Sein letzter Kampf V

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Pentzw
Kalliope
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Sein letzter Kampf V

Beitragvon Pentzw » 24.03.2016, 11:52

V. Nägel mit Köpfen machen

Als wir uns die Waffen besorgt hatten, standen wir vor einem weiteren Problem. Dabei war es weniger die Entsicherung der Waffe, die Wiederinstandsetzung derselbigen, dazu musste man nur ein primitiven Riegel aus den Angeln heben, als viel mehr die Munitionsbeschaffung. Keine Platzpatronen, sondern scharfe Geschosse waren angesagt. Das bereitete uns Kopfzerbrechen. Einfach in ein Spezial-Geschäft, in ein Waffengeschäft marschieren - hm, zu gefährlich! Würden wir nicht dummen Fragen ausgesetzt sein? Und mehr als das! Registrierung Meldung unserer Namen, Nachforschungen seitens der Behörde, nein, das wollten wir unter allen Umständen nicht riskieren, auch wenn diese erst, wie meistens bei den Tödeln der Behörden und des Staates, dies nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, erfolgte, also nachdem wir unsere große Aktionen hinter uns und durchgeführt hatten.
Und dann aber, wenn die Herren Staatsdiener losschlugen, recherchierten und ermittelten - wir wissen nur zu gut, wie rücksichtslos diese demokratische Justiz mit älteren Menschen verfährt –nämlich gnadenlos, wie man ja lesen und anschauen kann in Zeitungen und Fernsehen, wenn sie Mal so einen ehemaligen KZ-Wärter aufgespürt haben und dingfest machen wollen.
Ha, mit dem Rollstuhl vors Gericht gefahren und geschleppt zu werden, diese Entwürdigung war für mich unvorstellbar. Ich würde mich in die Hölle schämen, oder wie das heißt.

