Stofftiere bringen Glück - Roman/Teil 2
Verfasst: 28.02.2019, 22:32
Kapitel II – Stofftiere bringen Glück
I. Am Morgen der Entführung
Ich saß ziemlich belämmert da, sah alt aus und war ratlos. Wir saßen in der Küche beim Morgenfrühstück und ich überlegte verzweifelt, was ich meiner Freundin verklickern konnte. Was hatte ich heute nacht um drei Uhr am Fuße der Zimmertreppe von Gina, ihrer Mitbewohnerin, zu tun gehabt? Sie hat mich dort vorgefunden, wie ich mit meinen vier Gliedern auf dem Fußboden herumgekrabbelt bin.
Was hatte ich wohl in Ginas Zimmer verloren?
Der Umstand, dass meine Freundin ein Morgenmuffel war, kam mir zugute und räumte mir Zeit ein, eine Entschuldigung, eine Erklärung zu finden.
Dann brach auch noch die Hölle los, glücklicherweise.
Wie wir da so schweigend am Küchentisch saßen, meine Freundin und ich, kam Gina hereingestürzt und weinte und weinte. Dass Louis ein verbohrter Morgenmuffel ist, war mein Glück. Sie schaute nur verdutzt und verstand wohl nichts, aber ich biss und kaute in meiner Ratlosigkeit an der Unterlippe, um eine plausible Erklärung über und auf das herabstürzende Unwetter zu finden.
„Heute nacht ist jemand in mein Zimmer eingestiegen und... stellt euch das mal vor...“
Ich wusste, was jetzt käme. Nicht nur hatte ich ein missglücktes „Fensterln“ bei Gina veranstaltet, während sie in der Küche saß, sondern Spuren hinterlassen, eindeutige und unübersehbare. Unachtsamerweise hatte ich eines ihrer Stofftiere zerstört. Was blieb mir übrig, als es aus dem Fenster zu werfen?
Denn ich hatte das Stofftier, das ich versehentlich auf dem Bett beschädigt hatte, nachts durch das Fenster auf die Straße geworfen, um jegliche Spuren meines Eindringens zu verwischen und zu beseitigen.
Damit war ich jetzt voll vom Regen in die Traufe geraten. Es lag auf der Hand und wer eins und eins zusammenzählen konnte, vermochte sich seinen Reim darauf zu bilden, dass das Verschwinden des Stofftieres von Gina und mein Verhalten, auf dem Fuße der Wendeltreppe zu Ginas Zimmer auf allen Vieren zu krabbeln, auf einen Besuch in deren Zimmer hinwies.
Aus den Augenwinkeln sah ich aber keine Reaktion meiner Freundin, sie war noch jenseits dieser Welt.
Ginas Gezeter nach zu schließen - ach wie ich ihn über alles vermisse - musste ihr dieses Ding das Wichtigste auf der Welt sein. Das Getue Lieblingsstoff-Tier war natürlich pure Übertreibung, nur darauf zurückzuführen, dass es jetzt weg war.
„Mein Benno, mein Lieblingsstoff-Tier, mein Hund, ist verschwunden.“
„Was? Du sagst, dein Lieblingsstoff-Tier ist Dir ausgebüchst. Meinst du, es hat sich auf die Beine gemacht und ist einfach so losgezogen?“
Diese Frauen verstanden einfach keinen Spaß, sonst hätten sie mitgelacht.
Ich erntete einen missbilligenden Blick von Louis. Noch war er halbherzig erfolgt, noch ohne Kraft und Saft, damit noch nicht tödlich, rieb sie sich doch noch den Schlaf aus den Augen. Aber Gina griff doch meinen krepierten Witz auf.
„Mir ist nicht zum Lachen zumute. Da ist jemand in mein Zimmer eingedrungen und hat Benno entführt.“
„Mach mal einen Punkt. Ein Einbrecher hat es doch eher auf Wertgegenstände wie Schmuck, Bargeld und Kunstgegenstände abgesehen, aber nicht auf so ein Stofftier.“
„Vielleicht ist der Dieb zunächst wirklich mit dieser Absicht in Ginas Zimmer eingedrungen. Als er nichts fand, hat er aus Rache den Hund mitgenommen“, meinte Louis dazu. Da sie sich immer noch in ihrer Traumwelt aufhielt, rührte ich den Teig weiter an. „Oder als Souvenir?“
„Das finde ich etwas übertrieben.“
Frauen haben einfach keinen Sinn für Humor.
„Aber möglich ist es doch!“
„Ja, möglich ist fast alles auf dieser Welt. Aber nicht besonders wahrscheinlich.“
„Na, vielleicht hat er selber ein Kind zuhause und hat gedacht, wenn ich schon nicht auf Verwertbares, Geldmäßiges gestoßen bin, dann könnte vielleicht doch als Trost so ein Stofftier gute Dienste leisten und ich es meinem Mädchen oder Jungen geben. Wenn er das Stofftier mitnimmt, spart er sich den Kauf. Das wäre für einen solchen armen Schuft ein gefundenes Fressen.“.
„Der Fuchs und die saueren Trauben!“
„So ungefähr!“, meinte die Phantasiebegabte.
Gina verlor darüber jetzt völlig die Nerven.
“Ich rufe die Bullen an. Die soll den Fall aufklären.“ Sie wandte sich bereits um.
Das musste verhindert werden! Man stelle sich dies vor: „Ich muss eine Entführung melden. Mein Stofftier wurde geraubt.“ Was würde die Polizei denken? Sie würde sie sofort in die Geschlossene, Klapsmühle und in die Hupsala stecken. Jeder Psychiater würde feststellen müssen, Delirium tremens, Verfolgungswahn im Folge fortgeschrittenen Alkoholismus.
„Willst Du ihnen ernsthaft sagen: Jemand hat meinen Benno entführt?“
„Natürlich, stimmt ja auch.“
Sie war bereits an der Tür. Gina befand sich auch in einer Traumwelt. Aber sie wenigstens musste schnellstens auf den Boden der Realität zurückgeholt werden.
„Dann warte lieber Mal, bis die Entführer mit der Lösegeldforderung auf Dich zukommen.“ Was Besseres fiel mir nicht ein. Zum Glück nahm sie zunächst diese Aussage für bare Münze. Und gab ihr wieder den Rest.
„Mein Benno, ich fasse es nicht!“ Und sie brach wieder in Tränen aus. Dabei schlug sie die Hände über die Augenhöhlen. Das war doch krank, grenzwertig, kaum zu fassen. Ob wohl hier in den Räumen Kameras versteckt waren, die das jetzt in alle Welt hinaustrugen, gleich einem Schnulzenfilm im TV, nur in Echtzeit?
Mir kam die Lösung, eine Erleuchtung, ein Ausweg aus meinem lastenden Problem. „Aber jemand war da. Ich habe nämlich Geräusche gehört heute Nacht. Deshalb bin ich aufgestanden, die Treppe zu deinem Zimmer hochgekrabbelt und habe in deinem Zimmer nachgesehen.“
Damit hatte ich mein dubioses Verhalten des Nachts gerechtfertigt. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Ein Aha von Gina erfolgte. Louis grunzte etwas.
„Aber da war niemand drinnen. Vielmehr niemand mehr, wie’s aussah.“
Meine Freundin schaute mich so an, als ginge ihr ein Licht auf. Na, ich war mit dieser Erklärung aus dem Schneider. Mich hatte ein Eindringling in das Boudoir von Gina gelockt, als ich wieder herunterkam, hatte mich meine Freundin gesehen und entdeckt.
Das bewies, dass jemand in Ginas Raum gewesen ist.
Ich hatte eine einleuchtende Erklärung geliefert, weswegen ich aus Ginas Bereich gekommen war und mich Louis auf dem Boden liegend entdeckt hatte. Dass ich über Gina herfallen wollte, war damit kaschiert, vom Tisch, verschwundikus.
„Aber wie ist er wieder hinausgelangt?“
Oje, ich hatte die Fenster verschlossen und die Jalousie heruntergelassen.
„Nun, bestimmt so wie er hereingekommen ist. Durch die Haustür, die Treppe zum ersten Stock hinauf, eine weitere zu Ginas Zimmer hoch und das wieder retour. Mann, der hatte aber Glück gehabt, dass er nicht ertappt worden ist.“
Das schien meine beiden Freundinnen nicht gerade zu überzeugen. Na klar, wahrscheinlich war es nicht, dass jemand vergessen hatte, die Wohnungstür zuzuziehen und zu verriegeln, man brauchte sie nicht einmal abschließen.
Ich drückte erst einmal auf die Angstdrüse.
„Hast zudem Glück gehabt, dass Du in dem Moment in der Küche gesessen warst, als er einbrach, nicht Gina? Stell Dir vor, der wäre in Dein Zimmer hineingekommen, als Du im Bett gelegen wärst.“
Ginas Mund stand offen. „Nicht auszudenken!“
Eben, das müsste die Hitze der Sache dämpfen, den Druck ablassen, den Verdacht von mir ablenken durch die Freude darüber, die sie jetzt empfand, einer sehr, sehr gefährlichen Situation noch einmal entronnen zu sein.
