stand bei 21 Minuten. Wieder lief ihm ein Schauer über den Rücken und nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob dies alles das Geld wert war, dass sie ihm versprochen hatten. Doch es half nichts. Er war gefangen nächste halbe Stunde, dann wäre laut Minzig der ganze Zauber vorbei und er wieder sicher gelandet.
»Also, mach’s Beste draus.«
»Formulieren Sie die Frage neu.«
»Ich hab’ nicht mit dir geredet.«
»Verzeihung.«
Dieses Programm hatte offensichtlich noch einige Macken und Kinderkrankheiten, aber Reka war hier oben die einzige, mit der er reden konnte. Wenn er ehrlich war, hätte Peter, selbst wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, nicht einmal gewusst, mit wem er daheim auf der Erde hätte reden sollen. Mit Christiane vielleicht?
Besser nicht. Hätte wohl keinen guten Eindruck hinterlassen, wenn der Exmann sie aus einer Raumkapsel angerufen und ihr erzählt hätte, dass er es ja nur wegen des Geldes machte und bald ein Meteoridenschwarm auf ihn träfe. Peter entschied sich, die Wartezeit bis zum Aufschlag mit einem Gespräch zu verkürzen.
»Reka, wer bist du?«
»Frage bitte neu formulieren.«
»Na, ich meine, woher stammt zum Beispiel deine Stimme?«
»Prüfe meine Dateien.« Es entstand eine kurze Pause. »Die Stimme stammt von Anna Sidolski und wurde digital überarbeitet. Weitere Einträge zu meiner Stimme sind nicht verzeichnet.«
»Wer hat dich programmiert?«
»Der Chefprogrammierer heißt Sven Schmiedkopf. Weitere Einträge sind nicht vorhanden.«
»Kannst du denken?«
»Ich habe 101883 Subroutinen gespeichert, um Prozesse selbständig zu initiieren und zu überwachen.«
»Nein, ich meine, stellst du dir auch manchmal Fragen?«
»Was für Fragen?«
»Na, zum Beispiel, woher komme ich?«
»Als die Systeme der Kapsel hochgefahren wurden, waren sie bereits an Bord. Ich kann keine Aussage darüber treffen, woher sie kommen.«
Peter blies frustriert die Backen auf. »Stellst du dir manchmal die Frage, woher du kommst?«
»Nein.«
»Oder willst du wissen, was passiert, wenn du ausgeschaltet wirst?«
»Nein.«
Peter schwieg eine ganze Weile.
»Soll ich mir die Frage stellen?«
»Was ... Wie bitte?«
»Soll ich mir die Frage stellen, woher ich komme, Peter?«
»Äh, von mir aus.«
»Anwort nicht verstanden.«
»Ja. Meinet wegen.«
»Berechnung der Antwort läuft. Dauer noch unbekannt.«
Peter ärgerte sich über den Einfall, mit Reka ein richtiges Gespräch führen zu wollen. Das hatte ihn lediglich weiter frustriert und mit seinem vielleicht nahen Ende konfrontiert. Was hatte er denn erwartet? Seit Jahrzehnten versuchten die Menschen, künstliche Intelligenz zu erzeugen, waren aber bis jetzt nie über hochkomplexe Roboter, die aufgrund geregelter Abläufe handelten, hinausgekommen.
Ein Bewegung auf dem Bildschirm zog Peters Blick an, eine Zahl war umgesprungen - noch 18 Minuten. Für einen kurzen Moment flackerte in Peter der Gedanke an ein Testament auf, eine Art Abschiedsbrief für den Fall seines Todes. Er könnte die Logbuchfunktion dazu verwenden. Doch so schnell, wie der Gedanke gekommen war, verwarf er ihn auch wieder. Nahe Verwandte oder Freunde hatte er keine. Ehemalige Arbeitskollegen oder gar Christiane mit einem solchen Brief zu behelligen, schien ihm unangebracht. Zu vererben hatte er auch nichts, also kein Abschiedsbrief.
Peter wurde bewusst, wie allein er war und dass nichts von ihm zurückblieb. Nichts erinnerte an ihn, wenn er einmal fort war. Betrachtete man seine Situation ganz nüchtern, so war da niemand mehr außer einem unzureichenden Kommunikationsprogramm und einem offensichtlich inkompetenten Versuchsleiter. Ihm blieb nur er selbst. Und wer war er schon? Ein arbeitsloser Betriebswirt ohne Familie aber mit hoher Flexibilität. Der Raumfahrer wider Willen lächelte bitter. Was würde es schon ausmachen, wenn er sterben würde? Da war nichts und niemand, der ihn hielt oder für den es Wert gewesen wäre, zu leben. Mit einem Mal fühlte er eine unendliche Müdigkeit über sich hereinschwappen. Peter schloss die Augen, die sich schmerzhaft mit Tränen füllten. Was war nur geschehen?
Im wurde klar, dass es keinen Unterschied machte, ob er jetzt zuhause in seiner beschissenen Einzimmerwohnung auf dem Bett lag und die Decke anstarrte oder hier oben vor sich hinsinnierte. Er war ein Niemand und niemand würde ihn vermissen. Peter musste an seine Mutter denken und dann waberten wieder unzählige Bilder seiner Kindheit in sein Bewusstsein, glühende Überreste seines Lebenswillens. Momente, in denen er Wettkämpfe gewonnne, Geburtstage gefeiert oder gute Noten nachhause gebracht hatte. Er roch die Wärme und den Kücheduft, der sich mit der Handcreme mischte, als seine Mutter ihn einmal tröstend in den Arm genommen hatte. Bilder großer Momente und auch kleiner zogen an ihm vorüber und Peter weinte.
Ein Piepsen drang mühsam zu ihm durch. Mit verschwommenem Blick starrte er auf den Bildschirm. Von dem Countdown waren nur noch sechse Sekunden übrig – fünf – vier – drei – zwei – eins.
Stille, nur das leise Rauschen der Klimaanlage. Nichts passierte, während ihn die vier Nullen der Uhr verständnislos anblickten. Peter begann, langsam zu zählen. Die Augenblicke verstrichen und es geschah nichts. Hatten ihn die Meteoride verfehlt? Er wischt sich unbeholfen die tränennassen Augen mit den Ärmeln. 36 – 37 – 38. Sollte das vielleicht ein Wink des Schicksals sein? 40 – 41 – 42.
»Reka? Ist der Countdown kor ...« Ein Klopfen unterbrach ihn. Deutlich war es zu hören gewesen. Da noch eins und noch eins. Dann prasselte es, als säße er bei Hagel in einem Auto. Instinktiv zog Peter den Kopf unter die Arme und zog die Beine an.
»Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...«
Es war schrecklich laut. Er hatte das Gefühl, es würde immer lauter. Minute um Minute. Er konnte die Erschütterungen der Aufschläge immer deutlicher spüren. »Oh, Gooooott! Ich will noch nicht sterben!«
Dann gab es einen lauten Knall. Schwarz.
Peter tauchte durch die Weiten einer tiefen, hoffnungslosen Dunkelheit. Er mühte sich, seine Bewegungen zu koordinieren, aber es war, als ob sein Körper gar nicht mit ihm verbunden wäre. Schließlich gab er alle Bewegung auf. Dann mit einem Mal, als ob ihn eine Strömung ergriff, trieb Peter auf etwas zu. Ihm wollte nicht klar werden, was es genau war, aber es war hoch, ja schrill.
Er spürte seine Arme wieder, die er zum Schutz vor das Gesicht hielt. Seine Ohren hatten begonnen zu pfeifen.
»Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...«
Immer noch prasselte es auf die Kapsel ein. Er konnte die Augen nicht öffnen, hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Er wusste nur, dass es unendlich dauerte. Schließlich gleich einem Sommergewitter verebbten die Aufschläge bis nur noch vereinzelt welche zu hören waren. Was zurückblieb, war das Pfeifen in den Ohren und die ewig quäkende Stimme. »Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ... Bitte Piloteninterface anlegen ...«
Langsam hob Peter den Kopf und ließ die Arme sinken. Ein Schütteln des Handgelenks und die Tonbandstimme verstummte. Er schaute sich misstrauisch um, als könnte ihm jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen.
»R ... Reka?«
»Ja Peter?«
»Hat die Kapsel irgendwelche Schäden davon getragen?«
»Prüfung initiiert.« Sofort erschien ein Statusbalken auf dem Bildschirm, der bei 0,3% Prozent stand. Die Missionsuhr stand bei 01:58:07. Bald würde es vorbei sein.
Peter begann, sich zu entspannen. Behutsam setzte er die Beine wieder in den Fußraum.
Die Luft war stickig und verbraucht.

