In der besten aller Republiken - Verteilungskämpfe - erzählende Analyse der Gesellschaft/Vorzeitiges Ende
Verfasst: 01.05.2019, 12:25
2019 Verteilungskämpfe vorm Terminal
Mit einer Gewerkschafterin zu einer Sitzung fahren
Ich fahre mit einer Freundin nach München, die dort als Freiwillige ein Ehrenamt bei der Gewerkschaft innehat. Sie beraten und entscheiden wohl darüber, wie hoch und in welchem Umfange die nächsten Forderungen des öffentlichen Dienstes sein sollen.
Ich erzähle ihr, dass ich letzthin einen Beschäftigten bei einer Telefongesellschaft englischer Provenienz getroffen habe. Wenn er sein Namensschild nicht am Revers trägt, wenn eine Kontrolle kommt, bekommt er Sanktionen. Derjenige, der ihn damit erwischt, bekommt eine satte Belohung.
„Das ist tariflich nicht erlaubt in Deutschland“, sagt die Gewerkschafterin, die gerade mit mir nach München fährt, wo die Delegierten einen Mindestzuschuss, Gehaltserhöhung und Forderung gegenüber den Arbeitgebern von mindestens 200 Euro pro Monat beschließen werden. Das ist die Hälfte der Grundsicherung eines armen Schluckers in der Republik.
„Verteilungskämpfe wird es geben!“, prophezeit sie.
Sie gluckst mit den Augen und die Augen treten langsam aus ihren Höhlen, als hätte sie Nierenprobleme.
Verteilungskämpfe - als wäre zu wenig da!? Wobei es auch aus ihrem Magen gluckst, immer wieder, als hätte der Alkohol Wein, ein sehr dicker, lieblicher Saft, der in ihr steckte und nicht zu wenig, gerade erst zu goren angefangen.
Ich darf mich nicht mit ihr vergleichen. Gleichen Alters würde sie heute so viel Rente bekommen, dass sie Steuern abführen müsste und unsereiner nicht einmal das Niveau der Grundsicherung erreichen mit meinen spärlichen Einzahlungen; sie hat lediglich eine Ausbildung, wohingegen ich zwei akademische Abschlüsse. Wer steht denn nun gut da: derjenige, der in Bildung investiert hat oder der andere, der sich mit einem Minimum an Fortbildung, Ausbildung und Schulen seinen Weg durchs Berufsleben geebnet hat?
Dabei langt die Gewerkschaft mit ihren aktuellen Forderungen wieder einmal, mehr den je, gehörig zu. Es ist genug vorhanden. Gewerkschaft? Achja, diejenigen Interessensgruppe, die nur eins will: Mehr.
Gewerkschaften?
(„Das ist eine Ausnahmeperson in diesem Verein“, höre ich den Entschuldigungssatz. Aber die Gewerkschaft hat die Tendenz, alle über einen Kamm zu scheren und ihre Mitglieder gleichzumachen.)
Ein Jahr lang kam ich selbst in den Genuss, im öffentlichen Dienst arbeiten zu dürfen und da trat ich auch der Gewerkschaft bei. Nachdem mein Dienst endete, ließ mich diese Organisation nur wieder willig frei, aus ihren Armen und ziehen. „Ihre Unterschrift der Kündigung entspricht nicht derjenigen ihres Beitrittes.“
Wie darf man das verstehen?
Sie hielten mich wohl für verrückt geworden, dass ich inzwischen eine Persönlichkeitsänderung vollzogen hatte? - Oder wollte ich betrügen, eine Person vortäuschen, dass eine andere aus ihrem Verein austreten will, womöglich eine Aktion der Gegenpartei, einer aus der Arbeitgeberorganisation oder welche Erklärung gibt es noch?
Heute, nach Jahrzehnten glaube ich einfach, sie wollten mir den Ausstritt so schwer wie möglich machen. Sie hofften, ich würde die Fahrt von gut 30 Kilometer mit dem Auto zur Zentrale scheuen und einstweilen die Mitgliedschaft aufrechterhalten, weil ich die Umstände scheute. Nur konnte ich mir dies nicht leisten. Und damals ging es mir ums Prinzip.
Für verspäten uns um drei Minuten. Sie überlässt mir ihr Auto, das ich inzwischen bis 16 Uhr irgendwo parken soll. „Das Geld fürs Parken!“ „Kriegst du später. Ich habe keine Zeit mehr“, und verschwindet im Gebäude. Ich frage nach einer Möglichkeit, Theresienwiese und im Parkhaus des Geschäftes Sowieso. Ich ahne, erstere Option ist die billigere, aber da muss ich rumsuchen, ich nehme das, was ich deutlich vor mir sehe. Es wird für den Tag 30 Euro kosten, eine horrente Summe, soll ich mich nicht doch lieber bei der Theresienwiese umtun?
Was machst du dir für einen Kopf, für andere, kriegst bei dieser Herumsucherei nur graue Haare!
Spätnachmittags, pünktlich, warte ich im Gewerkschaftshaus über eine halbe Stunde auf den vereinbarten Termin, bis meine Bekannte aus ihrer Versammlung, ihrem Seminar, dem Kurs kommt. „Gib mir das Geld, ich muss die Parkgebühren bezahlen.“ „Wie viel?“ „Dreißig Euro!“, genervt, gestresst, sich schon eine Zigarette angezündet, klaubt sie diesen Betrag, in einzelnen Fünf-Euro-Scheinen, aus ihrem Portemonnaie.
Ich hole das Auto, es stellt sich aber heraus, das ich nur etwa zwei Drtitel zahlen muss. Ich überlege mir, ob ich ihr den Restbetrag korrekterweise wieder geben oder ihn für mich behalten soll? Ich entscheide mich zunächst für letzteres, etwas, was ich bislang noch niemals getan habe.
Ich bin froh, dass sie nicht nachfragt, ob sie doch nicht Wechselgeld bekäme, so gestresst ist sie heute. Ich wäre in eine sehr unangenehme Situation geraten, nämlich lügen zu müssen. Unpünktlichkeit, Lüge, Betrug, Täuschung usw. sind Eigenschaften, die man mir nicht anerzogen hat. Eher aber sind mir Eigenschaften habituiert worden wie Entgegenkommen, Rücksichtsnahme und Bereit-sein-für-den-anderen – was heutzutage auslaugend sein kann – sagt man immer so dumm und oberflächlich: heutzutage – dabei ist es wohl niemals anders gewesen.
„Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht einen Tag früher mit Dir nach München fahren sollte...“
„Du meinst, da im Hotel übernachten.“ „Genau.“ Wir haben dies ein paar Mal gemacht, in Berlin, in Potsdam, sie weiß, dass mir das gut täte, ich bin immer froh, aus meinem grauen Alltag herauszukommen. Nur habe ich nicht das nötige Kleingeld, sie umso mehr.
Aber es ist nicht ernst gemeint. Sie grinst feist.
Ich denke, na schön, sie nimmt mich nicht ernst. Das ist nur so daher gesagt, cest la vie. Oder vielmehr hat es Methode. Dem anderen seine Wahrnehmung abstreiten, so dass er irritiert ist und beginnt, an seiner eigenen Urteilsfähigkeit zu zweifeln, wonach er leicht irritier- und lenkbar wird.
Menschen, die das Helfen zu ihrem Beruf gemacht haben, müssen Bescheid wissen in der Psyche des human sapiens. Und das tat sie, um ihre Interessen zielgerade durchsetzen zu können.
Was hat sich geändert seit der Steinszeit?
Die einen obsiegen mittels ihrer Schlauheit, ihres besseren Gehirns, ihres gewiefteren Gespürs und domestizieren andere Tiere und Menschen zu ihrem Nutzen. Die Erde ist ein riesiger Stall von Sklaven anderer Spezies, aber auch der anderer Menschen.
Zuhause angekommen, sagte sie mir frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
Zuhause angekommen, sagt sie mir dann frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, 250 Kilometer bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
„Nimmst mich wohl nicht für ernst?“
Sie lacht hellauf.
Schon seit Jahren tue sie dies nicht.
„Ist auch nichts Neues für mich!“, sage ich und zucke die Achseln.
Dennoch schlucke ich heute etwas.
Ich dachte nach. „Verrückt“ hieß nicht „unzurechnungsfähig“, sonst hätte sie mich bestimmt nicht als Begleiter und Händler bzw. Lenker des Navigators erwählt. „Verrückt“ konnte in diesem Zusammenhang doch nur gemeint sein, wenn jemand Zeit und Energie opfert, jemanden anderen „entschädigungslos“ einen Tag zu opfern und ihm zu helfen wie hier bei der Fahrt von Nürnberg nach München, dann stimmt etwas nicht mit ihm.
Wer will schon in diesem Sinne als verrückt gelten?
Ich bin jetzt froh, dass ich abgewartet habe, ob sie mich nach dem Geld gefragt hat.
Ich habe den Rubikon überschritten. Einen Freund zu hintergehen, habe ich bislang noch nicht gemacht.
Ich hatte danach, der ich ansonsten in solchen Fällen massive Schuldgefühle habe, keine.
[Aber mittlerweile wird mir welche gemacht. Eine neue Freundin hat dies gelesen, zeigt dafür kein Verständnis. Fakt ist, Du hast Geld unterschlagen, sagt sie.
Wie kriege ich dies wieder hin?
Ich muss so, genau weiß ich es nicht, wieder cirka zehn Euro zurückgeben, wobei ich nicht das Gesicht verlieren darf.
Ich habe noch keine Idee, wie ich das mache.]
Wie es anfing
Mit meiner damaligen Freundin hatte ich mir eine Karte geteilt, es war eine Bahnkarte, bei der gleichzeitig zwei Personen fahren konnten. Wir fuhren öfter am WE aufs Land, nahmen unsere Fahrräder mit, die auch von dieser Karte gedeckt war. Anstelle von zwei Fahrrädern hätte man auch noch vier Jugendliche mitnehmen können. Sie überließ mir diese Karte bei der Trennung, die noch vierzehntätige Gültigkeit besaß. Mir kam die Idee, vielleicht kannst du ja statt mit deiner Freundin auch mit einem Fremden fahren. Nur wenn, wann, und wie an einen kommen? Ich stand gerade vor einem Ticketschalter. Ein Fremder wählte die Route, die auch beschreiben wollte und also fragte ich ihn, ob er nicht mit mir fahren wolle. Die Möglichkeit bestünde aufgrund dieses meines Tickets. Ich dachte, dass er ruhig umsonst mitfahren, vielleicht symbolisch mir einen Euro geben könne. Das empfand er jedoch als Affront. „Ich bin noch niemals meinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach gekommen.“ Sagte er etwas beleidigt und stolz zugleich und gab mir einen Betrag, den ich wiederum insoweit zurückzahlte, dass ich ihm die Hälfte dessen, was er hätte bezahlen müssen, berechnete. So konnten er und ich billiger dorthin fahren, wohin wir fuhren. Das war eine runde Sache für beide Beteiligten.