„Aber gleich die Polizei anrufen, ist nicht gut. Warte noch ein bisschen...“
Gina hörte meist auf den Rat von Louis, aber diesesmal nicht, denn sie ging stracks zum Telefon nach oben und rief genau diejenigen, welche an. Sofort schossen mir die Schweißperlen auf die Stirn.
Ob ich Spuren im Bett von Gina hinterlassen habe?
Aber natürlich!
Bei den Methoden, die der Polizei mittlerweile zur Verfügung stehen, würde ich als Täter schnell und eindeutig entlarvt sein. Na ja, kein Schwerverbrechen, aber die Beziehung zu meiner Freundin wäre in den Wind geschossen, würde sie sich doch fragen, was ich im Bett Ginas zu suchen hatte und ihre Schlüsse ziehen, dumm war sie nicht.
Dann beruhigte ich mich wieder, als mein Verstand einsetzte.
Die Polizei wird Besseres zu tun haben, als für das Verschwinden eines Stofftieres so viel Aufmerksamkeit, Mittel und Wege einzusetzen, dass sie Spuren im Bett nachgehen würde, Haare, Schuppen, Samenstränge, weiß der Geier was. Sie wird ein Protokoll aufnehmen, wenn sie’s überhaupt tat und diesen Vorfall nicht ernst nehmen, mit der Achsel zucken, verschmitzt lächeln, sich perplex in die Augen schauen, wenn es als zwei Polypen waren, die sich mit diesem Fall beschäftigten und die Akte beiseite legen. Mann, die Polizei ist doch gegenwärtig voll überbeschäftigt, nach der Flüchtlingswelle und dem neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz.
Andererseits, wenn sie mir auf die Schliche käme, was würden sie denn für eine Strafe vorsehen?
Mein Adrenalinspiegel schnellte abrupt in die Höhe.
Ich versuchte meinen Verstand wieder einzuschalten und schlussfolgerte, der Versuch, ein entkommenes Stofftier einzufangen, wird ins Leere laufen...
II. Die Polizei muss geholt werden!
Gina kam mit dem Telefon in die Küche, hatte die Freisprechtaste eingeschaltet, so dass man den Wahlton laut hörte. Sie wollte offenbar Zeugen haben. Meine Freundin und ich schauten uns fragend an: „Was das noch geben wird?“
„Ja, hier Polizei!“
„Ja, hier Gina. Ich muss den Verlust eines Hundes melden.“
„Name. Seit wann? Aussehen...“
„Name Benno, seit heute Nacht, braun-grau.“
„Rasse.“
„Äh, Phantasierasse.“
„Wie bitte? Eine Mischung.“
„Kann man so sagen.“
„Von was!“
„Äh, das kann ich nicht sagen. Der Designer hat eine gute Phantasie gehabt und so ziemlich alles eingemischt.“
„Sind Sie betrunken?“
„Nur ein bisschen“, gab sie noch ehrlicherweise zu.
„Mann, verschwenden Sie nicht unsere Zeit...“
„Aber wirklich, Polizist. Erstens bin ich eine Frau, damit Sie das wissen. Und zweitens, mein Hund ist heutnacht aus meinem Bett gestohlen worden. Oder meinen Sie, der ist freiwillig davongelaufen?“
„Möglich ist alles!“
„Sie beleidigen mich! Ich liebe meinen Hund über alles und würde für ihn sogar verhungern! Der würde mich deshalb niemals verlassen, nicht freiwillig, Hundertprozent.“
„Also, okay Miss. Wir schicken nachmittags einen Beamten vorbei!”
„Das würde ich Ihnen auch geraten haben, äh.“
„Wie bitte! Wiederholen Sie noch einmal, was Sie eben gesagt haben!“
„Das beruhigt mich ungeheuer, dass sich die Polizei einschaltet, die Ermittlung durchführt. Jedenfalls bin ich schon erleichtert, dass Sie sich um meinen Hund kümmern!“
„Äh, selbstverständlich!“
Und Klacken.
Meine Freundin und ich schauten uns wieder in die Augen.
Ich erlaubte mir doch Kritik an der Polizei zu üben. „Die hätten sofort kommen müssen, finde ich!“ „Wer weiß, wie lange die Lebensdauer einer genetischen Spur wohl beträgt?“
Ich hoffte, Gina dachte dabei nicht gerade an Spermien.
„Hä?“ So musste ich leider mit der Wahrheit herausrücken.
„Na, Haare, Spermien, Pusteln...“ Weiter kam ich nicht, denn Gina wurde es hundeelend zumute bei der Vorstellung, ihr Kuscheltier sei vergewaltigt worden und sie bekam einen Weinkrampf. Das tat mir natürlich leid.
„Also, das hättest Du nicht erwähnen müssen...“
Sie hatte auf etwas, was ich gesagt habe, reagiert, was zunächst für sich positiv war und ein Zeichen, dass sie allmählich vom Traum auf den Boden der Tatsachen oder der Welt zurückkehrte, auch wenn es sich um eine Rüge handelte. Wurde auch allmählich Zeit.
Aber Gina war untröstlich und nicht mehr zu halten, kurzum drehte völlig durch.
„Jetzt reicht es mir. Wer kann es mir verdenken, bei dieser Art von Polizei, dass man da zum Alkoholiker wird...“
Ich ergänzte: „Besser bleibt.“
Gina schaute mich angesichts dieser neunmalklugen Bemerkung schief an, aber nur einen kurzen Moment, denn sie fing sich wieder schnell: „Genau, bleibt. Ich hol mir einen Flachmann.“ Meine Freundin war gerade dabei, Protest und Warnung einzulegen, aber es war zu spät. Gina wirbelte wie der weiße Wirbelwind aus dem Haus, setzte sich gekonnt wie ein Cowboy auf den Sattel ihres Fahrrades und strampelte wütend los, Richtung Kiosk, Richtung Tankstelle, Richtung Discounter, einer Schnapsbude, wo immer Alkohol angeboten wurde.
Ich atmete auf. Ich war gerettet.
Nur, wo war das Stofftier „Benno“, der Hund, hin verschwunden?
Nun aber setzte mich meine Freundin unter Druck. „Das können wir so nicht stehen lassen, Mann. Die Polizei muss sofort herkommen, irgendetwas unternehmen, zumindest sich den Tatort anschauen.“
„Ähm, ich weiß nicht!“
Aber sie war jetzt pikiert, weil ich zu weit gegangen war und schloss aus ihrer Anklage, dass die Polizei sofort zu kommen hatte. Das überraschte mich völlig.
„Und ich finde, D u solltest bei der Polizei anrufen!“
„Warum ich?“
„Zum einen, weil Du Gina aus dem Konzept gebracht hast.“
„Ich geb’s ja zu“, räumte ich ein.
Etwas zugeben und daraus Konsequenzen zu einem bestimmten Handeln zu ziehen, war bei unserer Art des Umgangs zwei paar Stiefel. Im Gegenteil! Ein vages Schuldeingeständnis zu machen, verminderte die Wahrscheinlichkeit, dass sich daraus Folgerungen ergaben, gar Konsequenz in Handlung manifestierte.
„Zum anderen, weil Du als Mann mehr Autorität verkörperst. Du kannst überzeugender auftreten, rüberkommen und darstellen, dass es für alle Be igten eine Gefahr bedeutet, wenn jemand in die Wohnung, das Zimmer einer schwachen Frau eingedrungen ist, auch wenn er letztlich nur ein Kuscheltier entwendet hat und niemand ernsthaft an Körper und Gegenständen zu Schaden gekommen ist. (Sie war wach, eindeutig.) Umso gefährlicher. Das kann ein Psychopath sein, ein total Verrückter, nicht nur ein Liebhaber Ginas, wie sie vielleicht glaubt. Mann, da muss die Polizei sofort vorbeischauen, Protokoll aufnehmen, etwas tun, wenn auch nur...“
„Ich versteh Dich!“, sagte ich, obwohl mir nicht wohl dabei war, den Behörden Druck zu machen. Und alles lag schon im Grünen Bereich. Soll die Polizei sofort kommen, sie würden schon keine Spuren von mir entdecken, nein, das glaubte ich nicht. Oder?
Ich befand mich in einer Zwickmühle. Weigerte ich mich, würde mein Verhalten in ein verdächtiges Licht geraten. So aber, wenn ich was tat, entlastete ich mich letztlich.
Das gab den Ausschlag! Beiße in den saueren Apfel, um von dir abzulenken.
Ich warf all meine Überzeugungskraft in die Waagschale und siehe da, ein Mann hat doch mehr Chancen bei der Polizei als eine Frau, oder eine, die nur Rotz und Wasser heult, so gesehen.