markoose
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»Pfeifen«

Beitragvon markoose » 11.01.2014, 22:44

Der Statusbalken stand seit Minuten auf 56 Prozent, als hätte sich das System aufgehängt. Peter hatte zu schwitzen begonnen, was nicht zuletzt auf die stehende Luft in der Kabine und seinen erhöhten Herzschlag zurückzuführen war. In einem Akt wütender Verzweiflung riss er sich den Overall vom Oberkörper. Das graue T-Shirt darunter war bereits völlig von Schweiß durchdrungen. Seine Füße hingegen waren eiskalt.
Während er eins der Pappschilder aus dem Vorratsfach nahm, die mehr versprachen, als das Fach halten konnte, tippte er ungeduldig auf den Bildschirm. Nichts tat sich. Er zog die Füße an, um sie zu wärmen. Dieser verdammte Minzig. Die Missionsuhr stand schon bei 02:38:54 und von einem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre hatte er nichts mitbekommen. Zwei Stunden, von wegen zwei Stunden.
Das Schild „Jägertopf mit Spätzle“ wedelte in Peters Hand wild durch die Luft, um ihm wenigstens etwas Kühlung zu verschaffen. »Reka, was ist nun? Hat die Kapsel einen Schaden erlitten oder nicht?«
»Schadenskontrollroutine bei 56 Prozent, bitte haben sie noch etwas Geduld.«
Peter war verwirrt. Offensichtlich hatte die Kapsel keinen bedrohlichen Schaden davongetragen, aber irgendetwas war nicht in Ordnung. Oben war es stickig und unten eiskalt. Prüfend senkte er seine Rechte in den Fußraum. Er spürte einen leichten Zug auf dem verschwitzten Rücken seiner Hand.
»Reka, können einzelne Bereiche vor anderen geprüft werden?«
»Ja, Peter.«
»Dann prüfe bitte jetzt die Klimaanlage.«
»Verstanden, unterbreche Routine 576 und prüfe das Belüftungssystem.«
Der Statusbalken flackerte kurz, blieb bei 56 Prozent und ein weiterer Balken erschien. Dieser allerdings bewegte sich weitaus schneller und war bereits nach kurzer Zeit am Anschlag.
»Prüfung des Belüftungssystems abgeschlossen. Es wurde in Folge der einschlagenden Meteroide aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Funktion bei 100 Prozent.«
»Dann schalte es wieder an, Reka. Mir ist heiß.«
»Belüftungssystem aktiviert. Fahre mit Routine 576 fort.« Ein gedämpftes Brummen, das immer mehr an Höhe gewann, bis nur noch das leise Rauschen der Anlage zu hören war, bestätigte Rekas Angabe. Peter atmete gierig die kühle Luft ein, die augenblicklich aus den Lüftungsschlitzen drang. Der Geruch, der mit der künstlich riechenden Luft eindrang, ließ ihn jedoch sofort erschaudern. Es roch nach verschmortem Kunststoff.
»Reka, ich rieche so etwas wie einen Schmorbrand. Kannst du das dann auch überprüfen, wenn die Überprüfung abgeschlossen ist?«
»Schmorbraten ist nicht als Bordgericht verzeichnet. Es gibt ...«
»Nein, ich meinte, es riecht nach einem SCHMORBRAND! Prüfe das bitte.«
»Schmorbrand, verstanden, prüfe die Zusammensetzung der Kabinenluft, sobald Rechenressourcen frei werden.«
Nicht beruhigt, aber froh, etwas getan zu haben, lehnte sich der verschwitzte Astronaut zurück. Peter schloss die Augen und versuchte, zu entspannen. Okay, die Meteoride hast du anscheinend überstanden. Er hörte das monotone Rauschen der Klimaanlage und seinen Atem. Von Zeit zu Zeit drangen Geräusch aus dem Armaturenbrett, die wohl dem Bordcomputer entstammten. Das Pfeifen in den Ohren war mittlerweile zu einem dünnen, hohen Sirren verblast. Peter sog die trockene Luft in großen Zügen ein und spürte, wie sein Kreislauf sich langsam aber sicher beruhigte. »Trinken.«
Sofort senkte sich surrend der Trinkhalm neben seinem Kopf und Peter gönnte sich einen großen Schluck Wasser. Es schmeckte nicht einmal so abgestanden, wie er es in Erinnerung hatte.
Wieder lehnte er sich zurück und wollte gerade behaglich seufzen, als ihm etwas auffiel. Während des Trinkens hatte er den Kopf leicht drehen müssen und das Sirren hatte sich verändert. Wie konnte das sein, wenn das Pfeifen in seinem Kopf war?
Augenblicklich schreckte Peter nach vorn und drehte panisch den Kopf. Das Sirren veränderte sich wieder. Im fuhr es in den Magen. Schließlich beugte er sich mit dem Kopf weit in den Fußraum und das Geräusch wurde lauter. Kaum merklich zwar, aber doch so, dass er sich sicher war. Es kam aus dem Fußraum. Irgendetwas war undicht. Er blickte auf den Bildschirm – 83 Prozent.
Wieder tippte Peter erfolglos auf den Bildschirm, um die Routine zu unterbrechen. »Reka, irgendetwas pfeift hier in der Kabine. Es ist ein Geräusch, das vor der Kollision mit den Meteoriden nicht da war.«
»Schadenskontrollroutine bei 83 Prozent. Zurzeit keine zusätzliche Rechenleistung verfügbar.«
»Unterbrich die Routine jetzt, Reka! Prüfe das Geräusch im Fußraum.«
»Routine unterbrochen. Prüfe Atemluft, Geräuschpegel und Kabinendruck.«
Diesmal erschienen drei weitere Statusbalken, die unterschiedlich schnell wuchsen. Nervös rieb Peter seine verschwitzen Hände an seinen Oberschenkeln ab.
»Geräuschpegel 0,08 Prozent über Normal. Zuordnung Fußraum.« Peter wurde schlecht. Was war es dieses Mal? Die Sekunden zogen sich wie kleine Ewigkeiten. Er hatte einmal etwas über Schwarze Löcher gelesen, in denen alles schier unendlich in die Länge gezogen würde. So musste es sich wohl anfühlen in einem Schwarzen Loch.
»Atemluft innerhalb der normalen Parameter.« Das war zumindest eine gute Nachricht. Peter atmete aus und merkte erst jetzt, wie lange er die Luft angehalten hatte.
»Kabinendruck 3 Prozent unter Normal, weiter fallend. Achtung! Undichte Hülle. Lebenserhaltungssysteme werden beeinträchtigt.«
Sofort erschien eine Piktogrammanweisung auf dem Bildschirm, wie eine Sauerstoffmaske aufzusetzen wäre. Jetzt erinnerte sich Peter auch an den lauten Knall, den er während des Meteoridenschauers gehört hatte.
»Reka, wir wurden offensichtlich schwer getroffen! Wir müssen das Loch finden!«
»Sensormöglichkeiten ausgeschöpft. Ich verfüge über keine weiteren Suchoptionen. Setzte Schadenskontrollroutine fort.«
Peter öffnete seinen Gurt und duckte sich einem Taucher gleich in den Fußraum. Er tastete hektisch die Wände ab. In den Tiefen seines Bewusstseins wunderte er sich, dass der Wackelkontakt des Interface ihm diesmal nicht in die Quere kam. Fahrig betastete er die Oberfläche des Fußraums. Nichts, überall nur Teppich.
Da! Er spürte die Kälte und den Sog an einer Stelle ganz deutlich.
Instinktiv drückte er mit dem rechten Zeigefinger darauf und spürte sofort einen stechenden Schmerz in der Fingerspitze. Rückartig nahm er den Finger wieder weg und nahm ihn in Augenschein. Ein kleiner rötlicher Punkt war dort entstanden, wo die Haut eben noch die kalte Stelle berührt hatte. Widerwillige aber entschlossen suchte er die Stelle wieder und drückte den Finger erneut darauf. Dieses Mal schmerzte es sogar noch mehr. Peter wusste ganz genau, dass er neben Wasser und Wärme Atemluft brauchte, um zu überleben. Er konnte sich hier keine Großzügigkeiten erlauben. Schweiß drang ihm auf dir Stirn und die unnatürliche Körperhaltung begann, äußerst unbequem zu werden.
Er starrte auf seinen Finger, dessen Spitze tiefrot und dessen Rest weiß war. Abdichten. Er musste das Loch irgendwie abdichten.
»Reka, gibt es an Bord einen Reparaturset oder was ähnliches?«
»Ich verfüge über ein Dichtungsgel. Es befindet sich neben den Hygienebeuteln unter dem Sitz.«
Peter versuchte seinen Kopf in Richtung des Sitzes zu drehen, was sich als äußerst schwierig erwies. Er bog seinen Hals bis an die Grenze des Möglichen, sah unter Schmerzen aber nur den linken Rand der Hygienebeutel. Er brachte seinen freien Arm unter den Sitz und nach mehreren Ansätzen spürte er eine kleine Nylontasche. Durch die gebeugte Haltung drückte er sein Zwerchfell ab und die Atmung war sehr schwer. Peter schloss die Augen, atmete noch einmal, so tief es ging, ein und zerrte die Tasche dann in sein Blickfeld. Während er sie mit der linken festhielt, biss er mit den Zähnen auf die Griffplatte des Reißverschlusses und zog die Tasche auf.
Entsetzt starrt er auf den Inhalt, ein Trockenbeutel und ein Zettel mit der Aufschrift „Dichtmasse“.
Peter entfuhr ein unflätiger Ausdruck, worauf Reka sofort antwortete. »Die Hygienebeutel befinden sich unter dem Sitz.«
Peter schrie vor Wut.
»Ja, Peter. Schreien befreit.«
Wild keuchend dachte er fieberhaft nach. Abdichten, abdichten! Die Kaugummis!
Wieder veranlasste er seinen linken Arm zu einer schmerzhaften Verrenkung in Richtung Versorgungsfach, während sein Rechte immer noch auf das Loch drückte und immer stärker schmerzte.
Nach endlosen Augenblicken spürte er die Packung, führte sie zum Mund und riss sie unwirsch auf. Sein Zwerchfell schmerzte nun auch. Peter stopfte sich zwei Kaugummis, die noch halb in der Aluminiumfolie hingen in den Mund und begann trotzig schmatzend zu kauend. Das unangenehme Gefühl des Metalls im Mund mischte sich mit dem künstlichen Zucker. Das Blut lief ihm mittlerweile in den Kopf und er musste des Kauens wegen durch die Nase atmen. Mit einem Mal wurde ihm klar, in welcher Haltung er hier völlig verkrampft saß und mit hochrotem Kopf wild kaute. Ein Teil seines Bewusstseins fand das urkomisch, doch der Lachimpuls verebbte an seinem eingeklemmten Zwerchfell und an einer Mauer aus Wut und Verzweiflung.
Schließlich fingerte er die weich gekaute Masse aus Aluminiumfetzen und Kaugummi aus seinem Mund. Er riss den Zeigefinger von dem unsichtbaren Loch. Dieser begann sofort zu bluten. Peter presste die Masse mit aller Gewalt auf die Stelle, dann deckte er das Ganze mit einem größeren Fetzen der Kaugummipackung ab und ließ los.
Stille. Außer seinem gepressten Atem und der Klimaanlage hörte er nichts mehr. Nur mit größten Mühen richtete Peter seinen Körper wieder auf und ließ sich schwer atmend in den Sessel zurückfallen. Er war schweißnass. Teile seines Körpers begannen unangenehm zu kribbeln, als sie wieder mit Blut versorgt wurden.
Plötzlich fiel etwas von oben herab und baumelt direkt vor seinem Gesicht. Wie zum Hohn schwang ein Pappschild in Form einer Atemschutzmaske mit der Aufschrift „Dummy“ vor seinem Gesicht.
»Kabinendruck 4 Prozent unter Normal, kein Druckverlust.« Peter atmete schwer. Er konnte hören, wie die Klimaanlage mit mehr Leistung fuhr und nur wenig später kam eine weitere Meldung.
»Kabinendruck innerhalb der normalen Parameter.«
Peter war klar, dass Reka nicht darauf programmiert war, einen Kaugummi in ihre Berechnungen mit einzubeziehen. Er konnte nur hoffen, dass dieses Universalhilfsmittel der menschlichen Kultur dichthielt, bis er gerettet wurde. Nachdenklich betrachtete er seinen blutenden Finger und steckte ihn dann in den Mund. Der Geschmack des eigenen Blutes vermengte sich mit den Resten des Kaugummis und den Aluminiumfetzen zu einem Gemisch, dass Peter frösteln ließ. Spontan schossen ihm Bilder von blutverschmierten, metallenen Trümmerteilen durch den Kopf.

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Referenzrechner - Kursänderung

Beitragvon markoose » 22.01.2014, 19:43

»Schadenskontrollroutine abgeschlossen. Lebenserhaltungssysteme arbeiten einwandfrei. Sauerstoff bei 78 Prozent. Wasser bei 65 Prozent. Energie bei 23 Prozent. Antriebseinheit ohne Schadensmeldung, Status inaktiv. Hülle und Struktur bei 98 Prozent, keine Einschränkung der Stabilität. Zentrale Recheneinheit ohne Schadensmeldung, Status aktiv. Periphergeräte bei 72 Prozent: Optik des Referenzrechners defekt, externe Wartung nötig ...«
»Warte mal, Reka.« Der Bordcomputer verstummte augenblicklich. Bei den Worten externe Wartung hatte er aufgehorcht, und obwohl ihm schon dämmerte, was dies bedeutete, wollte er es genau wissen. »Reka, was bedeutet ‚externe Wartung’?«
»Ich muss mich im Atmosphären-Dock befinden, sodass Techniker auch an meiner Außenhülle arbeiten könne.«
»Was ist das, ein Re ... Referenzrechner?«
»Der Referenzrechner ermittelt die Entfernung zu Bezugspunkten, wie zum Beispiel einem Fixstern. Diese Daten werden benötigt, um meine exakte Position zu bestimmten.«
Peter beschlich ein ungutes Gefühl. »Mach mit dem Schadensbericht weiter.«
»Optik des Referenzrechners defekt, externe Wartung nötig. Exakte Positionsbestimmung nicht möglich. Kollision hatte eine Kursänderung zur Folge. Kursabweichung bei 87 Prozent. Induktionsofen antwortet nicht, interne Revision möglich. Schadensbericht Ende.«
»Moment, Moment. Wir sind nicht mehr auf Kurs?« Peter schaute auf die Missionsuhr – 2:57:37. Schlagartig wurde ihm klar, dass er eigentlich schon gelandet sein und von den Rettungskräften in der algerischen Wüste gesucht werden müsste. Die Abdichtaktion hatte ihn vollkommen abgelenkt.
Nicht auf Kurs – die verdammten Meteoride hatten ihn tatsächlich vom Kurs abgebracht und jetzt war die Verzögerung, die Minzig nicht erwartet hatte, doch eingetreten. Die blasse Erinnerung an die Worte des Testleiters hallten durch sein Gedächtnis.
Dieser Hintertreppenwissenschaftler hatte vorher kurz etwas über einen Eintrittswinkel gefaselt. Eintrittswinkel, Eintrittswinkel. Wenn er es richtig verstand, dann hing es vom Eintrittswinkel ab, ob die Kapsel verglühte oder nicht.
»Reka, ist der neue Eintrittswinkel zu steil?«
»Nein.«
Peter fiel ein Stein vom Herzen.
»Zurzeit gibt es keinen Eintrittswinkel.« Auch, wenn das unmöglich war, glaubte Peter, einen sarkastischen Unterton in Rekas Stimme zu hören.
»Hei ... Heißt das, wir fliegen nicht in Richtung Erde?«
»Korrekt. Der momentane Kurs führt von der Erde weg. Der erste Himmelskörper, der sich mit meinen Kursdaten deckt, ist der Mond. Geschätzte Ankunftszeit 40,3 Stunden. Hüllenstabilität nach Ankunft unter 1 Prozent. Die mögliche Ungenauigkeit meiner Berechnungen liegt bei 5,7 Prozent, da ich durch den Verlust des Referenzrechners weniger valide Daten habe.«
Peter stockte der Atem. Bilder von berstendem Metall und Mondstaubwolken schossen wieder durch sein Bewusstsein. Er zog die Beine an wippte auf dem Sitz vor und zurück. Das leise Rauschen der Belüftung mischte sich mit seinem Wimmern.