Die Menschen hierzulande sind stolz geworden, oder reich, jedenfalls niemand will sich etwas schenken lassen. Eine positive Entwicklung.
Auf dem Rückweg stand ich vor der gleichen Ausgangsposition. Zeit hatte ich ja, warum sollte ich nicht wieder jemanden fragen? Ich stand vor den Terminals der Bundesbahn und blickte dem ein oder anderen Kunden über seine Schultern, um zu sehen, welche Reiseziel er eingeben würde. Deckte es sich mit meinem, würde ich diejenige Person ansprechen: „Entschuldigen, wollen wir nicht zusammen nach Nürnberg fahren. Ich habe da eine Karte, die ist für zwei Personen gültig und da können wir... Wenn Sie wollen?“ Flopp. Wieder klappte es. Erstaunlich. Aber klar, auch wenn die Leute hierzulande reich geworden waren insoweit, dass sie sich nicht gerne mehr etwas schenken lassen wollten, so waren sie wiederum nicht derartig reich, dass sie die horrenten und überdimensionierten Ticketpreise der Bahn so ohne weiteres schluckten. Bot sich eine Möglichkeit, diese zu umgehen, hier in meinem Falle zu halbieren, warum nicht? Teuer genug sind die Pendlerpreise, auf Dauer gesehen sowieso, das sagte einem jede Milchmädchenrechnung.
Und so bekam ich wieder leicht einen Mitfahrer.
Ich kam ins Grübeln.
Warum dies nicht öfter tun?
Bahnerer, Rotkäppchen und Gelb-Westen
Bahnerer
Und plötzlich stehe ich einem Bahnerer gegenüber, den ich doch, verflixt noch einmal, kenne. Misstrauische, kalt-blitzende Augen durchbohren mich, die besagen: mit mir ist nicht gut Kirschen essen. Dummerweise kenne ich ihn aber anders und gleichzeitig wird mir klar, daß der mich nicht erkennt, und noch schlimmer, je erkennen wird, bzw. erkennen will. Das ist ein Hundertprozentiger. Auch wenn uns etwas verbindet. Erlebnisse in der Vergangenheit.
Wir fangen bei Adam und Eva an.
Er besucht wie ich die Realschule. Nur, daß er in den Zweig Wirtschaft ging. Dort waren die Schwierigen, die Ungebärdigten, die Randalierenden, im Gegensatz zu den Mathematikern, zu denen ich mich nur gesellte, weil es Bekannte waren, die ich als Freunde wahrnahm und verstand, mißverstand und dies waren die scheinbar seriösen, braven und strebsamen.
Wer nicht wusste, was er wollte, oder auch nicht so intelligent war, so hieß es, oder sagen wir lieber keinen Faible für Mathe, Physik und Chemie besaß, ging in den Wirtschaftszweig.
Wiedergesehen habe ich diesen Bekannten von der Bahn vor Jahren, das waren Jahrzehnte nach der Schulzeit, bei einem Informations- und Auskunftsschalter.
Einer, der mit mir in die Realschule gegangen ist und später dann zur Bahn.
Diejenigen, die auf Nummer Sicher im Leben, in ihrer Berufskarriere gehen wollten, wurden schon frühzeitig, nämlich während der Schulzeit angeworben, von der Bundeswehr, vom Vermessungsamt, von Bahn- und Post.
Da saß nun der Bekannte, der mich nicht erkannte.
Er hatte gerade einen Kunden bedient, der sein Ticket sorgfältig faltete und akkurat in seinen Koffer verstaute, während er selbst genüsslich in der Nase bohrte. Dazu nahm er immerhin ab und an ein Taschentuch zu Hilfe. Aber sonst bohrte er mit dem blanken Finger in seinen großen Nüstern herum.
Ich war von zwei Seiten, Profilen und Aspekten eines Menschen in Bann geschlagen: einerseits von dem Anblick ALTER BEKANNTER, der mich aber nicht zu erkennen schien und andererseits überwältigt von der SCHAMLOSIGKEIT DES ANDEREN, der da hemmungslos geschnieft und in der Nase gepopelt und gebohrt hatte, als befände er sich allein zwischen seinen vier Wänden. Aber er befand sich in einem öffentlichen Raum als ein quasi-staatlicher Angestellter eines semistaatlichen Dienstleistungsunternehmens, in dem noch viele andere Personen und Menschen herumstanden, die auf ihn warteten, bis der vorhergehende Kunde seine Papiere weggesteckt hatte und dann Platz frei machen würde.
Wie wir uns aber jetzt und heute so gegenüberstanden, tauchten weitere Erinnerungsbilder auf, auch wenn der Protagonist so tat, als sei er nicht Gegenstand dieser Bilder.
Als Jugendlicher hat man natürlich seine Feindbilder. Ein weitverbreitetes unter Jugendlichen damals war die Kirche. Mein Bekannter wohnte in einer kleinen mittelalterlichen Stadt, die eine altertümliche Burg hatte, stockkonservativ und katholisch war, woraufhin er stolz war, zu erzählen, daß, wenn die Fronleichnamsprozession durch den Ort zog, er überlaut seine Stereoanlage auftrete, die er an die Fenster gestellt hatte, um die Feierlichkeit so weit wie möglich zu stören.
Er war ein richtig bauernschlauer Kerl, großgewachsen, mit allen Wassern gewaschen.
Die ferung einer Bekannten zählte auch zu seinen Großtaten.
Das verkündete er sofort stolz und großmäulig nach Vollzug in den einschlägigen Kreisen. Wir standen gerade am Schuleingangstor und er kam mit den anderen Externen von der Bushaltestelle und keifte noch in der Menge los, er habe gestern die Schlotti entjungfert.
„Mann, oh Mann!“, stöhnte er. „Das war vielleicht ein Kampf!“ Er schnaubte dazu entsprechend, um zu verdeutlichen, daß es sich wahrhaft um eine Heldentat gehandelt haben musste.
Das Prestige meines Bekannten stieg mit der Erlegung dieses Wildes insofern sehr hoch, als es sich bei dieser Familie um eine sehr reiche handelte, die als einzige - nicht einmal die kleineren Gemeinden konnten sich so etwas leisten – ein eigenes Schwimmingpool in ihrer Villa leisten und aufrechterhalten konnten.
Mein Bekannter erhob die Entjungferung quasi zu seinem Spezialgebiet, denn späterhin tat er sich erneut darin hervor, indem er ein junges Mädchen aus weiter Ferne, in die wir in Urlaub gereist waren, nämlich in den Allgäu, zum Glück des Frauwerdens verholfen hatte.
Wir waren dort bei einem Freund zu Besuch, er war vorher zu diesem gefahren und als ich dort einen Tag später ankam, hatte er bereits den Tag zuvor die Nachbarstochter verführt.
Fast könnte man sagen, er war dazu imstande, Dinge zu tun, auf die Gleichaltrige neidisch waren. Eine Steinreiche zu entjungfern, galt schon etwas, zumindest in den Kreisen, in die ich da geraten war, schulmäßig, ich hatte aber andere Werte – und stand immer passerstaunt da, wenn Dinge in den Himmel gehoben wurden, für die mir bislang jeglicher Sinn gefehlt hatte. Mit anderen Worten, ich beneidete ihn weniger ob seines Triumphes, sondern war mehr über seine Unverschämtheit, Kaltschneuzigkeit und Unverfrorenheit überrascht.
Und jetzt stand dieser Mensch vor mir, um mich von dem aufzuhalten, was ich beabsichtigte zu tun, was ich tun musste, um über die Runden zu kommen und er, er hatte bestimmt sein sattes Gehalt, war mir gesellschaftlich und finanziell überlegen, obgleich wir die gleiche Ausgangslage, die gleiche Schule besucht hatten.
Wie muss er sich da vorkommen?
Er hatte keine andere Wahl, er mußte meine Bekanntschaft einfach ignorieren. Er konnte nicht sagen, horch Werner, bei aller Freund-, Kameradschaft und Uns-Kennens, aber hier hört der Spaß auf.
„Und warum?“, würde ich fragen.
„Weil es verboten ist!“
„Ist es aber nicht. Eine Grauzone...“
Nein, er würde sich auf keine Diskussion einlassen, er würde mit mir Tacheles reden. Demnach sagte er unmissvertändlich: „Im Namen der Deutschen Bahn, deren Vertreter ich hier bin, ermahne ich Sie hiermit und fordere ich Sie auf, sofort den Bahnhofsbereich zu verlassen und dies gilt zunächst für den heutigen Tag.“
„Und morgen!“
„Wir werden sehen!“
Aha, er hatte doch noch einen Funken Scham in sich. Er las mir nicht die Leviten, daß ich von nun ab bis in alle Zeiten hier nicht mehr solche Verhaltensweisen zeigen durfte, sonst müßte er im Namen einer höheren Macht und Autorität natürlich zu anderen Mitteln greifen.
Ich verschwand zunächst widerspruchslos. Es hatte eh keinen Sinn. Er kannte mich ja nicht.
Aber er würde wieder kommen.
Dumm, daß ich nicht darauf geachtet habe, wie er heißt. Die Bahn, sich modern, aufgeklärt und westlich-freiheitlich-liberal zeigend, lässt einige ihrer Kettenhunde, muss ich leider sagen und sie werden es bald nachvollziehen können, mit einem Namensschild am Brustrevers prominieren.
Aber da war noch mehr, was uns verband.