Jedenfalls erklärte der Polizeisprecher am Telefon seine Bereitschaft, mal doch gleich einen Beamten vorbeizuschicken. Vielleicht beabsichtigten sie auch etwas anderes, als nach dem Täter zu suchen? Dachten, vielleicht waren die nicht ganz sauber da in diesem alten Haus, wir kennen es ja, aber schauen wir einmal Haus vorbei, bei den Mitbewohnern deutet vieles darauf hin, dass die nicht ganz dicht, äh, irgendwie komisch waren - oder was hätten Sie gedacht, wenn Menschen behaupteten, ein Stoffhund wäre entführt worden, mitten aus einer Wohnung heraus, die sich im ersten Stock befand? Und die Besitzerin war nicht Frau Rothschild, Frau Schickedanz oder sonst eine Millionärin?
Gebärdete sich aber nichtsdestotrotz wie selbige, wenn nicht schlimmer.
III. Ermittlungen
Es klingelte. Ich befand mich gerade in der Küche und öffnete die Flurtür. Vor mir stand ein Polizist in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit, wenn man so sagen kann.
„Sie kommen wegen des entführten Hundes?“
„Jawohl!“
„Einen Moment. Ich hole die Besitzerin.“ Die schwere Eingangsholztür wurde von mir zu einem Spalt zurückgeschoben, bevor ich mich umdrehte und die Treppe erklomm, um nach Gina zu suchen.
Als ich wieder die Treppe hinunterging, um in der Küche weiter zu werkeln, befremdete mich der Anblick des Polizisten, der sich schon unten im Flur befand und sich mit misstrauisch-kennerischen Blick umschaute, sich einen Eindruck von dem obskuren Anblick der Räumlichkeiten zu machen.
War es nicht Unhöflichkeit einzutreten, ohne darum Erlaubnis ersucht zu haben? Oder Erlaubnis erteiltt bekommen zu haben?
Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Polizisten handelt.
Aber deckte dieses Verhalten seinen quasi hohheitsrechtlichen Auftrag?
Seh es pragmatisch, dachte ich mir. Wahrscheinlich nutzte er einfach die tote Zeit, als ich nach Gina schaute, um sich einen Eindruck vom Tatort und sein weiteres Umfeld zu verschaffen.
Genau, nur so war sein Verhalten zu interpretieren, wohlwollend gesehen.
Außerdem war ich ohnehin hier nur zu Gast und ich befand mich nicht in meinen eigenen vier Wänden, nicht wahr?
„Hier muss er eingedrungen sein. Weil das Fenster in meinem Zimmer war ja verschlossen.“ Gina deutete auf die schwere Eingangstür aus Holz vom vorigen Jahrhundert, der fast historischen, museumswerten, alten Bauerntür, mit einem rostigen Mammutschloss mit Riegel versehen, das, wenn er zugeschoben war, nur mit Hilfe von Sprengstoff zu öffnen war.
„Wahrscheinlich war sie nicht verschlossen, ja! Und eine von uns, eine Mitbewohnerin hat vergessen, wie jeden Abend zu verriegeln. Weil wir machen das immer. Ich schwöre.“ Gina hob überflüssigerweise zwei Schwurfinger.
„Da sind drei junge, hübsche Frauen hinter dieser Tür und sie ist nicht verschlossen!“, sagte der Polizist, um dieses wahnsinnige, leichtsinnige Verhalten ins Feld zu führen. Seine Bemerkung war absolut ordnungsgemäß.
„Obwohl, ich glaube mich zu erinnern, dass ich sie an diesem Abend...“
Der Polizist ergänzte, wobei er die Stirn kräuselte: „Gestrigen Abend.“
„Genau, es war gestern. Also, dass ich sie gestern verschlossen habe.“
Das war alles sehr merkwürdig. Wie sehr konnte man sich auf diese Zeugenaussage verlassen? War sie wirklich zugesperrt, musste der Einbrecher durch die Fenster gekommen sein.
Dann aber...
Folgerichtig schlug er vor: „Kann ich einmal den Tatort inspizieren!“
„Sie meinen mein Zimmer, mein Schlaf- und Wohnzimmer. Äh!“
„Genau, der Ort, wo der Hund entführt worden ist.“ Normalerweise wird ein Hund entführt, fortgeführt, aber einer aus Stoff wurde natürlich entwendet, ganz widerstandslos wie er war.
Er hatte ja noch keine Ahnung von der Wahrheit.
„Aberrrr natürrrrlich! Folgen Sie mirrrr bitte, Herrrrr Polizist!“
Nun schnarrte Gina wieder wie eine Ente, ein Ton, den Schauspieler verfremdend aus ihrem Mundwerk ließen, um Kindern eine sprechende Ente vorzugaukeln. Ob der Polizist dabei auch an eine Ente dachte? Gina schien mittlerweile an der Sache, der Untersuchung, der Ermittlung, der Untersuchung des Tatortes richtig Spaß zu haben. Besonders ernst schien sie die Sache nicht mehr zu nehmen.
Sie ging die Treppe hinauf in den ersten Stock, gefolgt vom Polizisten in blauer, akkurater Uniform, sowie vor mir. Ich fand auch daran gefallen, aber eher so schummrig-schaurig-unheimliches. Wer weiß, ob sie mich entlarven würden? Interessant würde es andererseits werden, welche obskuren Tatmotive und Tathergänge sie sich ausmalten, um das Verschwinden des Stofftieres erklären zu können. Vor allem das Täterprofil würde höchstinteressant ausfallen. Wenn jemand von einer Frau deren Lieblings- und Schoßhündchen klaute, war er ein Perversling, Perverser, ein Stalker oder ein hoffnungslos Verschossener oder noch etwas Schlimmeres, Unausdenkliches, Noch-nie-Dagewesenes?
Ich fand mein aufdringliches Verhalten nicht verdächtig. Bei einem derartigen hochoffiziellen, hochwichtigem Vorfall war das durchaus angebracht, zielführend und legitim, dass ein Dritter wie ich dabei war. Eventuell könnte ich wichtige Hinweise liefern, wer weiß, welche Fragen auftauchten? Da ich der Täter war, fand ich, wäre es ganz sinnvoll, mich, wenn es brenzlig würde, im Falle der Untersuchungsbeamte verdächtigte und stieß auf mich, worauf er nicht stoßen sollte, da es zum wahren Täter führte, einzuschalten, um von dem genauen Tathergang abzulenken und die Fährte nach irgendwo sonstwohin als zu mir zu lenken.
Poster an der Wand: Weiße Schwäne drehten auf der Oberfläche eines Sees ihre Kreise, im Hintergrund des Horizonts überblickte ein großen Frauenantlitz dieses Szenario, mit weit aufgerissenen Augen auf diese Unschulds-Tiere blickend, wobei sich ihre sehr weiße Gesichthaut gegenüber dem sehr schrillen Lippenstift-Rot abhob und in ihrem psychedelischen Touch, Fluidum und Aura den Eindruck einer Kifferin, Morgenland-Fahrerin, Buddhistin, Asketin (Eindruck täuschend) hervorrief.
Diverser Klimbim aus dem Orient war hier und dort platziert: eine indisch-orientalische Elefanten-Plastik mit riesigem von Menschen besetzten Tragekorb, aber auch eine langhalsige Giraffe aus Afrika, unzählige abgebrannte Räucherstäbchen hier und dort – kurzum, etwas Unaufgeräumtes, wenig Ordnungsliebendes haftete dem Zimmer an.
Am Überwältigsten in diesem Raum waren aber die Berge von Stofftieren, die sich auf dem Doppelbett türmten oder in eine Zimmerecke geworfen und gestopft worden waren. Ich fragte mich da, ob sich der Aufwand und die Aufregung angesichts genügend anderer Knuddelobjekte wegen eines, zudem auch noch Hundes, lohnte? Aber das sag mal einer Stofftier-Besitzerin, einer Stofftier-Besessenen, einer Stofftier-Fetischistin!
Ich ließ es mir nicht nehmen, überall mitzuschauen und nehmend zu beobachten. Dabei versetzte ich mich in die Welt des Polizisten. Mir dünkte, er verzog die Nase, innerlich. Das war hier ein Kiffernest und er war wahrscheinlich ein Bierfan, ganz angepasst und einheimisch. Also, was dachte er wohl über Gina? Führte ihn nur kriminaltechnische Absicht hierher oder meinte er, er stieße hier in ein Wespennest?
„Wie sah denn ihr Hund aus?“, kam endlich die nahelegende Frage.
„Ah, weiß-braun, so ungefähr.“
„Hatte er lange oder kurze Haare, lange oder kurze Ohren.“
„Haare wie der Bär dort.“
Gina deutete auf ihren großen braunen Bären.