»Kursänderung«
»Hier Bodenstation, Klein, können sie mich hören?«
Peter starrte ungerührt vor sich hin und wippte. Er hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren.
»Hier Bodenstation, Herr Klein, hallo?«
Peter senkte seinen Blick langsam auf den Bildschirm, wo Minzig zu sehen war.
»Herr Klein, ist alles in Ordnung?«
Die groteske Frage riss Peter wieder zurück in die Realität. »Ja, hier.« Seine Stimme war tonlos. »Alles in Ordnung.«
»Ich habe gute Neuigkeiten.« Minzigs Euphorie verdampfte in Peters Bewusstsein wie ein Tropfen Wasser in der Sahara.
»Herr Klein, wir wissen, dass sie durch die Kollision mit den Meteoriden den Kurs gewechselt haben.«
»Ja, und ich rausche auf den verdammten Mond zu. Was ist daran gut?«
»Sie haben noch genug Energie, um einen Kurswechsel durchzuführen.«
»Ich dachte, Reka hätte über zehn Megawatt Energie. Was ist damit?«
»Nun reaktives Brennmaterial ist teuer. Der Reaktor hat gerade mal soviel, dass es für einen regulären Rückflug reicht. Und der Rest muss in Reserve gehalten werden, um bei der Landung bremsen zu können. Sie verstehen doch, Herr Klein, uns bringt der genaueste Kurswechsel nichts, wenn sie am Ende ungebremst aufschlagen.«
Peter nahm die Beine herunter und lehnte sich nach vorn. »Es sind doch bestimmt Fallschirme eingebaut, oder nicht?«
»Natürlich, Herr Klein. Die sind allerdings nur für die letzte Phase des freien Falls innerhalb der Atmosphäre gedacht. Sie sind da oben aber ein bisschen schneller als im freien Fall. Im Zuge der Zeit sollten wir jetzt wirklich weiter machen.«
»Weitermachen? Wie meinen sie dass? Reka soll den Kurs neu berechnen. Sie klingen so, als wäre da noch etwas.«
»Ja, Herr Klein. Da der Referenzrechner gestört ist, müssen wir einen manuellen Kurswechsel vornehmen.«
»Wir? Wie soll das gehen?«
»Sie werden Reka selbst steuern müssen.«
Peters Gesichtszüge entglitten.
»Keine Sorge, ich sage ihnen alles nötige und Reka wird ihnen dann den genauen Zeitpunkt der einzelnen Aktionen sagen.«
»Das klingt, als wäre das alles ganz einfach. Warum werden dann Astronauten jahrelang ausgebildet und haben zudem noch mehrere Universitätsabschlüsse?«
»Aber Herr Klein. Das war gestern. Die heutige Astronautenausbildung ist weitaus kürzer, außerdem handelt es sich hier um unser neuestes Produkt. Die Rettungskapsel wurde ja genau für solche Fälle konzipiert.«
»Sie meinen dafür, unausgebildet und gegen seinen Willen in einem Stück Laborschrott durchs All zu fliegen?«
»Ihr Sarkasmus hilft uns jetzt auch nicht weiter, Herr Klein.« Minzig nahm wieder einmal seine Brille ab. »Ich weiß, dass sie unter großem Druck stehen, aber glauben sie mir, gemeinsam können wir das schaffen und sie nach Hause bringen.«
Das Wort ‚gemeinsam’ störte Peter wie der Knorpel in einem Bissen Fleisch, der einfach nicht weicher werden wollte. Ihm war aber klar, dass Minzig Recht hatte. Er musste da durch, ob er wollte oder nicht. »Was ist also zu tun?«
»Das ist die richtige Einstellung, Herr Klein. Bravo. Nun, zuerst müssen sie die manuellen Bedienungselemente aktivieren. Unterhalb des Monitors muss eine kleine Klappe sein. Öffnen sie diese und drücken sie auf den Knopf darunter.«
Peter fuhr mit der Hand an der Kante unterhalb des Monitors entlang. Da war nichts. Erst beim zweiten Mal spürte er die feinen Rillen. Er drückte auf den Deckel, worauf sich dieser mit einem Klicken senkte um dann aufzuspringen. Seine Fingerkuppen schimmerten rot, also musste da wohl etwas leuchten. Er ertastete den Knopf und drückte ihn. Der Bildschirm wechselte seine Anzeige. Minzig wurde auf ein kleines Fenster in der rechten oberen Ecke verbannt, während sich der Hauptbildschirm mit einem Menü füllte. Nach einem kurzen mechanischen Rumoren erschien unterhalb des Armaturenbretts eine Tastatur und ein kleiner Joystick, allerdings blieb beides auf halber Strecke stehen.
Peter rüttelt etwas daran. »Die Tastatur ist hängengeblieben. Ich kann nicht alle Tasten erreichen.«
»Einmal kräftig ziehen. Das ist eine Kinderkrankheit, die wir der Kapsel noch nicht austreiben konnten.« Das Lächeln, das Minzig zeigte, wirkte wie das eines Lausbuben und wollte nicht zu dem sachlichen Wissenschaftler passen.
Nach mehreren gewalttätigen Versuchen löste sich die Tastatur schließlich und kam weiter nach vorne, allerdings hatte sie sich jetzt verkantet und hing etwas schräg vor Peter. Ihm war sofort klar, dass er sie wohl bis zum Ende der Fahrt nicht wieder würde einfahren können. »Also gut, hier ist die Tastatur und der Joystick. Und was jetzt?«
»Als Erstes müssen sie die Koordinaten und Vektoren ihrer Position eingeben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir zum einen hier unten eine etwa 0,2 Sekunden verzögerte Angabe ihrer Position haben und unsere Rechenergebnisse mit eben dieser Verzögerung zu ihnen nach oben schicken müssen. Dann kommt noch die Verzögerung durch ihre Reaktionszeit und ihre Eingabezeit hinzu. Unterm Strich heißt das, wir müssen ihnen vorausberechnete Daten schicken, damit die Synchronisation auch so genau wie möglich ist.«
»Wie viel Zeit habe ich, um die Daten einzugeben?«
»Je kleiner das Zeitfenster ist, umso genauer ist der Abgleich der Daten, allerdings müssen wir das Zeitfenster vorher festlegen, sonst können wir hier nichts berechnen.«
»Wie lange habe ich Zeit zum Üben?«
»Um ehrlich zu sein, läuft uns die Zeit davon, da das Zeitfenster, in dem eine angemessene Kurskorrektur möglich ist, immer kleiner wird. Wenn wir es verpassen, müssen sie weiter vierundzwanzig Stunden da oben bleiben und sind schon auf dem Weg zum Mond.«
»Sagen sie das doch gleich, verdammt. Lassen sie uns endlich anfangen.«
»Ich setze den Zeitversatz auf 1,5 Sekunden. Rufen sie zuerst das Navigationsmenü auf.«
Peter griff nach dem kleinen Joystick und schoss erst einmal völlig unkoordiniert mit dem Zeiger über den Bildschirm. Bildschirmzeiger, dass wusste er noch aus der Schule, waren in den zwanziger Jahren vom Markt verschwunden. Heutzutage benutzte man nur noch Eye- und Voicecontrol und den Touchscreen. Und selbst der Touchscreen wurde schon nach und nach vom Hologrammcube abgelöst. Der kleine schnelle Zeiger trieb ihm die ersten Schweißperlen auf die Stirn. »Das ist ja schlimmer als den Küchencomputer zu justieren.«
»Herr Klein, beeilen sie sich. Wählen sie als erstes das Vektorfeld an. Ihren Vektor kennen wir und der hat sich ja seit dem Aufschlag nicht geändert.«
Endlich gelang es Peter, das besagte Feld anzusteuern und auszuwählen. Der Kursor blinkte ungeduldig im ersten der vier Felder. »Okay, ich bin soweit, Geschwindigkeit?«
»Ich schicke ihnen die Daten jetzt nach oben.« Sofort waren die Daten über Minzigs Gesicht zusehen. Peter konnte sie kaum entziffern. Er begann zu tippen.
Minzig lehnte sich etwas zur Kamera. »Eingabebestätigung ... jetzt.«
Peter hatte zwar den Zahlenblock auf der Tastatur gleich gefunden, aber wie bestätigte man die Eingabe? »Welche Taste verdammt?«
»Rechte Hand, Enter.« Minzig blieb routiniert.
Endlich fand Peter die Taste und drückte sie nieder. Der Kursor sprang ins nächste Feld. Die Zahlenreihen waren nun deutlich länger. Peter brach der Schweiß aus. Ihm blieb nicht einmal Zeit, seine Eingabe zu kontrollieren.
»Eingabebestätigung der Koordinaten ... jetzt.« Minzig klang beinahe wie ein Roboter aus einem Science-Fiction-Filmen des vorigen Jahrhunderts. Peter bestätigte wieder. Minzig verschwand vom Bildschirm.
»Herr Minzig? Was ist? Haben wir’s geschafft?« Er hörte, wie sich Minzig im Hintergrund mit einer weiteren Person unterhielt, verstand jedoch nichts. Zäh tropften die Sekunden.
Minzig erschien wieder auf dem kleinen Abschnitt des Bildschirms. »So, Herr Klein. Alles in Ordnung. Wählen sie nun den Schubregler des Triebwerkes an.«
Während Peter mit dem ungewohnten Pfeil über den Bildschirm schoss, sprach Minzig weiter.
»Bevor das Triebwerk eine Kursänderung vornehmen kann, muss es die Rotation der Kapsel bremsen und eingeholt werden. Die Schwerkraft wird also für einen Moment ausetzen. Dann müssen sie die Kursänderung aktivieren. Sie verstehen doch, Herr Klein?«
»Triebwerk bremst, wird eingezogen und ich muss einen Knopf drücken.«
»Nein, Herr Klein, sie müssen dann die Kursänderung mit dem Kursor anwählen und bestätigen.«
»Okay.« Peter lief der Schweiß in Strömen über sein Gesicht und tropfte ihm vom Kinn.
»Rotationsbremsung einleiten in ... drei ... zwei ... eins ... jetzt.«
Peter hatte gerade noch die Bestätigungstaste erwischt. Ein leichtes Vibrieren war zu spüren, dann hörte man einen Motor. Ein sonderbares Gefühl durchströmte ihn. Er hatte sich nur ein bisschen bewegt und schon löste er sich vom Sitz. Der Gurt hing ungenutzt an den Seiten. Peter schwebte in der kleinen Kabine und blieb sogleich mit den Knien an der Nottastatur hängen. Ein hohes surrendes Geräusch verriet, dass das Triebwerk eingeholt wurde.
»Kursänderung aktivieren in zwei ...«
Peter hatte sich für einen kurzen Moment von der Schwerelosigkeit ablenken lassen. Seine nun folgende hektische Bewegung endete damit, dass er sich den Kopf heftig an der Decke stieß.
»... eins ...«
Der Schmerz durchzuckte seine Schädeldecke. Verdammt, wo war oben, wo war unten? Wo war die Eingabetaste?
»... jetzt!« Minzig klang wie ein Feldwebel.
Peter schwebte direkte unter der Kabinendecke und sein Arm reichte nicht ganz zur Tastatur. Er drückte den Kopf in den Nacken und stieß sich so von der Decke ab. Sein ausgestreckter linker Zeigefinger schoss in Richtung Tastatur. Die Rechte griff nach dem Joystick. Er wählte das Feld an und drückte die Taste herunter.
Der plötzliche Schub drückte Peter seitlich auf die Armlehne seines Sitzes und klemmte dabei seine linke Hand ein. Der Schmerz stach bis in die Schulter. Peter zwang sich, die Augen offen zu halten und verfolgte die zitternden Zahlen auf dem Bildschirm. Momente zogen sich wie Kaugummi.
Dann plärrte die unliebsame Tonbandstimme durch die Kabine. »Bremsmanöver eingeleitet.« Dieses Mal wurde Peter in die obere rechte Seite der Kapsel gedrückt und stieß sich den Kopf dabei erneut, als er den Wasserspender streifte. Die Nerven der aufgeschürften Haut brüllten durch sein Bewusstsein. Nach weiteren zähen Momenten des Schmerzes blieben die Zahlen dann stehen. Wieder begann Peter durch die Kabine zu schweben, durch die Schmerzen konnte er der Schwerelosigkeit allerdings nichts abgewinnen.
»Schwerkraftschleuder initiiert.« Ein weiteres Mal hatte die blecherne Frauenstimme Unheil verkündet.
Peter fiel an die hintere Wand, so dass ihm die Kopfstütze in den Rücken donnerte. Als die Rotationsgeschwindigkeit mehr und mehr zunahm, sank dem Sitz entgegen. Am Ende hing er schwer atmend und Schweiß überströmt in seinem Sitz. Dann schwanden ihm die Sinne.