Wie ich mich erinnerte, als seine Mutter, die das alleinige Sorgerecht hatte, mit ihrem neuen Ehemann wieder zurück dorthin zogen, woher sie gekommen waren, hatte er noch ein jahr hier bei seinen Schulkameraden verbringen dürfen. nur aber war er in diesem Jahr völlig abgestürzt. Er war sitzengeblieben. Es hatte ihn nicht gutgetan, daß er alleine ohne Mutter, bei einem weitläufigen Verwandten in hinteren Waschbereich, die hergereichtet und in die er eingezogen war, gelebt hatte. Denn er war dort nur völlig abgestürzt. So hatte er wieder nach Hause ziehen müssen, um die letzte Klasse vor der Mittleren Reife zu wiederholen. Hatte er ja gemusst, sonst hätte er wahrscheinlich seine Vereinbarung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, nicht einhalten können. Und das war seiner Mutter wichtig gewesen.
Die Mutter hatte als Ehemann einen Taxiunternehmer, der im selben Haus wie ein anderer wohnte. Diesem zapfte er das Telefon ab und fischte diesem dann Fahrgäste weg. Nicht allzu oft zwar, damit der Konkurrent nicht mißtrauisch wurde, aber oft genug.
Das schilderte mein Bekannter frank und frei und ungebunden. Damit wurde die Verruchtheit der älteren Generation, der Tücke, Niedertracht und Gefährlichkeit sinnfällig dargestellt.
Wir waren damals in einer größeren Clique verbunden und da er nicht weit von mir wohnte, kam er öfter zu mir zu Besuch. Ich hatte mir mit meinem wenigen Taschengeld einen schicken Blech-Deckenlampfen-Schirm geleistet, der insofern schick wirkte, daß er mit schwarz-weißen Mustern, Schattierungen und Streifen übermalt war. Eigentlich ein billiges Ding, wie gesagt aus Blech, aber mit einem interessanten Muster, wenn auch nur in schwarz-weiß überstrichen. Jedesmal wenn dieser Freund kam, schlug er mit der Faust dagegen, so daß das Ding hin- und herschaukelte und mit der Zeit Dellen bekam. Er machte dies nur einmal, wenn er überraschend ins Zimmer trat, meine Mutter hatte ihn meist ohne meine Wahrnehmung, der lauter Rockmusik laschte, ins Haus gelassen und sowie er eintrat, schlug er erst einemal gegen das Ding, das es schaukelte: „Hallo! Ich bin!“
Ich zeigte mich ungerührt. Mir war klar, er wollte mich provozieren, ich ließ mich aber nicht. Ich demonstrierte damit lediglich meine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen, materiellen Dingen und das galt als fortschrittlich. Er hatte es aber darauf abgesehen, mich als spießig zu entlarven, wenn ich Widerspruch anmelden würde, sobald er meinen schicken Blecheimer an der Decke demoliert hatte. Aber ich mar es wirklich egal. Zumal ich die Absicht dahinter nur zu offensichtlich herauslesen konnte.
Rotkäppchen
Plötzlich steht er wieder da. Der mir wohl bekannte „Jugendfreund“, nunmehr Bediensteter der Bundesbahn. Einige würden sagen, daß er hier auch als ein Vertreter dieses Staates ist. Staat meint hier nicht die Gesellschaft, sondern diejenige von Menschen gebildete Organisation, die die Gesellschaft „verwaltet“.
„Wir sind nicht so doof, wie Sie meinen. Das ist Steuerhinterziehung!“ Steuererhebung – das Privileg dieser „Orginisation“! Wir wollen uns an einen guten Geschichtsunterricht erinnern, wo die Bevölkerung oft genug unter einer schweren Steuerlast geächzt hat. In solchen Fällen kann man mit Fug und Recht von dem „Staat“ als „kriminelle Organisation“ sprechen. Aber das entscheidet leider erst die „Geschichte“, äh, die Geschichtslehrer, sprich die Vertreter eines anderen, nächsten Staates.
Es hatte gestern wieder einen getroffen, einen jungen Äthiopier, der von Rotkäppchen quer durch die ganze Bahnhofs-Halle gejagt wurde, so daß es in dieser laut wiedergehallt hat, als ob Hitler seine Rede hielt, wobei aber dieser „Rührer“, wie er sich ausweist, klein, geschmeidig und drahtig wie Putin ist. Er kreischte: "Ich muss Steuern bezahlen und Sie zocken hier ab!“ Ergo, er verdient so viel, daß er Abgaben an den Staat entrichten muss. All diese Staats-Vertreter echauffieren sich, übrigens auch meine dicke Freundin Angela Merkl, die Gewerkschafterin, daß sie mit ihren Rentenansprüchen auch noch Steuern zahlen müssen. Unsereins wird wahrscheinlich Dauerabbonent beim Sozialamt sein.
„Der Geiz ist die Ursache allen Übels!“.
Ich nenne übrigens seinen Namen „Rührer“ gerne, der wahrscheinlich kaum der Wahrheit entspricht, da er selbst davon gesprochen hat, daß alles hier auf Video für zehn Jahre gespeichert sein wird, wogegen man in den Bahnzügen lesen kann, daß Aufnahmen nur für 14 Tage aufgezeichnet werden. Aber „Aufzeihnung„ und „Abrufbarkeit„ sind wohl zwei paar Schuhe, wie ich vermute, daß die Winkeladvokaten argumentieren werden.
Mit dem „Sie“ aber auch hat er die Linie markiert, die uns trennt. Dabei wird man nicht außer Acht lassen müssen, daß er sich selbst auf höheren Terrain stehend sieht. Er blickt also von oben herab auf mich, wie weit oben, wird sich zeigen.
Zudem will er ausdrücken: Wir kennen uns nicht, wir sind uns nun zum ersten Mal begegnet.
Das muss er sagen, wenn er andere Seiten aufziehen will, wenn er seine Funktion als Staatsvertreter erfüllen will, die sich nicht auf gleicher Ebene bzw. Stufe befinden soll und darf. Sonst wird ihm seine Aufgabe nur erschwert sein. Jemand dem kennt, behandelt man immer nachsichtiger als einen Fremden.
Was er nicht sagt, aber mir sagen will, lautet: „Sie werden mich schon noch kennenlernen.“
So ist es: Nunmehr wird er mir einen Einblick auf andere Seiten gewähren, oder besser gesagt andere Seiten aufziehen.
„Ich tue nichts Verbotenes!“, wehre ich ab. Ich versuche mein Verhalten zu rechtfertigen, in dem ich mich auf die Präambeln, Axiome, Prämissen, Artikel, Gesetze, Vorschriften, Ausführen etc. pp berufe – auf den gleichen Boden, auf dem eigentlich er und ich stehen sollten.
Ob er das weiß? Natürlich.
Ob ihn dies beeindruckt?
Kein Kommentar.
Aber ob er darüber zum Nachdenken kommt? - Natürlich nicht!
Die Folge ist, daß ein heftiger Wortwechsel stattfindet, der sich gewaschen hat, fürwahr.
Daneben stehen etliche Jugendliche, schwarz-häutig, Zufall?, die ich mit meiner Karte mitnehmen wollte.
Egal, hemmungslos brüllt, echauffiert und gestikuliert der mit einer roten Kappe bewehrte Bedienstete. Er verschwindet wieder, läuft zum Hauptschalter in der Mitte der Halle hin, kommt aber bald wieder zurück. „Ich rufe die Bundespolizei.“ „Rufen Sie, genau. Machen Sie das!“ Macht er aber nicht.
Die Situation ist unangenehm, bedrängend, beängstigend. Er ist so wenig im Recht wie ich. Er hat letztlich keine rechtliche Handhabe, die Karte ist nun einmal übertragbar für zwei Erwachsene sowie vier Jugendliche, plus einem Hund. Es gibt keine Einschränkungen, wie oft und mit wem man fährt. Also tue ich nichts Unrechtes. Wäre die Bahnpreise nicht so hoch, würde auch keiner mitfahren, aber so ist es eine sogenannte Win-Win-, Quid-Pro-Quo und Geben-und-Nehmen-Situation, vorteilhaft für den Angesprochenen, der über die hohen Tarife stöhnt und den Kopf schüttelt. Die meisten freuen sich, wenn sie dabei ein paar Euro sparen können.
Dann ist er wochen-, monatelang nicht zu sehen. Ich begebe mich auch vornehmlich in andere Städte, Bereiche, weil ich einer eskalierenden Konfrontation aus dem Wege gehen will. Ich fühle mich zwar nach reifer Überlegung nach wie vor im Recht und erkenne keine Unrechtmäßigkeit in meinem Tun, aber nichtsdestotrotz habe ich keine Lust, mich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Auch zur Bundespolizei zu gehen, um ihn anzuzeigen, mein Recht klar darzustellen, vermeide ich, weil ich eigentlich meine Ruhe haben will. Ich lese wahnsinnig gerne, brauche dafür viel Zeit, die ich beim Fahren mit einer Begleitperson habe und muss meine Zeit nicht mit dem Herumschlagen bei Behörden vergeuden.
Okay, mein Weg führt nun einmal über den Nürnberger Bahnhof, dort muss ich mir eine Mitfahrperson acquirieren, um nach Erlangen, nach Bamberg, nach Bayreuth oder sonstwohin zu fahren. Dorr, in einer dieser größeren Städe, fahre ich sternförmig mal dort-, mal hierhin, aber immer wieder in diese zurückzukehren. Am Abend fahre ich wieder via Nürnberg, unvermeidlich, nach Hause zurück in meine Kleinstadt.
Also, es lässt sich nicht vermeiden, ihm zu begegnen, das passiert nicht allzu oft, weniger oft und häufig als man denkt, wie gesagt, monatelang nicht, aber hin und wieder denn doch. Sinnvollerweise halte ich mich dann im Hintergrund, gehe zu jenen, weniger häufiger frequentierten Terminals.
Meine Ruhe ist mir aber am wichtigsten.
Gelbwesten, die Sicherheitsmännchen
Einmal kam es zu einer Situation, dass Sicherheitsleute auftauchten, weil sich irgend eine Person anonym darüber beschwert hatte, dass sie beim Ticket-Lösen oder Tarif-Erkunden am Terminal dauernd von den verschiedensten Leuten angesprochen wird oder von einem, den er als hartnäckig empfunden hat und er sich dabei gestört fühlte, in Ruhe, das richtige Ticket auszulösen.
„Verschwinden Sie von hier!“ Es handelt sich um eine Frau und einen Mann. „Wir haben hier das Recht, bayerisches Gesetz durchzusetzen. Und wenn wir ihnen sagen, Sie sollen sich von diesem Ort hier, in dem wir Hausrecht haben, wegbegeben, dann müssen Sie dem folgeleisten.“
Die Sicherheitsleute erkennt man daran, dass sie nicht wie das Rotkäppchen eine rote Kappe, einen einheitlichen, steifgebügelten Anzug mit einem Namensschildchen wie Rotkäppchen und seine anderen Klone tragen, sondern eine an einen Bauarbeiter erinnernde Gelbe Weste, auf der am Rücken in roten Lettern „Sicherheitspersonal der deutschen Bundesbahn“ geschrieben steht.
