Bukowski-Fan auf einem On-The-Road-Again-Tripp

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Pentzw
Kalliope
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Bukowski-Fan auf einem On-The-Road-Again-Tripp

Beitragvon Pentzw » 14.07.2017, 18:01

Charles-Bukowski-Leser, mit kranzförmigen, 210 Zentimeter langen Ziegen-Kinnbart, riesigem Rucksack, Shorts, die etwas traditionell anmuten, bayerisch?, Stulpenstiefel, kommt von einem viertägigen Tripp aus Freiburg im Breisgau.
Dieser lange Ziegenbart wird mir gleich ein Symbol vorkommen. Man stelle sich die Situation vor, man lässt einen Zickenbock frei, er springt in das Gehege der Geiße und weiblichen Ziegen, was macht er zuerst und zuvörderst? - Früher, falls das einem interessiert, hatten diese Burschen noch waagrecht nach außen stehende Schnurrbärte.
Charles-Bukowski-Fan sei er, als ich auf sein Buch in der Hand anspreche.
„Ich komme gerade aus Freiburg im Breisgau“, bekennt er und käme aus jener Stadt, die die wärmste Deutschlands ist.
„Gibt es einen Charles-Bukowski-Fan-Club, der sich dort im Breisgau alle Jahre wieder trifft?“
„Hm?!“ Bekennend Charles-Bukowski-Fan ist er nun nicht, nachfragen wäre zu unhöflich gewesen.
Ich stelle mir vor, dass diese Art sex-, saufhungrigen und gierigen Hooligans begleitet vom blechernem Getöse einer Bukowina-Blas-Musik-Kapelle aus dem tiefsten Balkan einen Aufmarsch in Richtung Innenstadt machen, am Münster vorbei, bis zu dem Traditions-Hauptplatz und dann jeder ein Buch in der Hand in die Höhe wirft und schreit: „Hoch lebe Charles-Bukowski!“ Die pockennarbige Visage dieses kalifornischen Wüstlings grinst sich einen ab auf den Bilderstangen zwischen den Demonstrierenden, die immer wieder in die Höhe geschwungen, gewedelt, gerockt, gerollt werden.
Sei nicht so frech und froh, dass er dich nicht richtig verstanden hat, ändere deinen Tonfall, ergötze dich lieber an seinen friedlichen, glücklichen und high wirkenden Gesichtszügen, mir sagend. Naja, die Sudetendeutschen, die Schlesinger und sonstigen Landsmannschaften – wenn man ihnen nicht ins Wespennest stochert, sind auch mit ihren Wust von Träumen glücklich bis zum Ende ihrer Tage!
Freilich, meine Phantasie schießt ins Kraut und treibt eigenartige Sumpfblüten. Ein Vereinstreffen von Hunderten von Ziegen, meckernd, jeder seinen Bierhumpen, -flasche oder –dose in der Hand, durcheinander labernd, auf Stromstrom-Bier, palavernd, dass der Schaum dieses Gesöffs aus den Lippenwinkeln quillt und geifert, sind in einem engen mit Holztafeln versehenen, niedrigen, mit dicken Balken auf der Decke prangenden, dunstwolkigen Altdeutschen Raum versammelt, gesprenkelt mit ein paar weiblichen Fans – was geschieht da? Zumindest stürzen immer wieder einige ins Freie, sich in den kleinen Kanälen zu erbrechen, übergeben, ergießen und zu befreien.
„Freiburg, nomen est omen! Leben dort nicht viele Künstler?“
„Ja, sehr, sehr viele!“
„Kennst du Bukowski, kennst Du auch Jack Kerouc „On the road“?”
“Natürlich!“
“Und Allen Ginsberg?”
„Der wird ständig bei Charles Buckowski erwähnt.“
„Ja, ich habe das Gesamt-Orginal gelesen. Was bei mir (nur) hängen geblieben ist, ist, dass er Paranoia vor Löwen hatte.“
Wir stehen an der Rampe des Zuges, sprich an der Ausgangstür, kurz vor dem Zielbahnhof.