„Sie meinen so lange wie die Haare des Bären dort.“
„Auch, aber unbedingt auch so weiche, zottelige, kurzum fast gleiche Haare wie der Bär.“
„Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht aus Stoff waren, nicht wahr!“ Das war wohl eine witzige Bemerkung, oder sollte es sein, da jedoch, wenn eine Aussage zu nahe an die Realität heranreicht wie diese, kein Witz mehr ist, krepierte dieser vermeintliche bereits im Ansatz. Aber das konnte der Witzereißer und -macher gar nicht wissen.
Gina beugte sich mit den Knien aufs Bett, streichelte ihren Bären und sagte zum Ermittler. „Nehmen Sie ruhig auch einmal Tuchfühlung, damit sie, wenn Sie meinen Benno finden, ihn nicht verwechseln und eindeutig identifizieren können.“
Er streichelte über das Fell, wobei es dem Polizisten schon etwas komisch ankam. Sein Mund verkleinerte, verzog und veränderte sich zu Schmäle und Dünnlippigkeit. Diese Frau mit ihrer schnarrenden Stimme – war er hier in ein Kinderhörspiel hineingezogen worden? Und schließlich musste man den Eindruck bekommen, der Hund war gar kein Hund, sondern so ein Tier wie der Bär. Und der war aus Stoff! Hm!
„Hoffentlich bürstet der gemeine Entführer meinen Benno auch jeden Tag. Hoffentlich hat er ein einigermaßen sauberen, staubfreien Platz für ihn. Mein Benno ist ein richtiger Staubfänger nämlich.“
In dem Polizisten musste allmählich doch ein erschreckender Verdacht aufkeimen, denn er fragte lächelnd und lachend, wiederum ein Witz, der keiner war: „Benno ist wohl auch so ein empfindliches Tierchen wie der Bär!“
„Sie haben es erfasst. Noch empfindlicher nämlich. Den Bär muss ich nur alle Woche einmal bürsten, aber Benno alle drei Tage.“
Dem Polizisten kam nun doch eine Ahnung. Bevor er überschnappte, ging er aufs Ganze: „Aha, ein Stoffhund.“
„Genau!“
„Ein Stofftier also!!!“ Jetzt hatte er endlich kapiert, was sich durch die erhöhte Lautstärke verdeutlichte.
„Genau Mann, Benno, mein Kuschel-Stoffhund. Lebensalter 8 Jahre, Rasse unbekannt, aber treu und anhänglich und...“
„Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet und welche Konsequenzen das nach sich zieht, wenn man die Polizei auf den Arm nimmt.“
„Ja. Aber keine Angst, Herr Polizist, auf den Arm nehme ich nur, ich betone, nur meinen Benno.“
„Den Stoffhund!“, ergänzte der Polizist genervt.
„Sie haben es erfasst, Herr Polizist.“
Jetzt schnappte der Polizist hilfesuchend nach Luft.
„Also, gnädiges Fräulein, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen...“
Dass dieser Mensch, da er sich als Autoritätsperson produzierte, verwirrt war und nun auf seinem hohen Podestg der Unantastbarkeit schwankte, verleitete Gina zu einem Ton, den sie selten anschlug, aber wagemutig wie sie jetzt war, was sie kaum je war, aber weil sie einem im Grunde Verhassten etwas zuleide tun konnte, wenn auch nur, ihn einen bisschen schwanken zu sehen auf seinem hohen Roß, sagte sie etwas, was mir im ersten Moment den Atem verschlug.
„Papperlappapp. Ich will Ihnen bestimmt keinen Bären aufbinden.“ Über diese gelungene Formulierung mussten Gina und ich lachen. Beim Polizisten kam sie nicht so gut an. Aber wahrscheinlich wegen des Papperlappapps.
„Also, jetzt mal im Ernst. Wir müssen also von einem Eindringling ausgehen, der in eine fremde Wohnung eingedrungen war und einen Stoffhund entwendet hat. Kein Geld, kein Schmuck, kein sonstiger Wertgegenstand.“
Einstimmig sagten Gina und ich: „Jawohl!“
Der Polizist musste erneut tief ein- und ausatmen.
„Und warum sollte dies jemand tun? Aus Gold war der Hund nicht, oder?“
„Nein.“
„Also, warum.“
„Das müssten Sie doch rausfinden, Herr Polizist.“
Wieder schnaufte er aus.
„Nun, vielleicht war es die Kurzschluss- oder Zwangshandlung eines verschmähten Liebhabers, der das Tier in fetischistischer Absicht und Neigung mitgenommen hat, nachdem er sein begehrtes Liebesobjekt nicht in ihrem Zimmer vorgefunden hat.“ Damit beabsichtigte ich, die Situation zu entschärfen, wie es insgeheim meine „Pflicht“ war angesichts dessen, dass ich die Schuld daran hatte, auch wenn es keiner wusste und so hatte ich versucht zu beschwichtigen.
„Denn ich war nachts ein paar Stunden in der Küche gesessen, weil manchmal...“, ergänzte Gina.
„Oder jemand wollte Gina nur einen Streich spielen. Sie ärgern, was weiß ich, welche unzähligen Motive es da schon gibt“, unterbrach ich sie, weil ich glaubte, dass die Ursachen ihrer Schlaflosigkeit wenig zur Lösung dieses Falles beitragen würde.
„Ein Lausbubenstreich sozusagen!“
„Möglich!“
„Ich wüsste auch schon jemanden, der für dieses Motiv in Frage kommt. In meiner Arbeit...“
Der Polizist schnaubte wie ein Ackergaul.
„Oder...“, ich erlaubte mir, eine weitere Fährte zu legen. „Einer der Anstreicher, der Maler, der Verputzer dort!“ Ich überschlug mich fast über die Begeisterung meiner Idee jetzt und zeigte zum Haus gegenüber, das die letzten Wochen gestrichen wurde. „Gina, war da nicht so ein Malergeselle, der immer wieder heimlich und offen zu Dir herübergeschaut hat?“
„Genau!“
„Und, ist er nicht sogar bis an unsere Häuserfassade herangekommen, um einen besseren Blick durchs Fenster in die Küche zu werfen?“
„Genau!“
Die Malerarbeiten wurden mit einem Hausgerüst bewerkstelligt.
„Dann konnte er zum Beispiel auch vom Gerüst dort rüber durchs Fenster zu uns hereingesprungen, äh, geklettert sein.“ Die Gasse, in der wir uns hier befinden, macht zwar seinem Namen Ehre, sprich ist schon eng, aber ein Sprung herüber war doch sehr, sehr gewagt. Aber man unterschätze die Handwerker nicht, die doch Wunder verbringen können, wie man auch so sagt, glaube ich.
Aber der Polizist schloss sich dennoch der ersteren bedenklichen, die kühne Vermutung, um nicht abstruse Vorstellung negierende an.
„Na, vielleicht hat er ganz einfach eine Leiter genommen, herübergeklappt und ist darüber hinweggeklettert in mein Zimmer herein.“ Dies war in seiner Schlichtheit hinwiederum verblüffend möglich, nicht wahr?
„Hm. Und das nachts, wie Sie sagten.“
„Ja, warum nicht?“
„Aber dort drüben ist ein Sisha-Bar, da stehen die Jugendlichen immer vor der Tür herum, reden, unterhalten sich und rauchen Zigaretten. Die müssten doch etwas wahrgenommen haben.“
„Aber es war ja Nacht.
„Ein Stalker, ein Belästiger, ein Aufdringling ist dieser, Herr Polizist!“, setzte ich begeistert hinzu.
„Also, das führt uns zu nichts.“
„Aber Herr Polizist, Sie müssen in alle Richtungen ermitteln!“ Dies ein Ausdruck, ich weiß es, der in solchen Fällen tagtäglich und zwangsläufig von der Polizei in den Medien verkündet wird. Nur diesem auch stand er zu. Aber was tut man nicht alles, um Menschen zu nerven? Zumal in meiner Lage?
Der Polizist, der jetzt die Geduld zu verlieren schien, unterbrach jegliche weitere Spekulationen und, um die Sache abzuschließen, sagte, dass er gleich im Präsidium ein Protokoll auffassen täte, ja, die Ermittlungen aufnehmen, vorantreiben, forcieren und auch, ein tiefer Seufzer entrang seiner Kehle, in jede erdenkliche Richtung, und bitte, Gina solle in einer Woche bei ihm im Präsidium nach dem Stand derselbigen nachzusuchen und deswegen unbedingt selbst in persona dort erscheinen. Das betonte er richtig. Ich atmete bei diesem vorläufigen Ende der Ermittlung, bei der ich merklich Erleichterung verspürte, tief aus, vor allem deswegen, dass diese nichts Greifbares ergeben hatte. Der Ermittler musste ergebnislos von dannen ziehen, hurra, Gina einmal so in einer Woche bei der Hauptwache vorbeischauen, prima. Für mich klang das eher so, daß der Polizist in weitere Untersuchungen keinen Sinn mehr sah und überhaupt keinen Finger mehr rühren würde. Wer kann es ihm verdenken?