„Ich befinde mich hier auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, noch immer. Bundesrecht bricht Landesrecht!“ Und ich gehe zum nächsten Monitor ein paar Meter weiter. Doch die beiden folgen mir. „Nun gut, Sie scheinen sich in den Gesetzen auszukennen. Aber wir haben hier das Hausrecht. Das geht vor!“ „Ich habe eine gültige Fahrkarte. Ich bin hier Kunde. Also darf ich mich wohl auch hier aufhalten.“ Der Mann verliert die Nerven, sagt etwas, was nicht stimmig klingt. Ich krause die Stirn. Die Frau erfasst den Faux pas ihres Kollegen und schaltet sich mit den Worten ein. „Sie haben also gehört, was mein Kollege gesagt hat. Begeben Sie sich auf das Gleis, von dem ab ihr Zug fährt.“ „Ich muss also eine halbe Stunde in der Kälte draußen stehen, obwohl ich eine Karte besitze, die mich berechtigt, den Bereich der Bundesbahn zu betreten, wo immer ich will...“ „Wenn Sie nicht der Anweisung Folge leisten, verbanne wir Sie für diesen Tag aus diesem Bereich. Sie dürfen bis 24 Uhr sich dann nicht mehr hier aufhalten.“ Der Mann hat sich wieder gefasst. „Das möchte ich schriftlich haben...“ „Wenn Sie dies schriftlich haben wollen, dann bekommen Sie Hausverbot für ein ganzes Jahr.“ Welch eine Logik! [Die beiden scheinen mir Zwillinge zu sein, jene, die mir in der Schule als Lehrer den Tafeldienst verweigert hatten, nachdem sie mich der Partei der Grünen zugeordnet hatten, in welcher ich jedoch nicht war. Es hätte mich gereizt, deren Niederschrift zu lesen, zu korrigieren und mich zu echauffieren, weil gelernt haben sie wohl bei mir nichts.] Na, ich mache mich auf dem Weg zum kalten – und es ist Winter – Bahnsteig. Aber nach ein paar Meter wende ich mich um, gehe zu ihnen hin und frage ob ich einen Stockwerk tiefer mich zum Discounter zum Einkaufen gehen darf. Jovial sagt er Mann, die Frau akkurat neben ihn stehend und zurückgezogen an einer Wand sich postiert: „Das dürfen Sie! Das gehört nicht mehr zum Bereich der deutschen Bundesbahn.“ Ich kann nur eine Viertelstunde einkaufen, dann stehe ich frierend am Bahnsteig, um auf meinen Zug zu warten.
(Die zwei Gelbwesten sind Zwillinge, die gleichen, die mir als Lehrer den Tafeldienst verweigert haben, nachdem und weil sie mich im Schuldienst 1987 als Grünen eingeschätzt haben. Die hatten sich im Deutschunterricht verweigert und würden nunmehr etwas voller Schreibfehler zu Papier bringen. Denn als ich um ein schriftliches Hausverbot bat, schraken sie zurück und der Bruder erwiderte, Chuzpe hatte er, dass er mir in diesem Falle gleich eines für ein Jahr ausstellen würde. „Haus“ soll hier der Bhf darstellen, zumindest irgendwelche für die sogenannte Deutsche Bahn definierten Bereiche des Bahnhofsbereich
[Aber da war noch mehr, was uns verband.
Wie ich mich erinnerte, als seine Mutter, die das alleinige Sorgerecht hatte, mit ihrem neuen Ehemann wieder zurück dorthin zogen, woher sie gekommen waren, hatte er noch ein jahr hier bei seinen Schulkameraden verbringen dürfen. nur aber war er in diesem Jahr völlig abgestürzt. Er war sitzengeblieben. Es hatte ihn nicht gutgetan, daß er alleine ohne Mutter, bei einem weitläufigen Verwandten in hinteren Waschbereich, die hergereichtet und in die er eingezogen war, gelebt hatte. Denn er war dort nur völlig abgestürzt. So hatte er wieder nach Hause ziehen müssen, um die letzte Klasse vor der Mittleren Reife zu wiederholen. Hatte er ja gemusst, sonst hätte er wahrscheinlich seine Vereinbarung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, nicht einhalten können. Und das war seiner Mutter wichtig gewesen.
Die Mutter hatte als Ehemann einen Taxiunternehmer, der im selben Haus wie ein anderer wohnte. Diesem zapfte er das Telefon ab und fischte diesem dann Fahrgäste weg. Nicht allzu oft zwar, damit der Konkurrent nicht mißtrauisch wurde, aber oft genug.
Das schilderte mein Bekannter frank und frei und ungebunden. Damit wurde die Verruchtheit der älteren Generation, der Tücke, Niedertracht und Gefährlichkeit sinnfällig dargestellt.
Wir waren damals in einer größeren Clique verbunden und da er nicht weit von mir wohnte, kam er öfter zu mir zu Besuch. Ich hatte mir mit meinem wenigen Taschengeld einen schicken Blech-Deckenlampfen-Schirm geleistet, der insofern schick wirkte, daß er mit schwarz-weißen Mustern, Schattierungen und Streifen übermalt war. Eigentlich ein billiges Ding, wie gesagt aus Blech, aber mit einem interessanten Muster, wenn auch nur in schwarz-weiß überstrichen. Jedesmal wenn dieser Freund kam, schlug er mit der Faust dagegen, so daß das Ding hin- und herschaukelte und mit der Zeit Dellen bekam. Er machte dies nur einmal, wenn er überraschend ins Zimmer trat, meine Mutter hatte ihn meist ohne meine Wahrnehmung, der lauter Rockmusik laschte, ins Haus gelassen und sowie er eintrat, schlug er erst einemal gegen das Ding, das es schaukelte: „Hallo! Ich bin!“
Ich zeigte mich ungerührt. Mir war klar, er wollte mich provozieren, ich ließ mich aber nicht. Ich demonstrierte damit lediglich meine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen, materiellen Dingen und das galt als fortschrittlich. Er hatte es aber darauf abgesehen, mich als spießig zu entlarven, wenn ich Widerspruch anmelden würde, sobald er meinen schicken Blecheimer an der Decke demoliert hatte. Aber ich mar es wirklich egal. Zumal ich die Absicht dahinter nur zu offensichtlich herauslesen konnte.
Ein weiterer Sohn von einem Bahnerer, der mit seinen Eltern sogar in einem Bahnhäuschen großgeworden war, tat sich nicht nur dadurch hervor, daß er ein riesengroßer Kerl war, blond und athletisch, der mit Maultrommelmusik mit im Unterricht den Lehrerkasper zur Weisglut brachte, sondern daß er eine hübsche, langjährige Freundin bereits besaß, mit der er jeden Nachmittag außer Schulaufgaben regelmäßigen Sex praktizierte – wie selbstverständlich – für einen kleinstädtischen Bauernstochter-Sohn ungeheuerlich und unvorstellbar und eine andere Welt darstellend.
Bei der Jugendlichen, die dieses Glück wiederfahren war, von ihm auf dem Altar gelegt worden zu sein, handelte es sich zudem um die im Landkreis bekannten von Schlotterhausens, adliger Name zumindest und der Name spiegelte sich in deren dicken, schlotternden Hängebacken wieder, das diese zwei Mädels des Hauses zierten. Der Vater dieser, gleichfalls starke Hamsterbacken, hatte den Namen inne, stammte nicht von hier, sondern aus Hamburg, war also aus beruflichen Gründen umgezogen, Ingenieur und hatte standesgemäß eine Frau geehelicht, die sich im Gesundheitsamt bei der Aufnahme groß heraustat, in dem kleinen kleinstädtischen Amt die einzige festangestellte Angestellte war. Die Formulierung ist missverständlich, es kann durchaus sein, daß die Frau eines Ingenieurs schließlich aufgrund ihres sozialen Status diese Position bekommen hat, ein öfter als man denkt vorkommender Modus der Stellenbesetzung.]
Wilde Kämpfe vorm Terminal
Rotkäppchens Name ist „Rührer“, wie auf seinem Revers-Schildchen steht, das er stolz auf seiner Brust trägt, hinter einem trenchcoatartigen Überzieher verdeckt, der hinter ihm her flattert wie Graf Dracula seiner, huscht und läuft er durch die zugigen Bahngleis-Unterführungen. In der Hand hält er meist ein knatterndes, schepperndes, großes Walkie-Talkie, also kein handy-förmiges oder smart-phone-artiges Telefon, welches wahrscheinlich extra auf eigener Frequenz der Bahnhofshalle läuft, womit keine Kosten verursacht werden und ein besserer Empfang herrscht.
Der Name Rührer ist Programm.
Sobald er hinter Säulen, aus Tunneln oder Ausgängen plötzlich auftaucht, erschrecken eine Menge Leute und ein Pulk stiebt auseinander wie Tauben, wenn man ihnen zu Nahe kommt und die Einzelnen suchen Schutz und Versteck hinter allem, ziehen sich die Kapuzen über den Kopf, den Krakenrevers höher, die Schildmütze herunter.
Rührer macht seinem Namen Ehre. Die Mitfahranbieter schauen sich panisch um sich, sobald sie auf jemanden Anzusprechenden zugehen von ihren Standorten aus von etlichen Meter Abstand zu den Terminals. Sie spähen links und rechts und hinter sich, ob nicht der böse Wolf hinter ihnen lauert, bereit ein furchtbares Gröhlen, Bellen, Hellen und furchteinflößendes Grinsen und Grollen anzunehmen, wo es jedermann urplötzlich den Appetit verschlägt, die Lust vergeht, in Stehstarre übermannt oder in Fluchtpose verfällt.
