Sein letzter Kampf IV

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Pentzw
Kalliope
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Sein letzter Kampf IV

Beitragvon Pentzw » 12.03.2016, 15:19

In der Vor-Faschings-Zeit war es. Da erschien eines Tages die Oberin, befahlt und tönte unmissverständlich: „Ihr spielt in einem Theaterstück mit, das wir an Fasching veranstalten möchten.“
„Aber...“
„Kein Aber. Ihr spielt Soldaten, das gefällt Euch bestimmt!“
Woher diese Sicherheit für diese Annahme nahm? Schließlich Soldat sein und spielen sind zwei grundsätzlich andere Stiefelsorten.
„Ja, das schon, aber...“
Die Oberin legte jetzt ihre Hand zum Kreuz, das ihr um den Hals baumelte, absichtlich oder gedankenverloren, es machte mich sprachlos, gefügig, unterwürfig, wehrlos. Ich wusste wohl nicht, wie mir geschah, als ich schlussendlich einfach stumm-ergeben nickte.
Wie konnten wir überhaupt Nein sagen? Es war unsere Pflicht, Soldaten zu sein, wenn man uns rief, im wirklichen Leben, wenn es Ernst wurde genauso wie auf der Bühne, darin darf kein Unterschied bestehen. Soldat ist Soldat, Soldat bleibt Soldat, sein ganzes Leben lang. Punktum.
Was dann später auf der Bühne geschah, habe ich restlos aus meinem Gedächtnis getilgt. Nur eine Ahnung der tiefsten Beschämung habe ich noch, waren da nicht Pfiffe im meist weiblichen Publikum, zumindest heftiges Gemurmle, vergess es.

Nun, wie kamen wir zu unserer Ausstattung, die nicht nur fürs Theaterspielen gedacht und benutzt wurde, sondern auch im richtigen Leben, wie ich es lebe, seine Funktion erfüllen sollte?
Die Oberin baute Kontakt mit einem Theater auf, die einen Theaterfundus besaßen, der sich in einem riesigen Kellergewölbe befand und aus unübersichtlichen Gerümpel bestand, von dem niemals nicht in diesem Leben Inventur gemacht worden war: nach Gebrauch diesem oder jenem Kleidungsstück, Staffage, Stofffetzen, Spielzeug, Gerümpel, Ausstattung wurde es achtlos irgendwohin geworfen, gestopft und platziert, wo sich noch ein Loch, eine Nische, ein Plätzchen auftat in diesem riesigen, mittlerweile fast bis zur niedrigen Decke aufgeschichteten Kellergewölbe oder Katakombe. Ratten huschten hier- und dorthin. Schaurig genug, aber der Mann, der dieses Chaos betreute, stellte alles in den Schatten. Keine Wunder, das mich beim kommenden Gespräch, Willi, der Witzbold, mit seinem Ellenbogen in die Seite stieß, als sich dieser Mensch, wenn man so sagen darf, einmal umdrehte und meinte: „Quasimodo höchstpersönlich.“
„Bedienen Sie sich!“, empfing uns der Kobold mit einem verglasten Auge und mit dem anderen nach oben, unten und seitwärts rollend, der einen unverkennbaren osteuropäischen Akzent hatte, bei dem die letzten Hühner und Gockel vor Schmerzen hätten losgackern und –schreien mögen, sobald sie es vernahmen. Zum Glück hatte ich nur noch künstliche Zähne, andernfalls wären mir mit Sicherheit die letzten sofort locker geworden und herausgekullert.
Es war der typische verhinderte, gestrandete Künstler, der seinen Ruhestand und Altersitz zu uns in den Goldenen Westen verlegt hatte, um im hohen Alter sein unverdientes Gnadenbrot zu empfangen, andernfalls wäre er ja verhungert und verdurstet dort, woher er eigentlich stammt, kommt, deportiert, pardon ausgesiedelt worden ist. Manchmal konnte man wirklich meinen, Deutschland sei das Senioren Europas schlechthin, das Auffangbecken sämtlicher Kretins Europas für diejenigen Randexistenzen anderen Länder, die keinen Nutzen mehr hatten und nur noch Belastung und Schaden verursachten, wenn sie sie bei sich versorgen müssten.
Er redete, als hätte er noch Butterbrösel von seinem ranzigen Gnadenbrot zwischen den Zähnen, was die Sprachfärbung anbelangte, einem räudiger gebrechlicher Hund typisch, andererseits völlig untypisch diesem, nämlich großkotzig:
„Bedienen Sie sich!“ Hatte er denn die Verwaltungsbefugnis über die Dinge, die ihm die Bohne etwas gehörten und betrafen?