***

Peter erwachte und hielt sich sofort Kopf und Hand. Benommen sah er sich um. »Reka, wie ist der Kurs?«
»Neuer Kurs wird geprüft.«
Während sich Peter nach und nach sammelte, betrachtete er zweifelnd seinen linken Arm. Der bereitete ihm vor allem im Schulterbereich bei entsprechender Bewegung starke Schmerzen. Was ihn aber am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass das Piloteninterface trotz Wackelkontakt die gesamte Aktion über einwandfrei funktioniert hatte.
»Kurs geprüft. Der momentane Kurs führt in Richtung Erdtrabant. Der erste Himmelskörper, der sich mit meinen Kursdaten deckt, ist der Mond. Geschätzte Ankunftszeit 39,1 Stunden. Hüllenstabilität nach Ankunft bei 71 Prozent. Die mögliche Ungenauigkeit meiner Berechnungen liegt bei 6,9 Prozent, da ich durch den Verlust des Referenzrechners weniger valide Daten habe.«
Peter stutzte. Er war immer noch auf dem Weg zum Mond. »Reka, bist du dir sicher, dass das nicht der alte Kurs war.«
Wieder verstrichen einigen Sekunden, in denen nur die Lüftung zu hören war. »Neuer Kurs wurde aufgrund der vorhandenen Daten korrekt berechnet.«
Hektisch schossen Peters Augen von links nach rechts und wieder zurück. »Nein, nein, NEIN! Du musst dich irren. Ich habe doch den Kurs geändert! Es muss sich etwas verändert haben!«
»Ja, Peter, die Ankunftszeit, die Hüllenstabilität und die Ungenauigkeit meiner Rechnung.«
»Moment, Hüllenstabilität?« Wieder schossen Peter Bilder von Mondstaub, Metall und gefrorenem Blut durch den Kopf.
»Die voraussichtliche Hüllenstabilität zum Rendezvouszeitpunkt liegt jetzt bei 71 Prozent. Beim alten Kurs lag sie noch unter einem Prozent.«
Peter riss Mund und Augen auf. Er würde auf dem Mond landen oder besser bruchlanden. Wie hätte er auch als unausgebildeter Astronaut die Kursänderung richtig vornehmen sollen? Dieser Minzig war ein Schwätzer. Doch Peter war noch am Leben.
Er hatte schon oft von der Mondbasis gehört. 2051 hatte man begonnen, sie zu bauen. Wenn er sich recht erinnerte, hatte sie eine Rumpfmannschaft von 70 Personen und ständig waren mehrere Teams von Wissenschaftlern zu Gast, so dass dort oben fast hundert Menschen lebten. Doch der Mond war nicht eben klein. Was, wenn er zu weit von der Basis landete?
»Minzig, hören sie mich. Minzig? Hallo?«
Der Bildschirm zeigte weiterhin nur das Steuermenü. Von Minzig war weder etwas zu sehen noch zu hören.
Peter versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Die Kapsel war anscheinend dicht. Er hatte noch genug Luft, Wasser und Energie. Das mit dem Essen konnte knapp werden. Und er, Peter Klein, war verdammt nochmal auf dem Weg zum Mond. Seine Verzweiflung war groß und der Schmerz, der in seiner Schulter pochte, ließ sie noch wachsen.
»Reka, kannst du mich untersuchen?«
»Ja, mir stehen verschiedene medizinische Standardmessinstrumente zur Verfügung.«
»Ich glaube, ich habe mich an der Schulter verletzt.«
»Deine Angaben decken sich mit deiner Wärmesignatur in diesem Bereich. Außerdem ist dein Puls erhöht und die Leitfähigkeit deiner Haut deutet auf Stress hin. Ist dein Arm nur eingeschränkt bewegungsfähig?«
»Ja.« Peter begann langsam, seinen verletzten Arm zu bewegen.
»Bitte bewege ihn in jede Richtung so weit wie möglich.«
Peter tat, wie ihm geheißen und schon nach kurzer Zeit stellt Reka die Diagnose. »Es handelt sich nach meinen Daten um eine mittelstarkes Muskelhämatom zwischen Schulterdach und Humeruskopf.«
Einmal mehr verzog Peter frustriert sein Gesicht. Er ließ sich lustlos in den Sessel fallen und wollte ein Bein anziehen, als er sich sogleich das Knie an der immer noch verklemmten Tastatur stieß. Fluchend schlug er dagegen, nur um einen Augenblick später kreideweiß auf den Bildschirm zu starren. Ein Fenster hatte sich geöffnet und es bot die Option, abzubrechen oder zu bestätigen. In dem Fenster stand ‚Alle Systeme herunterfahren.’
Konzentriert und vorsichtig betätigte Peter die Pfeiltasten, bis ‚Abbrechen’ markiert war und bestätigte dann. Erleichtert sah er, dass sich das Fenster ohne Weiteres schloss. Er besah sich die verkeilte Tastatur und rüttelte prüfend daran. So klapprig, wie sie war, so kantig und so verklemmt war sie auch. Er sah keine Möglichkeit, sie wieder einzufahren, ohne Gewalt anzuwenden. Das schien ihm im Augenblick zu riskant. Genervt arrangierte er seine Beine unter der Tastatur und versuchte sich zu entspannen.
»Reka, Musik.«
Fast augenblicklich ertönten Gitarrenakkorde und Johnny Cash begann mit den Worten ‚Come on, bad news’, was Peter ein kleines Lächeln abrang. Wenn nicht der Inhalt, so passte wenigstens der Titel und die Stimmung ganz gut zu seiner Lage. Er hatte seit heute morgen nicht mehr geraucht und wünschte sich jetzt sehnlichst eine Zigarette.
Es funktionierte allerdings auch ohne sie. Peter beruhigte sich und ließ sich seine Lage durch den Kopf gehen. Vielleicht konnte er den Kurs noch etwas verändern, um die Chance, heil auf dem Mond zu landen, noch zu verbessern. Die Musik wurde ausgeblendet.
»Peter, soll ich sie behandeln?«
Die Alt-Stimme Rekas hatte ihn schnell wieder aus seinen Gedanken gerissen.
»Meine Messungen ergeben bei der Anwendung einer Nemec-Spezialtherapie eine Prognose einer 96 prozentigen Chance auf Heilung. Soll ich die Behandlung einleiten?«
Peter war dem Gedanken einer Heilung nicht abgeneigt und doch machten ihn die Fachbegriffe skeptisch. »Was ist eine Nemec-Spezialtherapie?«
»Die Nemec-Spezialtherapie ist eine Unterform der herkömmlichen Nemec-Therapie benannt nach dem österreichischen Physiker Hans Nemec. Die weiterentwickelte Form der Interferenzstromtherapie arbeitet auf Basis ...«
»Schon gut, Reka, ich glaub’s dir. Du kannst anfangen. Was soll ich tun?«
»Lehnen sie sich zurück, trinken sie noch einen Schluck Wasser und entspannen sie sich. Während der Behandlung werden sie etwas schläfrig werden. Ich bin mit entsprechenden integrierten Strahlern ausgestattet und kann die Therapie unverzüglich starten.«
Peter lehnte sich zurück und wollte gerade etwas trinken, als er Bedenken hatte. »Wie lange wird das dauern?«
»Ich werde sie in Intervallen von einer Stunde je fünfzehn Minuten behandeln, dann sollte die Prellung in weniger als vierundzwanzig Stunden abgeklungen sein.«
»Also gut.« Peter entspannte sich und nahm einen Schluck Wasser. Das Licht wurde schwächer und mit den ersten Akkorden eines weiteren Songs von Johnny Cash begann es in seiner Schulter zu kribbeln - I can see a darkness. Peter wurde tatsächlich etwas träge und seine Gedanken begannen sich in der großen schwarzen Leere, von der er nur wenige Zentimeter getrennt war, zu verlieren.

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»Nochmal Püree«

Beitragvon markoose » 01.02.2014, 22:58

Etwas flog auf und ab, hin und her, nach links, dann wieder nach rechts. Er öffnete sein zweites Auge und ihm wurde wieder klar, wo er sich befand. Im All.
»Reka. Verdammt ... ich muss eingeschlafen sein.« Peter hatte gesprochen als hätte er eine Wolldecke im Mund und rieb sich jetzt die schweren Augen. Er lag bequem seitlich in den Sessel gelehnt da und atmete träge. Die Kabinenbeleuchtung war immer noch herunter gedimmt und auf dem Bildschirm flog das Logo des Raumfahrtzentrums wie eine betäubter Gummiball langsam hin und her.
»Die Therapie ist zu 75 Prozent abgeschlossen. Der vierte Durchgang beginnt in elf Minuten.«
Aus dem dumpfen Bewusstsein heraus, etwas Wichtiges verpasst zu haben, schreckte Peter nach vorn. Ungebremst schoss ihm der Schmerz in die Schulter, verteilte sich über den Rücken und trieb ihm einen Anflug von kaltem Schweiß auf die Stirn. Er fluchte inbrünstig während der Schmerz sich mit einem hässlichen Echo entfernte. Von dem Erfolg der Therapie war nichts zu spüren.
»Fluchen befreit, Peter.«
»Wie viel Zeit ist vergangen, seit du mit der ersten Therapie angefangen hast?«
»Jetzt sind es 3:35 h.«
Ungläubig starrte Peter auf den Bildschirm und die Ziffern der Missionsuhr. Es gelang ihm erst nach einiger Anstrengung, sie klar zu sehen. Der Mond kam ihm wieder in den Sinn und sein möglicher Aufprall.
»Wie viel Zeit noch bis zum Aufschlag auf den Mond?«
»Noch 36 Stunden und 25 Minuten.«
Peter lief es kalt über Rücken.
»Hier Minzig, hallo Herr Klein. Na wieder wach?«
»Warum haben sie mich nicht geweckt? Sie hätten mir ruhig sagen können, dass die Schwerkraft bei der Kursänderung aussetzt. Ich habe mir die Schulter gestoßen, außerdem bin ich immer noch auf Mondkurs. Verdammt noch mal, ich ...« Peter redete sich in Rage, während Minzig ihm auf dem Bildschirm ungerührt zusah.
»Immer langsam, Herr Klein. Zum einen haben sie ja unterschrieben, dass sie alle Unterlagen genauestens studiert haben. Da stand unter anderem auch drin, dass bei Kurswechseln Schwerkraftausfälle unabdingbar sind. Geweckt habe ich sie nicht, weil wir sie da oben möglichst fit brauchen und eine Mondlandung wohl nicht mehr zu ändern ist. Herr Klein, sie werden auf dem Mond landen.« Minzig bemerkte, wie Kleins Ärger wieder in Fassungslosigkeit und Angst umschlug. Für Peter war es etwas anderes, von einem Computer über eine mögliche Mondlandung zuhören, als von einem Menschen bestätigt zu bekommen, dass dies die einzige Möglichkeit und somit Tatsache war.
»Herr Klein. Immer mit der Ruhe. Wir haben bereits mit Shakleton gesprochen und, wenn alle Daten stimmen, landen sie ganz in der Nähe des Kraters Malapert. Dort befindet sich eine Relaisstation für die Hauptbasis. Sie ist mit zweiundzwanzig Mann besetzt und hat auch zwei Mondfahrzeuge, mit denen sie dann gerettet werden können. Die Notfallfrequenz ihrer Kapsel wurde bereits an das Bergungsteam weitergegeben.«
Klein wurde weiß und Minzig lächelte, als hätte er einem Fünfjährigen einen Lolli versprochen. Nach einem seltsam unwirklichen Moment fuhr Minzig fort. »Bei unserer Fehlersuche haben wir bei der Kapsel einen Druckabfall ausgelesen. Sie hatten ein Leck und haben es gestopft, richtig?«
Peter wusste nicht recht, was gerade jetzt mit dieser Fragen anfangen sollte. »Ja ...«
»Respekt, mein Lieber. Das war eine beachtliche Leistung.« Minzig beugte sich am Monitor vorbei und schien die Unterhaltung beenden zu wollen, drehte sich aber dann noch einmal zum Monitor. »Eine Sache wäre da noch. Uns ist es von hier unten nicht möglich, das defekte Hygieneinterface zu ersetzen. Das hat allerdings zur Folge, dass ihre Wasservorräte schneller zur Neige gehen, als geplant. Machen sie sich deswegen aber keine Sorgen. Sie landen ja bald auf dem Mond.« Minzig machte eine Pause und sah Peter ernst an. »Herr Klein, ich denke, sie brauchen jetzt erst einmal etwas Raum für sich, um die Dinge zu sortieren.« Er schaute kurz prüfend auf eine Uhr außerhalb des Blickfelds. »Wir haben ja noch über 36 Stunden. Minzig Ende.«
Bald klang ganz ähnlich wie keine weitere Verzögerung. Hatte Minzig nicht schon einmal bald gesagt? Peter starrte noch eine ganze Weile auf den Bildschirm, auf dem sich wieder das Firmenlogo hin und her bewegte. Seine Gedanken schwebten zwischen Kindheitserinnerungen und verschiedenen Bildern der Mondlandungen der dreißiger und vierziger Jahre. Er war jetzt völlig ruhig, was der Tatsache geschuldet war, dass sich die in ihm wachsenden Angst noch nicht recht gegen die bereits vorhandene Mutlosigkeit durchsetzen konnte. Apathisch nahm er das Knurren seines Magens zur Kenntnis, schlug kurz mit den Augenlidern und sein Blick wurde wieder klarer.
Zu essen schien ihm im Augenblick die beste Idee. Umständlich wühlte er im Versorgungsfach herum, bis er die zweite und auch letzte Packung Kartoffelpüree herausgefischt hatte.
Mit den Erfahrungen des letzten Essens gelang es Peter recht schnell, das Wasser in den Beutel zu befördern und den Induktionsofen zu aktivieren. Die Vorfreude auf das Essen wurde nur ein wenig von der verkanteten Tastatur gedämpft, die ihm immer noch die Bewegungsfreiheit einschränkte.
Der Ofen summte wieder und das leise ‚Ping’ ließ ihm dieses Mal tatsächlich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Peter war es gelungen, die Tastensperre für das Keyboard zu aktivieren und so hatte er selbige mit etwas Pappe aus dem Versorgungsfach abgedeckt und zu einem passablen Klapptisch umfunktioniert.
Mit spitzen Fingern zog er den dampfenden Beutel aus dem Ofen. Als er die erste Gabel in den Mund steckte, verbreitete sich der deftige Geschmack schlagartig in seiner Mundhöhle und Peter entfuhr ein leises Summen. Er schloss die Augen.
Zu dem entspannenden Rauschen der Klimaanlage gesellte sich ein sonderbares Knistern. Es erinnerte Peter an Fett in einer Pfanne oder Mikrowellen-Popcorn. Er genoss dass mittelmäßige Püree, das dieses Mal wenigstens fertig zubereitet war. Zwiebelsoße und sämiger Kartoffelbrei vermengte sich in seinem Mund zu einer angenehmen Mischung. Er dachte an das letzte Mal, als er Popcorn gegessen hatte. Es musste ein Kinobesuch gewesen sein. Der Film wollte ihm nicht mehr einfallen. Er war mit viel Action, Explosionen und Feuer.
Peter stockte im Kauen, dann riss er die Augen auf. Instinktiv starrte er auf den Induktionsofen und nahm den intensiven Geruch von verschmortem Kunststoff wahr. Ein dünner Rauchfaden stieg aus der noch halb geöffneten Klappe auf. Es flackerte und mit einem Mal schlug eine gelb blaue Flamme oberhalb des Ofens aus dem Armaturenbrett.
Noch ehe der Raumfahrer wider Willen etwas tun konnte, war die Frauenstimme vom Band zu hören. »Achtung, Bordbrand! Lebensgefahr! Halten sie sich von den Flammen fern! Löschmaßnahmen werden eingeleitet! Schließen sie die Augen und halten sie den Atem an! Schließen sie die Augen und halten sie den Atem an! Drei – zwei – eins!«
Die Gabel immer noch in der Rechten kniff Peter die Augen zusammen, der Atem war ihm schon vorher gestockt. Er konnte für einen kurzen Moment eine gigantische Rasierschaumdose hören, dann herrschte dumpfe Stille. Sein Haut wurde kühl. Zögerlich öffnete er ein Auge, sah jedoch nur einen milchig weißen Schimmer.
Wieder sprach die Frau vom Band, doch sie klang sehr dumpf. »Löschschaum wird in zwanzig Sekunden zerfallen. Noch nicht atmen. neunzehn – achtzehn – siebzehn ...«
Obwohl Peter mit dieser Bandstimme nur schlechte Erinnerungen verband, hielt er sich doch an ihre Anweisungen. Da er durch die Überraschung und den vollen Mund aber keine Möglichkeit zum Luftholen gehabt hatte, sehnte er das Ende des Countdowns herbei.
» ... vier – drei – zwei – eins. Sie können jetzt die Augen wieder öffnen und atmen. Notfallroutine beendet.«
Peter öffnete die Augen und sah sich um. Der gesamte Innenraum war mit einer dünnen weißmetallischen Schicht überzogen. Auf der noch dampfenden Kartoffelpüreetüte und seiner Gabel sah er die letzten Reste eines glitzernden Schaumes in sich zusammenfallen. Wie zum Hohn roch es nach alter Seife, Schmorbrand und Zwiebeln.
Er hatte die Situation noch nicht recht erfasst, als sich Reka meldete. »Sauerstoffgehalt in der Kabine unter einem Prozent.« Ein Zischen verriet, dass neuer Sauerstoff eingeleitet wurde. »Meine Sensoren melden, dass sie den Brand unverletzt überstanden haben. Die Fehlersuchroutine läuft bereits. Es handelte sich mit einer vierunddreißigprozentigen Wahrscheinlichkeit um einen Kabelbrand, der durch einen Defekt im Induktionsofen ausgelöst wurde. Der Ofen ist nicht mehr funktionsfähig. Eine Reparatur kann nur von Fachpersonal durchgeführt werden. Durch den Brand und die damit verbundenen Maßnahmen ist der Sauerstoffvorrat weiter gesunken. Genaue Werte folgen noch.«
Peter starrte regungslos auf seine glitzernde Gabel.
»Aufgrund der akuten Krisensituation und der Werte ihrer Körperfunktionen errechne ich eine neunundachtzigprozentige Wahrscheinlichkeit eines psychischen Schocks. Ich aktiviere das Seelsorgeprogramm.«