Na denn, Gina, viel Spaß bei der Polizei nächste Woche!
Copyright Werner Pentz
I. Am Morgen der Entführung
Ich saß ziemlich belämmert da, sah alt aus und war ratlos. Wir saßen in der Küche beim Morgenfrühstück und ich überlegte verzweifelt, was ich meiner Freundin verklickern konnte. Was hatte ich heute nacht um drei Uhr am Fuße der Zimmertreppe von Gina, ihrer Mitbewohnerin, zu tun gehabt? Sie hat mich dort vorgefunden, wie ich mit meinen vier Gliedern auf dem Fußboden herumgekrabbelt bin.
Was hatte ich wohl in Ginas Zimmer verloren?
Der Umstand, dass meine Freundin ein Morgenmuffel war, kam mir zugute und räumte mir Zeit ein, eine Entschuldigung, eine Erklärung zu finden.
Dann brach auch noch die Hölle los, glücklicherweise.
Wie wir da so schweigend am Küchentisch saßen, meine Freundin und ich, kam Gina hereingestürzt und weinte und weinte. Dass Louis ein verbohrter Morgenmuffel ist, war mein Glück. Sie schaute nur verdutzt und verstand wohl nichts, aber ich biss und kaute in meiner Ratlosigkeit an der Unterlippe, um eine plausible Erklärung über und auf das herabstürzende Unwetter zu finden.
„Heute nacht ist jemand in mein Zimmer eingestiegen und... stellt euch das mal vor...“
Ich wusste, was jetzt käme. Nicht nur hatte ich ein missglücktes „Fensterln“ bei Gina veranstaltet, während sie in der Küche saß, sondern Spuren hinterlassen, eindeutige und unübersehbare. Unachtsamerweise hatte ich eines ihrer Stofftiere zerstört. Was blieb mir übrig, als es aus dem Fenster zu werfen?
Denn ich hatte das Stofftier, das ich versehentlich auf dem Bett beschädigt hatte, nachts durch das Fenster auf die Straße geworfen, um jegliche Spuren meines Eindringens zu verwischen und zu beseitigen.
Damit war ich jetzt voll vom Regen in die Traufe geraten. Es lag auf der Hand und wer eins und eins zusammenzählen konnte, vermochte sich seinen Reim darauf zu bilden, dass das Verschwinden des Stofftieres von Gina und mein Verhalten, auf dem Fuße der Wendeltreppe zu Ginas Zimmer auf allen Vieren zu krabbeln, auf einen Besuch in deren Zimmer hinwies.
Aus den Augenwinkeln sah ich aber keine Reaktion meiner Freundin, sie war noch jenseits dieser Welt.
Ginas Gezeter nach zu schließen - ach wie ich ihn über alles vermisse - musste ihr dieses Ding das Wichtigste auf der Welt sein. Das Getue Lieblingsstoff-Tier war natürlich pure Übertreibung, nur darauf zurückzuführen, dass es jetzt weg war.
„Mein Benno, mein Lieblingsstoff-Tier, mein Hund, ist verschwunden.“
„Was? Du sagst, dein Lieblingsstoff-Tier ist Dir ausgebüchst. Meinst du, es hat sich auf die Beine gemacht und ist einfach so losgezogen?“
Diese Frauen verstanden einfach keinen Spaß, sonst hätten sie mitgelacht.
Ich erntete einen missbilligenden Blick von Louis. Noch war er halbherzig erfolgt, noch ohne Kraft und Saft, damit noch nicht tödlich, rieb sie sich doch noch den Schlaf aus den Augen. Aber Gina griff doch meinen krepierten Witz auf.
„Mir ist nicht zum Lachen zumute. Da ist jemand in mein Zimmer eingedrungen und hat Benno entführt.“
„Mach mal einen Punkt. Ein Einbrecher hat es doch eher auf Wertgegenstände wie Schmuck, Bargeld und Kunstgegenstände abgesehen, aber nicht auf so ein Stofftier.“
„Vielleicht ist der Dieb zunächst wirklich mit dieser Absicht in Ginas Zimmer eingedrungen. Als er nichts fand, hat er aus Rache den Hund mitgenommen“, meinte Louis dazu. Da sie sich immer noch in ihrer Traumwelt aufhielt, rührte ich den Teig weiter an. „Oder als Souvenir?“
„Das finde ich etwas übertrieben.“
Frauen haben einfach keinen Sinn für Humor.
„Aber möglich ist es doch!“
„Ja, möglich ist fast alles auf dieser Welt. Aber nicht besonders wahrscheinlich.“
„Na, vielleicht hat er selber ein Kind zuhause und hat gedacht, wenn ich schon nicht auf Verwertbares, Geldmäßiges gestoßen bin, dann könnte vielleicht doch als Trost so ein Stofftier gute Dienste leisten und ich es meinem Mädchen oder Jungen geben. Wenn er das Stofftier mitnimmt, spart er sich den Kauf. Das wäre für einen solchen armen Schuft ein gefundenes Fressen.“.
„Der Fuchs und die saueren Trauben!“
„So ungefähr!“, meinte die Phantasiebegabte.
Gina verlor darüber jetzt völlig die Nerven.
“Ich rufe die Bullen an. Die soll den Fall aufklären.“ Sie wandte sich bereits um.
Das musste verhindert werden! Man stelle sich dies vor: „Ich muss eine Entführung melden. Mein Stofftier wurde geraubt.“ Was würde die Polizei denken? Sie würde sie sofort in die Geschlossene, Klapsmühle und in die Hupsala stecken. Jeder Psychiater würde feststellen müssen, Delirium tremens, Verfolgungswahn im Folge fortgeschrittenen Alkoholismus.
„Willst Du ihnen ernsthaft sagen: Jemand hat meinen Benno entführt?“
„Natürlich, stimmt ja auch.“
Sie war bereits an der Tür. Gina befand sich auch in einer Traumwelt. Aber sie wenigstens musste schnellstens auf den Boden der Realität zurückgeholt werden.
„Dann warte lieber Mal, bis die Entführer mit der Lösegeldforderung auf Dich zukommen.“ Was Besseres fiel mir nicht ein. Zum Glück nahm sie zunächst diese Aussage für bare Münze. Und gab ihr wieder den Rest.
„Mein Benno, ich fasse es nicht!“ Und sie brach wieder in Tränen aus. Dabei schlug sie die Hände über die Augenhöhlen. Das war doch krank, grenzwertig, kaum zu fassen. Ob wohl hier in den Räumen Kameras versteckt waren, die das jetzt in alle Welt hinaustrugen, gleich einem Schnulzenfilm im TV, nur in Echtzeit?
Mir kam die Lösung, eine Erleuchtung, ein Ausweg aus meinem lastenden Problem. „Aber jemand war da. Ich habe nämlich Geräusche gehört heute Nacht. Deshalb bin ich aufgestanden, die Treppe zu deinem Zimmer hochgekrabbelt und habe in deinem Zimmer nachgesehen.“
Damit hatte ich mein dubioses Verhalten des Nachts gerechtfertigt. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Ein Aha von Gina erfolgte. Louis grunzte etwas.
„Aber da war niemand drinnen. Vielmehr niemand mehr, wie’s aussah.“
Meine Freundin schaute mich so an, als ginge ihr ein Licht auf. Na, ich war mit dieser Erklärung aus dem Schneider. Mich hatte ein Eindringling in das Boudoir von Gina gelockt, als ich wieder herunterkam, hatte mich meine Freundin gesehen und entdeckt.
Das bewies, dass jemand in Ginas Raum gewesen ist.
Ich hatte eine einleuchtende Erklärung geliefert, weswegen ich aus Ginas Bereich gekommen war und mich Louis auf dem Boden liegend entdeckt hatte. Dass ich über Gina herfallen wollte, war damit kaschiert, vom Tisch, verschwundikus.
„Aber wie ist er wieder hinausgelangt?“
Oje, ich hatte die Fenster verschlossen und die Jalousie heruntergelassen.
„Nun, bestimmt so wie er hereingekommen ist. Durch die Haustür, die Treppe zum ersten Stock hinauf, eine weitere zu Ginas Zimmer hoch und das wieder retour. Mann, der hatte aber Glück gehabt, dass er nicht ertappt worden ist.“
Das schien meine beiden Freundinnen nicht gerade zu überzeugen. Na klar, wahrscheinlich war es nicht, dass jemand vergessen hatte, die Wohnungstür zuzuziehen und zu verriegeln, man brauchte sie nicht einmal abschließen.
Ich drückte erst einmal auf die Angstdrüse.
„Hast zudem Glück gehabt, dass Du in dem Moment in der Küche gesessen warst, als er einbrach, nicht Gina? Stell Dir vor, der wäre in Dein Zimmer hineingekommen, als Du im Bett gelegen wärst.“
Ginas Mund stand offen. „Nicht auszudenken!“
Eben, das müsste die Hitze der Sache dämpfen, den Druck ablassen, den Verdacht von mir ablenken durch die Freude darüber, die sie jetzt empfand, einer sehr, sehr gefährlichen Situation noch einmal entronnen zu sein.