„Wir brauchen aber ein paar Sturmgewehre, IMI Galil, AK 47, M 16, Utschas, Kalaschnikows usw.!“ Mann, dieser Mann hatte nicht die blasseste Ahnung, worum es hier ging und wovon die Welt bald allenthalben sich den Mund wässrig würde sabbern vor Aufregung und Entsetzung. „Bedienen Sie sich!“ – tz!
„Ich auch!“, sagte er daraufhin rotzfrech und blinkerte so verschmitzt mit den Augen, so dass ich den Eindruck hatte, im Nachhinein nämlich, er konnte uns nicht leiden, ausstehen oder anders gesagt, hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt, nach zwei Wortwechseln, bereits gewusst, wes Geistes Kinder wir waren. Und diesen Geist verachtete er. Wir aber ihn auch!
Willi und ich schauten uns nur kurz in die Augen, denn sofort leuchtete bei jedem von uns gleichzeitig eine Birne auf mit der Erkenntnis: den Pappenheimer kennen wir doch, einer vom Balkan oder Baltikum, einer aus Osteuropa oder Südosteuropa, jawohl!
Woher sich unsere Erleuchtung speiste? Na, von dieser unwirtlichen Gegend der Welt sind wir schließlich vertrieben, geschmäht und geschunden worden als vermeintliche Nazis, Faschisten und Barbaren. Und diejenigen von dort, die nicht wussten, niemals gewusst hatten, wohin sie gehörten und gehören, Zigeuner, Juden oder Künstler, wahrscheinlich alle Drei in einem und zusammen, nisteten sich natürlich heutzutage ins fette gemachte Sozialnest unseres fleißigen Landes ein wie das Insekt in die Nisse oder die Hummel in das Wabennest – brr!
„Hören Sie! Wir sind hier nicht zu unserem Spaß.“
Es klang wie ein Witz, gerade deshalb waren wir ja hier, zunächst einmal, offiziell, auf Geheiß der Schwester, die uns zum Narren machen wollte im wahrsten Sinne des Wortes - was anders konnte ein Soldatenauftritt auf einer Bühne nicht anders sein: Narrenauftritt. Aber sie hatte nicht die Rechnung mit dem Wirt gemacht, hatte nicht den blassesten Schimmer, was ich wirklich im Schilde führte.
„Sondern wir haben einen wichtigen Auftrag zu erfüllen!“
Und Willi zeitnah, bemüht, stets am Puls der Zeit zu sein und den Nerv zu treten, „Man muss mit der Zeit gehen“ - war so ein Standartsatz von ihm, welchen ich zwiefach verstand, aber lassen wir das - kartete natürlich vorwitzig nach: „In wichtiger Mission, jawohl!“
Der Fremde rollte die Augen nach oben, als nervte ihn diese Sache, schon bevor sie angegangen worden war. Aber wahrscheinlich, so ich später darauf gekommen bin, stieß ihn diese Ausdrucksweise ab, die ihm allzu bekannt vorgekommen sein musste, als Boten einer längst vergangenen Zeit, wo auch alle von Auftrag, im Dienste und auf Befehl handelten, kurzum alte Geister, die aus dem Sarg gekrochen waren, waren wir für ihn. Man erhebe das Kreuz gegen diese Vampire!
Nun, er kannte halt auch seine Pappenheimer, verständlich dieses Augenrollen. Schließlich aber schlug er seine langen Affenarme nach unten, auf seine Oberschenkel – ja so weit reichten diese, erstaunlich nicht?! Als wäre er frisch aus dem Busch oder Berghügeln hierher ins flache Land der plattfüßigen Langläufer immigriert.
Aber unseren Dialekt sprach er manierlich und erstaunlich gut: „Also, denn! Ich glaube, ich weiß, was sie suchen. Folgen Sie mir!“ Was wir taten.
„Momentchen! Haben wir gleich!“
Wie durch Berlin nach der Bombardierung der Asiaten und Russen bahnte er sich seinen Weg ziel- und selbstsicher, als hätte er niemals nicht eine Minute vergessen, wo der goldene Schatz vergraben lag.
