Verbrannte-Erde XI - Hassobjekte

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Pentzw
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Verbrannte-Erde XI - Hassobjekte

Beitragvon Pentzw » 07.05.2015, 14:00

Jede Generation braucht seine Hassobjekte. Unsere Väter hatten die Juden und die Russen und die Kommunisten, wir hatten unsere Väter als Feindbilder. Die neue, die Jungen haben ihre Zugewanderten, wie’s beschönigend heißt, sprich Asylanten. Immerhin nicht für alle.
Ich kann nur von unseren Vätern Verbindliches berichten, und natürlich kann ich von mir und meinen Altersgenossen sprechen. Das mache ich in einem Atemzug.
Am interessantesten und zugleich überraschendsten war mein letzter Besuch unseres Leithammels aus unseren befreundenden Familien, der weit darüber hinaus Einfluss hatte, und, es wurde nicht verschwiegen, bei der NSDAP gewesen war. So ziemlich der einzige, der auch zugab oder eingestand oder frei heraus davon sprach, „Meinen Kampf“ von A. Hitler gelesen zu haben. Er hatte einen typisch deutschen Namen, Reiter. Sprach aber auch Kroatisch, Ungarisch so gut wie meine Muttersprache. Ob denn bei ihm Deutsch die Muttersprache war? Dass er wohl letztlich aus einer multikulturellen Familie stammen musste, darauf wies nicht nur seine Polylingualität, sondern auch er selbst. Natürlich hatte er, wie könnte es anders sein, sogar in Berlin gegen die Russen gekämpft. Natürlich wurde er zurecht vertrieben, aus seiner Heimat, Serbien. Natürlich weil er Deutscher war. (Aber natürlich stimmt auch nicht dieser Satz „natürlich wurde er vertrieben“. Es wurden auch Menschen vertrieben, die nicht bei der nationalistischen Partei waren. Nach dem Krieg. Eine Familie, die meines Vaters, dieser noch zu jung, um dabei gewesen zu sein, wurde vertrieben, weil die älteste Schwester dabei gewesen war. Als einzige. Dafür wurden die ganzen 12 anderen Familienmitglieder außer Landes gescheucht. Natürlich hatte dann die neue Generation wieder ihre neuen, alten Hassobjekte. Ob das jemals aufhört?) Natürlich war er später gegen Willi Brandt, gegen die Ostaussöhnung, wenn er sich aber dagegen ereiferte, gestikulierte und radebrechte er wie dieser Vaterlandsverräter, Willy Brandt, ein Terminus, der zwar nicht gebraucht wurde, aber in der Luft lag. Natürlich war er später gegen Ausländerfeindlichkeit. Natürlich war er in sämtliche Irrtümer seiner Zeit verstrickt. Wie wir alle! Natürlich wage ich das nicht ernsthaft zu sagen. Deswegen!
Und natürlich ist er nicht stolz darauf, dass er jahrelang den Theaterverein der katholischen Gemeinde geleitet, aufrechterhalten und inspiriert hat; jahrzehntelang Vorstand der spielfreudigen Erwachsenen-Gruppe gewesen ist. Das ist kein Grund zum Stolz in diesem ländlich-bayerischen Milieu, jedenfalls keine Verlautbarung in der hiesigen Zeitung wert. Die schrieb nur über sein politisches Schicksal.
Beim letzten Besuch an seinem, wie sich bald herausstellte, Sterbebett, war er ganz der Alte geworden. Wie ich ihn nicht kannte. Vor meiner Zeit eben. Ob ich bei der Bundeswehr gewesen wäre? Ach, er war schon sehr senil. Fast fühlte ich mich über diese Frage beleidigt. Er war stolz, in Berlin in den letzten Tagen des Dritten Reiches gegen die Russen gekämpft zu haben. Ich war stolz auf meine erste staatsbürgerliche Tat, mit Eintritt der Volljährigkeit, eine Postkarte verfasst zu haben: hiermit verweigere ich den Dienst an der Waffe nach Artikel Sowieso Abschnitt Sowieso des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Hatten nicht er und ich jeder für sich, hier Gegenteiliger es nicht sein konnte, seine Einstellung und Haltung bekundet? Wusste er nicht mehr, wer da vor ihm stand? Er hatte mich doch vorhin mit meinem Vornamen angesprochen. Wahrscheinlich hatte er mich gleich darauf wieder vergessen. Ich fühlte mich verkannt.

Vor dem Heimzimmer erstreckt sich dichter Nadelwald nebst Wiesengrund, aber der Ausblick in den davor liegenden heimeligen, großen Garten des weitläufigen, idyllisch gelegenen katholischen Seniorenwohnheimes ist von einer eingerahmten Würdigung, Widmung des hiesigen Bürgermeisters für sein Hohes Alter von 98, am Fensterbrett verstellt.
Natürlich kenne ich den Bürgermeister, der ihm ein Ehrenbürgerdokument für sein hohes Alter auf das Fenstersims stellte. Natürlich heißt er wie er aussieht: Bäuerlein, immer ein braves, freundliches Grinsen um die Mundwinkel. Die Braven ehren Dich für etwas, wofür Du nichts kannst, ehren Dich mitnichten, denn sonst könnten sie anderen auf die Füße treten, so dass sie Dich natürlich eher für Deinen Hass anstatt Deiner Liebe zu den Menschen ehren.

Seine gleichfalls hier liegende Frau sprach er nur noch mit Vor- und Zunamen ihres Mädchennamens plus Geburtsort an. Es hatte sich alles für ihn entpersönlicht! Nur noch das, was man in der Gesellschaft galt oder nicht war, war für ihn relevant geworden und übriggeblieben.
Es scheint so, dass, wenn man zu sterben beginnt, man Menschen verkennt, verlässt und verliert. Die Liebe aus einem weicht. Schmerzhaft ist dieses Sterben nur für die Hinterbliebenen. Das Sterben selbst scheint es vielleicht weniger zu sein.
Ich machte das Gleiche, indem ich meine Mutter mittlerweile immer häufiger mit ihren Familiennamen ansprach statt Mutter zu sagen: „Frau ...., gehen wir!“. „Ja!“, seufzte sie. Denn ihre Schwester hatte sie nicht mehr erkannt. Oder sie hatte keine schwesterliche Beziehung mehr zu dieser gebrechlichen Frau aufbauen können. Denn diese jammerte mittlerweile. Überhaupt hatte meine Mutter nicht mehr hierher kommen wollen, weil diese sie nicht mehr erkannte, als Schwester oder besser mehr als nur Schwester.

Bleibt am Schluss nur noch, was man erreicht hat, getan und gewollt hat? Oder wohinein man hineingeraten und –geschlittert war? Denn aus jedem Fettnäpfchen hatte mein Onkel schließlich doch gekostet. Jedem Irrtum der jeweiligen Zeitläufte ist er auf dem Leim gegangen. Gehe ich hier auch meiner Zeit auf dem Leim? Inwiefern?

Wann hört endlich die Gesellschaft auf, ein solche Macht über uns Menschen zu haben? Ich erinnere mich an Hermann Hesses Satz: „Ich wollte nur ich selbst sein. Warum war das schwierig gewesen?“ Ja, warum nur?

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