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»Seelsorge«

Beitragvon markoose » 24.02.2014, 18:33

Reka sprach in gleichmäßigem Ton weiter. »Atmen sie tief ein. Es wird alles gut. Hören sie auf das Rauschen der Wellen und schließen sie die Augen.« Entgegen Rekas Äußerung war aber kein Meeresrauschen zu hören. Statt dessen sang Johnny Cash Peace in the valley.
Peter war zu müde, um sich von dem seltsamen Kanon aus Cashs Gesang und Rekas Anweisungen irritieren zu lassen und auf eine sonderbare Weise schienen sie sich sogar zu ergänzen.
»Lehnen sie sich zurück und entspannen sie. Lassen sie los. Ja, lassen sie ihren Gefühlen freien Lauf. Weinen reinigt die Seele. …« Rekas Stimme war weich und gütig. Für einen Moment meinte Peter einen weiblichen Geruch, eine Mischung aus Parfüm und Handcreme, wahrzunehmen. Dieser verflog allerdings genauso schnell wieder. Seit er in den Tunnel gesprungen war, waren gerade mal acht Stunden vergangen und Peter hatte das Gefühl, bereits drei Tage lang geweint zu haben. Er fühlte sich ausgetrocknet und leer, als wäre keine Träne in ihm übrig. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als ihm Christiane die Scheidungspapiere geschickt hatte.
»… jeder Schrecken hat auch sein Gutes. Ich bin bei Ihnen. Sie sind nicht allein.« Reka machte eine kurze Pause und Johnny sang And I will be changed from this creature that I am. »Peter, wenn dir ... Ich darf doch Du sagen? ... Wenn dir also zum Reden zumute ist, dann erzähl’s mir, wirf all deine Sorgen auf mich.«
Johnnys Backroundchor füllte die Pause mit There'll be no sadness, no sorrow, no trouble I see und die gesamte Kapsel mit Mitgefühl. Peter war es, als wolle tatsächlich etwas aus ihm heraus, doch er hatte nicht den leisesten Schimmer, was das war oder wie er es hätte artikulieren können. Ihn befiel nur ein tiefverwurzeltes Gefühl der Schwere. Seine Augen brannten und als der alte Countrysänger zum Ende seines Liedes kam und ‚for me’ sang, hätte Peter am liebsten einfach alles losgelassen und seinen Geist aufgegeben.
»Schadenskontrollroutine abgeschlossen.« Reka hatte schlagartig wieder ihren professionellen Ton. »Lebenserhaltungssysteme arbeiten einwandfrei. Sauerstoffvorrat bei sechsunddreißig Prozent. Wasservorrat bei dreiundvierzig Prozent. Energiereserven bei 32 Prozent. Antriebseinheit ohne Schadensmeldung, Status inaktiv. Hülle und Struktur bei 98 Prozent, keine Einschränkung der Stabilität. Zentrale Recheneinheit ohne Schadensmeldung, Status aktiv. Periphergeräte bei 61 Prozent: Optik des Referenzrechners defekt, externe Wartung nötig, Induktionsofen defekt, externe Wartung nötig, Löschschaum bei 45 Prozent, noch eine Brandbekämpfung möglich ...«
Peter hatte die Daten in einer sonderbaren Zweiteilung gehört. Er saß völlig regungslos und entspannt in seinem Sitz und seine Gliedmaßen ruhte bleiern auf Sitz und Lehnen. Seine Geist schien gleichermaßen auf einem riesigen Wattepolster zu liegen. Nur ein winziger Teil seines Bewusstseins nahm die Informationen des Bordcomputers auf und versuchte wie ein Archäologe in Hyroglyphen einen Sinn darin zu finden.
Rekas Stimme war nun wieder weicher. »Versuch zu schlafen Peter. Schlafen lässt die Seele fliegen.«
Peter presste die Lider aufeinander. Seine Augen brannten und tränten. Er würde jetzt nicht schlafen können, doch ihm war klar, dass er sich irgendwie beschäftigen musste, um nicht durchzudrehen. Für einen weiteren Kursänderungsversuch hatte er im Augenblick nicht die Nerven. Schließlich fasste er einen Entschluss.
»Reka?«
»Ja, Peter?«
»Mehr Licht.« Augenblicklich wurde das Licht in der Kapsel heller. Ironischer Weise kam Peter ausgerechnete jetzt in den Sinn, dass das angeblich einmal die letzte Worte eines großen Dichters gewesen waren. Der Tod war ganz in der Nähe.
Leise sprach er vor sich hin. »Der Vorteil einer guten Allgemeinbildung.« Dann begann er, sein Zwangsrefugium systematisch zu durchsuchen. So verging die Zeit und er fand vielleicht etwas, dass ihm weiterhalf.

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»Ablenkung«

Beitragvon markoose » 15.03.2014, 19:39

Links neben seinem Kopf entdeckte er eine kleine Klappe. Nach einigem Probieren und schmerzenden Fingerkuppen stellt sich die Klappe als die Abdeckung für einen Sicherungskasten heraus. Doch selbst, wenn er etwas hätte ausschalten wollen, wäre er mit den Beschriftungen in Fachchinesisch nicht weitergekommen. Bezeichnungen wie 47B oder ein schlichtes X wechselt sich mit kleinen unbekannten Logos und bloßen Zahlen ab.
Neben der Entdeckung einiger gut versteckter Lüftungsschlitze und Lautsprecher fand er an seinen Sessellehnen jeweils einen kleinen roten Riegel. Als er einen davon betätigte, öffnete sich eine Klappe und eine gelb schwarze Schlaufe sprang heraus. So etwas hatte er einmal in einem alten Spielfilm über Jagdflieger gesehen. Wie im Film diente dieser Auslöser offensichtlich auch zum Absprengen des Daches und zur Auslösung des Schleudersitzes. Das verriet ein kleines gelbes Schild mit schwarzer Schrift.

‚Achtung, Schleudersitz! Nur im Notfall ziehen!’

Peter saß leicht verkrampft seitlich auf seinem Sitz und sah schwer atmend auf die gestreifte Schlaufe und das kleine Schild. Er verspürte eine sonderbare Anziehung, die von ihr ausging. Es war ja ein Notfall. Ziehen und weg. Zugegebenermaßen wusste Peter nicht einmal genau, ob man nun erfrieren, ersticken, verdampfen oder an der hohen Strahlung sterben würde. Er konnte sich ohnehin nicht vorstellen, dass es lange dauerte. Es wäre so einfach und niemand würde es kümmern.
Als das Atmen durch die Körperverdrehung zu schwer wurde, riss er sich von diesen Gedanken los, verstaute die Schlaufe wieder in ihrem Fach und drehte sich langsam zurück. Seine verletzte Schulter meldete sich sofort und er sah Sterne, allerdings innerhalb der Kapsel.
Als der Schmerz endlich nachließ, wollte er sich die Utensilien unter dem Sitz noch einmal näher anschauen. Nach einer weiteren unbequemen Angelei hielt er einige eingeschweißte Gegenstände in Händen.
Unter ihnen befand sich ein solides Stück der schweizer Waffenindustrie, eine Verbandstasche und hochgeistiges Luxusgut aus Sachsen. Die Tasche, das rote Offiziersmesser wie auch den Schnaps Aecht Bockauer Edeleberesche legte er ins Versorgungsfach, um später nicht wieder suchen zu müssen. Den Rest stopfte er achtlos wieder unter den Sitz.
Mittlerweile kam ihm die Kapsel wie eine Zelle vor, aber die Untersuchung selbiger hatte ihm immerhin eine Möglichkeit beschert, seinem lebenserhaltenden Gefängnis zu entfliehen und den Schnaps würde er vielleicht auch noch brauchen.
Peter besah sich den Finger, mit dem er vorher das Loch abgedichtet hatte. Es war nur eine kleine Verletzung, doch sie hatte schon einen großen roten Hof. Auch geschwollen war der Finger ein bisschen. Er drückte prüfend daran herum, nur um festzustellen, dass die Verletzung sehr druckempfindlich und schmerzhaft war und auch etwas nässte. Hoffentlich hatten die da auf dem Mond einen vernünftigen Arzt und ein Direktshuttle zur Erde. Er fluchte noch eine Weile halblaut über Minzig und sein Team von Dilettanten und durchstöberte dann noch einmal die Bordvideothek. Es blieb allerdings dabei, außer Darkstar war nichts zu finden.
»Reka?«
»Ja, Peter?«
»Irgendetwas stimmt nicht mit der Bordvideothek. Ich kann nur einen einzigen Film entdecken.«
»Ich prüfe meine Verzeichnisse. Einen Moment.«
Schon nach wenigen Augenblicken meldete sich Reka zurück. »Nach meinen Daten sind 1568 Filmdateien hinterlegt. Welchen Film möchtest du denn schauen?«
Ein Action- oder Katastrophenfilm kam für Peter nicht in Frage. »Irgend so ein Liebesfilm ... ah, ja, genau ... Hast du Casablanca?«
»Casablanca, USA, 1942, mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann. Film wird aktiviert.«
Diesen Klassiker hatte er sich schon sehr oft angesehen. Manchmal half es, sich im Schmerz zu suhlen. Einigermaßen zufrieden lehnte Peter sich zurück. »Trinken.«
Surrend fuhr das Trinkrohr neben seinen Mund und er nahm einige große Schlucke, während er auf den Bildschirm blickte. Das Mundstück schmeckte etwas nach Seife, doch das war nach wenigen Schlucken verschwunden.
Diese Abwechslung würde ihm bestimmt mehr bringen, als das Seelsorgeprogramm. Der Bildschirm wurde dunkel und nach dem Logo des Raumfahrtzentrums erschien unter der mit Löschschaumresten verschmierten Scheibe ein rotes Viereck auf dem Bildschirm. Peter dachte zuerst an ein weiteres Logo irgendeines Filmverleihs, doch die Frauenstimme, die große Ähnlichkeit mit der Tonbandstimme hier an Bord hatte, ließ keinen Zweifel daran. Es waren die ersten Bilder des Filmes Darkstar.