„Übrigens, die selbe Angst habe ich bei Nietzsche gefunden: Also, sprach Zarathustra!“ Kennt das heutzutage noch jemand? Egal, muss man nicht. Auch Allen Ginsberg wohl nicht. Der Pop-Poet der 68iger! Wie Bob Dylan, auch so ein Messias-Typ, der mittlerweile, Ironie des Schicksal, vom bekämpften, gehassten und verachteten Establishment den höchsten zu vergebenden Preis zuerkannt bekommen hat. Aristoteles sei zitiert: Der Mensch ist widersprüchlich. Oder, leider kann ich keinen Großen dieser Spezies zitieren: ein Idiot!
Beim diesem Gedanken springe ich förmlich wie ein Ziegenbock aus dem Zug.
Apropos Idiot!
Kennt man den Song von Canned Heat „On the road again?“ Wenn nicht, sei er kurz beschrieben. Er beginnt mit einer Eingangsmelodie wie ein Pausengong von einer Schule, woraufhin die Musik einsetzt mit dem Ton einer pubertierenden, an sich selbst leidenden Schülerstimme, der auf der Straße, die aus dem Ort hinausführt, steht, magisch angezogen von der Ferne und ihr das erste Mal folgen will, zurückgerissen von der inneren Stimme seiner der Mutter: „Junge, verlass mich nicht!“. Aber diese hohe, piepsende, gebrechliche Jungenstimme singt weiter: „On the road again!“ Daraufhin schickt die Stimme ihren geliebten Sohn direkt in die Hölle, sprich sie ruft ihn einem Fluch nach, der ihm verbietet, jemals wieder zurückkehren zu dürfen.
Vielleicht verwechsle ich dieses Lied auch mit einem von Paul Simon, wo die Mutter dem Flüchtenden, halbwegs erwachsen gewordenen Liedermachen gleich in die Hölle verwünscht.
Gut, jetzt kommt das Unmögliche, mein Fluch, mein Damoklesschwert.
Genau dieser Ton, dieses Impromtu, diese Ouvertüre von der Band Canned-Heat ist die Melodie des Pausentons einer Schule, an der ich lehre. Sage mir einer, wie diese Melodie an eine berufliche Schule im konservativsten Bundesland Deutschlands, Bayern, komme, um mich alle einundeinhalb Stunden daran zu erinnern, sofort den Büttel hinzuwerfen, damit ich der Straße aus dieser Stadt, diesem Land, diesem Kontinent folge! Mein Schmerz ist einerseits so tief und meine Selbstbeherrschung andererseits so stark, dass ich jedes Mal wie versteinert bin und nur durch die Stimme der Schüler wachgerüttelt werde.
Der Mensch ist ein Idiot!
„Tüteltatata. on the road again!“ ist der Sirenengesang, Sing-Sang, der mich quält.
Und ich bleibe, wo ich bin, ich, der wie kein anderer jahrzehntelang durch die Gassen fremder Länder gestreift war, trotz der höchsten, verschiedenartigsten Schulen, die ich besuchte und abschloss - sei’s drum – jetzt war es Zeit geworden, bisschen was für die Rente zu tun – aber die Pausenglocke quält mich allhalbstündlich: On the Road again, Werner! – Wieder auf die Straße zurück!?
Der Mensch ist ein Depp!
Ich bleibe eben, wo ich bin. Vielleicht, weil vor mir solche Menschen sitzen, die auf der Route und der Road über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind...
Von denen werde ich aus meinen Träumen gerüttelt: „Pause, Herr Werner!“
„Wie bitte.“
„Es hat geklingelt!“.
Ich habe es nicht gehört. Ich höre ab jetzt nicht mehr diese Melodie, wirklich. Mein Ohr stellt sich auf taub.
Eben, der Mensch ist eine Kanaille!
Den Sirenen entkommen wie Odysseus an seinem Pfahl, stürme ich nach Hause, reiße die Gitarre an mich und singe wie ein Bänkelsänger: „Doch so laschen Argumenten wie Sicherheit und Renten will ich mich nun einmal nicht beugen – Leben, so wie ich es will!“
Der Mensch ist ein...!
Das wird der Refrain meines nächsten Liedes werden...

© Werner Pentz

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