„Aber gleich die Polizei anrufen, ist nicht gut. Warte noch ein bisschen...“
Gina hörte meist auf den Rat von Louis, aber diesesmal nicht, denn sie ging stracks zum Telefon nach oben und rief genau diejenigen, welche an. Sofort schossen mir die Schweißperlen auf die Stirn.
Ob ich Spuren im Bett von Gina hinterlassen habe?
Aber natürlich!
Bei den Methoden, die der Polizei mittlerweile zur Verfügung stehen, würde ich als Täter schnell und eindeutig entlarvt sein. Na ja, kein Schwerverbrechen, aber die Beziehung zu meiner Freundin wäre in den Wind geschossen, würde sie sich doch fragen, was ich im Bett Ginas zu suchen hatte und ihre Schlüsse ziehen, dumm war sie nicht.
Dann beruhigte ich mich wieder, als mein Verstand einsetzte.
Die Polizei wird Besseres zu tun haben, als für das Verschwinden eines Stofftieres so viel Aufmerksamkeit, Mittel und Wege einzusetzen, dass sie Spuren im Bett nachgehen würde, Haare, Schuppen, Samenstränge, weiß der Geier was. Sie wird ein Protokoll aufnehmen, wenn sie’s überhaupt tat und diesen Vorfall nicht ernst nehmen, mit der Achsel zucken, verschmitzt lächeln, sich perplex in die Augen schauen, wenn es als zwei Polypen waren, die sich mit diesem Fall beschäftigten und die Akte beiseite legen. Mann, die Polizei ist doch gegenwärtig voll überbeschäftigt, nach der Flüchtlingswelle und dem neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz.
Andererseits, wenn sie mir auf die Schliche käme, was würden sie denn für eine Strafe vorsehen?
Mein Adrenalinspiegel schnellte abrupt in die Höhe.
Ich versuchte meinen Verstand wieder einzuschalten und schlussfolgerte, der Versuch, ein entkommenes Stofftier einzufangen, wird ins Leere laufen...
II. Die Polizei muss geholt werden!
Gina kam mit dem Telefon in die Küche, hatte die Freisprechtaste eingeschaltet, so dass man den Wahlton laut hörte. Sie wollte offenbar Zeugen haben. Meine Freundin und ich schauten uns fragend an: „Was das noch geben wird?“
„Ja, hier Polizei!“
„Ja, hier Gina. Ich muss den Verlust eines Hundes melden.“
„Name. Seit wann? Aussehen...“
„Name Benno, seit heute Nacht, braun-grau.“
„Rasse.“
„Äh, Phantasierasse.“
„Wie bitte? Eine Mischung.“
„Kann man so sagen.“
„Von was!“
„Äh, das kann ich nicht sagen. Der Designer hat eine gute Phantasie gehabt und so ziemlich alles eingemischt.“
„Sind Sie betrunken?“
„Nur ein bisschen“, gab sie noch ehrlicherweise zu.
„Mann, verschwenden Sie nicht unsere Zeit...“
„Aber wirklich, Polizist. Erstens bin ich eine Frau, damit Sie das wissen. Und zweitens, mein Hund ist heutnacht aus meinem Bett gestohlen worden. Oder meinen Sie, der ist freiwillig davongelaufen?“
„Möglich ist alles!“
„Sie beleidigen mich! Ich liebe meinen Hund über alles und würde für ihn sogar verhungern! Der würde mich deshalb niemals verlassen, nicht freiwillig, Hundertprozent.“
„Also, okay Miss. Wir schicken nachmittags einen Beamten vorbei!”
„Das würde ich Ihnen auch geraten haben, äh.“
„Wie bitte! Wiederholen Sie noch einmal, was Sie eben gesagt haben!“
„Das beruhigt mich ungeheuer, dass sich die Polizei einschaltet, die Ermittlung durchführt. Jedenfalls bin ich schon erleichtert, dass Sie sich um meinen Hund kümmern!“
„Äh, selbstverständlich!“
Und Klacken.
Meine Freundin und ich schauten uns wieder in die Augen.
Ich erlaubte mir doch Kritik an der Polizei zu üben. „Die hätten sofort kommen müssen, finde ich!“ „Wer weiß, wie lange die Lebensdauer einer genetischen Spur wohl beträgt?“
Ich hoffte, Gina dachte dabei nicht gerade an Spermien.
„Hä?“ So musste ich leider mit der Wahrheit herausrücken.
„Na, Haare, Spermien, Pusteln...“ Weiter kam ich nicht, denn Gina wurde es hundeelend zumute bei der Vorstellung, ihr Kuscheltier sei vergewaltigt worden und sie bekam einen Weinkrampf. Das tat mir natürlich leid.
„Also, das hättest Du nicht erwähnen müssen...“
Sie hatte auf etwas, was ich gesagt habe, reagiert, was zunächst für sich positiv war und ein Zeichen, dass sie allmählich vom Traum auf den Boden der Tatsachen oder der Welt zurückkehrte, auch wenn es sich um eine Rüge handelte. Wurde auch allmählich Zeit.
Aber Gina war untröstlich und nicht mehr zu halten, kurzum drehte völlig durch.
„Jetzt reicht es mir. Wer kann es mir verdenken, bei dieser Art von Polizei, dass man da zum Alkoholiker wird...“
Ich ergänzte: „Besser bleibt.“
Gina schaute mich angesichts dieser neunmalklugen Bemerkung schief an, aber nur einen kurzen Moment, denn sie fing sich wieder schnell: „Genau, bleibt. Ich hol mir einen Flachmann.“ Meine Freundin war gerade dabei, Protest und Warnung einzulegen, aber es war zu spät. Gina wirbelte wie der weiße Wirbelwind aus dem Haus, setzte sich gekonnt wie ein Cowboy auf den Sattel ihres Fahrrades und strampelte wütend los, Richtung Kiosk, Richtung Tankstelle, Richtung Discounter, einer Schnapsbude, wo immer Alkohol angeboten wurde.
Ich atmete auf. Ich war gerettet.
Nur, wo war das Stofftier „Benno“, der Hund, hin verschwunden?
Nun aber setzte mich meine Freundin unter Druck. „Das können wir so nicht stehen lassen, Mann. Die Polizei muss sofort herkommen, irgendetwas unternehmen, zumindest sich den Tatort anschauen.“
„Ähm, ich weiß nicht!“
Aber sie war jetzt pikiert, weil ich zu weit gegangen war und schloss aus ihrer Anklage, dass die Polizei sofort zu kommen hatte. Das überraschte mich völlig.
„Und ich finde, D u solltest bei der Polizei anrufen!“
„Warum ich?“
„Zum einen, weil Du Gina aus dem Konzept gebracht hast.“
„Ich geb’s ja zu“, räumte ich ein.
Etwas zugeben und daraus Konsequenzen zu einem bestimmten Handeln zu ziehen, war bei unserer Art des Umgangs zwei paar Stiefel. Im Gegenteil! Ein vages Schuldeingeständnis zu machen, verminderte die Wahrscheinlichkeit, dass sich daraus Folgerungen ergaben, gar Konsequenz in Handlung manifestierte.
„Zum anderen, weil Du als Mann mehr Autorität verkörperst. Du kannst überzeugender auftreten, rüberkommen und darstellen, dass es für alle Be igten eine Gefahr bedeutet, wenn jemand in die Wohnung, das Zimmer einer schwachen Frau eingedrungen ist, auch wenn er letztlich nur ein Kuscheltier entwendet hat und niemand ernsthaft an Körper und Gegenständen zu Schaden gekommen ist. (Sie war wach, eindeutig.) Umso gefährlicher. Das kann ein Psychopath sein, ein total Verrückter, nicht nur ein Liebhaber Ginas, wie sie vielleicht glaubt. Mann, da muss die Polizei sofort vorbeischauen, Protokoll aufnehmen, etwas tun, wenn auch nur...“
„Ich versteh Dich!“, sagte ich, obwohl mir nicht wohl dabei war, den Behörden Druck zu machen. Und alles lag schon im Grünen Bereich. Soll die Polizei sofort kommen, sie würden schon keine Spuren von mir entdecken, nein, das glaubte ich nicht. Oder?
Ich befand mich in einer Zwickmühle. Weigerte ich mich, würde mein Verhalten in ein verdächtiges Licht geraten. So aber, wenn ich was tat, entlastete ich mich letztlich.
Das gab den Ausschlag! Beiße in den saueren Apfel, um von dir abzulenken.
Ich warf all meine Überzeugungskraft in die Waagschale und siehe da, ein Mann hat doch mehr Chancen bei der Polizei als eine Frau, oder eine, die nur Rotz und Wasser heult, so gesehen.
