Was lange währt, wird endlich (hoffentlich) gut ...
Jorgen stieg langsam den verschneiten Hügel hinauf, schnaubend wie ein Roß. Er war klein und von stämmiger Statur. Die dicke Lederrüstung hinderte ihn am Gehen. Sein bartloses Gesicht war schutzlos der Kälte ausgeliefert und die Füße schienen nicht mehr zu seinem Körper zu gehören, so taub waren sie. Der Frost hatte sich langsam aber unaufhaltsam in das dicke Leder vergraben und verstärkte sein Bemühen, den ohnehin schon kalten Füßen den kläglichen Rest ihrer Wärme zu entreißen. Schneeflocken tanzten vom Himmel hernieder und begaben sich zur Ruhe.
Das leise Klirren, wenn die einzelnen Schneeflocken auf ihresgleichen fielen, machte Jorgen Angst. Auf ihn wirkte es bedrohlich, wie das Jaulen eines Wolfes inmitten dieses unbamherzigen Winters. Er überlegte, wie lange es her war, da er seinen Vater im schlimmsten Schneetreiben, das sein Dorf je erlebt hatte, tot aufgefunden hatte. Waren es 10 oder 11 Winter gewesen? Er wußte es nicht mehr. Aber was er davon noch wußte war, dass es plötzlich ruhiger geworden war und der Sturm sich aufgelöst hatte. Vor ihm im Schnee lag sein alter Herr und war steif wie ein Brett. Er war ein Gefangener der Kälte, die ihn umklammert hielt. Jorgen war noch ein Kind gewesen und verstand nicht sofort, was er da sah. Erst, als er sich bei seinem Vater niederließ, den starren Körper zaghaft berührte und dem nachlassenden Pfeifen des Nordwindes lauschte, erst da verstand er den Lauf der Dinge:
Auf Leben folgte Tod.
Auf Tod folgte Starre.
Und auf Starre folgte Kälte.
Wie lange er dagesessen hatte, eine Hand auf des Vaters toten Körper, wußte er nicht mehr. Damals erkannte er das Wesen des Dämons, den er Kälte nannte. Dieser Dämon kroch über die Fingerspitzen die den Tod berührten, hinauf, setzte sich fest in den Knöcheln und lähmte alle Empfindungen. Jorgens Atem verließ ihn in dichten, weißen Wolken, und dann vernahm er plötzlich dieses klirrende Geräusch. Wie tausend Nadeln stachen sie ihm ins Ohr, verletzten ihn zutiefst. Hätte ihn der Gerber des Dorfes nicht gefunden, wäre er dort draußen bei seinem Vater gestorben. Und heute noch gab es Momente, in denen er sich wünschte, man hätte ihn nicht gefunden.
Kurz darauf war er von Zuhause geflohen, hinab in den Süden. In die Wärme! Er hatte von den Ländern des Sonnenscheins gehört und wollte so weit wie möglich vom Tod entfernt sein.
Er genoß das Leben an den Küsten Elssiu´s und segelte oft und gern über die tückischen Riffe, welche so manchen Schiffen den Untergang gekostet hatten. Er vergaß seinen Vater, seine Mutter und sein Dorf. Nie fand er eine Frau, für die er Gefühle der Zuneigung entwickelte und so kam es, dass er alleine, weit ab der Stadt Kostal ein Eremitendasein führte.
Manchmal, aber nur manchmal übermannten ihn Träume, die ihn wirklich ängstigten. Immer mußte er mit ansehen, wie sich der körperlose Dämon an seinen Vater heranschlich, grinsend und getarnt duch dieses Klirren, das in seinen Ohren zu einem Schreien anschwoll, seine warnenden Rufe erstickten. Sein Vater ging weiter, stapfte mutig durch den hohen Schnee, um dann mit einem leisen Stöhnen zusammenzusacken, gerade dann, als der Dämon mit hoch erhobenen Fängen nach ihm griff, ihm seine Seele an der Wurzel aus dem Körper riß und sie lachend verspeiste. Sofort erstarrte sein Vater und wurde vom Schnee verschlungen, als wäre er ein lebendiges Wesen. Und als wäre dies noch nicht genug, drehte sich der Dämon langsam um, starrte Jorgen direkt in die vor Schreck weit aufgerissenen Augen und sein Grinsen wurde breiter und breiter. Langsam kam er näher und erkannte, dass er sich nicht bewegen konnte. Die Fratze des Dämons wuchs an und im gleichen Maße begann Jorgen zu frieren.
Hilflos schüttelte sich sein Körper, fürchterliche Angst lähmte ihn. Der Dämon riß sein riesiges Maul auf und Jorgen spürte eisige Zähne in seine Wangen dringen. An dieser Stelle des Traumes wurde er immer schweißgebadet wach. Es gab Tage, da sehnte er sich nach seiner Familie und den alten Freunden. Er fragte sich immer wieder, was aus ihnen geworden war.
Diese und andere Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er endlich am höchsten Punkt ankam. Von hier aus hatte er einen gute Aussicht. Vor ihm, zu seinen Füßen lag sein Heimatdorf. Er erkannte sofort, dass niemand mehr dort wohnte.
Anregungen und konstruktive Kritik werden gerne diskutiert!
Gruss,
Alexander