Meine Gedanken schweiften wieder einmal ab, diesmal an die endlosen Nachmittage, an denen man nur dasaß und redete und redete. Willi trank sein Schnäpschen: „Ist ja nur 8 Prozent“, verteidigte er, weil er sich angegriffen fühlte, selbst wenn nicht einmal das Stichwort Alkohol im weitesten Sinne fiel.
Willi brauchte etwas, worüber er philosophieren konnte, sag ich mal.
Immer wieder sagte er es, meist für sich, wenn ihn wieder einmal das löckende Beisein seines schlechten Gewissen piekste.
„Zwar ist mein Vater an Leberkrebs gestorben, aber er war der einzige in der Familie!“, womit er sein Alkholkonsum versuchte zu entschuldigen und die Aussicht das gleiche Schicksal zu erledigen, als unwahrscheinlich hinstellte. Es gab eben keine familiäre Disposition, deshalb Prost!
Und wieder ein Schlückchen vom Schnaps.
„Jedenfalls trifft es mich nicht wahrscheinlicher als jeden anderen sonst. Also, darf ich mir sagen, Du darfst trinken, wie jeder andere oder bzw nicht, wie jeder andere auch nicht trinken sollte. Das Ergebnis ist das Selbe. Anders gesagt: mein Verhalten bewegt sich im normalen Bereich.
Also Prost. Und wieder ein Schlückchen aus dem pinkfarbenen Flasche. Likör oder so etwas.
Ich hatte es so satt.
Was gibt es Schlimmeres als dazusitzen und verdammt dazu zu sein zu reden und zu reden? Das nennt man „Gemütlichkeit“. Aber was ist das?
Ich sag es gleich vorweg, ich weiß es nicht, ich kenne sie nicht.
Meistens schwebt man in einer anderen Welt und Zeit, die davor war, heute gar schon irreal erschien. Dieses sogenannte Wohlbefinden, das sich da einstellen soll, habe ich niemals nicht gekannt, empfunden und erlebt. Im Gegenteil, ich spüre, wie es unter meinem Hintern beginnt zu brennen, wie auf heißen Kohlen sitze ich. Unerträglich! Von Tausend Wespen gepiekst. Immer schon war das, so auch heute. Sowie ich niemals nicht auf meinen vier Buchstaben ruhig sitzen konnte, wenn andere so glückselig in der Gemeinschaft zusammengeschweißt waren, so ist das heute noch. Okay, ein paar Minuten, höchstens Mal eine halbe Stunde, wenn man mit seinen Kameraden ein kantiges Volkslied skandiert. Aber schon bald höre ich Hunderte von Stimmen auf mich niederschreien: Du darfst nicht ruhen! Die musst kämpfen, bist zum Umfallen.
Dagegen kann ich nicht angehen. Selbst Willi mit seiner Philosophie von der Stoa oder Boa, sein Lieblingsthema, regt mich mehr auf, als dass es mich beruhigen würde, das Gegenteil ist der Fall, was diese Boa Constricta letztlich verursacht, weil sie mich mit ihrem dicken Leib umfängt, stranguliert, aufspringen und wegrennen lässt.
Ich bin einfach eine Kämpfernatur! Aus fertig!
Gut, früher war das etwas anderes. Bevor ich in Pension versetzt worden und ich dann unter Schock stand. Wie soll es nun weitergehen?
Aber vorher, als ich noch bei meiner Tochter lebte. Da konnte ich schon einmal eine Stunde ruhig da sitzen. Man saß zwar da und tat auch nichts anderes als reden und reden, aber man wusste wozu. Das Abspulen von Banalitäten, Plattitüden und Sprüchen diente dem einzigen Zweck, die Zeit zu überbrücken, bis die Pflicht rief: Tochter vom Bahnhof oder Enkelkind von der Schule abholen, rechtzeitig loszugehen, um das Betriebsfest zu erreichen oder Geburtstagsfest – alles Termine, die praktisch heute nicht mehr stattfanden, sich aufgelöst hatten, weil z. B. Geburtstagsfeiern gab es im Heim zur Genüge, alltäglich, fast jeden Tag fand so ein Fest statt. Darauf brauchte man nicht warten und wenn man ihn vergaß, wurde kurz vom anderen Zimmer herübergerufen, komm, Namens-, Geburtstags- Goldene Hochzeitfeier, hol’s der Teufel.
Jedenfalls begann ich eines Tages darunter furchtbar zu leiden, unter dieser Langeweile und Perspektivlosigkeit, unerträglich wurd’s mir, in Depressionen verfiel ich und, wenn ich es zugelassen und mir nicht einen Ruck gegeben und gesagt hätte: du musst etwas unternehmen, bevor du in der Demenz verschwindest, wäre ich jetzt nur noch ein kümmerlicher Schatten meiner selbst.
Glücklicherweise hat sich das nunmehr eingerenkt. Ich fühle mich wie neugeboren. Wie ein anderer. Obwohl es eher ein Zurück zu früher, wie es einmal war, ist, wie ich wirklich bin im tiefsten Herzen, jawohl! Endlich werden wieder Nägel mit Köpfen gemacht!

Die Realität hatte mich wieder, Aufgaben nahmen mich in Anspruch, wie es sich gehörte für einen verantwortungsbewussten Menschen der Gesellschaft und Gemeinschaft, jawohl! Wie sagen die Therapiefritzen: entspannt im Hier und Jetzt. Aber ich meine: gespannt und angespannt und gefordert und gezerrt im Heute und Hier, jawohl!