Jedenfalls erklärte der Polizeisprecher am Telefon seine Bereitschaft, mal doch gleich einen Beamten vorbeizuschicken. Vielleicht beabsichtigten sie auch etwas anderes, als nach dem Täter zu suchen? Dachten, vielleicht waren die nicht ganz sauber da in diesem alten Haus, wir kennen es ja, aber schauen wir einmal Haus vorbei, bei den Mitbewohnern deutet vieles darauf hin, dass die nicht ganz dicht, äh, irgendwie komisch waren - oder was hätten Sie gedacht, wenn Menschen behaupteten, ein Stoffhund wäre entführt worden, mitten aus einer Wohnung heraus, die sich im ersten Stock befand? Und die Besitzerin war nicht Frau Rothschild, Frau Schickedanz oder sonst eine Millionärin?
Gebärdete sich aber nichtsdestotrotz wie selbige, wenn nicht schlimmer.
III. Ermittlungen
Es klingelte. Ich befand mich gerade in der Küche und öffnete die Flurtür. Vor mir stand ein Polizist in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit, wenn man so sagen kann.
„Sie kommen wegen des entführten Hundes?“
„Jawohl!“
„Einen Moment. Ich hole die Besitzerin.“ Die schwere Eingangsholztür wurde von mir zu einem Spalt zurückgeschoben, bevor ich mich umdrehte und die Treppe erklomm, um nach Gina zu suchen.
Als ich wieder die Treppe hinunterging, um in der Küche weiter zu werkeln, befremdete mich der Anblick des Polizisten, der sich schon unten im Flur befand und sich mit misstrauisch-kennerischen Blick umschaute, sich einen Eindruck von dem obskuren Anblick der Räumlichkeiten zu machen.
War es nicht Unhöflichkeit einzutreten, ohne darum Erlaubnis ersucht zu haben? Oder Erlaubnis erteiltt bekommen zu haben?
Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Polizisten handelt.
Aber deckte dieses Verhalten seinen quasi hohheitsrechtlichen Auftrag?
Seh es pragmatisch, dachte ich mir. Wahrscheinlich nutzte er einfach die tote Zeit, als ich nach Gina schaute, um sich einen Eindruck vom Tatort und sein weiteres Umfeld zu verschaffen.
Genau, nur so war sein Verhalten zu interpretieren, wohlwollend gesehen.
Außerdem war ich ohnehin hier nur zu Gast und ich befand mich nicht in meinen eigenen vier Wänden, nicht wahr?
„Hier muss er eingedrungen sein. Weil das Fenster in meinem Zimmer war ja verschlossen.“ Gina deutete auf die schwere Eingangstür aus Holz vom vorigen Jahrhundert, der fast historischen, museumswerten, alten Bauerntür, mit einem rostigen Mammutschloss mit Riegel versehen, das, wenn er zugeschoben war, nur mit Hilfe von Sprengstoff zu öffnen war.
„Wahrscheinlich war sie nicht verschlossen, ja! Und eine von uns, eine Mitbewohnerin hat vergessen, wie jeden Abend zu verriegeln. Weil wir machen das immer. Ich schwöre.“ Gina hob überflüssigerweise zwei Schwurfinger.
„Da sind drei junge, hübsche Frauen hinter dieser Tür und sie ist nicht verschlossen!“, sagte der Polizist, um dieses wahnsinnige, leichtsinnige Verhalten ins Feld zu führen. Seine Bemerkung war absolut ordnungsgemäß.
„Obwohl, ich glaube mich zu erinnern, dass ich sie an diesem Abend...“
Der Polizist ergänzte, wobei er die Stirn kräuselte: „Gestrigen Abend.“
„Genau, es war gestern. Also, dass ich sie gestern verschlossen habe.“
Das war alles sehr merkwürdig. Wie sehr konnte man sich auf diese Zeugenaussage verlassen? War sie wirklich zugesperrt, musste der Einbrecher durch die Fenster gekommen sein.
Dann aber...
Folgerichtig schlug er vor: „Kann ich einmal den Tatort inspizieren!“
„Sie meinen mein Zimmer, mein Schlaf- und Wohnzimmer. Äh!“
„Genau, der Ort, wo der Hund entführt worden ist.“ Normalerweise wird ein Hund entführt, fortgeführt, aber einer aus Stoff wurde natürlich entwendet, ganz widerstandslos wie er war.
Er hatte ja noch keine Ahnung von der Wahrheit.
„Aberrrr natürrrrlich! Folgen Sie mirrrr bitte, Herrrrr Polizist!“
Nun schnarrte Gina wieder wie eine Ente, ein Ton, den Schauspieler verfremdend aus ihrem Mundwerk ließen, um Kindern eine sprechende Ente vorzugaukeln. Ob der Polizist dabei auch an eine Ente dachte? Gina schien mittlerweile an der Sache, der Untersuchung, der Ermittlung, der Untersuchung des Tatortes richtig Spaß zu haben. Besonders ernst schien sie die Sache nicht mehr zu nehmen.
Sie ging die Treppe hinauf in den ersten Stock, gefolgt vom Polizisten in blauer, akkurater Uniform, sowie vor mir. Ich fand auch daran gefallen, aber eher so schummrig-schaurig-unheimliches. Wer weiß, ob sie mich entlarven würden? Interessant würde es andererseits werden, welche obskuren Tatmotive und Tathergänge sie sich ausmalten, um das Verschwinden des Stofftieres erklären zu können. Vor allem das Täterprofil würde höchstinteressant ausfallen. Wenn jemand von einer Frau deren Lieblings- und Schoßhündchen klaute, war er ein Perversling, Perverser, ein Stalker oder ein hoffnungslos Verschossener oder noch etwas Schlimmeres, Unausdenkliches, Noch-nie-Dagewesenes?
Ich fand mein aufdringliches Verhalten nicht verdächtig. Bei einem derartigen hochoffiziellen, hochwichtigem Vorfall war das durchaus angebracht, zielführend und legitim, dass ein Dritter wie ich dabei war. Eventuell könnte ich wichtige Hinweise liefern, wer weiß, welche Fragen auftauchten? Da ich der Täter war, fand ich, wäre es ganz sinnvoll, mich, wenn es brenzlig würde, im Falle der Untersuchungsbeamte verdächtigte und stieß auf mich, worauf er nicht stoßen sollte, da es zum wahren Täter führte, einzuschalten, um von dem genauen Tathergang abzulenken und die Fährte nach irgendwo sonstwohin als zu mir zu lenken.
Poster an der Wand: Weiße Schwäne drehten auf der Oberfläche eines Sees ihre Kreise, im Hintergrund des Horizonts überblickte ein großen Frauenantlitz dieses Szenario, mit weit aufgerissenen Augen auf diese Unschulds-Tiere blickend, wobei sich ihre sehr weiße Gesichthaut gegenüber dem sehr schrillen Lippenstift-Rot abhob und in ihrem psychedelischen Touch, Fluidum und Aura den Eindruck einer Kifferin, Morgenland-Fahrerin, Buddhistin, Asketin (Eindruck täuschend) hervorrief.
Diverser Klimbim aus dem Orient war hier und dort platziert: eine indisch-orientalische Elefanten-Plastik mit riesigem von Menschen besetzten Tragekorb, aber auch eine langhalsige Giraffe aus Afrika, unzählige abgebrannte Räucherstäbchen hier und dort – kurzum, etwas Unaufgeräumtes, wenig Ordnungsliebendes haftete dem Zimmer an.
Am Überwältigsten in diesem Raum waren aber die Berge von Stofftieren, die sich auf dem Doppelbett türmten oder in eine Zimmerecke geworfen und gestopft worden waren. Ich fragte mich da, ob sich der Aufwand und die Aufregung angesichts genügend anderer Knuddelobjekte wegen eines, zudem auch noch Hundes, lohnte? Aber das sag mal einer Stofftier-Besitzerin, einer Stofftier-Besessenen, einer Stofftier-Fetischistin!
Ich ließ es mir nicht nehmen, überall mitzuschauen und nehmend zu beobachten. Dabei versetzte ich mich in die Welt des Polizisten. Mir dünkte, er verzog die Nase, innerlich. Das war hier ein Kiffernest und er war wahrscheinlich ein Bierfan, ganz angepasst und einheimisch. Also, was dachte er wohl über Gina? Führte ihn nur kriminaltechnische Absicht hierher oder meinte er, er stieße hier in ein Wespennest?
„Wie sah denn ihr Hund aus?“, kam endlich die nahelegende Frage.
„Ah, weiß-braun, so ungefähr.“
„Hatte er lange oder kurze Haare, lange oder kurze Ohren.“
„Haare wie der Bär dort.“
Gina deutete auf ihren großen braunen Bären.
