Verbrannte Heimat VI. - Dt Einheit - Momente der Freiheit

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Pentzw
Kalliope
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Verbrannte Heimat VI. - Dt Einheit - Momente der Freiheit

Beitragvon Pentzw » 03.10.2014, 14:14

Mit dem Fahrrad unterwegs in der Freiheit hierzulande.

Auch andere Leute beginnen langsam über den zunehmenden Motorradlärm zu klagen, nun, das ist eine Geschichte der Wessis, nicht der Ossis, die vor lauter Freude über ihre Reisefreiheit solche Nebensachen und Nebenerscheinungen überhören – noch, sage ich mal.
Für sie mussten die lärmigen Motorradgeräusche, lokalisierten sie doch, am Fuß des Tales, wo sich die Geräusche bündeln, die Trompeten von Jericho sein, Himmelsstürmer und Verkündigung des Untergangs. Aber denkste, vielmehr sind es die Jüngsten-Tage-Ankündigung.

Erste Station in einem Tal, ein enges mit einem kleinen Wirtshaus am Fuße. Neben dem aus längst verstrichenen Jahrzehnten stammenden Sandstein-Haus war mit dunkelgebeiztem Holz ein Anbau in Funktion eines Biergartens gemacht worden. Das Tal war zu schmal, um einen ausladenden Biergarten anzulegen. Ein kleines Haus tat’s, unmittelbar neben dem Bach und Fluss gelegen.
So wurde die kleine Dorfkneipe in einem kleinen Dorf-Tal durch eine kaum 10 Quadratmeter große Überdachung erweitert: Regnete es und das tat es in einem Mittelgebirgs-Tal öfter, konnte man trotzdem sein Bier trinken, zumal, wenn die Gäste Dahergereiste, sprich Dahergefahrene, nämlich auf ihren vielleicht weniger stinkenden, aber immer noch viel Lärm produzierenden Einmann-Maschinen weite Strecken bis hierher bewerkstelligten und den erwünschten, ersehnten und erlebensbedürftigen Zwischenstopp, Zwischenaufenthalt oder ihr Päuschen einlegten. (Umweltverschmutzung des Gehörs ist kein Thema hierzulande! Lärm gehört zum Geschäft, heißt’s ja auch.)
Dies ist unsere erste Station, zwei Sachsen, männlich und weiblich, bedienen uns.
Zuerst die Frau.
Wir fragen, wo wir sind? Sie bringt einen Wanderplan, um uns die Umgegend zu zeigen, geht dann wieder in die Kneipe zurück. Plötzlich, nach einer Minute, öffnet sich der Türvorhang und ein Mann erscheint unter dem Türrahmen, verkündet, als wäre es eine weltbewegende Aussage: „Der Wanderplan ist auch zu kaufen“ und verschwindet wieder in der Kneipe.
Ich bin ganz paff. Meine Begleiterin weniger. Da gehört zum Geschäft.
Aber mir kam das wie ein Auftritt auf einer Bühne vor, wobei sich der Vorhang öffnete und dieser strahlende, gesunde, ältere Hutzelmann sein Auftreten hatte.
Den würde ich gerne näher kennenlernen.
Als der ältere Herr erneut auftaucht, erkenne ich einen Mann, den die Zeichen der Zeit, eventuelle Krankheiten und Enttäuschungen in seinen Gesichtszügen in keinster Weise eingegraben, genarbt und gekerbt haben, vielmehr, erstaunlich jung, lächelt Aurora aus seinem ganz und gar grauhaarig-umrahmten Gesicht mit Bart und vollen stacheligen Haaren. Das weibliche Pendant mangelt ihm keine Spur an Vitalität: einigermaßen zufriedener Gesichtsausdruck und füllige, wohlgenährte Propositionen offenbaren aus dem weiten Dekoltèe-Küchenschurz einen nicht überquellenden, dennoch strammen Busenberg, der einem Achtung abverlangt.
Man freut sich mit den Alten, dass sie so ein zufriedenes Gesicht machen in ihrem hohen Alter und späten Tagen. Die sich lieben, lächeln (nicht wie blöd)– was beneidenswert ist.
Neben dem Kneipeneingang hängt ein Essens- und Speiseplan, ein paar wenige Zeilen nur und wenn man diesen lesen will, wird man nach dem Aufzählen von paar leicht und schnell zubereitbaren Vespergerichten darauf hingewiesen, dass dieser Aushang wohl nur zur Pflicht- und Gesetzesgenüge dahängt. Die Wirtshaustür, kaum 180 Zentimeter hoch, wird mit einem durchsichtigen Gazé-Vorhang von der Außenwelt begrenzt. Die Neon-Leuchtschrift der Biermarke ist von außen dunkelhell beleuchtet und erweckt die familiäre Atmosphäre, hier gäbe es keine verriegelte Türen, kein Innen wie Außen, der Wirtshaustresen ist offen wie eine Kirche, selbst die Küche, in die man von hier hineinschauen kann; kurzum, dem Gast wird der Eindruck vermittelt, von wegen Privatsphäre, vielmehr ist jeder Winkel Teil einer einzigen großen Wohnstube, einer Familie; egal, wer dazu kommt, er gehört dazu und wird sofort in den intimen Kreis der Gäste aufgenommen. Man kann sich gut vorstellen, dass über dem Eingang dieses kleinen, engen Wirtshauses ein Brett genagelt ist, versehen mit dicken, schwarzen Lettern: „Wir können nicht klagen!“
Sie nicken, auch was das Einkommen anbelangt. Und da sie jetzt und heutzutage auch jederzeit wieder zurückreisen können dorthin, wo sie ehemals aufgebrochen, trifft dieser Satz auch in anderer, fundamentaler Richtung zu.
Der Mann geht, dann kommt wieder die Frau.
Der Mann, worauf die Frau wert lege, komme aus Leipzig, sie ja aus einem anderen Teil Sachsens.
Leipzig – Montagsdemonstrationen, schießt es mir durch den Kopf., deswegen hat es die Frau doch wohl wichtig genommen zu erwähnen, dass einer von ihnen aus Sachsen, neue Bundesländer, sondern Heldentat noch mehr, aus dem sächsischen Sachsen, aus Leipzig direkt, ist.
„Der Wanderplan ist zu kaufen.“ Nun, die heldenhaften Sachsen, sogar die Leipziger, ein Sonderstamm innerhalb des Sachsenstammes innerhalb des Sachsenlandes waren während dem Fall der Mauer für 20 DM Begrüßungsgeld bereits fiskalisch angespitzt worden. Nunmehr waren auch sie der Gier erlegen: „Der Wanderplan ist zu kaufen.“