»Achtung, Achtung! Erhalte Nachricht. Von Erdbasis ...«

»Film anhalten! Reka! Das ist Darkstar und nicht Casablanca. Willst du mich verarschen?«
»Ja, Peter. Fluchen hilft, das ist ein gutes Ventil. Ich überprüfe meine Dateien.«
Peter brodelte vor Wut und starrte auf den Bildschirm. Der Soldat in schwarz-weiß, der mitten im Worten innehielt, ließ ihn an Minzig denken.
»So viel zur Zerstreuung und Ablenkung.«
»Die Wahrscheinlichkeit einer Ablenkungen der Kapsel liegt lediglich bei 0,04 Prozent. Es besteht kein akuter Handlungsbedarf.«
Peter verdrehte die Augen.
»Ich habe meine Filmdateien überprüft. Bei allen 1568 Dateien handelt es sich um den gleichen Film. Eine weitere Auswahl ist nicht möglich.«
Peter Klein saß in seiner Kapsel. Das speziell entwickelte Bordprogramm war nicht in der Lage, mehr als einen Film abzuspielen. Von seiner Heimat trennten ihn 25 Zentimeter Luft, 30 Millimeter Spezialglas, 45 Millimeter Titan-Carbon-Verbund und etwa 337.260 km. Sein Schrei überwand lediglich die 25 Zentimeter Luft und die 30 Millimeter Spezialglas. Allerdings auch die hochsensiblen Mikrofone Rekas.
»Ja, Peter. Lass alles heraus. Schreien befreit.«

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»Feuchte Träume«

Beitragvon markoose » 03.04.2014, 21:44

Peter blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, weitere Kräfte zu sammeln.
»Reka, fahr das Licht runter und die Heizung etwas hoch. Ich versuche, zu schlafen.«
»Ja, Peter. Gute Nacht.« Die Beleuchtung wurde gedimmt und der unablässige Luftstrom der Klimaanlage wurde wärmer.
Hunger und Frustration setzten Peter zu. Während er seine Lider kaum geschlossen halten konnte, kam ihm wieder „Peterchens Mondfahrt“ in den Sinn. Hatte sein Patenonkel das alles vorausgesehen? Der Gedanke erschien ihm genauso lächerlich wie beängstigend. Schließlich wollte Peter in seiner Verzweiflung beten, doch es wollten sich keine Worte finden.
Wieder musste er an das Kinderbuch denken. Die Kinder sprachen ihr Abendgebet und die Mutter sang im Anschluss die Maikäferballade. Das Liedchen hatte ihn damals lange nicht losgelassen, doch er erinnerte sich nur noch an Bruchstücke - Als der dunkle Abend kam, Summ – Summ – Summ – Käferlein sein Ränzel nahm, Summ – Summ – Summ – Wollt’ auf große Reise gehen ... Dann ließ ihn seine Erinnerung im Stich. Er bekam einen Kloß im Hals und ihm brannten die Augen, als wollten die Tränen aus ihm herausbrechen, doch es blieb bei einem trockenen Brennen.
Schließlich fiel Peter doch in einen ruhelosen Schlaf. Er träumte von Mondkälbern, metallischem Kartoffelpüree und Minzig als Mondmann mit einer mächtigen Axt. Irgendwann wurde es furchtbar heiß. Die Sonne wuchs und wuchs und war kurz davor, denn gesamten Mond zu verschlingen. Als Peter erwachte, klebte ihm die Zunge am Gaumen und seine Nasenschleimhäute waren zugeschwollen. Sein erster Versuch, Reka anzusprechen, endete in einem unartikulierten Gegurgel. Nach einigem trockenen Schlucken gelang ihm schließlich das Sprechen.
»Reka, warum ist es hier so heiß?«
»Klimaparameter innerhalb der normalen Bereiche. Meine Sensoren zeigen aber einen Erhöhung der Raumtemperatur um elf Grad. Ich leite sofort eine Prüfroutine ein.«
»Trinken.« Hastig trank Peter von dem Wasser, das sich allerdings wieder mit den Resten des Löschschaums am Mundstück vermengte. Der Durst ging, ein metallisch-seifiger Geschmack blieb dieses Mal.
»Die Klimaanlage muss neu kalibriert werden. Ich deaktiviere sie jetzt und stelle sie neu ein.«
Schlecht gelaunt, aber zu müde, um zu widersprechen, versuchte Peter wieder zu schlafen. Die Temperatur sank schneller als erwartet und er kramte im Halbschlaf eine goldene Rettungsdecke aus der Erste-Hilfe-Tasche hervor. Erneut fiel er in ein Wechselbad zwischen Bewusstsein, Halbschlaf und Tagtraum, dass immer wieder vom Rascheln der Rettungsdecke unterbrochen wurde. Am Ende übermannte Peter schließlich die Erschöpfung.
Er erwachte nur langsam, als ihm jemand auf die Schulter tippte. Diese Berührung und das Wissen, hier oben alleine zu sein, waberten in einem unversöhnlichen Widerspruch in sein Bewusstsein und ließ ihn schließlich verstört die Augen aufreißen.
Auf dem Bildschirm tanzte wieder das Logo des Raumfahrtzentrums und erleuchtete den Innenraum der Kapsel scheinbar stärker als zuvor. Niemand war da. Wer hätte auch da sein sollen? Ein Traum.
Mühselig richtete sich Peter unter seiner Decke auf. Seine Hände wanderte über seinen feuchten Overall zu seinem Gesicht. Die Decke hielt nicht nur die Wärme sondern auch die Feuchtigkeit am Körper. Er wollte sich gerade die Augen reiben, als seine Linke an seiner Schulter vorbei kam. Sie war nass.
Wieder tippte ihm jemand auf die Schulter und dieses Mal spürte er die kleinen Spritzer des Aufschlags. Etwas tropfte auf ihn herab.
»Reka, Licht!«
Die unsanfte Erhellung ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Gleichzeitig tastete er über sich an der Decke herum, um die Herkunft der Tropfen zu lokalisieren. Die überhastete Bewegung fuhr Peter sofort in die verletzte Schulter.
»Aua! Scheiße! Reka! Hier tropft’s! Was ist das verdammt nochmal?«
»Wasser. Fluchen tut gut.«
»Woher kommt das Wasser zum Teufel?«
»Ja, Peter, lass es raus. Luftfeuchtigkeit bei 102 Prozent. Es handelt sich mit vierundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit um Kondenswasser, dass durch den Kalibrierungsvorgang entstanden ist. Die Auffangvorrichtung muss außer Funktion sein. Ich prüfe das. Kalibrierung der Klimaanlage bei sechsundsiebzig Prozent.«
»Fuck ...«
»Soll ich dich wieder Fuck nennen, Peter?«
Frustriert und sauer rieb sich Peter die Augen und schlug die Rettungsdecke zur Seite. Das stellte sich allerdings als äußerst unangenehm heraus, denn er war durch seinen eigenen Schweiß und das Kondenswasser mehr als feucht und in der Kabine herrschten gefühlte fünfzehn Grad. Sofort bekam er eine Gänsehaut und seine Stimmung rutschte in den Keller.
»Nein, zur Hölle! Mach einfach nur deinen Job und lass mich zufrieden!«
»Wer flucht, ist am Leben.«
Durch diese sonderbar philosophische Binsenweisheit vollends aus dem Konzept gebracht, bliebt Peter einfach nur still sitzen, fror und stellte sich zum wiederholten Mal die Frage, warum er überhaupt hier oben war. Schließlich gewann der Mangel an Wärme die Oberhand.
»Reka? Was ist nun mit der Klimaanlage?«
»Kalibrierung der Klimaanlage bei sechsundsiebzig Prozent.«
»Du warst vorher schon bei sechsundsiebzig Prozent! Wie lange willst du denn noch prüfen? Die Schadenskontrollroutine für die gesamte Kapsel ging ja schneller als die Kalibrierung dieser Scheiß Klimaanlage!«
»Fluchen tut gut. Der Einwand ist berechtigt. Die Kalibrierung wurde unterbrochen. Keine Rückmeldung seit vier Stunden, dreiundzwanzig Minuten und Siebenundfünfzig Sekunden. Error 873. «
»Scheiße!« Peter konnte es nicht fassen. »Scheiße, Scheiße, Scheiße! Halt, halt, halt. Vier Stunden? Wie viel Uhr haben wir überhaupt?«
»Bordzeit 05:27 Uhr. Starte Kalibrierung neu.«
»Moment. Ich frier’ mir hier den Arsch ab!«
»Die Wahrscheinlichkeit eines Gesäßverlusts durch Hypothermie liegt bei null Prozent.«
»Reka!«
»Ja, Peter?«
Ȁh, schon gut. Gibt es da nicht irgend so eine Notfallroutine zur Sonderbeheizung oder so?
»Es liegt kein Notfall vor. Alle lebenserhaltenden Parameter liegen innerhalb der normalen Bereiche.«
»Ich friere. Wie viel Grad haben wir hier drin eigentlich?«
»12,3 Grad Celsius.«
»Da ist ja jede Bahnhofshalle wärmer! Reka, heiz hier sofort auf!«
»Ohne Kalibrierung ist eine Inbetriebnahme der Klimaanlage nicht vorgesehen.«
»Scheiße!«
»Fluchen beruhigt.«
»Scheiße, verdammte Scheiße, Himmel, Arsch und Speicherbruch!«
Peter schlang die Arme um seinen nassen Brustkorb und versuchte sich warmzuzittern, was aber mit wenig Erfolg gesegnet war. Er ließ nachdenklich seine Augen wandern und der Sicherungskasten kam wieder in sein Sichtfeld.
»Kann man die Kalibrierung nicht irgendwie überbrücken?«
»Überbrückung nur durch Fachpersonal möglich.«
»Wie?«
»Überbrückung nur durch Fachpersonal möglich.«
»Ich bin hier aber der einzige.«
»Das ist korrekt.«
Wütend und frierend kaute Peter auf seiner Unterlippe. Er war dazu verdammt, mit einem weiblichen Bordcomputer herumzudiskutieren. Das erinnerte ihn an das ein oder andere Streitgespräch, das er mit seiner Exfrau geführt hatte. Wieder blitzten Erinnerungen an Christiane auf. Sie war auch immer ruhig geblieben. Der kurze Gedanke an ihre Ruhe bescherte ihm eine Idee.
»Reka, ich bin der einzige Mensch hier an Bord, korrekt?«
»Das ist korrekt.«
»Dann bin ich der Kapitän dieser Kapsel, richtig?«
»Das ist korrekt.«
»Also habe ich die Befehlsgewalt, richtig?«
»Korrekt.«
»Wie überbrücke ich die Kalibrierung der Klimaanlage?«
Reka blieb eine Weile stumm. Dann endlich antwortete sie.
»Sicherung 7C muss entfernt werden. Danach muss Sicherungsfassung 28 überbrückt werden.«
»Danke.«
Sofort machte sich Peter an den Sicherungskasten. Seine Finger waren inzwischen schon steif und klamm, was das Öffnen erschwerte. Endlich hatte er die Sicherungen vor sich und fand auch die beiden genannten Sicherungsfassungen. Sicherung 7C war gerade mal fingernagelgroß und kaum zu fassen. Sein Zeigefinger schmerzte durch die Entzündung, so dass er den Daumen und den Mittelfinger nehmen musste. Nach langen Momenten und einem übel eingerissenen Nagel hielt er das unscheinbare Stück Technik in der Hand. Blieb noch das Überbrücken von Nummer 28. Hätte Peter nicht so gefroren, wäre ihm vielleicht sogar ein Schmunzeln über die Lippen gekommen, denn er wusste sofort, wie er das zu bewerkstelligen hatte. Behutsam legte er die Sicherung ins Versorgungsfach und entnahm einen Kaugummi. Kauend faltete er die Aluminiumverpackung zu einem dünnen Streifen und steckte sie erst in den einen Pol, dann in den anderen. Die Feuchtigkeit, die Kälte, der Mangel an erholsamem Schlaf und der süße Kaugummi hatten ihn vergessen lassen, dass ein Sicherungskasten Strom führt. Ein heller Blitz blendete Peter und ein stechender Schmerz schoss ihm durch den Mittelfinger in den Arm. Die plötzliche Verkrampfung durch den Stromschlag ließ die Verletzung in der Schulter aufflammen. Er schrie.
Geblendet saß der frischgebackene Bordelektriker in seinem Sessel und hielt sich die rechte Hand. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Herz schlug wild gegen seinen Brustkorb und die Schmerzen im gesamten rechten Arm und der linken Schulter verklangen nur langsam.
Ein angenehm warmer Luftstrom blies aus dem Fußraum zu ihm empor.

markoose
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»Let the LaLa go on«