Zunächst war ich wieder einmal gefangen von dem, was unter meinem Balkon sich befand und tat, oder besser nicht tat.
Das Tümpelchen, das ich sah, umfasste kaum 5 Quadratmeter, an einer Seite stand ein Sockel, auf dem ein Frauentorso aus Stein angebracht war. Zwei Meter daneben war zu allem Überfluss noch eine Holzvorrichtung mit Taubenschlag errichtet. Die Vögel schissen nicht nur den Holzständer voll, sondern auch das Wasser, in dem Fische schwammen, Goldfische.
Diese Goldfische, ich geb’s zu, die hatten mir’s am meisten angetan. Sogar meinen Fernstecher nahm ich zu Hilfe, um sie möglichst lange beäugen, verfolgen und erforschen zu können. Obwohl es mich anwiderte, wie ich alter Trottel doch so sentimental geworden war. Na ja.
Aber dafür konnte ich nichts. Unkontrolliert verirrte sich mein Blick immer wieder in dieses ruhige Gewirr roter Fische, das einige kapitale darunter hatte, so dass man leicht auf komische Gedanken kommen konnte.
Fraßen die Schlitzaugen nicht diese Amphibien wie wir den heimischen Karpfen?
Ich hasse Karpfen!
In solchen oder ähnlich abstrusen und wirren Gedanken verlor ich mich, als ich plötzlich von einem Handzeichen wachgerüttelt wurde, als hätte die V2 in diesen chinesisch-japanischen Pfuhl eingeschlagen.
Schön wär’s gewesen!
Unser Seniorenheim steht ja ständig unter Dauerbeschuss. Von überall rattern die Maschinengewehrsalven. Nicht wirklich, aber, weil unser Heim permanent erweitert wird, ist es eine ewige Baustelle, an der cirka 100 Handwerker am Bohren, Hämmern, Fräsen, Flexen und weiß der Teufel was noch waren. Ziemlich nervig, von wegen wohlverdienter Ruhestand im Alter. Kannst Du vergessen. Das Gegenteil ist der Fall. Weil, wehren kannst Dich ja nicht mehr in Deinen Alter. Aber Schwamm drüber.
Gut, es musste ja weitergehen mit Deutschland. Natürlich hantierten die fleißigen Handwerker bei ihrer Arbeit nicht mit scharfer Munition in diesem Sinne. Aber mit anderer schon, wenn auch weniger gefährlichen oder noch gefährlicheren, je nach dem.

In diesem Moment sprang mir etwas ins Auge.
Ein Kahlkopf.
Ich dachte, ein älterer Herr, was macht der sich da noch an der Betonmischmaschine zu schaffen, ist der noch gescheit? Der gehört doch hierher, wo ich stand.
Aber tatsächlich, der schaufelte Sand in die sich drehende Maschine. Gefährlich! Wenn dem plötzlich die Schaufel aus der Hand glitt und in die Walze fiel, sich drehte dabei und ihm den Schädel einschlug...
Mann, dem musste man das Handwerk legen. Das Ordnungsamt rufen. Der Polizei übergeben –aber nein, am Ende kommt er in Sicherungsverwahrung, damit ging es heutzutage sehr schnell.
Weil, jeder ist doch irgendwie sehr unheilbar gefährlich. Die Leute machen sich doch schon in die Hosen, wenn sie allein einkaufen gehen müssen, oder ohne sich die Hände zu halten, über einen Zebrastreifen gehen müssen. könnte ja ein alkoholisierter Berserker um die Ecke sausen, oder die Mafia anhalten, dich in den Lieferwagen zerren und ab nach Afrika als Sklave verkaufen. Besonders auf Kinder haben sie es zwar abgesehen, diese italienischen, bulgarischen, rumänischen, diese Südländer, Asiatisches Mischvolk eben, dass man sehr vorsichtig sein muss.
Aber nicht mit einem alten Nazi! Der weiß sich sehr wohl zu wehren.
Nun zurück zu diesem Alten, der in seinem hohen Alter die Betonmischtrommel speiste –ungeheuerlich. Wahrscheinlich ein Fall von fortgeschrittenem Demenz, dem gehörte mal sanft über seine Pfoten gestreichelt, damit er wieder zu sich kam –also denn!
Ich zog mich an und ging die Treppe hinunter.