„Sie meinen so lange wie die Haare des Bären dort.“
„Auch, aber unbedingt auch so weiche, zottelige, kurzum fast gleiche Haare wie der Bär.“
„Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht aus Stoff waren, nicht wahr!“ Das war wohl eine witzige Bemerkung, oder sollte es sein, da jedoch, wenn eine Aussage zu nahe an die Realität heranreicht wie diese, kein Witz mehr ist, krepierte dieser vermeintliche bereits im Ansatz. Aber das konnte der Witzereißer und -macher gar nicht wissen.
Gina beugte sich mit den Knien aufs Bett, streichelte ihren Bären und sagte zum Ermittler. „Nehmen Sie ruhig auch einmal Tuchfühlung, damit sie, wenn Sie meinen Benno finden, ihn nicht verwechseln und eindeutig identifizieren können.“
Er streichelte über das Fell, wobei es dem Polizisten schon etwas komisch ankam. Sein Mund verkleinerte, verzog und veränderte sich zu Schmäle und Dünnlippigkeit. Diese Frau mit ihrer schnarrenden Stimme – war er hier in ein Kinderhörspiel hineingezogen worden? Und schließlich musste man den Eindruck bekommen, der Hund war gar kein Hund, sondern so ein Tier wie der Bär. Und der war aus Stoff! Hm!
„Hoffentlich bürstet der gemeine Entführer meinen Benno auch jeden Tag. Hoffentlich hat er ein einigermaßen sauberen, staubfreien Platz für ihn. Mein Benno ist ein richtiger Staubfänger nämlich.“
In dem Polizisten musste allmählich doch ein erschreckender Verdacht aufkeimen, denn er fragte lächelnd und lachend, wiederum ein Witz, der keiner war: „Benno ist wohl auch so ein empfindliches Tierchen wie der Bär!“
„Sie haben es erfasst. Noch empfindlicher nämlich. Den Bär muss ich nur alle Woche einmal bürsten, aber Benno alle drei Tage.“
Dem Polizisten kam nun doch eine Ahnung. Bevor er überschnappte, ging er aufs Ganze: „Aha, ein Stoffhund.“
„Genau!“
„Ein Stofftier also!!!“ Jetzt hatte er endlich kapiert, was sich durch die erhöhte Lautstärke verdeutlichte.
„Genau Mann, Benno, mein Kuschel-Stoffhund. Lebensalter 8 Jahre, Rasse unbekannt, aber treu und anhänglich und...“
„Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet und welche Konsequenzen das nach sich zieht, wenn man die Polizei auf den Arm nimmt.“
„Ja. Aber keine Angst, Herr Polizist, auf den Arm nehme ich nur, ich betone, nur meinen Benno.“
„Den Stoffhund!“, ergänzte der Polizist genervt.
„Sie haben es erfasst, Herr Polizist.“
Jetzt schnappte der Polizist hilfesuchend nach Luft.
„Also, gnädiges Fräulein, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen...“
Dass dieser Mensch, da er sich als Autoritätsperson produzierte, verwirrt war und nun auf seinem hohen Podestg der Unantastbarkeit schwankte, verleitete Gina zu einem Ton, den sie selten anschlug, aber wagemutig wie sie jetzt war, was sie kaum je war, aber weil sie einem im Grunde Verhassten etwas zuleide tun konnte, wenn auch nur, ihn einen bisschen schwanken zu sehen auf seinem hohen Roß, sagte sie etwas, was mir im ersten Moment den Atem verschlug.
„Papperlappapp. Ich will Ihnen bestimmt keinen Bären aufbinden.“ Über diese gelungene Formulierung mussten Gina und ich lachen. Beim Polizisten kam sie nicht so gut an. Aber wahrscheinlich wegen des Papperlappapps.
„Also, jetzt mal im Ernst. Wir müssen also von einem Eindringling ausgehen, der in eine fremde Wohnung eingedrungen war und einen Stoffhund entwendet hat. Kein Geld, kein Schmuck, kein sonstiger Wertgegenstand.“
Einstimmig sagten Gina und ich: „Jawohl!“
Der Polizist musste erneut tief ein- und ausatmen.
„Und warum sollte dies jemand tun? Aus Gold war der Hund nicht, oder?“
„Nein.“
„Also, warum.“
„Das müssten Sie doch rausfinden, Herr Polizist.“
Wieder schnaufte er aus.
„Nun, vielleicht war es die Kurzschluss- oder Zwangshandlung eines verschmähten Liebhabers, der das Tier in fetischistischer Absicht und Neigung mitgenommen hat, nachdem er sein begehrtes Liebesobjekt nicht in ihrem Zimmer vorgefunden hat.“ Damit beabsichtigte ich, die Situation zu entschärfen, wie es insgeheim meine „Pflicht“ war angesichts dessen, dass ich die Schuld daran hatte, auch wenn es keiner wusste und so hatte ich versucht zu beschwichtigen.
„Denn ich war nachts ein paar Stunden in der Küche gesessen, weil manchmal...“, ergänzte Gina.
„Oder jemand wollte Gina nur einen Streich spielen. Sie ärgern, was weiß ich, welche unzähligen Motive es da schon gibt“, unterbrach ich sie, weil ich glaubte, dass die Ursachen ihrer Schlaflosigkeit wenig zur Lösung dieses Falles beitragen würde.
„Ein Lausbubenstreich sozusagen!“
„Möglich!“
„Ich wüsste auch schon jemanden, der für dieses Motiv in Frage kommt. In meiner Arbeit...“
Der Polizist schnaubte wie ein Ackergaul.
„Oder...“, ich erlaubte mir, eine weitere Fährte zu legen. „Einer der Anstreicher, der Maler, der Verputzer dort!“ Ich überschlug mich fast über die Begeisterung meiner Idee jetzt und zeigte zum Haus gegenüber, das die letzten Wochen gestrichen wurde. „Gina, war da nicht so ein Malergeselle, der immer wieder heimlich und offen zu Dir herübergeschaut hat?“
„Genau!“
„Und, ist er nicht sogar bis an unsere Häuserfassade herangekommen, um einen besseren Blick durchs Fenster in die Küche zu werfen?“
„Genau!“
Die Malerarbeiten wurden mit einem Hausgerüst bewerkstelligt.
„Dann konnte er zum Beispiel auch vom Gerüst dort rüber durchs Fenster zu uns hereingesprungen, äh, geklettert sein.“ Die Gasse, in der wir uns hier befinden, macht zwar seinem Namen Ehre, sprich ist schon eng, aber ein Sprung herüber war doch sehr, sehr gewagt. Aber man unterschätze die Handwerker nicht, die doch Wunder verbringen können, wie man auch so sagt, glaube ich.
Aber der Polizist schloss sich dennoch der ersteren bedenklichen, die kühne Vermutung, um nicht abstruse Vorstellung negierende an.
„Na, vielleicht hat er ganz einfach eine Leiter genommen, herübergeklappt und ist darüber hinweggeklettert in mein Zimmer herein.“ Dies war in seiner Schlichtheit hinwiederum verblüffend möglich, nicht wahr?
„Hm. Und das nachts, wie Sie sagten.“
„Ja, warum nicht?“
„Aber dort drüben ist ein Sisha-Bar, da stehen die Jugendlichen immer vor der Tür herum, reden, unterhalten sich und rauchen Zigaretten. Die müssten doch etwas wahrgenommen haben.“
„Aber es war ja Nacht.
„Ein Stalker, ein Belästiger, ein Aufdringling ist dieser, Herr Polizist!“, setzte ich begeistert hinzu.
„Also, das führt uns zu nichts.“
„Aber Herr Polizist, Sie müssen in alle Richtungen ermitteln!“ Dies ein Ausdruck, ich weiß es, der in solchen Fällen tagtäglich und zwangsläufig von der Polizei in den Medien verkündet wird. Nur diesem auch stand er zu. Aber was tut man nicht alles, um Menschen zu nerven? Zumal in meiner Lage?
Der Polizist, der jetzt die Geduld zu verlieren schien, unterbrach jegliche weitere Spekulationen und, um die Sache abzuschließen, sagte, dass er gleich im Präsidium ein Protokoll auffassen täte, ja, die Ermittlungen aufnehmen, vorantreiben, forcieren und auch, ein tiefer Seufzer entrang seiner Kehle, in jede erdenkliche Richtung, und bitte, Gina solle in einer Woche bei ihm im Präsidium nach dem Stand derselbigen nachzusuchen und deswegen unbedingt selbst in persona dort erscheinen. Das betonte er richtig. Ich atmete bei diesem vorläufigen Ende der Ermittlung, bei der ich merklich Erleichterung verspürte, tief aus, vor allem deswegen, dass diese nichts Greifbares ergeben hatte. Der Ermittler musste ergebnislos von dannen ziehen, hurra, Gina einmal so in einer Woche bei der Hauptwache vorbeischauen, prima. Für mich klang das eher so, daß der Polizist in weitere Untersuchungen keinen Sinn mehr sah und überhaupt keinen Finger mehr rühren würde. Wer kann es ihm verdenken?
Na denn, Gina, viel Spaß bei der Polizei nächste Woche!
Copyright Werner Pentz