Warum kaufte man sie bzw. versuchte man sie zu kaufen?
Ich überlege angestrengt - die Umstände dieses „Kaufhandels“ waren?.
Darauf habe ich zwei Antworten.
Wegen der Rückfahrkarte! Außer Landes wollten sie reisen mit der Sicherheit, zurückreisen zu dürfen und zu können. Komisch, aber diese zwei haben schließlich gar nicht mehr das Verlangen oder Bedürfnis, zurück kehren zu wollen, wohinaus es sie fortgezogen.hat, wie sie mir versicherten. „Wir bleiben!“ – Ja, ich verstehe, nur die Möglichkeit, zurückzukommen zu können, darum ging es ihnen letztlich.
Der Westen hat die Leute später gekauft. Hat sich nicht mehr vor die Wahl gestellt, sondern einfach gesagt: so hier 100 DM Begrüßungsgeld. Die Leute von drüben konnten dann natürlich nicht mehr ablehnen. Sehr geschickt von den sogenannten „Kapitalisten“. Denn jetzt stecken sie dort drinnen, wo man sie hinhaben wollte.
Ja, auch sie sind dort, wo sie sein wollten. Und sie können wieder zurückkehren, wenngleich sie das nicht mehr wollen.
Für eine Illusion, für eine Vorstellung, eine Idee, man stelle es sich vor, dieser ganze Zinnober!
Aber stimmt: Revolution ist immer irreal!