Bevor ich meinen Irrtum erkennen konnte, erlitt ich leider schon etliche Reibungsverluste.
Zunächst pirschte ich mich regelrecht an ihn heran. Er befand sich hinter einem zwei Meter hohen dicken Zaunverhau, sie kennen die sicher, die mehr Sicherheitsfunktion haben, als sonst was. Jedenfalls stand er dahinter und um diesen Zahn lief ein Weg, man hatte hier freigelassen, aber dieser war nur einen Meter breit und danach ging es sofort die Böschung hoch, wo sich ziemlich hohe Sträucher oder kleinere Laubbäume befanden. Danach wurde es ebenerdig, der Gehsteig folgte.
Klar, die Böschung war gegärtnert und angelegt worden, weil man das Seniorenheim ein paar Meter unterhalb des Meeresspiegels hätte ich fast gesagt, aber halt unter der üblichen Straßen- und Stadtlage gebaut hatte. Bevor man zum Seniorenheim ging, wie schmuck und genial, ging es halt ein paar Meter hinunter, als befände sich dieses auf einer glückseligen, einfachen, separaten Insel der Seligen–Architekten –pah.
So, ich schlich mich also von Bürgersteig her an, um mir meine Vorgehensweise aufgrund der Beschaffen- und Gegebenheiten des Terrains bzw. der Angriffspunkte wegen besser vorstellen und abzeichnen zu können. Überraschung ist immer der beste Vorteil, sagt man nicht so, oder halt ähnlich?

Aber das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich hart an einem Gehirnschlag vorbeischrammte!
Der Mann hatte nämlich keinen Kahlkopf, keinerlei geringste Spur von Tonsur war ausmachbar, ich hatte ja meinen Fernstecher mitgenommen, ich zoomte ganz nah hin, egal, wie kahl ein Mann war, ein paar Härchen sproßen immer noch hier und da aus seinem Haupt.
Aber nein. Golden glänzte die Glatze wie ein Babypo –Teufel. Was narrte mich hier?
Ich schloss daraus: Kein Kahlkopf –ergo Glatzkopf, feinsäuberlich des Morgens rasiert –ergo junger Kerl. Aber diese Glatzköpfe, Mensch, wo hatte ich die schon einmal gesehen?
Mich überkam Panik, bevor ich begriff, woher und ich floh, bevor ich begriff, machte sofort kehrt und rannte los –nur glitt ich immer aus. Ich rutschte ein paar Mal von der Böschung herunter, so dass, der üble Zufall wollte es, der Junge mich bemerkte, bemerken musste, befürchtete ich, denn umschauen traute ich mich nicht, wer schaut schon dem Leibhaftigen in die Augen?

Nun der Junge kam trotzdem auf mich zugelaufen, weil er etwas schrie, daran merkte ich es, und ich wusste, jetzt hatte mein letztes Stündchen geschlagen.
Aber zunächst machte der Rächer auf freundlich, ist ja immer so.
„Alter, was ist los?“
„Nichts, nichts, gehen sie weg!“
Ich schlug die Hände über meine Augen, legte darauf schützend die Arme um mein Gesicht, als wäre ich vom Atombombenblitz geblendet.
„Aber, aber.“
Er berührte mich.
„Gehen sie weg. Berühren Sie mich nicht. Nein, nein!“
„Na so was!“, wunderte sich der junge Kerl nicht schlecht.
Ich geriet nun völlig in Panik.
Ich machte es heimtückischer als jedes Tier.
Zunächst stellte ich mich tot, ließ mich sogar anfassen. Aber sobald er mir unter die Achseln gegriffen hatte und mich zurück auf den sandigen Weg geschleppt hatte wie ein nasser Sack und versuchte aufzurichten, rannte ich los. Ich rannte in den Garten, ich fühlte die Hände nach mir greifen, ich drehte mich um und schlug mit meinen wie ein verängstigtes Waschweib um mich, nein, nein, aber da war niemand –plötzlich tat es einen Krach. Ich stieß den steinernen Frauentorso um, fiel über den Sockel und gerade hinein ein den grün-rot-braunen Tümpel vor unserem Haus. Die Japsen hatte mich besiegt, typisch, ich schwamm oder besser suhlte mich wie das letzte Schwein in dem grünen, ekligen Tümpelchen vor unserem Haus, während mir vor meinen Augen die Goldfische vorbeischwammen.
Ich hasse Karpfen, ich hasse noch mehr Goldfische.
Ich glaube, mehr vor Scham als sonst was wurde ich ohnmächtig.