Einmal: „Would You like to go to Bamberg…” Der Engländer ist unschlüssig, ob er das Angebot einer Mitfahrgelegenheit annehmen oder lieber alleine fahren soll. Hinter uns erscheint plötzlich wütenden Gesichtes und funkelnden Auges die Wolfs-Visage, eine verzerrte Wolfs-Grimasse, genau auf der Höhe zwischen unsere sich in Unterhaltung zugewandten Köpfen, taucht wieder ab, als er nach einem - äh, was, wie – bemerkt hat, dass sich die beiden Herren in Englisch verständigen, ein Idiom, den er wohl nicht versteht und wenn er einen davon, mich, auf Deutsch anpöbelt, der andere, Fremde, sehr ungastfreundschaftlich befremdet sein wird. Da er weiß, dass dieses Geschäftsgebaren nicht einem modernen Leistungsunternehmen geziemt, hat sich der Störenfried rechtzeitig wieder zurückgezogen, nur eine Meter hinter uns platziert mit seinem überdimensionalen krächzenden Walkie-Talkie, aus der gebrochene Stimmen dringen, einschüchternd und warnend, dass er, der Ordnungsmann, bereit stehe. Der Tourist, der Geschäftsmann oder Universitäts- oder Internationalen-Gesellschaft-Beschäftigte entschließt sich schließlich, eine Einzelkarte zu lösen. Damit hat er die Chance verpasst, billiger an seinen Bestimmungsort zu gelangen; der Bahnbedienstete hat ein paar Euro mehr für die Aktionäre dieser Gesellschaft gerettet, deren Vertreter er darstellt; und ich bin nicht näher meinem Ansinnen gekommen, mir ein paar dringend benötigte Sommerschuhe zu kaufen.
Einmal: Grimmiger Wolfsblick durchbohrt mich. Ich gehe auf ihn zu: „Wie heißen sie überhaupt?“, und lese das erste Mal den Namen an seinem Schildchen. „Aha, Rührer, heißen Sie! Den Namen muss ich mir merken.“ „Das wird Ihnen nichts nützen!“, sagt er ungerührt, nicht einen Schritt zurückgewichen ist er oder sonstwie eine körperliche Bewegung vollzogen. „Das wird man ja sehen!“, sage ich. „Alles ist auf Video aufgezeichnet, was hier geschieht. Und das 10 Jahre lang gespeichert.“ „Wir tun nichts Ungesetzliches!“, und ich gehe mit einer leeren Flasche in der Hand Richtung Flaschenautomat, um den Pfandbonus einzulösen. „Betrug ist nun einmal Betrug!“, brüllt er laut, mir dicht auf den Fersen – und in den hier beginnenden Restaurant-, Imbiss- und Bäckereibereich befindet er sich plötzlich auf nicht hausrechtlichem Boden. Da wir uns schon zwei Schritte über der imaginären roten Linie befinden, wildert er im fremden Terrain und hat ihr kein Anrecht, seine vermeintlichen Rechte lautstark einzuklagen, sodaß ihn prompt eine Verkäuferin mit Namen anspricht: „Aber Herr Rührer!“, was machen Sie denn, klingt es mir in den Ohren. Ich gehe weiter Richtung Automaten. Ich bin ihn los, abgeschüttelt habe ich ihn und mir kommt eine Idee, wie ich den Berserker zur Strecke bringen, den Schreihals das Maul stopfen - gut gesprochen, ihn einigermaßen zum Schweigen bringen könnte.
Der Samurei
Ein japanisches Dorf im 16., 17. Jahrhundert wird von einer Räuberbande belagert. Jene überfällt immer wieder diese, raubt, mordet und vergewaltigt und verschwindet wieder für einige Zeit. Der Dorfrat beschließt, diesem Treiben ein Ende zu setzen und einen erfahrenen Kämpfer, einen Samurei zu engagieren. Dieser ortet die Umgebung, die Möglichkeiten. Das Dorf ist von einem dichten Wald umgeben, aus denen die Räuber hervorstechen und gegen den Dorfwall anrennen.
Der Samurei nimmt den Auftrag an.
Er verspricht den Dorfbewohnern, sie von der Räuberplage zu befreien.
Als die Räuber wieder kommen, wird ein Plan durchgeführt. Die Dorfbewohner sind imstande, die Räuber jedes Mal abzuschütteln, aufzuhalten, wenn auch unter Verlusten. Nur lassen sie jedes Mal einen Reiter durchkommen, der als einziger in das Dorf einfällt und von den unberittenen Dörflern durchs Dorf gejagt und gedrillt wird, bis er ermordet werden kann.
So geschieht es jedesmal. Jedesmal kommt nur ein Reiter durch, der gestreckt wird. Natürlich fallen dabei einige Dörfler diesem Unterfangen zum Opfer, aber die Anzahl der Räuber mindert sich, sie durchschauen nicht den Trick, können ihr Treiben nicht aufgeben, rennen immer wieder gegen das Dorf an, verlieren immer wieder einen Reiter und wissen danach nicht Bescheid, was mit ihnen geschehen ist.
Schließlich kommt der letzte, der Räuberhäuptling durch, auch er wird von der stark dezimierten Dorfschar endlich gestreckt. Das Dorf ist recht verwüstet, der Boden darin von den wild herumreitenden Räubern auf Pferden ganz durchweicht, es ist ein hartes Werk gewesen, solch gut bewaffneten quirligen Reiter zur Strecke zu bringen – doch mit Hilfe des Samureis ist es gelungen. Am Ende sind alle am Ende ihrer Kräfte, aber der Auftrag ist erfüllt.
Der Samurei kann weiterziehen, der Samurei, der ein professioneller Krieger ist, der nicht mehr gebraucht wurde nach dem Fürstenbefriedungen, dem Bürgerkrieg, wonach eine Zeit angefangen hat, wo man solche Krieger nicht mehr brauchen konnte. Er hat bei solchen Aufgaben wie mit dem Dorf seine Bestätigung und sein Auskommen gefunden – immer noch treu und ritterhaft hilft er von Räubern überfallenden und gedemütigten Dörflern vor solchen Verbrechern zu schützen, damit die Landbevölkerung nicht ausgebeutet, erniedrigt und ein zu schweres Leben und Los führen und erdulden muß.
Genau so werde ich es machen: ich locke den vermeintlichen Räuber ins fremde Territorium, wo er mit Schimpf und Schande, Anklagen und Vorhaltungen von den Verkäufern und Verkäuferinnen empfangen wird. Damit erhoffe ich, ihn mürbe zu machen. Forthin habe ich stets eine leere Flasche bereit, mit der ich schließlich durch das für ihn fremde Terrain schreiten werde, sobald er hinter mir her ist, um einen Pfandbonus einzulösen. (Was natürlich Blödsinn ist! Was ich aber erst später, nach etlichen Malen, wo ich mich selbst zum Deppen gemacht habe, bewusst wird. Ich nicke dabei einsichtig: sei Dir bewusst, jeder Kampf, sei er noch so siegreich, kostet, fordert seinen Tribut, ist nachhaltig!
Tasche verloren und Rotkäppchen grinst darüber
Letzthin habe ich meine Tasche, meinen Rucksack verloren. Ich habe ihn mitten am Bahnhof auf den Boden an einem Geländer abgestellt, während ich schnell um die Ecke gegangen bin, um an einen Ticket-Schalter nachzusehen, ob eine Mitfahrgelegenheit sich biete. Als ich nach wirklich wenigen Sekunden zurückgekommen bin und nach dem Rucksack gespäht habe, war er verschwunden. Ich habe ein paar herumstehende Äthiopier gefragt, wo er sei, ob sie einen überhaupt gesehen hätten, aber die verstanden entweder kein Deutsch oder haben nichts gesehen, jedenfalls nichts geantwortet und mich nur konsterniert angeblickt. Schnell bin ich zu verschieden Ausgängen des Bahnhofs gegangen, davor herumgeschaut, ob ich den vermeintlichen Dieb sehe mit dem Rucksack in der Hand oder während er gerade darin herumsucht und –kramt, aber ich habe niemanden entdeckt. Als ich mit der Rolltreppe einen Stockwerk hinunter gefahren bin, um zum Fundbüro des Bahnhofs zu schauen, hat es vom Elevator aus, zwanzig Meter, ausgesehen, als hätte dieses am Samstag geschlossen. Ich bin zur zentralen Information gerannt, diese haben behauptet, das Fundbüro habe offen, wahrscheinlich sei der diensthabende Angestellte gerade ausgetreten, sie haben dort angerufen, es hat sich aber niemand gemeldet. „Sie kommen bestimmt wieder in wenigen Minuten zurück.“ Ich bin dann noch einmal hinuntergegangen und habe die Tür offen vorgefunden, meine Tasche auch gekriegt. Welche Panik habe ich doch ausgestanden, da ich, wie sonst unüblich, darin meine Schlüssel deponiert hatte. Ansonsten trage ich diese immer in meiner Hosentasche, nur just an diesem Tag in dem Rücksack, welch ein fataler Irrtum, Fehlverhalten, Umstand das gewesen ist.
Ein paar Minuten später steht plötzlich das Rotkäppchen hinter mir und grinst breit und frech, bildete ich mir ein. Hatte er meine Kopflosigkeit am Terminal der Überwachungskameras beobachtet und sich einen Ast gelacht über mein Schusseligkeit, Deppertsein und Verwirrung?
Verärgert über mich, diesem Kerl dieses entwaffnende Schauspiel geboten zu haben, renne ich an ihm vorbei, um eine zu rauchen. Normalerweise unterbreche ich mein Tun, Geschäftstreiben und Hin- und Her niemals, zumindest nicht, um extra eine Zigarette zu rauchen. Dass ich dies getan hab daraufhin, dass Rotkäppchen mich über mein desolates Verhalten beobachtet haben könnte, empfinde ich als schwere persönliche Niederlage.
Aber bilde ich mir dies bloß ein?
Wenn auch, nur die Einbildung, die Macht der Einbildung, die zersetzende Auswirkung der Vorstellung, dass es hätte sein können, macht mich sehr, sehr wütend, unzufrieden, schwer, geistlos, was weiß ich, aber erinnere Dich daran: jeder Sieg implementiert stets eine Niederlage!
Bayreuth – ein „Verrückter"
„Ich stelle gerade das Fahrrad ab. Dann schreibe ich einen Strafanzeige!“, sagt ein Fahrgast. Die Stimme klingt rau und fest. Als wir uns setzen: „Wie oft fahren Sie die Strecke?“ Ich deutete auf meinen essenden Mund. „Ich komme gleich!“, sagt er, steht auf, geht Richtung Fahrrad, kommt gleich wieder, setzt sich hin, er ist wohl sehr um sein Vehikel besorgt, zieht ein Buch aus der Tasche und ließt das englischsprachige Fachbuch: „Body Basic Bewareness-Therapie.“ Immer wieder dazwischen murmelt er etwas, als spräche er zu sich.
