Kuppelei II

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Pentzw
Kalliope
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Kuppelei II

Beitragvon Pentzw » 02.05.2015, 20:58

Hat sich ein Paar getrennt, spricht man lieber seinen darin involvierten Bekannten (oder Bekanntin) am besten nicht an a) auf die oder den Ex, b) auf deren Gefühle und c) den Versuch zu machen, ihn oder sie wiederzuverkuppeln, stellt sogar den Wespennest-Griff schlechthin dar.
Versuchen Sie es nur einmal.
Viel Spaß dabei.
Ich jedenfalls hatte keinen.
Aber Ratschlägeerteilen ist ja längst passé.

*

Aber was ist denn mit meinem Bekannten los?
Er, den du seit Jahren solo siehst, der da so kuhl, unberührt von allen und Über-den-Dingen-stehend lässig an der Wand lehnt und die anderen an sich vorbeiziehen lässt wie Sternschnuppen, die schneller verblassen, als sie erscheinen; der einsam in der Ecke sitzt und auf der Tanzfläche herumtollt, -poltert und -sprintet, als wäre er ein Unicorn, ein unschuldig weißer Schimmel mit einem Horn vorne auf dem Schädel, stand nicht mehr da oder hüpfte nicht mehr hin und her, sondern, meine freudigsten Wünsche und Vermutungen erhärteten sich, als er mit einer Frau, sprich mit einer Freundin gesehen wurde, war er endlich in den festen Händen einer Beziehung aufgehoben oder in dessen ruhigen Hafen eingelaufen.

Nach kaum einer Woche, er stand und verharrte wieder wie ein Betonklotz in seiner Ecke, tauchten schlimmste Befürchtungen und Verdachte auf, die sich unmerklich verhärteten und bestätigten, als er schließlich bald dauernd hin- und hergaloppierte wie ein Mustang, von seiner Ecke in den Raum nebenan, die Kommunikationsecke und wieder zurück. Das ging viele Male so, zu viele Male. Zudem tanzte er nicht mehr, balzte nicht mehr, mit anderen Worten „produzierte“ sich nicht mehr in seiner unbeschreiblich kuhlen Art und Weise, die seinen dicken, fetten Bauch unter locker darüber fallendem, weiten, schwangerschaftskleid-ähnlichem Flanellhelm raffiniert zu verstecken wusste.
Kurzum, mir schwante und ich ahnte, die Ruhe meines Freundes und Kupferstecher war dahin.

Im Kommunikationsraum setzt er sich an den Tisch – das hat er noch niemals nicht gemacht!
Ich bin noch erstaunter und muss meine Hände instinktiv vor den Mund halten, als mir aus meinem blöden Klappe treff- und narrensicher die Wahrheit entfährt.
„Ja, wir sind getrennt, weil sie zu weit weg wohnt!“ Nüchtern, sachlich, natürlich, objektiv wie die Wetterlage.
Naja, örtliche Entfernungen heißt doch, sind relativ und ob sie lang oder kurz erscheinen, hängen von den Möglichkeiten derjenigen ab, die diese überwinden müssen, denkt mein alter Skeptiker im Stammhirn ganz hinten versteckt, ungefragt, ungebeten und automatisch. Glücklicherweise verbietet es mir mein kulturstiftendes Kleinhirn diesen auf der Hand liegenden Gedanken und Verdacht auszuspucken.

Wie wenn jenes Sprichwort ein physikalisches Naturgesetz darstellte, alle Wahrheit drängt ans Licht, ist es offensichtlich, als wir drei uns, mein Bekannter, die Verblichene und meine Wenigkeit, nach einigen Tagen gleichzeitig am selben Ort wiederfinden. Welch eine Gelegenheit, man hätte es bediskutieren können, warum, weshalb und wohin, aber dazu kommt es leider nicht, denn ich kann nur jeweils mit einer Person sprechen: Kommt sie an den Tisch, erhebt er sich nämlich und geht weg.
Na, dann verlege ich mich halt ans Vermitteln, wenn es anders nicht geht. Ich erzähle ihm stets das, was sie mir und ihr das, was er mir mitteilt. Wie ein Reigen geht das rundum.
„Er sagte, ihr wohnt zu weit voneinander entfernt! Siehst Du das auch so?“ „Nein, Quatsch!“
Kaum entfernt sie sich vom Tisch, schon sitzt er mir gegenüber. Normalerweise bequemt der sich niemals an den Tisch, wie ich schon gesagt habe, sondern verharrt steif und fest in seiner Ecke, wenn er nicht gerade auf der Tanzfläche herumhampelt. Heißt das womöglich, dass die Entfernung der Geliebten allein nicht einziger Hinderungsgrund ist und er die Hoffnung insgeheim hegt, dass die anderen, wahren Hintergründe vielleicht doch aus dem Weg zu räumen sind?
„Horch Mal, das ist doch Quatsch...“
„Ja, das habe ich mittlerweile auch eingesehen.“
Sehen Sie, ich hatte Recht!
Er hatte es auch eingesehen, aber schon wieder einen anderen Grund gefunden. Er wollte einfach nicht glücklich werden, diesen schwerwiegenden Verdacht hegte ich bereits im tiefsten Innern, denn sofort sagte er: „ Aber wir passen nicht zusammen.“
„Wer hat das gesagt?“
„Sie!“
Schon springt das Pferd wieder auf und sprintet davon.
Immerhin, damit war wenigstens die Frage beantwortet, von wem ging’s aus? Die andere Frage, ob dies etwas zu sagen und zu bedeuten hat, macht sich sofort in meinem ganzen Hirnareal Platz.
Auf der höchsten Stufe der Hierarchie und allmächtigsten Autorität meiner Seele, was immer, vernahm ich die unhinterfragbaren, allmächtigen Worte im tiefsten Bariton: völlig irrelevant!