Als ich erwachte, lag ich in meinem Bett, das frisch bezogen war und ich selbst war in trockener, neuer Unterwäsche und Schlafanzug. Allein war ich nicht im Zimmer.
Ich konnte Geräusche ausmachen, vom Klobereich her.
In meinem Appartement ohne Küche ist noch ein kleiner Flur beim Eingang und dort eine Abzweigung in einen Klobereich, in dem neben dem Klosett ein Waschbecken und drei große Abfalleimern sind, unterschiedlich farbig und wo in jedes seine bestimmte Art Wäsche gehörte: Buntwäsche, weiße Wäsche und Überwäsche.
Donnerwetter, wer benutzte hier mein Klo? Die Spülung ging, ich schloss die Augen, was würde mir jetzt entgegenkommen und mich in meinem beschämenden Zustand anstarren?
Das Schreckgespenst wandelte sich aber bald zum Hoffnungsträger. Kein Konzentrationshäftling mit kahler Glatze und Arbeitsanzug war es, sondern einer von uns, einer aus der Bewegung, ein neuer Nazi, gelobt sei’s.
Ein bisschen blieb ich schon noch misstrauisch, weil ich mir sagte, dem musst du auf den Zahn fühlen und auf den Grund gehen. Ich kannte mich noch nicht aus mit dem Nachwuchs, mit den Jungen. So beobachtete ich ihn, den Neonazi, sehr gezielt.
Zusehends rutschte mir aber der Stein wie ein praller Sack vom Herzen, endgültig Bumm machte es schließlich, als er diese Handbewegung machte, woraufhin alles klar war. Nur seine Ausdrucksweise stieß mich noch ab.
„Alter, schau her, was ich hier mache!“ Und sein rechter Arm ging in die Höhe. Er lachte dazu dreckig, erschien mir. Wieder erfasste mich Misstrauen.
Irgendwie komischer Kauz war das. Es störte mich, dass er ständig an etwas herumnuckelte und –nestelte, war es nicht die Zigarette –Opa, ich muss Mal und schon stand er wieder auf dem Balkon – dann bestimmt ein Zahnstocher, was nicht ausschloss, dass er gleichzeitig mit einem Papierfetzen in der Hand herumfitzelte. Zudem tat er Unmengen Zucker in seinen Tee, den ich angeboten hatte - ojemine, er stand ganz schön unter Strom.
Zu denken gaben mir auch seine zwei Adler, die er sich auf die Schulter hatte tätowieren lassen, nämlich synchron zueinander. Hätte nicht einer gereicht? Dabei wirkte er sowieso wie der abgemagerte Tod, wenn man seine eingefallenen Wangen und seine rotgeränderten Augen ansah. Okay, er hatte einen schmalen Körperbau, wofür er nichts konnte, wohl auch nicht seine kleinen, winzigen, spitzzulaufenden, fuchsartigen Zähne, aber die kantigen Gesichtszüge erinnerten mich stark an Gevatter Tod.
Am meisten irritierte mich, dass er es nicht eilig zu haben schien, wieder zurück an seinen Arbeitsplatz zu kommen. Komisch, wo bleibt da der Aufbau des Neuen Deutschland?
Als ich ihn daran erinnerte, klärte er mich auf.
„Deutschland, schön und gut. Aber die Kohle muss stimmen, Alter! Die Kohle, das ist mittlerweile das Wichtigste, selbst für Nationalsozialisten.“
Jeder Handwerker auf einer mittleren Großbaustelle fing allzu gern den Ball auf und ließ sich in ein Gespräch verwickeln, um nicht zu viel zu arbeiten, zumal der Chef woanders weilen würde. Dem Chef war’s eh egal, wenn nicht sogar recht: desto länger hatte er diese Baustelle inne und wurde bezahlt.