Ich verschanze mich. Lesend. Vor meinem Blickfeld habe ich ein Buch aufgebaut, damit ich nicht mit diesem Spinner reden muss. Ich lese Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis.“
Behinderte
Ein ältere, behinderte Dame, Christa, aus Hersbruck, bewegt sich tänzelnd, beschwingt und offen mit einem riesigen Rollkoffer durch die Bahnhofshalle von einem Terminal zum anderen; sie spricht sehr gut Englisch, wobei sich eine sehr deutliche Aussprache, auch ihrer Muttersprache hat und tritt stets als sehr freundliche, nette, verbindliche Person auf, ohne anbiedernd zu wirken, wie viele andere, die von hier sind und herumstreichen und die Leute ohne Umschweife mit „Du“ anreden. Sie muss eine „gute“ Erziehung, Bildung und Lebenslauf gehabt haben ihrem Erscheinungsbild nach zu schließen, aber wie es das Schicksal so will, ist sie mittlerweile bewegungsradiusmäßig stark eingeschränkt.
Dabei ist es schon ein Wunder, dass sie trotz Schmerzen aus dem Bett kommt, wie sie sagt: „Wenn Du wüsstest, wie ich leide!“ Trotzdem macht sie sich öfter auf den Weg in die große Stadt, um mit ihren Behinderten-Ausweis, der es ihr ermöglicht, kostenlos eine Begeleitung mitzunehmen, durchs Land zu fahren und ein paar müde Knöpfe zu ergattern.
Ich treffe sie sehr aufgeregt an. Sie wirft mit Fäkalienwörtern um sich, da ihr Rotkäppchen mit der Bundespolizei gedroht hat. „Der Depp hat mit der Polizei gedroht!“ Es klingt für einen Außenstehenden sehr fränkisch, lustig und erheiternd, was es wohl für Christa weniger und alles andere ist.
Äthiopier I – wir sind Freunde
Im öffentlichen Nahverkehr werde exorbitante Preise erhoben. Ein mehr oder minder längerfristiges Ticket für eine Person ist kaum erhältlich, für zwei sind es die Regeln. Kinder von 14 bis 18 zählen als Erwachsene, wofür sie auch dafür den Preis entrichten müssen. Müssen die Leute ohnehin meist für zwei Personen Karten erstehen, solche, die mindestens fürs ganze Wochenende gelten, greifen sie zur Selbsthilfe oder versuchen ihr Recht in Anspruch zu nehmen, wenn eine Person solch eine Karte gekauft hat und eine zweite zum Mitfahren zu gewinnen. Angesichts der horrenden Preise ist es nicht verwunderlich, dass sie in den überwiegenden Fällen von Angesprochenen auf Zustimmung stoßen und erfolgreich sind und sie teilen sich eben die Kosten.
Hat also eine Person eine solche Karte erwirkt und versucht jemanden zum Mitfahren und zur Kostenteilung zu finden, sind aber sofort Angestellte dieses Unternehmens zur Stelle, um ihn daran zu hintern. Sie gehen dabei sehr unhöflich zu Werke, meist im lauten Tonfall und beschimpfen diese mit Steuerbetrügern und anderes mehr.
Wie gesagt, einer als das „Rotkäppchen“ bezeichnet wird, tut sich dabei besonders hervor! Dabei ist er nicht der einzige mit diesem Outfit, Uniform und Erscheinungsbild. Dieses sieht sehr korrekt, wenig uniformiert und kundenfreundlich aus, am Revers hängt ja auch der Name des Betreffenden. Aber wehe Du wirst von Ihnen dabei gesehen und beobachtet, dass Du Dein Ticket, dass mindestens für zwei Erwachsene gilt, einem zweiten zur Mitfahrt anbietest! Wie es eigentlich legitim ist!
Es hatte gestern wieder einen getroffen, einen jungen Äthiopier, der von Rotkäppchen quer durch die ganze Bahnhofs-Halle gejagt wurde, so daß es in dieser laut wiedergehallt hat, als ob Hitler seine Rede hielt, wobei aber dieser „Rührer“, wie er sich ausweist, klein, geschmeidig und drahtig wie Putin ist. Er kreischte: "Ich muss Steuern bezahlen und Sie zocken hier ab!“ Ergo, er verdient so viel, daß er Abgaben an den Staat entrichten muss. All diese Staats-Vertreter echauffieren sich, übrigens auch meine dicke Freundin Angela Merkl, die Gewerkschafterin, daß sie mit ihren Rentenansprüchen auch noch Steuern zahlen müssen. Unsereins wird wahrscheinlich Dauerabbonent beim Sozialamt sein.
„Der Geiz ist die Ursache allen Übels!“.
Heute morgen sitzt Daniel, der Äthiopier, vor dem Terminal eines Provinz-Bahnhofes auf der Bank. Hier kreuzt sich öfter mein Weg, da meine Freundin vor Ort wohnt und des Morgens treffe ich also Daniel, den vorgestern Hunderfünzigprozentige vor sich hergejagt hat quer durch die fünzig Meter lange Bahnhofshalle bis zum Ausgang, durch den Daniel schließlich, als Rettungsschirm genutzt, entwischen konnte.
Er, den ich ein paar Stunden später wieder getroffen habe, hat mir geantwortet, als ich ihm nach seinem Befinden gefragt habe, wie geht es Dir: „Gut!“ Es klang wie: was sonst! Er hat noch mehr gelacht als sonst, der sich durch sein stetes helles, Menschen zugewandtes Lächeln auf seinem Gesicht von dunkel dreinblickenden Zeitgenossen wohltuend heraushebt und unterscheidet.
Aber ob er sich wirklich wohl fühlte, wage ich zu bezweifeln. Warum habe ich das Gefühl, als ich mit ihm rede, er will jederzeit wegrennen und schaut sich unsicher um?
Zu dem Mitleid paart sich aber mittlerweile etwas Skepsis, oder Nachdenklichkeit, oder Erforschenmüssen!
Denn ich erinnere mich, dass ich ihm auch gestern schon begegnet bin, einige Tage nach dem Gejagtwerden vom Rotkäppchen, als er mit einer Landsmännin, einer Äthiopierin mit Kinderwagen in Nürnberg unterwegs gewesen war.
Ich habe den Fehler gemacht, dass ich ihr lehrerhaft das Deutsch verbessern wollte, als sie mit Kind in den Lift vom Paterre zum Bahnsteig hinter mir einsteigen wollte: „Wir einsteigen auch.“ Ich korrigierte: „Wir möchten auch einsteigen.“ „Wir dich fragen müssen, ob wir einsteigen dürfen? Du bist wohl großer Herr? Wir müssen Dich zuerst fragen?“ „Ich wollte nur Dein Deutsch verbessern.“ „Du erlauben uns einsteigen zu dürfen?“ „Wer nicht Deutsch kann in diesem Land und lernen will, der ist dumm.“
Nebenan stand der Äthiopier. Ich suchte um Sprachhilfe nach: „Übersetz ihr mal, was ich ausdrücken will.“, merkte aber sofort, dass dieser noch weniger die Verkehrssprache beherrschte, der keinen Sprachkurs besucht hat und in einer kleinen Stadt in der Nähe einer Niederlassung der amerikanischen Armee weit außerhalb der Metropole wohnt, wo sie wohl den Teufel tun, um ihn zu integrieren, bekommen die amerikanischen Soldaten selbst kaum und unzureichend Sprachhilfe.
Er übernachtet meist bei Freunden in der Großstadt. Unter diesen Umständen wird er sich kaum richtig waschen, ankleiden und herrichten können, er riecht ziemlich streng und ungewaschen.
Er sitzt neben mir auf der Bank und verzehrt sein Frühstück, gegrillte Hähnchenflügel wahrscheinlich.
Seine Zähne befinden sich in einem himmelschreienden Zustand, Missstand, Unordnung, gehörten wenigstens einigermaßen justiert, da sie in nicht geordneter Reiche gewachsen sind. Diejenigen des Mittelbereichs stehen fünf Millimeter auseinander, das Zahnfleisch mit schwarzen Schatten erscheint und reicht unten und oben weit in den Mund hinein, wenn er lacht und er lacht oft. Die Beißzähne sind von den anderen Zähnen jeweils durch zwei Schneissen versetzt nach vorne herausgewachsen, als ob er in seiner Kindheit statt Wohlernährendes an Schilf-, Bambus—oder sonst etwas Derartiges aus seinem Land gekaut hätte.
Aber zunächst einmal braucht er einen Sprachkurs. Wie geht das nur, dass er ohne einen solchen, der als Integrationskurs tituliert wird, hierzulande leben und über die Runden kommen kann? Dabei ist er nicht der einzige.
Gleichzeitig kommt mir meine Lage in den Sinn, der ich ohne einen solchen dahinlebe, wiewohl ich gerade für solch eine Maßnahme extra eine Zusatzausbildung gemacht habe, neben meinen anderen ganz normalen zwei Universitätsausbildungen, wovon ich nicht einmal das erste, meistnachgefragteste ausüben darf, nämlich Sozialpädagogik, weil mich das örtliche Gesundheitsamt für „zu sensibel“ für die Betreuung von psychisch Kranken, wofür ich mich interessiert und beworben habe, eingestuft hat. „Wenn ich mit Ihnen beim Amtsgericht erscheine, was glauben Sie, was die denken (was ich mir einbilde, mit so einem aufzutauchen und ihn als Berufsbetreuer vorzuschlagen)?“ (Da habe ich mir schon gedacht: wo leben wir mittlerweile, dass ein Betreuer von seelisch kranken Menschen zu viel Einfühlungsvermögen mitbringt, statt dass er, na was wohl, Härte, Stringenz, Durchsetzungsvermögen, verbales Herumkommandieren, um es einmal euphemistisch auszudrücken, mit sich mitbringt oder wie oder was? Und die Freiheit der psychisch Kranken ist zudem so beschränkt, dass sie nicht einmal ihre eigenen Betreuer auswählen dürfen!)
Nun, wir beide, Daniel und ich, sind, wie man so sagt, aus dem System gefallen!
Wie werden gejagt wie gehetzte Hunde, zu denen wir gemacht werden, weil wir schauen müssen, das nötigste an Mittel zusammenzubekommen, um nicht wie die letzten Penner daherzukommen. Gejagt werden wir von anderen, die uns verfolgen durch den ganzen Bahnhofsbereich und uns beschimpfen, anklagen und herunterputzen vor Hunderten von Menschen, die dieses Schauspiel ungerührt mitverfolgen oder nicht sehen wollen.