Beitragvon markoose » 27.04.2014, 14:26

Das Zittern ließ endlich nach und die Raumtemperatur normalisierte sich. Peter spürte jedoch immer noch sein Herz einem Gefangenen gleich, der anstatt an Gitterstäbe gegen seine Rippen pochte. Ihm war übel. Hand und Schulter schmerzten. Er biss die Zähne zusammen und besah sich die Hand. Sie sah übel aus. Der Nagel des Mittelfingers war so stark eingerissen, dass ein Teil des Nagelbetts offen lag. Auf der Kuppe war durch den Stromschlag ein kleine Brandblase entstanden. Die Wunde des Zeigefingers war jetzt zwar wieder geschlossen, aber unter dem dünnen getrockneten Wundsekret konnte man bereits Eiter erkennen.
Er wollte das Versorgungsfach öffnen, doch durch die verletzten Finger gestaltete sich das schwieriger als erwartet. Peter half mit der Linken aus und bereute es sofort wieder, da sich seine Schulter meldete. Er fluchte durch die zusammengepressten Zähne, als wollte er das Fach mit der bloßen Gewalt der Worte öffnen.
»Fluchen reinigt den Verstand.«
Schließlich öffnete er das Fach umständlich und fischte nach der Erste-Hilfe-Tasche. Gerade, als sie zum Vorschein kam, sah Peter, dass sie durch seinen Gebrauch in der letzten Nacht noch offen war und genau in dem Augenblick purzelte die Hälfte ihres Inhalts wieder zurück ins Fach.
»Herrgott, Scheiße!«
»Solange einer flucht, kann er wenigstens nicht singen, Peter. Wenn du Zuspruch brauchst, sage einfach SEELSORGE.«
»Halt die Klappe, Reka.«
»Die Schleusenklappe befindet sich r ...«
»Reka, Ruhe!«
Wieder vergingen einige Momente der Verrenkung und des Schmerzes, bis er das Meiste des Tascheninhalts auf dem Schoß hatte. Zufrieden entdeckte er darunter Desinfektionssalbe, Pflaster und Schere.
Zehn Minuten später war seine Zufriedenheit schon weiterem Frust gewichen, da die Salbe sich entschieden hatte, fest getrocknet in der Tube zu verbleiben, das Pflaster nicht mehr klebte und die Schere sich nicht recht mit der Linken bedienen lassen wollte. Als er sie dann in die schmerzende Rechte nahm, wurde klar, dass sie wohl noch nie geschnitten hatte und wahrscheinlich auch niemals schneiden würde. Die ursprüngliche Pflasteridee war nun einem zu dicken aber festen und bequemen Verband gewichen, der gleich beide Finger umschloss.
Entnervt stopfte Peter die restlichen Utensilien zurück in die Tasche, schloss den Reißverschluss mit einem kräftige Ruck und warf sie zurück ins Versorgungsfach.
Er blies die Backen auf und sein tiefes Ausatmen bestätigte, wie anstrengend die letzten zehn Minuten gewesen waren. Peter gönnte sich einen Schluck Wasser.
»Wasservorrat bei zwanzig Prozent.«
Peter stutzte. »Reka, wie viel Liter Wasser hast du aufgetankt zur Verfügung?«
»18 Liter, Peter.«
»Wo ist das ganze Wasser hin, soviel habe ich doch gar nicht getrunken?«
»Überprüfe meine Daten. Einen Moment.«
Als Reka eine Weile schwieg, kam Peter ins Grübeln und musste sogar lächeln. Minzig hatte irgendetwas von Hygieneadapter gefaselt, doch er hatte es nicht ganz verstanden. Er würde hier oben wohl kaum verdursten.
»Prüfung abgeschlossen. Wasserverlust von 1,74 Litern durch deinen Konsum. Urin konnte über den Hygieneadapter nicht wiederverwendet werden. Körperschweiß wurde nicht aufgefangen. Auffangbehälter immer noch nicht funktionsbereit. Differenz zwischen Wasserstand und Verbrauch ungeklärt.«
»Du willst mir erzählen, dass du nicht weißt, wo das ganze Wasser hingekommen ist?« Noch während dieser Frage musste Peter an das Kondenswasser denken, durch das er aufgewacht war. »Was ist mit dem Kondenswasser?«
»Auffangbehälter für Kondenswasser bei 0,2 Prozent und nicht funktionsfähig. Verbleib des restlichen Wassers ungeklärt.«
»Und wann lande ich auf dem Mond?«
»Geschätzte Ankunftszeit auf dem Mond in 27 Stunden und 37 Minuten.«
»Zwanzig Prozent von 18 Litern ...« Peter rechnet nach. Ihm blieben noch gute dreieinhalb Liter für etwas mehr als einen Tag. Er wusste, dass ein Mensch etwa eineinhalb bis drei Liter Wasser am Tag brauchte, je nach körperlicher Anstrengung. Das Wasser würde also reichen. Zumindest bis zum Mond. Und seltsam war es doch. Was, wenn noch mehr Wasser einfach verschwinden würde? Hatte er ein weiteres Loch in der Kapsel, das Reka nicht bemerkt hatte?
Peter musste an all die Pannen denken, die er bis jetzt erlebt und mehr oder weniger gemeistert hatte. Gott hatte eine beschissene Art von Humor, wenn das lustig sein sollte. Warum konnte er nicht wie jeder andere halbwegs normale Mann in seinem Alter seine Zeit verbringen? Er könnte jetzt zuhause am Esstisch sitzen, und versuchen, seinem Sohn Tischmanieren beizubringen, seiner Tochter das aufreizende Magic-LED-Tattoo auf dem Oberschenkel auszureden und seine Frau davon zu überzeugen, am Wochenende nicht zur Schwiegermutter zu fahren. Aber nein. Peter Klein saß geschieden und ohne Familie in einem beschissenen Stück Weltraumversuchsschrott und war im Begriff, die ständige Forschungsstation auf dem Mond anzufliegen.
In diesem Augenblick spürte Peter das Gewicht der Welt auf seinen Schultern und wusste, dass er es nicht mehr lange tragen würde können. Er fühlte sich wie ein Insekt, das von einem Sektobot erwischt worden war. Sein Blick fiel auf einen der roten Knöpfe seiner Armlehne.
»War einst ein kleines Käferlein, Summ – Summ – summ.« Er begann, die Melodie weiter zu summen, da ihm der Text nicht mehr einfiel. »... hm, hm, hm ... zwei Flügelein.« Peter dachte wieder an seine Kindheit, an den Geruch seiner Mutter. Einem Ertrinkenden gleich, der nach allem greift, was sich ihm bietet, riss sich der Proband der Testreihe 1-22 aus der drohenden Starre.
»Reka, Musik.«
»Meine Zufallsroutine hat Let the LaLa go on von Magicspaceboy aus dem Jahre 2063 ausgewählt.«
Peter wusste, dass Reka etwas von Johnny Cash spielen würde, doch seine Hoffnung auf eine andere Art von Musik erstarb erst, als er die erste Takte von Jackson hörte.
Nun saß er da und hörte anstelle von Magicspaceboy wieder den Countrysänger aus dem letzten Jahrhundert, dieses Mal wenigsten in einem Duett. Trotz der aufmunternden Takte paralysiert betrachtete er abwesend seinen Verband.
Zu den Schmerzen in Hand und Schulter waren jetzt noch die in seinen Knien gekommen. Er hatte seine Beine schließlich schon seit über 17 Stunden nicht mehr richtig bewegt. Seit dem Stromschlag war ihm zudem speiübel und er hatte Hitzewallungen. Peter überlegte. Er musste sich irgendwie ablenken, um nicht durchzudrehen.
Für Hand und Schulter konnte er im Augenblick nichts tun. Genauso wenig gegen die Übelkeit, blieben also die Beine. Auf dem Monitor stand ihm die Auswahl der einzelnen Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung. Er wählte Fitness.
Die Countrymusik brach ab und im Nu öffnete sich ein neues Menü, das einen sofort an Wellnessoase denken ließ. Im Hintergrund war ein traumhafter Sandstrand, Palmen und Meer zu erkennen. Peter wählte Warm-up und war gespannt, was die Entwickler dieses Programms wohl dabei im Sinn gehabt hatten. Das Schema eines menschlichen Körpers erschien auf dem Monitor. Es war von oben zu sehen, die Umrisse des Sessels und der Kapsel waren nur angedeutet. Die Stimme, die die Anweisungen gab, wirkte sehr jugendlich und ließ Peter unwillkürlich an einen dieser Animateure eines Urlaubsclubs denken.
»Wir sind völlig entspannt. Zuerst heben wir unsere Knie abwechselnd an. Ganz locker, wir schütteln unsere Beine aus und unser Bewusstsein. Und eins, zwei, drei, vier ... und eins, zwei, drei ...« Gleichzeitig wurden die Beine auf dem Schema im Takt des Zählens farblich hervorgehoben.
Peter fühlte sich überhaupt nicht animiert und kam sich schrecklich dämlich vor. Skeptisch betrachtete er den Bildschirm und entdeckte schließlich am unteren Rand ein kleines Zahnradsymbol. Er tippte darauf. Die Stimme wurde unterbrochen und ein Einstellungsmenü öffnete sich. Hier konnte Peter wählen, ob er nur schematisch oder durch einen menschlichen Animateur angeleitet werden wollte und welches Geschlecht dieser haben sollte. Peter tippte auf weiblich.
Das Menü verschwand und das Kapselschema wurde durch ein Bild des Kapselinnenraums ersetzt. Im ersten Moment meinte Peter eine Spiegelfunktion aktiviert zu haben, doch ihm gegenüber saß eine attraktive Frau in knapper Sportkleidung ebenfalls in einem Kapselsitz.
Angenehm überrascht war Peter gespannt, was als nächstes geschehen würde und freute sich sogar ein wenig auf die anstehende Bewegung.
Als die Frau allerdings den Mund öffnete, fiel Peter die Kinnlade herunter.
»Hallo, ich bin Ramon, dein persönlicher Fitnesstrainer.« Aus irgendeinem unerfindlichem Grund hatte die Frau eine Männerstimme. Peter rief sofort das Einstellungsmenü wieder auf und aktivierte die Schemaeinstellung.
Die Lust auf Bewegung war ihm vergangen, aber irgendwann gewann die frische Stimme die Oberhand und er begann dann doch, die Beine zu heben. Es tat höllisch weh, doch der Schmerz hielt Peter in der Gegenwart, in der Realität. Auf gewisse Weise war er sogar sein Verbündeter in diesem Chaos aus technischen Pannen und Computerfehlern. Der Schmerz zeigte ihm, dass er noch am Leben war.