Mit dem Fuß stieß er schließlich rabiat, ziemlich verächtlich und hart zuschlagend den Deckel einer riesigen Truhe auf und sagte ebenso herablassend, verächtlich und rabiat: „Da haben sie, wonach sie immer schon und immer wieder und jetzt wieder einmal gesucht haben.“
Der forsche Tonfall des Bürschchens gefiel mir ganz und gar nicht. Ganz zu schweigen von seinem eigenartigen Deutsch. Als verbalhornte er es. Wollte er sich lustig darüber machen? Man musste ihm eine Lektion erteilen! Eine Lektion in Deutsch, die sich gewaschen hatte.
So langte ich nach dem erstbesten Gewehr, das dort drinnen in dieser Truhe zuhauf durcheinander lag und richtete es auf ihn: „Freundchen, Du weißt wohl nicht, mit wem Du es zu tun hast!“
„Doch, leider nur zu gut!“, erwiderte er kühn.
Das war zu viel! Ich zögerte keine Sekunde und drückte ab: „Klick“ statt „Peng.“
Was war da los? Ich untersuchte sofort sämtliche Stellen des Gewehrs auf ihre Tüchtigkeit hin. Schließlich entdeckte ich, dass man sie insofern unschädlich gemacht hatte, als man eine primitive, aber effektive Verriegelung an den Lauf montiert hatte. Damit konnte keiner einen Unsinn, Leichtsinn oder etwas Kriegerisches damit treiben.
Der Riegel saß fest, eingerostet, zudem gut montiert.
Ich schaute auf, direkt in die Visage des Balkanesen, der mir unverhohlen mit einem verschrobenen Grinsen trotze. Fürwahr, eine abstoßende Fresse. Mich juckte es in den zur Faust geballten Fingern.
„Gell, da guckst Du, Scherge!“
Welch eine Unverfrorenheit! Ich brüllte ihn an, putze ihn herunter, bevor er weiter witzelnd würde. Es fielen schlimme Worte, Beschimpfungen, die sich gewaschen hatten, und am Ende sagte ich: „Halten Sie endlich ihre Schnauze, Sie, Sie“, na, Hund habe ich nicht gesagt, aber es lag mir schon auf der Zunge. Stattdessen ergänzte Willi in normaler Lautstärke: „Kretin!“ Von mir aus auch ausländisch, scheinbar verstehen Akademiker unter sich nur diese Termini, Hauptsache, es trifft die Sache auf den Kopf und verletzt, so dass es schmerzt.
Überhaupt passte dieser Ausdruck wie die Faust aufs Auge. Denn irgendwie, ich hätte nicht sagen können wie, hatte der Mann einen Haltungsschaden. Seine Glieder waren verzogen, sein Rumpf saß schief auf dem Unterkörper, oder hatte er einen Rohrrücken, ich wusste nicht genau, woran es lag. Aber da sieht man mal, welcher Rasse er angehörte!
Er zuckte die Schultern, rollte erneut behindert und abartig sein einziges funktionstüchtiges Glubschauge, drehte sich um und ward augenblicklich von der Düsternis des Kellergemachs verschluckt.
So waren wir uns selbst überlassen, Willi und ich. Aber wir wussten, was Sache war. So viele Gewehre als möglich klemmten wir uns unter die Achseln, sie zu entsichern, scharf und gebrauchsfähig zu machen, konnten wir auch zuhause erledigen, wir durften keine Zeit verlieren und mussten sofort von hier herausmarschieren. Am Ende mobilisiert der andere noch Partisanen, wer weiß woher und wie schnell!
Obwohl es nicht nötig gewesen wäre, aber die Gelegenheit bot sich nun einmal, käschten wir uns noch jeder zwei lange, bis über die Knie reichende, mehr frosch- als olivgrüne Ledermäntel der ehemaligen SS. Willi indessen gab sich nicht zufrieden, begann überall herumzusuchen wie eine tollwütige Wühlmaus.
„Wonach suchst Du überhaupt noch?“
„Wirst schon sehen!“
Ich verschränkte die Arme, krauste die Stirn und funkelte mit den Augen so wild und extrem, wie es nur ging, damit Willi wusste, worauf ich wartete, denn er stellte meine Geduld stark auf die Probe.
Aber er hatte keinen Blick für mich und ruhte solange nicht, bis er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte: so eine schwarzlederne, neumodische Hose.