“Mein Mann ist aus Leipzig.“
Das war die eigentliche weltbewegende Verkündigung hier unten in einem Tal in einer kleinen Schlucht irgendwo in Baden-Württenberg/Schwabenland. Und dass dieser Leipziger gar nicht mehr zurückwollte nach Leipzig. Man wollte die Sicherheit, eine Rückfahrkarte lösen zu dürfen. Deswegen musste diese Mauer auch fallen: sagen Sie das ihren Kindern, die das noch nicht erleben durften, wenn sie sie befragen sollten, wie das damals war und vor allem, wenn sie in Erklärungsnot geraten sollten bei der schwergewichtigsten aller Fragen: warum!?
Im gestochen scharfen, nahezu akzentfreien Schrift-Hochdeutsch verabschiedet uns die Pächterin: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag,“ Wir, die nicht den Wanderplan käuflich erstanden haben, denen es keine müde Mark oder teueren Euro wert ist zu wissen, wohin uns unser Weg führt oder unter welchen Bedingungen er durch die Welt führt, deren größte Panik und Angst es ist: diesen erneut und zurück zu gehen, zwar rückwärts; was heißt zwar und heißt rückwärts? „Rückwärts“ ist e i n Weg, den man schon einmal gegangen ist. Und für uns ist nicht schlimmer, als einen Weg z w e i m a l zu gehen. Als gelte es, einen Fehler zweimal zu begehen, was hieße, wie es im Volksmund heißt, dumm zu sein: nur ein Dummer begeht einen Fehler zweimal. Aber natürlich, das ist Ansichtssache. Ein Weg, von der anderen Richtung begangen, offenbart sich von einer anderen Seite, anderen Perspektive, erscheint auch wieder neu. Das hat auch etwas für sich.
Wir fahren weiter.
Der Leipziger hat uns das Städtchen Langenburg mit dem Hinweis empfohlen, dass dort jüngst auch Prinz Charles bei seinen Verwandten eingekehrt sei, in einem Tonfall, wussten Sie das nicht und also, was man wissen muss. Ich muss es nicht. Wir fahren dorthin, weil es den nächsten Ort in der Zivilisation darstellt.
Auf unserem beschwerlichen Weg steilaufwärts, höre ich die Wirtin sagen, weshalb sie nicht „klagen“ können – eine Redewendung, wie aus dem Benimm-Dich-Duden – dass sie vor allem Motorradfahrer als Stammgäste heimsuchten, also solche, die mit ihren PS-starken bzw. Hubraum-großen Donnergestühlen an uns vorbeifahren, dass uns jedes Mal Schmerzensstiche durchs Ohr fahren und Ohrenschmerzen zufügen.
Aber das ist kein Thema in diesem Land: Lärmterror.
Wohin fahren wir? Immer nach Hause. Aber das genügt nicht, nicht denn Wessis, sie wollen so schnell wie möglich nach Hause und kostet es den Tod, den eigenen oder den anderer, aber das interessiert am allerwenigsten.
Wo ist noch ein freies Land? Ein wirklich „freies“ Land?

Die Wiedervereinigung erlebte ich als die Gründung eines Vereins namens „KIND“. Kunst im neuen Deutschland. In diesem Begriff steckt Nomen est omen. Die Nazis haben auch vom Neuen Deutschland gesprochen. Ein Dichter aus der ehemaligen DDR wurde eingeladen, der in der dortigen eingebuchtet worden ist und in den Westen fliehen oder abgeschoben oder wie auch immer konnte oder wurde. Er las eine Stunde: herrlich. Was aber geschah danach. Die Apparatschicks des Vereins, sämtliche Westler, untersagten dem Gast sein zugesagtes Honorar. Der Obermeier davon lamentierte, die Parkplatzgebühren seien so hoch usw. Also, die Fahrkosten vielleicht. Ich wurde fuchsig. Schließlich kratzte man das Geld zusammen.
Im Westen wirst Du nicht eingeknarzt, aber Dein Salär vorenthalten sie Dir. Die Ossis, die ich kennenlernte, sagten, wenigstens die Kinder in der Schule hatten immer etwas im Magen. Ich bin gespannt, wann das im Neuen Deutschland wird aufhören und anfangen, dass die Heranwachsenden werden Hunger und Durst leiden. Was dann? Dann aber!


