Warum ich ein Buch abstoße X - Das Buch ist weg!

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Pentzw
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Warum ich ein Buch abstoße X - Das Buch ist weg!

Beitragvon Pentzw » 06.06.2015, 14:39

Fertiggeworden mit dem Verteilen des Buches

Ich habe fast alle Bücher aus meinem Keller heraus und in der weitesten Umgebung verteilt. Nun kommt der Moment, wie ich damit umgehe: so nackt, so unbeschwert, so hilf- und mittellos. Wie würde ich reagieren? Erneut ein Buch machen, aus meinem Fundus eines ausdrucken und es binden, damit ich wieder ein Buch von mir im Regal stehen habe? Konnte ich noch leben ohne ein eigenes, von mir gedrucktes und gebundenes Buch?

Auf die Reaktionen einiger Leser dieses Textes im Internet muss ich ihnen antworten.
Ihr versteht nicht, weswegen ich mein Buch kostenlos verteile, herschenke, quasi die Hoffnung aufgebe, dass es je dafür eine Nachfrage geben wir. Stimmt, diese Hoffnung habe ich fahren lassen. Gleichzeitig, das hat sich so entwickelt, habe ich verstärkt beim Verteilen des Buches, saß ich im Zug, in der Straßenbahn, weitergearbeitet daran, gestrichen hier, dort erweitert. Es ist besser geworden. Das alte ist wie ein Stein im Magen, weil es zu viele Rechtschreibfehler hat und zu unvollkommen ist.

Gleichzeitig ist da der freudige Moment, dass es, mein Buch, und narzisstisch gesprochen, ich jetzt endlich gelesen werde. Jedes Mal freue ich mich, sehe ich, dass es aus dem Regal, in das ich es kaum vor ein paar Tagen gestellt habe, verschwunden ist. Ich sehe, andere Bücher stehen noch da. Es erfährt also stärkster Nachfrage. Ich bin stolz. Ich werde gelesen. Man setzt sich mit dem auseinander, was ich mir ausgedacht und geschrieben habe. Ich bin am Ziel jedes Schriftstellers: ich werde gelesen. Was will ich mehr?

Doch bin ich vorsichtiger geworden. Ich kann kein Buch herausgeben, ohne dass es von jemanden gegengelesen würde. Aber ich habe niemanden in meinem Bekanntenkreis, der das vermochte. Bliebe nur das Sich-Wenden an einen Verlag. Diese Zeitverschwendung! Brr!

Im Blickpunkt steht mein allererstes Buch. „Die Liebesspiele“, ein bewusst verwirrender Titel, weil es sich mitnichten um solche handelt, sind es doch, wenn auch nicht ausschließlich, doch vorwiegend poetische Liebesgeschichten und hierbei ist Liebe extrem weit interpretiert, nämlich nicht nur die zwischen Mann und Frau, nein, keine homo-erotischen, aber halt nicht bloß solche Hetero-Beziehungen, die auf der gleichen Altersstufe stattfinden, sondern solche zwischen einer sehr älteren Dame und einem jüngeren Mann, oder der Mutter und ihrer Tochter oder ihrem Sohn undsoweiter. (Ein Generationenübergreifendes Werk, jepp!- sprach der Depp und Jerk von der Werbung).
Darin befindet sich auch nur sehr wenig zu beckmessern, nämlich nur „ein!“ Grammatikfehler und „ein!“ Orthographiefehler, getreu des Grundsatzes vom HumanumErrareEst, und die Sprache selbst ist mir das Komplizierteste nach Thomas Mann, das mir bislang in meine Finger und also untergeraten ist.
Ein Nicht-Bestseller-Bestseller ist es also, wiewohl alle Eigenschaften gegen dieses idealtypischen Wunschmuster stehen, nicht einfach geschrieben, nicht mit Sex, Gewalt und so durchwachsen, sondern vom Feinsten würde der Jerk-und-Depp sagen, von diesem Buch ich sage und schreibe Tausend Exemplare im Eigenverlag verscherbelt, vertrieben und unter dem Tisch den Besitzer habe wechseln lassen können (klingt cool, geheimnisvoll und ein bisschen kriminell), immer noch verkaufe und, was wichtiger ist, verschenke ich guten Gewissens einige Exemplare im Laufe der Zeit, stets mit positivem Feedback. Es würde mir das Herz brechen, mir sich die Haut von den Knochen schälen, wenn ich sie peu a peu weggeben würde. Andererseits, gerade das Wichtigste wegzugeben, am Punkt Null anzufangen, wieder mit Nichts beginnen, schon verlockend, sprich der Philosoph. Verlockend-Schaurig. Ich glaube, ich packe es nicht, aber ich werde darüber nachdenken.

Einmal hat wirklich das Zipperlein vibriert während der ganzen Buch-Abstoß-Aktion. Jene Begegnung mit dem adoptierten indischen Jugendlichen aus meiner Stadt, der von „Schund“ von meinem Buch gesprochen hat. Danach ist er mir sonderbarerweise ein paar Mal über den Weg gelaufen mit finsterem Blick auf mich gerichtet. Einmal habe ich ihn vor besagter Kneipe, in der wir eingekehrt sind bei Erstbegegnung, aus dem Auto heraus zugewunken, er hat aber nur konsterniert zurückgestarrt. Als er allerdings das zweite Mal recht feindselig auf mich blickte, schrillten die Alarmglocken. Ob der mich rituell massakrieren wird wie der Enkel von Goghs, wie die Karikaturisten von Mohamed-mit-Turban,-in-dem-eine-Bombe-lauert, ach mein Puls schlug höher. Ich rekapitulierte seine Biographie, nahezu identisch mit den Hebdo-Exekutisten, Findelkind, bei ehrbaren, moral-strotzenden Adoptiveltern aufgewachsen und und und. Dass ich ihm beim dritten Mal angeschaut habe, ohne freundlich zuzulächeln, hat ihm Angst gemacht. Damit ist dies wohl vorbei.
Das Buch ist weg!

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