Warum ich ein Buch abstoße VII

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Pentzw
Kalliope
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Warum ich ein Buch abstoße VII

Beitragvon Pentzw » 04.08.2014, 18:42

Das gefährliche Leben eines Schriftstellers


Letzthin habe ich einen Jugendlichen/Erwachsenen mittleren Alters kennengelernt, ein in den deutschen Kulturkreis adoptierter Inder, von Berufs wegen Kaufmann mit automechanischen Unternehmerperspektiven, da er nebenbei sein eigenes Werkstattunternehmen mit gemieteter Garage führte und sich zwecks Inspektion mein Auto mal anschaute, wobei ich aus dem Handschuhfach ein Exemplar zog, um es ihm als Geschenk zu präsentieren und zu überreichen.
Er las kurz in das Buch hinein und machte eine wegwerfende Symbol-Gestik, als würde er das Buch über die Schultern wegwerfen und meinte: „Es gibt schon genug Schund!“ - Die Aussage war klar: da braucht es nicht diesen hier auch noch.

Ein fundamentalistischer Christ drohte mir in den 90iger Jahren, weil ich Jesus am Kreuz mit einem Geschlechtsakt verglichen hatte und es als die neue Bergpredigt guthin pries.
„Wenn Du bis zum nächsten Tag Deine verfluchte Zeitung nicht entfernt hast, dann...“ und weg war er, irgendwo unter denn Massen von Musikfestivalbesuchern verschwunden
Der verrückte christliche Fundamentalist tauchte tatsächlich des nächsten Morgens vor mir: „Hast Du jetzt Deine verfluchte Zeitung weggetan?“
„Wie Du siehst, nicht!“, sagte ich zwar nicht, unübersehbar war aber, dass das Journal noch da war. Es war Morgens kurz nach der blauen Stunde, die Ouvertüre der Singvögel hob an. Ich streckte ihm die Brust entgegen, sollte er doch mit seinem Messer mitten in mein Herz stechen: aber hier stand die Freiheit der Literatur und Kunst auf dem Podest und Spiel.
Nur über meine Leiche würde er sie herunterstoßen!
Wahrscheinlich hat er meine herausgestreckte Brust anders als Jesus und seine wahren Jünger es gedeutet haben würden verstanden, als herausfordernde Gestik des Schlag-doch-zu-du-wirst-das-Echo-schon-merken statt Ich-halte-die-eine-Backe-schon-mal-hin. Er verdünnisierte sich schnell wieder.

Heute standen wir auf einem Parkplatz, es war dunkel, keine Seele auf der Straße, da der Abend der der Finalaustragung der Fußballnationalelf Deutschland gegen Argentinien war. Heutzutage waren doch andere Fundamentalisten am Zug, orientalische, so dass ich spürte, wie sich mir der Hals zudrückte.
„Ich schenke es Dir’“, sagte ich , denn ich wollte ihm eine Freude machen.
„Ich will es nicht!“ Damit gab er es mir zurück. Mir geschah es Recht, so etwas geschieht mit „Drecks“-Literatur zurecht: nicht einmal geschenkt will man sie, richtig so!

Wiederum ein anderer, mit dem ich ehemals über Kreuz gekommen war und den ich nach Jahrzehnten zufällig wiederbegegnet bin, wollte es nicht geschenkt bekommen, sondern bezahlen: „Jeder soll für das, was er macht, auch entlohnt werden!“
Unklar, ob er es aus Kalkül tat, weil wir im Vorfeld von einem Arbeitsauftrag meinerseits gesprochen hatten und sich ein Geschäft für ihn anbahnte, oder ob ich wirklich diesen klischeehaften, ehrenwerten Handwerker da vor mir hatte, dem man solche Tugenden nachsagt.
Immerhin erzählte er als erstes, dass meine Bücher, stets im Gepäck, auf eine lange Reise gegangen wären. Aha, kann man auch so sehen, dass es durch viele Hände gegangen wäre – ich war geschmeichelt. Oder war es eine Anspielung darauf, dass er die letzten Jahre ein Wanderdasein mit unzähligen Umzügen gelebt hatte?
Nach unserem Kaffee erlaubte ich ihn zu meinem Auto zu führen, und Sie wissen schon, im Handschuhfach lagen zur freien Verteilung der offenen Bücherregale zufälligerweise ein paar Exemplare meines Buches bereit.
Eins überreichte ich ihm. „Ich schenke es Dir!“
„Was, nein! Jeder soll für das, was er schafft, etwas bekommen. Du hattest schließlich auch Deine Ausgaben! – Also, wie viel kostet es?“ Ich und mich festlegen darauf, wie viel ein Buch für einen Freund kostet: niemals.
Inzwischen drehte er es in seinen Händen, von vorne nach hinten, worauf der Buchpreis stand, wenn auch noch in der alten Deutsche-Mark-Währung,.
„Also, tauschen wir 1 zu 1!“
Ich wehrte ab; das entsprach ja schließlich nicht dem Umtauschwert. „Geb mir einfach, was Du meinst!“, bot ich an. Machte er auch, nämlich wie er es anfänglich vorgeschlagen hatte.
Gekauft ist besser als verschenkt!
Unbeschreibbares Glück empfand ich, schließlich waren diese Bücher ja zum entgeltlosen Verschenken und Verteilen in mein Gefährt deponiert worden und der Zufall hatte es gewollt, dass ich nun für eines einen guten Betrag erhielt, fantastisch!
Andernfalls hätte ohnehin mein Buch weiterhin im feuchten Keller vor sich hingemodert.
Kaum hätte sich die Möglichkeit zum Verkaufen ergeben, wenn ich nicht diese Verschenkungsaktion gestartet hätte. Und so habe ich wenigsten ein paar Groschen für mein ehemals mit rarem Geld finanzierten Buch bekommen. Ist doch gut!