Ich zog die Stirn kraus. Das überzeugte mich nicht, was sein Chef wollte. Entscheidend war, was er wollte.
„Außerdem geht es in unserem Fall um höhere Gewalt! Wir sind schließlich stramme Nationalsozialisten!“, fügte er beschwichtigend hinzu, als er hätte er gemerkt, dass er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Dazu wieder dieses allzu merkwürdige Lachen.
„Klar, klar. Wir haben Ultrawichtiges zu besprechen. Und für uns, Alter, für Dich und mich, steht Deutschland an oberster Stelle.“ Dabei zwinkerte er sehr anbiedernd mit den Augen.
Aber trotzdem, er war ein Nationalsozialist und damit basta. Die junge Generation halt. Im Grund war der Glatzkopf schon seriös, so glaub- und vertrauenswürdig, dass ich nicht lange mehr um den heißen Brei herumreden wollte, direkt die Frage stellen traute, die mich permanent verfolgte, schon seit Wochen und hier in dieser horizontalen Stellung des Bettes um so mehr - ein Nazi ist niemals gern müßig!
Glaubt man vielleicht, er wäre perplex gewesen, groß erstaunt und verschwiegen, irrt man.
Sofort kam er zur Sache: welches Gewehr, welche Marke, Kaliber undsofort. Natürlich wollte er es sehen, zu gefährlich wäre es gewesen, wenn er die falschen Patronen hätte besorgt, solche Umwege konnten wir uns nicht leisten, dafür war das Preis zu hoch und das Pflaster zu heiß, oder wie das hieß.
Er sprach also schon von „Uns!“ –schön.
Trotzdem, es war von mir riskant, kriegte er nämlich plötzlich kalte Füße–was dann? Scherte er aus welchen Gründen auch immer aus oder schwärzte mich gleich bei der Polizei an –dann Feierabend!
Risiko ja, aber ich konnte mich noch immer auf meine Menschenkenntnis verlassen, selbst noch in meinem hohen Alter hinein, was sofort sich wieder einmal bestätigte und bewiesen wurde.
„Ja Alter, kein Problem! Aber das kostet eine Stange Geld, ist Dir das klar?“
Erneut diese Ausdrucksweise, es offenbarte mangelnden Respekt. Dennoch roch ich es einfach, er war aus dem gleichen Stall, hatte den gleichen Stallgeruch an sich, er war einer von uns, so oder so!
Sicher, erst nach gut einer Woche konnte ich vollends durchatmen und ich mir sicher sein –bis er die Waffe würde besorgt haben. Ich will es nicht verheimlichen, eine Woche ziemlichen Zittern s und Bibberns, aufregende Tage fürwahr, dass ich das noch erleben durfte!
„Klar, weiß ich.“
Ich besaß einen kleinen Tresor, den ich öffnete und ich übergab ihn Tausend.
„Aber das wird nicht reichen, befürchte ich!“
Hm, für seine Ziele ist mir nichts zu teuer, dachte ich und fischte noch einen Tausender heraus.
„Okay, ich versuch’s. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es reichen wird. Aber ich mach Mal.“
Er kam noch mal, eine Woche später. Ich gab ihn noch einen Tausender. Damit war es genug.
Er roch stark nach Alkohol.
Ich machte ihn darauf aufmerksam.
„Ja, Alter. Ich höre jetzt auf zu trinken, glaub mir. Und warum? Ich hab nämlich jetzt ein Ziel!“
Das erfüllte mich mit Stolz.
Kaum ein paar Tage später hielt ich tatsächlich die Medizin in Händen. Und die Medizin wirkte, die Munition passte wie die Faust aufs Auge und nunmehr musste sie nur noch verabreicht werden.

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