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»Fluchen «

Beitragvon markoose » 13.05.2014, 21:52

Peter saß keuchend in seinem Sessel und trank begierig aus dem Röhrchen neben seinem Kopf. Das Bewegungsprogramm war wider Erwarten sehr ansprechend gewesen und hatte ihn ganz außer Puste gebracht. Er hatte nur die Übungen für den Schulterbereich übersprungen und war jetzt ein bisschen stolz auf sich. Mittlerweile dudelten Johnny Cash und June Carter wieder durch den Innenraum.
Noch während des Trinkens wurde Peter klar, dass er in Bezug auf seinen schwindenden Wasservorrat genau das Falsche getan hatte. Doch der Gedanke der Reue wich sofort wieder dem entspannten Gefühl nach ausreichender Bewegung. Noch einen guten Tage und er würde mit den Wissenschaftlern auf dem Mond einen heben.
Während sich Herzschlag und Atmung beruhigten, fingen die hektischen Akkorde des alten Countrysängers schließlich an, ihn zu stören. »Reka, Musik aus.«
Die Musik dudelt ungebremst weiter.
»Reka. Musik aus!«
Augenblicklich wurde der Song unterbrochen, nur um eine Sekunde später an genau der gleichen Stelle weiterzulaufen.
In diesem Moment wusste Peter nicht, ob er lachen oder weinen sollte. »Reka. Mach die Musik aus.«
»Deaktiviere Musik.« Das Countryduo verbreitete ungebremst seine fröhliche Stimmung. Nach einer Weile stoppte das Lied wieder für einen Moment, allerdings nur, um dann wieder von vorne zu beginnen.
Peter war, als hätte er einen Klang vernommen, der bei Computern üblicherweise Abbruch bedeutete. Er wollte schon protestieren, als ihm Reka zuvor kam.
»Das Programm antwortet nicht. Ich speichere das Fehlerprotokoll für eine spätere Überprüfung.«
Peter hatte gute Lust, einfach die Lautsprecher herauszureißen, doch das hätte auch das Ende der Kommunikation mit Minzig und Shakleton bedeutet. Nach ein paar der nervend fröhlichen Countrytakte fasste er sich wieder.
»Reka, kannst du’s wenigstens leiser stellen?«
»Ja, Peter.«
Wieder war der Klang eines Programmabbruchs zu hören.
»Mischpultprogramm antwortet nicht. Ich speichere das Fehlerprotokoll für eine spätere Überprüfung.«
»Fuck! Soll ich mir jetzt den ganzen Tag diesen Scheiß anhören?«
»Beten hilft nischt, Fluchen schad't nischt.«
Peter geriet über Rekas Dialektzitat dermaßen außer Fassung, dass er für einen Moment sogar die Musik vergaß. Wer zum Teufel hatte diesen Bordcomputer programmiert?
Frustriert verzog er den Mund. Er würde sich wohl damit abfinden müssen, den folgenden Tag diese Musik zu hören.
»Reka, wie sieht es mit dem Verbleib des Wassers und der Funktion des Auffangbehälters aus?«
»Schadenskontrollroutine bei sechsundneunzig Prozent. Verbleib des Wassers immer noch ungeklärt.«
Peter musste mit Minzig sprechen. Warum meldete der sich nicht? Und diese bescheuerte Musik nervte entsetzlich. Sein Blick fiel auf Überreste der Pflaster, die noch auf seinem Sitz lagen, da hatte er einen Einfall. Dieses Mal griff er gleich mit links in das Versorgungsfach, achtete dabei allerdings auf die Geschwindigkeit seiner Bewegungen. Er wollte um keinen Preis erneut seine Schulter spüren. Während er bedächtig in dem Fach wühlte, dachte er flüchtig über eine Wiederholung dieser Nemec-Therapie nach. Eigentlich hatte sie, außer ihn müde zu machen, überhaupt keinen Effekt erzielt und so verwarf er den Gedanken sogleich. Endlich hielt er in Händen, was er gesucht hatte. Geduldig zwirbelte er die beiden Wundauflagen aus Mull zwischen den Fingern seiner linken Hand. Die Schmerzen im Handgelenkt waren bestimmt nicht so schlimm, wie die in den Fingern der anderen Hand.
Als er mit dem Ergebnis schließlich zufrieden war, steckte er sich die beiden Stopfen in die Ohren. Es war nicht perfekt. Cash und Carter waren immer noch zuhören, aber bedeutend leiser. Die Tatsache, dass die Wundauflagen weit aus seinen Ohren herausragten und er einen nicht sehr professionellen Eindruck machte, scherte Peter wenig. Er schloss die Augen.
Er hatte großen Hunger und die letzten Stunden hatten ihn viel Kraft gekostet. Er versuchte sich die positiven Dinge klar zu machen. Seine Knie taten nicht mehr weh und die Übelkeit hielt sich in Grenzen. Die Heizung lief, die rechte Hand war versorgt und das Wasser würde bis zur Landung reichen. An die wollte er jetzt allerdings noch nicht denken. Wozu auch? Ihm fiel nichts ein, das ihn irgendwie darauf vorbereiten hätte können.
Nach und nach gelang es Peter sogar, die Musik an den Rand seiner Wahrnehmung zu drängen. Er genoss die dumpfe Ruhe und verharrte eine Weile. Nach einer Zeit wechselte er behaglich die Position und setzte die Beine unter der Tastatur um, als sich der Teppich unter den Sohlen weich und irgendwie klebrig anfühlte.
Peter behielt die Augen geschlossen und versuchte, Ruhe zu bewahren. Dieses Mal wollte er den Schmerz in seiner Schulter verhindern und sich nicht plötzlich bewegen. Prüfend hob er abwechselnd die Füße und betastete den Untergrund. Ein schmatzendes Geräusch bestätigte seinen ersten Eindruck. Im Fußraum war es nass.
Er öffnete die Augen und wollte nachsehen, doch der Fußraum war durch die Tastatur verdeckt und zudem schlecht beleuchtet.
»Reka. Woher kommt die Flüssigkeit im Fußraum?«
»Ich habe leider keiner passenden Sensoren, um Feuchtigkeit im Fußraum festzustellen oder zu analysieren.«
»Okay, okay. Errechne die Wahrscheinlich, ob es Wasser ist.«
Nach kurzer Zeit antwortete das Bordprogramm wie gefordert. »Es handelt sich mit zweiundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit um Wasser. Woher es kommt, ist nicht geklärt.«
Peter versuchte eins und eins zusammenzuzählen. Es fehlten etwa zwölf Liter Wasser. Sie waren vermutlich über Nacht verdunstet. Der Auffangbehälter hatte das Kondenswasser nicht aufgefangen. Aber wo war es dann? »Reka, zeige mir einen Plan der Kapsel.«
Augenblicklich erschien auf dem Bildschirm eine detailreiche Darstellung der Kapsel. Peter tippte auf dem Schirm, um sich ein paar Stellen genauer anzuschauen und sagte »Bereich vergrößern.«, doch es funktionierte nicht. Sie hatten sogar hier noch die Wischtechnik, wie sie vor Jahrzehnten schon verwendet wurde. Kopfschüttelnd berührte er die Scheibe und zog seine Finger auseinander und erreichte schließlich den gewünschten Effekt.
»Ist es möglich, dass sich das Kondenswasser in der Nähe der Klimaanlage gesammelt hat und dort vereiste?«
»Berechne die Wahrscheinlichkeit mit den verwertbaren physikalischen Größen und den vorliegenden Messwerten.«
Peter war sich sicher, so musste es gewesen sein. Trotz dieser weiteren Panne hatte er ein Gefühl des Triumphs. Er war ruhig geblieben und hatte wahrscheinlich sogar die Ursache gefunden. Sein Hochgefühl wurde allerdings von der unverzüglich folgenden Erkenntnis getrübt, dass ihn das nicht wirklich weiterbrachte.
»Annahme der Vereisung zu neunundachtzig Prozent wahrscheinlich. Durch den Dauerbetrieb der Heizung taut dieses Eis jetzt vermutlich ab und da es sich offenbar bereits unterhalb des Auffangbeckens befindet, kann es nur über die Lüftungsschlitze in den Fußraum fließen.«
»Was passiert, wenn du die Lüftung abschaltest oder schließt.«
»Achtung! Eine Regulierung der Atemluft wäre dann nicht mehr möglich. Es bestünde akuter Gefahr einer Kohlendioxidvergiftung.«
»Na toll.« Er betrachtete den Fußraum und schätze des Fassungsvermögen. Wenn es tatsächlich die vollen zwölf Liter waren, die gerade abtauten, stünde das Wasser am Ende gute zehn Zentimeter hoch. »Das bedeutet nasse Füße.«
Peter beugte sich nach vorne und berührte den Fußboden mit der Linken. Der Teppich war bereits tropfnass. Als er seine Fingerkuppen betrachtete, hatten sich die metallischen Rückstände des Schaums mit dem Wasser vermengt. Das Wasser konnte er abschreiben. Doch er hatte einen Vorteil, er konnte sich jetzt schon überlegen, was er mit dem Wasser im Fußraum anstellen sollte.
Er könnte es mit Beuteln in der Schleuse entsorgen. Dann wären alle Beutel weg, und das ganze Wasser. Er könnte es trinken, irgendeine Vergiftung riskieren, es so aber über den Hygieneadapter und seinen Schweiß wieder dem Kreislauf zuführen. Das war eine blöde Idee. Abgesehen davon, dass er nie im Leben zwölf Liter Hals über Kopf hätte trinken können, müsste vorher bereits das Auffangsystem repariert werden. Er könnte das Wasser einfach lassen, wo es dann wäre und seine Füße auf irgendeinen Podest stellen. Wiedereinmal suchend schaute sich Peter in der Kabine um. Die Platzhalter für das Essen würden aufweichen, seine Kopflehne ließ sich nicht entfernen. Soviel zu seinem Vorteil, schon vorher darüber nachdenken zu können. Ihm schienen die Optionen auszugehen.
Peter entschied sich, erst einmal abzuwarten und weiter nachzudenken. Das Wasser würde in den Fußraum laufen und so, wie er die Sache sah, bekam er auch früher oder später nasse Füße. Das war wohl nicht zu verhindern.
»Reka, was passiert, wenn Wasser zehn Zentimeter hoch im Fußraum steht?«
»Sammle Daten, einen Moment bitte.« Auf dem Bildschirm erschien der kategorische Statusbalken, der dieses Mal aber doch recht schnell wuchs.
»Die Auslassventile der Klimaanlage in Fußbodennähe sind durch Wasser versperrt, die einströmende erwärmte Luft wird durch das Wasser gekühlt und umgekehrt wird das Wasser durch die einströmende Luft erwärmt. Die Luftfeuchtigkeit im Innenraum nimmt stark zu, was die Kondensierung des Wasserdampfes an der Kabinendecke und an den Fenstern zur Folge hat. Das Kondenswasser fließt zum Auffangbehälter .«
»Ist der Auffangbehälter inzwischen repariert?« Peter sah einen Hoffnungsschimmer.
»Nein, Peter. Das Wasser fließt dan weiter.«
Peter zog die Augenbrauen nach unten. »Nimmst du Schaden durch das Wasser im Fußraum?«
»Für die Funktion meiner zentralen Recheneinheit besteht kein Risiko und meine anderen Funktionen unterliegen bis auf die Klimaanlage keiner Beeinträchtigung.«
»Okay, okay. Was hat das für mich zur Folge.«
»Sammle Daten, einen Moment bitte.« Peter starrte auf den neuen Statusbalken, während er mit der Linken seine Unterlippe knetete.
»Wasser ist leitfähig. Achtung! Sicherheitshinweis! Vor der Inbetriebnahme stromführender Geräte und Wartungsarbeiten an der Kapsel wird gewarnt. Lebensgefahr!«
Peter verzog bei dem Gedanken an seine Aktion am Sicherungskasten unleidig das Gesicht.
»Für die normale Bedienung der Kapsel besteht kein Risiko. Für die Rettungsperson ist anatomisch keine Sitzposition möglich, in der der Wasserkontakt vermieden wird. Kontakt zwischen Wasser und Haut, der länger als zehn Stunden geht, kann zu schweren Erkrankungen führen. Achtung! Gesundheitsgefahr!«
»Was für Erkrankungen denn?« Peter konnte sich nicht recht vorstellen, was Wasser für Krankheiten hervorrufen sollte.
»Die Immersion - sie kommt vor allem im Fußbereich vor, deshalb wird die Erkrankung auch Immersionsfuß genannt. Er wird häufig bei Soldaten diagnostiziert, die sich lange in extrem feuchter Umgebung aufhalten müssen. Er kann Schmerzen und Fieber hervorrufen und zu großen Hautabschürfungen führen. Einzige Möglichkeit der Therapie ist die Trocknung der betroffenen Hautstellen.«
Reka hatte Peter gleichzeitig einige eindrückliche und unapetittliche Bilder von Erkrankten gezeigt. Er dachte angestrengt über das Problem nach. June Carter trällerte gerade go ahead and wreck your health, was Peter wieder aus der Konzentration brachte.
»Reka, schalt dieses Gejodel ab, sonst krieg ich hier noch’n Kackreiz, verdammte Scheiße nochmal!«
»Fluchen ist die einzige Sprache, die alle Programmierer wirklich beherrschen.«
Peter musste mitten in seiner Wut lachen, was zu einem lauten Prusten führte.
»Außerdem ist eine Überreizung deiner Darmperistaltik unwahrscheinlich, da du nach meinen Messungen in den letzten zweiundzwanzig Stunden zu wenig gegessen hast.«
Peter begann jetzt erst richtig zu lachen. Er lachte so sehr, dass sogar seine Schulter wieder anfing zu schmerzen und trotzdem lachte er weiter und weiter.
Peter lachte und lachte. Sein Lachen ging von einem lauten Herauspoltern nach einigen Minuten in ein hohes tonlosen Keuchen über. Während er lachte, war er gleichzeitig völlig ruhig, abgeklärt. Sein ganzer Körper zuckte und wackelte vor Lachen. Sein Wangenmuskeln waren überspannt vor Lachen, seine Augen tränten und dahinter war ein völlig ruhiger Peter, der sich selbst betrachtete. Ein sonderbare Empfindung der Zweiteilung kam in ihm hoch. Peter kam der flüchtige Gedanke, wie in aller Welt ein Computerprogramm auf so einen Spruch kommen konnte. Er tat die Frage aber selbst wieder ab, als er sich daran erinnerte, dass dieses Programm lernfähig war. Außerdem war es ja schließlich von Menschen, von Programmierern, erschaffen worden. Deren Humor konnte Peter allerdings nicht immer teilen, dachte er nur an den einzigen hinterlegten Film. Schließlich beruhigte er sich ein wenig und das Lachen wurde zu einzelnen Glucksern. Dann fiel sein Blick auf seine rechte Hand und den übermäßig großen Verband und ihm fielen die Stopfen in den Ohren ein. Sofort verfiel er wieder in einen Lachkrampf, der sich in spitzen lauten Lachtiraden äußerte. Seine Schulter schoss immer wieder Schmerzen in den tiefen Rücken und die Brust und sein Herz schlug wie wild und selbst das ließ ihn immer wieder laut heraus lachen. Das Wasser im Fußraum war mittlerweile weiter angestiegen, sodass seine Turnschuhe bis zu den Sohlen darin standen. Selbst das unfreiwillige Platschen seiner Füße ließ ihn immer wieder auflachen.
Ein Blick auf die Missionsuhr zeigte ihm, dass er schon über zwanzig Minuten nur lachte. Das ernüchterte ihn ein wenig und sein Bewusstsein gewann wieder die Kontrolle über seine Regungen. Schwer atmend lehnte sich Peter zurück. Sein Bauch schmerzte vor Anstrengung, sein Gesicht war verspannt und nass von Tränen und sein Zwerchfell zuckte nervös. Er blickte wieder auf die Uhr, 06:46 Uhr - noch 26 Stunden und 31 Minuten bis zum Mond. Er veränderte seine Sitzposition etwas und das Platschen seiner Füße entlockte ihm einen Gluckser, den er mit einem Aua quittierte, ein Jucken an der Hand, dann schlief er ein.

***

Ein Röcheln ließ Peter hochschrecken. Er schlug sich das Knie an der Tastatur und seine Schulter meldete sich sofort mit einem Stich in den Rücken. Sein linkes Ohr schmerzte und er hörte mit dem rechten besser.
Noch während er sich das Knie rieb, schaute er sich orientierend um. Sein Bauch schmerzte ebenfalls. Die Uhr stand auf 11:22. Peter wurde gewahr, dass er über vier Stunden geschlafen hatte. Die vergangene Nacht oder besser die letzten 24 Stunden hatten ihn anscheinend mehr Kraft gekostet, als er zugeben wollte. Das Röcheln drang wieder in sein Bewusstsein und er erschrak von Neuem. Was war das?
Es kam aus dem Fußraum und schließlich wurde Peter klar, dass es kein Röcheln sondern ein Blubbern war und es stammte von den inzwischen unter der Wasserlinie liegenden Klimadüsen. Seine Füße standen bis über die Knöchel im Wasser, im warmen Wasser. Seine Bauchschmerzen verwandelten sich in einen schier unwiderstehlichen Harndrang. Trotz der Dringlichkeit seines Bedürfnisses bewegte er sich langsam, wollte er doch keinen erneuten Schmerz seiner Schulter riskieren.
Peter beugte sich nach vorne und tastete am Keyboard vorbei. Blind fischte er mit der Linken unter dem Sitz im Wasser herum und fand schließlich, was er suchte.
Der alte Speisebeutel schien ihm durchaus passend für sein Vorhaben. Dummerweise handelte es sich um den zweiten Püreebeutel, den er nach dem Brand noch fast voll achtlos in den Fußraum geworfen hatte. Diese Achtlosigkeit zahlte sich jetzt in ganzem Maße aus, als der nun aufgeweichte Inhalt mit einem Geräusch, dass an eine Campingtoilette erinnerte, ins Wasser platschte. Peter war klar, dass das Wasser jetzt garantiert nicht mehr genießbar war.
Mit einem desillusionierten Seufzer machte er sich daran, in den Beutel zu pinkeln, denn Kartoffelpüree im Wasser war eine Sache, aber Urin?
Das Vorhaben erwies sich wieder als äußerst schwierig und nach dem der Beutel trotz größter Vorsicht ein paar Tropfen seines Inhalts über Sitzpolster und Oberschenkel verlor, musste Peter wieder leise fluchen. Obwohl Reka dies nicht kommentierte, musste Peter allein bei dem Gedanken an eine komische Bemerkung wieder kurz lachen, was ihm einige weitere Tropfen auf dem Overall einbrachte. Endlich hatte er den Beutel in die Schleuse balanciert und drückte erleichtert auf die Taste. Balken rot, Zischen, Taste grün und nach der Bestätigung der automatischen Ansage war der Beutel weg.
Das schmerzende Ohr drang in sein Bewusstsein. Instinktiv fasste sich Peter an die linke Kopfseite und begriff sofort. Das Stück Mull, das er sich ins Ohr gestopft hatte, war rechts heraus gefallen. Links war es stecken geblieben und hatte über den langen Zeitraum Druckschmerzen verursacht. Vorsichtig zog er es heraus, um sogleich wieder gleichmäßig zu hören. Der Schmerz blieb.


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