Warum schreitet keiner ein, erhebt das Wort, schlägt sich auf die Seite der Getriebenen? Und das in der sich selbst schmückenden, lobenden, auf die Schultern klopfenden „Stadt der Menschenrechte!“?
Aber einige sehen es doch, sehen und spüren, dass hierzulande mittlerweile ein Geist auferstanden ist, den jeder auf dieser Welt sehr wohl kennt, der in einem schneidenden, schärfsten, hysterischen Tonfall frank und frei in dichten Menschenansammlungen andere Menschen zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Just Engländer, die zum Dokumentationszentrum über die Nazizeit Deutschlands wollen, zur Aufmarscharena der Parteitage der NSDAP, zum „Dokumentationszentrum der Nazidiktatur“ oder so ähnlich heißt es beschwichtigend, verlogen und beschönigend und ratlos im Menü des Terminal herumsuchen müssen, weil ihre Sprache, die Weltsprache Englisch, wahrscheinlich von den Angestellten im Zentralinformationszentrum nicht gut genug gesprochen wird und weil der Bestimmungsort aus unerfindlichen Gründen nicht in dem Betriebsmenü der Bahn auftaucht. Während ich ihnen helfe, die richtigen Tickets zu lösen, verfolgen einige konsterniert dieses Treiben des Rotkäppchens, der, mit seiner schneidenden Stimme wie weiland der Erzfeind dieser Nation, einen Schwarzen vor sich her durch die Halle treibt.
Was denken sie sich wohl?
Was denken sie, wenn sie in der Trambahn Nummer Vier sitzen und am „Platz der Opfer des Faschismus“, ehemaliger Hitler-Platz, vorbeifahren und sich dieser Szene mit dem Uniformierten und schluddrigen, stets lächelnden und freundlichen Afrikaner erinnern werden?
Es geschieht oft, dass gerade Britten diesen Ort heimsuchen wollen, wahrscheinlich weil sie nicht wenig von den Bomben der Deutschen über ihre Städten in Erinnerung haben und ich schließe gerne nach getaner Hilfe mit der Bemerkung ab: „And Greetings to Sir Winston Churchill!“, ein Witz, den sie sehr wohl verstehen.
Aber diesesmal ist mir nicht zum Witzeln zumute?
Warum werden heutzutage wieder Menschen zu Jägern anderer Menschen?
Weil sie im Dienst von staatlichen Betrieben, die mittlerweile halbprivatisiert sind, für die Dividenden deren sogenannten Shareholder andere vor sich hertreiben, niederbrüllen und bezichtigen, sie betrögen den Staat, indem sie keine Steuern bezahlten. Das ist sachlich schon ein ungeheuerlicher Vorwurf, denn keiner von uns bekommt durch das Geld beim Herumfahren so viel zusammen, dass er nicht unter den über 9000 Euro legitimierten Steuerfreibetrag käme, keiner, und würde er sich noch so ins Zeug werfen, am Riemen halten und schier permanent auf Trebe sein, käme auf diesen Betrag, niemand.
Daniel hat zuende gegessen. Er hat fettige Hände, die er, er dreht sich um, an der Gebäudemauer abstreifen und reinigen will. „Komm, dort vorne ist ein Klo!“, fordere ich ihn auf, sich die Hände zu waschen. „Ich pass indes auf Deine Plastiktasche auf!“, die er stets mit sich herumführt und worin seine Habseligkeiten sind. Sein Lächeln wird noch breiter, er erhebt sich und geht die paar Meter zum Eingang des Klos. Schön, dass wenigstens in diesem Bahnhof ein Bereich ist, wo man unentgeltlich austreten kann, etwas waschen und sich erfrischen kann. Durchaus eine Seltenheit!
Äthiopier II
Am Bhf Nürnberg tummeln sich in Scharen hauptsächlich die schwarzafrikanischen, jugendlichen Äthiopier, die kaum Deutsch sprechen können.
Einem von ihnen, Jamal, habe ich ein Ticket verkauft, so dass er mir 50 Cent schuldig geblieben ist. „Ist verjährt“, „zu spät“, in diesem Sinne, meint er.
Letzthin kommt er unter Druck zu mir, bittend, mit mir mitzufahren: „Gib mir erst die 50 Cent“, sage ich. „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Ich laufe ihm dummerweise zum Automaten hinterher, er hat einen 5er-Schein in der Hand, mit dem er eine Karte lösen will, der jedoch wieder ausgespuckt wird und ich ziehe sogar in meinem Schwachsinn, meiner Gutgläubigkeit, Schwäche, was weiß ich, 4.50 Euro heraus, um ihm das passende Wechselgeld zu geben. „Gib mir erst die 50 Cent, dann fahre ich mit.“ „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Hinter uns stehen „Sicherheitsmenschen“, ein Gelbwestler und ein paar blaue Bahnhofsangestellte, das Geschehen misstrauisch beäugend.
Jamal springt zum zweiten Automaten, auch hier gelingt es ihm nicht, eine Karte zu lösen.“ Er wird jetzt von einem hinter ihm Stehenden, auch dunkelhäutig, zur Minna gemacht. „Wo bleibst Du? Bist Du jetzt so weit?“ Nach einer Woche, ich ihn wiedersehend, läuft er an mir vorbei, als kennte er mich nicht, wie gehabt.
Wie sehr ich mich ärgere, mich auf ihn eingelassen zu haben, wodurch ich dem „Sicherheitspersonal“ aufgefallen bin. Meine Gutmütigkeit, mein Glauben auf Vergebung, der Möglichkeiten des Einlenkens eines mich Betrogen-Habenden ärgert mich sehr. „Sei stark! Werde nicht weich! Akzeptiere den Fehdehandschuh!“
Ansbacher, betrunken, in Pumphosen, herabflatternden, braunen orientalischen Hosen herumtorkelnd, mit Plastiktüten voll gestopft mit Pfandflaschen rempelt mich an, wobei er gleichzeitig „Entschuldigung“ murmelt. Ich habe ihn schon ein paar Mal darauf hingewiesen, er soll mich nicht immer körperlich berührten, attackieren, aber es hilft wohl nichts. Er lispelt stark, ist mir eigentlich sympathisch, doch er fängt wohl an, abzustürzen.
Veränderung
Allmählich verändert sich die Szene. Nicht nur, dass nach der Flüchtlingswelle nunmehr ganze Scharen von Schwarzen, die sogar längere Leerfahrten in Kauf nahmen, um ein paar Euro zu verdienen, auftraten, sondern das Verhalten der Einheimischen untereinander. Vielleicht infolge des rapiden Anwachsens der Konkurrenz?
Ein älterer Pakistani ist vom Rotkäppchen, einen besonders scharfen Bahnarbeiter, zu zwei Jahren vom Bahnhof Nürnberg verbannt worden. Trotzdem kommt dieser immer wieder an diesen Ort. Er hat höllische Angst vorm „Rotkäppchen“, der furchtbar aggressiv werden kann, laut herumbrüllt, mit Polizei, Tod und Teufel droht. Jener ist der Schrecken aller, die mit ihrer Karte versuchen Mitfahrer zu gewinnen. Und er ist der einzige von den Bahnhofsangestellten, der sich hinterrücks anschleicht, lange vor den Automaten steht, um das Verhalten zu kontrollieren und mit allem droht, was ihm einfällt: Hausverbot, Strafanzeige wegen Betrugs, „Betrug ist Betrug“ und Einsatz der Bundespolizei, die rechtlich für dieses Terrain Bahnhof verantwortlich ist.
Der Pakistani, der es nicht lassen kann, in Nürnberg immer wieder zu landen und hier Mitfahrer zu acquirieren, steht von daher unter Dauerstress. Er hat am meisten Angst, von „Rotkäppchen“ gepastet zu werden, der ihn dann gehörig in die Mangel nimmt. Seine Angst geht so weit, dass er mit Speichel um den Mund herumläuft und jeden anspricht, um sich zu beruhigen, wobei er denjenigen körperlich versucht festzuhalten, am Arm packt, ja sogar in seinem angespannten Zustand andeutungsweise in den Bauch schlägt: „Hör mal!“ Dabei ist sein Deutsch mehr als rudimentär, er kann keinen Satz bilden, was er sagen will, versteht kaum einer, erst nach mühevollen, langen Minuten des Erklärens kommt man hinter seinen Aussagen.
Äthiopier III – wir sind Konkurrenten
Ich war in Ansbach, auf diesem Halb-Provinzbahnhof, herumgestanden.
Es kam ein Paar mit jeweils zwei Fahrrädern, ich konnte mit meinem einem Ticket aber nur eine Person, wenngleich die zwei Fahrräder mitnehmen.
In meinem naiven Gemeinschaftssinn winke ich einen etwas abseits stehenden Äthiopier heran, der gedankenverloren an einem des durchsichtig überdachten Bahnhofsbereiches aufragenden, eisernen Stützpfeiler gelehnt in seinem Smart Phone surft.
Er hat zwei Karten, womit er die beiden samt ihren Fahrrädern mitnehmen kann, mich lässt er einfach stehen, überlässt mir keineswegs, als zuerst die Kunden angesprochen Habender, wenigsten einen Fahrgast, nein, er nimmt alle beide für sich in Anspruch, die ihm treuselig und nichtsahnend hinterher zum Zug nachdackeln.
Ich fühle mich übertölpelt von dieser Unterbietung, Ausbootung und Ausstechung. Mit meiner freundschaftlichen, ihm Die-Hand gereicht-habenden Geste hat er mich kaltschneuzig über den Tisch gezogen. Frustriert dackle auch ich zum Zug hin, der sofort losfährt.
Das mitgenommene Paar sitzt mit ihren zwei Fahrrädern im Fahrzeug-, Kinderwagen und Rollstuhlbereich, sich freudig unterhaltend, wohingegen der Äthiopier etwas entfernt allein in den normalen Gastsesseln sich postiert hat, Rücken zu ihnen und erneut seelenruhig in seinem Smart-Phone surft. Ich zische ihn von hinten an, er dreht sich herum, während ich verärgert die Klotür aufmache: „Das war nicht in Ordnung. Du hättest mir einen Fahrgast überlassen können!“ Aber er reagiert nicht, denn das ist die Cruz, es ist nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt versteht oder nicht verstehen will, ich habe noch kein Wort mit ihm gewechselt. Ich kartle sicherheitshalber in Englisch mit der selben Aussage nach. Aber es ist noch weniger wahrscheinlich, dass er diese Sprache spricht. Ausländer sind dir stets im Vorteil, weil sie sich stets dumm stellen können, ha, was sagst Du, was weiß ich, ich verstehe die Sprache hier nicht.