Ich fragte meinen Freund: „Und, hast Du eine Freundin?“
Brüsk wies er die Frage zurück: „Darauf gebe ich keine Antwort. So etwas fragt man nicht!“
(Hatte er gerade Probleme? Wollte er darüber nicht sprechen, hätte er aber auch nicht müssen! Fühlte er sich dazu gezwungen? War er deshalb so ginant, weil er sich dieser schämte? Oder wollte er nicht zugeben, zurzeit solo zu sein?)
Ich lachte: „Aber warum? Warum soll man nicht über Freundinnen sprechen? Zumindest von Freundinnen? – Es heißt ja auch nur: über Geld spricht man nicht!“ Mit diesem Bonmot wollte ich über die Peinlichkeit hinwegkommen.
Er gab dann doch Antwort, warum nicht gleich, ich meinerseits hätte bereitwillig, froh und glücklich geantwortet, zumal ja bei ihm endlich das Glück an die Pforte gepocht hatte. Warum nur hat er so verdruckst reagiert?
Allmählich tauchte eine unangenehme Erinnerung auf.
War er nicht aggressiv geworden, als er endlich eine Freundin besessen hatte damals, (aha, damals also schon, muss wohl irgend ein neuralgischer Punkt bei ihm sein, diese Freundinnen.)
Wir saßen das erste Mal zu Dritt, er, seine Freundin und ich um einen Diskotheken-Vorraum-Tisch, als ich plötzlich von ihm angeranzt werde: „Arbeite endlich etwas!“ Ein Imponiergehabe seiner neuen Freundin gegenüber? Schließlich war ich ja als bunter, fauler Hund mit meinem Arbeitslosenleben bekannt und verschrien
Oder war es möglicherweise, weil eine Freundin von ihm verletzt worden ist wegen einer Stelle in meinem „Nymphomanenmord“?
Das stieß einen Denkprozess in Gang.
Mein Freund hat sich zwar dumm-dreist als heldenhafter Frauen-Rächer stilisieren wollen, das arme Schwein, das damals bei den Frauen seiner eigenen Wahrnehmung und Empfindung entsprechend zu kurz gekommen ist. Tatsächlich aber war da eine gemeinsame Bekanntin, die beleidigt und verletzt war wegen einer Stelle im Buch über das sexuelle Verhalten von Männern und Frauen in Korrelation zu ihrer beruflichen Tätigkeit. Die Rolle eines Arbeiters in der sexuellen Verhaltens-Varianz rief bei dieser derart starke Identifikation hervor, dass sie sich verletzt und diskreditiert fühltze. Das war keinesfalls beabsichtigt, ich mochte sie, die Fabrik- und Fließbandarbeiterin war, wer schert sich darum, welchen beruflichen Status ein netter Freund hat? Zudem war ihre Reaktion ein bisschen lachhaft, weil sie gleichzeitig reiche Bauerntochter war.
Doch ich musste nun einmal meine Erkenntnis, vielmehr eine Hypothese, wie man dies in der Wissenschaftstheorie bezeichnet, von der ich begeistert war als frischgebackener Student der Soziologie, (vertippt: Stolzologie) formulieren, ausgedrückt in den Worten einer Person aus dem Roman, als sie über ihre Erfahrungen mit Männern spricht und der Erzähler die Erfahrungen derselben in einer allgemeinen Vermutung des hinreichenden Zusammenhangs über Sexualität und beruflichen Hintergrund des Akteurs setzt: sage mir, welchen beruflichen Stand du hast und ich sage dir, welche sexuelle Praktiken du pflegst.

Ich denke daran, wie mir einst ein anderer Bekannter bei Herausgabe des Buches empfohlen hatte, erst einmal ein paar Hunderte von Exemplaren unentgeltlich unter die Leute zu verteilen, also als Werbung. Gut, das hatte ich brüsk abgelehnt. Das hätte ich mir auch niemals leisten können. Aber vielleicht ist doch etwas Wahres, Richtiges dran, denke ich mir heute.
Natürlich, ich stehe ja heute nicht mehr hinter diesem Roman, dies auch Grund, weshalb ich ihn abstoße.
Aber als ich das Buch meinem Bekannten übergab, sah ich es in einem neuen, alten, verschütt gegangenen Licht. Mir wurden die Stellen bewusst, weswegen es mir so auf der Seele gebrannt hatte. Ich glaube, dass das Buch eben Fragen streift, aufgreift, behandelt, nenne es wie du willst, die virulent, fundamental, unausgesprochen und von unserer Kultur mit einem Tabu gebannt und in die Schranken gewiesen sind.
Und diejenigen Dinge, die mich am meisten abstoßen, sind mir am nächsten. Das ist bei dem Buch auch der Fall. In ihm sind Themen enthalten, die mich nach wie vor mehr treffen als je zu vor.

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