„Was soll denn das?“
“Wenn schon Nostalgie, dann schon richtig!“, drückte es Willi aus. Aber das stimmte nicht. Wir SS-ler trugen nur Ledermäntel. Solche Hosen wären zu keckig gewesen. Willi meinte, was ich nicht verstand: „Weißt Du, in gewissen Kreisen ist solche Wäsche heutzutage unbedingt angesagt. Domina...“
Was gingen mir die heutigen Kreise an, ich war genug beschäftigt mit dem unter dem weiten Ledermantel zu verstauenden MG. Da sah man wieder einmal, wie praktisch wir Nazis doch schon immer dachten. Die MG wurde vollständig von dem Mantel verhüllt und war faktisch nicht zu erblicken.
Willi musste wieder seinen Senf abgeben: „Wenn Du Dir nun vorstellst, die Ledermäntel wären aus braunen Wildleder, dann würden wir die reinsten Djangos, Desperados und Messerstecher abgeben. In Hollywood wären wir Helden.“ „Messerstecher“, „Revolverhelden“ verstand ich, die anderen Wörter nicht, weil nicht deutsch. Ich machte mir aber darüber keine Kopf und musterte und bewertete erst einmal unseren Aufzug.
Konnte man so auf die Straße gehen, Frage eins.
Wie würde die heutige Polizei reagieren, würden sie uns entdecken, entlarven und zum Vorschein kommen, dass wir zwischen harmlosen Zivilisten mit zwei Sturmgewehren unter den Achseln herumstrolchten?
Aber zunächst hätten sie uns erst einmal entlarven und entdecken müssen.
Fielen wir mit diesen langen Ledermänteln nicht zu sehr auf? Machten wir uns damit von vornherein verdächtig, zogen wir da die Aufmerksamkeit der Ordnungshüter nicht auf uns, die dann gezwungen waren, uns einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und uns unter die Wäsche zu langen?
Das war doch eine berechtigte Frage, oder?
Da hatte Willis schicke schwarze Hose ein Stein im Brett. Je modischer wir erschienen, desto unauffälliger wirkten wir.
So wog ich die Für und Widers ab und kam zum Schluss: Ein’s-wie’s-andere – wir waren theatergemäß ausstaffiert, neben den Flinten würden gewiss diese Kleidung noch mehr Aufmerksamkeit erregen unter dem sachverständigen Publikum, dem älteren Jahrgangs. Sie würden sofort und genau erkennen, wes Stund und Sach geschlagen hatte. Und den anderen war es wenn nicht scheißegal, dann dachten sie, ein paar Jecken unterwegs, lass sie in Ruhe die alten Trottel. Gut so!
„Möchten die Herrschaften die Ware verpackt haben!“, tönte dieser Balkanese wieder. Wir waren Herrenmenschen, das gewiss, von daher auch Herrschaften, insofern wir beliebten zu herrschen, aber dem, wie der Typ das aussprach, entsprachen wir nicht. Hinter der Sprache lag ein Ton, der sehr irritierend war, auf jeden Fall, hm.
„Und grüßen die werten Herrschaften noch ihre Gemahlinnen!“ Das war nun der Gipfel der Schmeichelei, Erstens hatten wir keine Frauen mehr, und Gemahlinnen hatten wir gleich gar nicht gehabt. Das waren Walküren gewesen, nicht edle Dämchen mit Rattenfell-Pelz, spitzen Zigarettenaufsätzen und von Migräne-geplagten Gesichtsausdrücken. Nein, unsere Weiber waren gesund bis auf die Knochen und konnten arbeiten, statt bloß zu promenieren.
Dazu passte natürlich dieser Gruß, von wegen grüßen sie sie von mir, der ihnen gar nicht bekannt war. Kurzum, wer sprach so geschwollen daher? Vielleicht Wiener, Prager oder Budapester, so einer kam bestimmt nicht aus dem Reich, da spuckte man andere Töne.
„Itzig wünsche ich Ihnen auch mal alles Gute.“
Was sollte nun wieder dieses „auch“ in diesem Satz und Zusammenhang bedeuten? Der Kerl wollte auf irgendetwas hinaus, was mir nicht ganz koscher war. Mann, Schade drum, dass wir nicht schon Munition im Lauf unserer Gewehre stecken hatten. Das hätte mir gut getan. Aber abwarten...
Wir waren richtig freudig erregt und hatten Lampenfieber wie die Abiturenten vorm Examen, vor dem großen Auftritt, der uns als Weihnachtsmänner bevorstand oder als Faschinesen , sei’s drum, ich hatte es schon wieder vergessen, auf welcher Hochzeit wir nun auftanzen sollten.
Aber der richtige Knall sollte danach erfolgen!

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