Der Moment der Freiheit II. - Was ist Globalisierung?


1.) Eine Harley-Davidson - das ist ein sehr großes Motorrad, welches a) viel Platz benötigt und b) ziemlichen Lärm verursacht und ist in den Vereinigten Staaten von Amerika gemacht und passt wunderbar in dieses großflächige Land mit Landstrichen, die unbewohnt sind und wo man so richtig Gas geben und den Motor aufheulen lassen kann, so dass und da es niemanden stört. Nun, dieses Symbol der Freiheit wird nun auch in das dichtbesiedelte bundesrepublikanische Deutschland transferiert und deren verursachenden Lärm ausgesetzt.
(Die Ironie und Witz des Ganzen liegt zudem darin, dass in den Vereinigten Staaten ein generelles Tempolimit von 110 Stundenkilometern herrscht, obwohl, wie gesagt, niemanden sich daran stören könnte, noch mehr Power aus der Tube zu drücken.)

Motorradfahren-Lust und Alles-ist-käuflich-Mentalität stimmen in eins überein,: in seinem Hang zur Spiellust, ja Risiko, vielleicht Todessehnsucht?
Motorradfahren: Rasen durch die Natur, Blick auf den graublauen Asphalt unterhalb der Nase an der Tempo- und Tachoanzeige vorbeigerichtet, keine Ohren und Nase gespitzt auf Ruhe oder Gewürzdüfte der Natur - könnte man genauso gut simulieren am Monitor einer Spielekonsole, wenn nicht die Todesangst den wesentlichen Unterschied ausmachte: du kannst tödlich verunglücken, vom Gegenverkehr gerammt und überfahren werden – herrliche Vorstellung.
Ich nenne das den Moment der Freiheit.

(Ist das ähnlich wie mit Heavy-Metal-Musik. Ich lese, die Protagonisten, oder die, die von der Presse zu diesen gemacht werden, hätten einen Auftritt gehabt, wobei sie sämtliche Lieder in einem rekordverdächtigen Tempo gespielt hätten. Tempo-Steigerung. Nennt man das Musik? Na, ein Aspekt bestimmt.)

2.) So wird genauso der Brauch aus Italien, neben einem koffeinhaltigen Heißgetränk ein bergwasser-reines Glas voll Wasser daneben zu stellen, hierzulande auch zelebriert. Wohl gibt es alpengespeistes Wasser hierorts, aber ein anzunehmend verrostete Wasserrohr und Kanalsystem.

3) So werden die sandschützenden Gesichts- und Kopftücher aus der Wüste in klimatischen Regionen weitergetragen, die solch dort berechtigten Schutz hierzulande nicht bedürfen. Die männlichen Berber tragen nicht etwa ihr Arabertuch deshalb, weil sie damit eine religiöse Demonstration veranstalten, sondern weil dieses vor den auf Kamel um die Ohren staubenden Dünensand Schutz gewährt. Das macht Sinn!
Orientalischen Ursprungs entstammend laufen nun diese Menschen in einem kontinentalen Klima mit Kopfschutz herum. Man sage nicht, dass tue man aus Tradition. Klar, man will sich individualisieren, abgrenzen von anderen, weshalb man solche unsinnigen Rituale, Trachten und Prozeduren pflegt – der Mensch eben!

4) Orientalische Menschen aus Sagreb zum Beispiel würden bei uns auf demjenigen Boden speisen, auf den vielen Menschen schon hin- und wieder gegangen seien. Sie tun dies dort in der Wüste, die durch permanenten Windgang gut durchlüftet und diesen keimfrei hält. Natürlich ist es nicht gut, total klinisch-rein zu leben, aber hier ist es der diametrale Gegensatz: einen verseuchteren Plateau zum Essen ist schlechterdings nicht vorstellbar.

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