Dann weiter im Reigen.
„Er bemitleidigt sich selbst“, sagt sie, als sie wieder am Tisch sitzt, wohingegen und während er in seiner Ecke schmollt oder sich auf der Tanzfläche verkrampft.
„Immer diese Wehleidigkeit, ich kann es nicht mehr hören. Wie meine Mutter...“
„Ich verstehe. Du brauchst nicht weiterzureden.“
Schweigen sinkt über mein Gemüt.
Ich weiß nicht wie lange, als ich schließlich wieder ihre Stimme vernehme: „Außerdem habe ich ihn heute Abend ganz normal gegrüßt, schon dreimal. Aber er hat nicht reagiert.“
„Unerhört!“, rufe ich aus. Abgesehen von diesen Manieren ist das hirnverbrannt, solche auftauchenden Hoffnungsfunken ignorieren und in den Wind zu schlagen.
„Warum machst Du das?“, frage ich ihn dann noch immer voll des Entsetzens und Schreckens, nachdem er wieder vor mir sitzt.
Überraschend schlägt er zuerst mit der Faust auf den Tisch und ballt sie mir schließlich entgegen, was nur bedeuten kann: Schläge. Ich ducke mich, ich ziehe die Schultern ein, am liebsten wäre ich unter den Tisch gekrochen. Stattdessen bin ich gelähmt.
Man kennt das ja aus dem Film, alles läuft in Zeitlupe ab und man kann nicht flüchten: Er stützt beide Fäuste auf die Tischplatte, um sich zu erheben, murmelt und brummelt etwas sehr sehr Unverständliches und zugleich Fürchterliches, was ich aber nicht verstehe vor lauter Angst und Schrecken...
Glücklicherweise trollt er sich doch von dannen und schon wieder mein Verständnis hinterher: Er wurde verlassen, der arme Tropf und schwarze Kater, ist jetzt beleidigt und macht, wenn schon Trennung, dann auf totale. Oder spielt die beleidigte Leberwurst. Sturkopf besser gesagt. Holzkopf. (Blödmann.)

*

Ich muss die fürsorglichen Bemühungen unterlassen, um meinen Kopf zu retten, denn der ist nicht aus Holz! Nur, setzte sich mein Bekannter nicht immer wieder zu mir her, dann ging’s mir besser. Ich werde jedes Mal aufstehen müssen und weggehen. Aber heute wenigstens ist diese Befürchtung unbegründet. Er hat in schärfsten Worten seine Missbilligung eines Wiederverkupplungs-Versuches kundgetan, was ihn bestimmt in seinem Herzen tief befriedigen hat, zumal wenn er bald allein und einsam nach Hause trotten wird im nächtlichen, düsterem und zugleich zwielichtigem Spüllicht einer Großstadt.

Anderntags- und –nachts.
Ich denke totale Pleite meinerseits und denke weiter, was denkst Du Dir da?
Gut, bei meinem Versuch einer Wiederverkuppelung bin ich kläglich gescheitert, da er mich schon seit Stunden friedlich, unbehelligt und unangesprochen am Tisch sitzend in Ruhe lässt und missachtet.
Aber hast Du das nötig?
Also dann anders gesagt, Sieg auf der ganzen Linie und ich darf nach einer Weile befreit tief durchatmen in dem Bewusstsein, dass der mich heute in Ruhe und vielleicht für immer in Frieden lassen würde.
Andererseits aber fütterst Du vielleicht die Hand, die beißt oder die Wölfe, die Dich bei nächstbester Gelegenheit werden reißen und zerbeißen?
Er platziert sich nicht zu Dir, weil ihm ganz offenbar heute der Grund fehlt, da sich seine Ehemalige nicht blicken lässt!?
Weiter komme ich glücklicherweise nicht zum Denken und mir das Gehirn zermarternd, denn es öffnet sich mir überraschend eine einsame Blüte, ein Fräulein, das schon seit immer, wahrscheinlich nach ihrem Schulabschluss, alleine gewesen ist und ist, wie sie mir ihr Leid klagt. Okay, keine exotische Blume, sondern eine heimische farblose. Aber man nimmt, was man kriegt!
Wenn man es kriegt... Denn plötzlich wiehert mir mein befreundetes Pferd freundlich in die Ohren und hat sich an unseren Tisch gesetzt: „Hallo, Werner!“
Aber Hallo, denke ich, so nicht, erst drohen, dann schmeicheln, und außerdem wie sieht es aus mit meiner Situation, meiner Beziehungslosigkeit, meinem Alleinsein?
Was mache ich? A) Ich stelle beide einander nicht vor und b) zeige ihm folglich die kalte Schulter. Stattdessen versuche ich diese neue, einsam da auf dem Felde erblühte weiße Lilie a) mich daran zu weiden, b) mich ihr hingebungsvoll zu widmen und c) schließlich zu pflücken.
Erst als ich alleine in düsterer Dunkelheit der städtischen Weitläufigkeit und Flüchtigkeit nach Hause schlendere, reut mich mein Freund und es dämmert mir, es ist nicht Wert gewesen wegen einer versprengten Blume die Freundschaft eines alten Bekannten aufs Spie zu setzen und komme schlußendlich zur Erkenntnis: „Du bist a) eine beleidigte Leberwurst, b) ein Sturkopf, c) ein Holzkopf und d) schlussendlich ein bisschen ein Blödmann.“

copyright @ werner pentz

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