Später dann möchte ich einen Fahrschein verticken, wozu ich bei den herumstehenden Äthiopiern im Bahnhof Nürnberg nachfrage, indem ich ihnen eine Karte anbiete. Sie prüfen sie, nehmen sie aber nicht an, wobei sie ein jeder zuvor reihum im Kreis in die Hände genommen hat, von Hand zu Hand gegangen war und einer schlägt sie mir wie absichtslos aus der Hand, so dass sie auf den Boden fällt, ich mich bücken muss vor den um mich eingekreist Habenden.
Auch der freundliche Äthiopier Daniel steht daneben und lächelt dabei wie immer, dieses Mal teilnahmslos.
Der sie mir aus der Hand geschlagen hat, war es Absicht, war es Zufall, war just derjenige, der mich in Ansbach über den Tisch gezogen hatte.
Am Spätabend, als das Geschäft gelaufen war und wir uns zu einer Erholungspause am Fuße der Treppe zu einem Bahnsteig trafen, ich und just zufällig der Mir-die-Karte-aus-der-Hand-gestossen-Habende und der Mir-die-Kunden-Weggeschnappt-Habende, hat dieser noch die Chuzpe oder Frechheit, als wir uns einig sind im Small-Talk, dass der Abend gelaufen sei, mich zu fragen, und oh, und plötzlich kann er astreines Deutsch sprechen, ob ich ihm nicht die besagte, wenige Stunden zuvor mir aus der Hand geschlagen habende Karte kostenlos überreiche, übergebe und überlasse: dieser Schnorrer in Person und ich in meinem erneut Freund-sein-Wollen hätte sie ihm beinahe überreicht und geschenkt. Aber rechtzeitig zog ich die Karte zurück, vielmehr zögerte ich, als ich schon nach meinem Geldbeutel in meiner Hosentasche griff und im Begriffe war, ihm diese Tageskarte zu schenken, mich fragend, wie blöd musst Du sein, diesem Oberabstauber und Schnorrer in Reinkultur noch die gebratenen Äpfel vor die Füße zu legen, nachdem er dir ein paar Mal eine mit der Rute übergezischt hat?
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Mit einer Gewerkschafterin zu einer Sitzung fahren
Ich fahre mit einer Freundin nach München, die dort als Freiwillige ein Ehrenamt bei der Gewerkschaft innehat. Sie beraten und entscheiden wohl darüber, wie hoch und in welchem Umfange die nächsten Forderungen des öffentlichen Dienstes sein sollen.
Ich erzähle ihr, dass ich letzthin einen Beschäftigten bei einer Telefongesellschaft englischer Provenienz getroffen habe. Wenn er sein Namensschild nicht am Revers trägt, wenn eine Kontrolle kommt, bekommt er Sanktionen. Derjenige, der ihn damit erwischt, bekommt eine satte Belohung.
„Das ist tariflich nicht erlaubt in Deutschland“, sagt die Gewerkschafterin, die gerade mit mir nach München fährt, wo die Delegierten einen Mindestzuschuss, Gehaltserhöhung und Forderung gegenüber den Arbeitgebern von mindestens 200 Euro pro Monat beschließen werden. Das ist die Hälfte der Grundsicherung eines armen Schluckers in der Republik.
„Verteilungskämpfe wird es geben!“, prophezeit sie.
Sie gluckst mit den Augen und die Augen treten langsam aus ihren Höhlen, als hätte sie Nierenprobleme.
Verteilungskämpfe - als wäre zu wenig da!? Wobei es auch aus ihrem Magen gluckst, immer wieder, als hätte der Alkohol Wein, ein sehr dicker, lieblicher Saft, der in ihr steckte und nicht zu wenig, gerade erst zu goren angefangen.
Ich darf mich nicht mit ihr vergleichen. Gleichen Alters würde sie heute so viel Rente bekommen, dass sie Steuern abführen müsste und unsereiner nicht einmal das Niveau der Grundsicherung erreichen mit meinen spärlichen Einzahlungen; sie hat lediglich eine Ausbildung, wohingegen ich zwei akademische Abschlüsse. Wer steht denn nun gut da: derjenige, der in Bildung investiert hat oder der andere, der sich mit einem Minimum an Fortbildung, Ausbildung und Schulen seinen Weg durchs Berufsleben geebnet hat?
Dabei langt die Gewerkschaft mit ihren aktuellen Forderungen wieder einmal, mehr den je, gehörig zu. Es ist genug vorhanden. Gewerkschaft? Achja, diejenigen Interessensgruppe, die nur eins will: Mehr.
Gewerkschaften?
(„Das ist eine Ausnahmeperson in diesem Verein“, höre ich den Entschuldigungssatz. Aber die Gewerkschaft hat die Tendenz, alle über einen Kamm zu scheren und ihre Mitglieder gleichzumachen.)
Ein Jahr lang kam ich selbst in den Genuss, im öffentlichen Dienst arbeiten zu dürfen und da trat ich auch der Gewerkschaft bei. Nachdem mein Dienst endete, ließ mich diese Organisation nur wieder willig frei, aus ihren Armen und ziehen. „Ihre Unterschrift der Kündigung entspricht nicht derjenigen ihres Beitrittes.“
Wie darf man das verstehen?
Sie hielten mich wohl für verrückt geworden, dass ich inzwischen eine Persönlichkeitsänderung vollzogen hatte? - Oder wollte ich betrügen, eine Person vortäuschen, dass eine andere aus ihrem Verein austreten will, womöglich eine Aktion der Gegenpartei, einer aus der Arbeitgeberorganisation oder welche Erklärung gibt es noch?
Heute, nach Jahrzehnten glaube ich einfach, sie wollten mir den Ausstritt so schwer wie möglich machen. Sie hofften, ich würde die Fahrt von gut 30 Kilometer mit dem Auto zur Zentrale scheuen und einstweilen die Mitgliedschaft aufrechterhalten, weil ich die Umstände scheute. Nur konnte ich mir dies nicht leisten. Und damals ging es mir ums Prinzip.
Für verspäten uns um drei Minuten. Sie überlässt mir ihr Auto, das ich inzwischen bis 16 Uhr irgendwo parken soll. „Das Geld fürs Parken!“ „Kriegst du später. Ich habe keine Zeit mehr“, und verschwindet im Gebäude. Ich frage nach einer Möglichkeit, Theresienwiese und im Parkhaus des Geschäftes Sowieso. Ich ahne, erstere Option ist die billigere, aber da muss ich rumsuchen, ich nehme das, was ich deutlich vor mir sehe. Es wird für den Tag 30 Euro kosten, eine horrente Summe, soll ich mich nicht doch lieber bei der Theresienwiese umtun?
Was machst du dir für einen Kopf, für andere, kriegst bei dieser Herumsucherei nur graue Haare!
Spätnachmittags, pünktlich, warte ich im Gewerkschaftshaus über eine halbe Stunde auf den vereinbarten Termin, bis meine Bekannte aus ihrer Versammlung, ihrem Seminar, dem Kurs kommt. „Gib mir das Geld, ich muss die Parkgebühren bezahlen.“ „Wie viel?“ „Dreißig Euro!“, genervt, gestresst, sich schon eine Zigarette angezündet, klaubt sie diesen Betrag, in einzelnen Fünf-Euro-Scheinen, aus ihrem Portemonnaie.
Ich hole das Auto, es stellt sich aber heraus, das ich nur etwa zwei Drtitel zahlen muss. Ich überlege mir, ob ich ihr den Restbetrag korrekterweise wieder geben oder ihn für mich behalten soll? Ich entscheide mich zunächst für letzteres, etwas, was ich bislang noch niemals getan habe.
Ich bin froh, dass sie nicht nachfragt, ob sie doch nicht Wechselgeld bekäme, so gestresst ist sie heute. Ich wäre in eine sehr unangenehme Situation geraten, nämlich lügen zu müssen. Unpünktlichkeit, Lüge, Betrug, Täuschung usw. sind Eigenschaften, die man mir nicht anerzogen hat. Eher aber sind mir Eigenschaften habituiert worden wie Entgegenkommen, Rücksichtsnahme und Bereit-sein-für-den-anderen – was heutzutage auslaugend sein kann – sagt man immer so dumm und oberflächlich: heutzutage – dabei ist es wohl niemals anders gewesen.
„Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht einen Tag früher mit Dir nach München fahren sollte...“
„Du meinst, da im Hotel übernachten.“ „Genau.“ Wir haben dies ein paar Mal gemacht, in Berlin, in Potsdam, sie weiß, dass mir das gut täte, ich bin immer froh, aus meinem grauen Alltag herauszukommen. Nur habe ich nicht das nötige Kleingeld, sie umso mehr.
Aber es ist nicht ernst gemeint. Sie grinst feist.
Ich denke, na schön, sie nimmt mich nicht ernst. Das ist nur so daher gesagt, cest la vie. Oder vielmehr hat es Methode. Dem anderen seine Wahrnehmung abstreiten, so dass er irritiert ist und beginnt, an seiner eigenen Urteilsfähigkeit zu zweifeln, wonach er leicht irritier- und lenkbar wird.
Menschen, die das Helfen zu ihrem Beruf gemacht haben, müssen Bescheid wissen in der Psyche des human sapiens. Und das tat sie, um ihre Interessen zielgerade durchsetzen zu können.
Was hat sich geändert seit der Steinszeit?
Die einen obsiegen mittels ihrer Schlauheit, ihres besseren Gehirns, ihres gewiefteren Gespürs und domestizieren andere Tiere und Menschen zu ihrem Nutzen. Die Erde ist ein riesiger Stall von Sklaven anderer Spezies, aber auch der anderer Menschen.
Zuhause angekommen, sagte sie mir frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
Zuhause angekommen, sagt sie mir dann frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, 250 Kilometer bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
„Nimmst mich wohl nicht für ernst?“
Sie lacht hellauf.
Schon seit Jahren tue sie dies nicht.
„Ist auch nichts Neues für mich!“, sage ich und zucke die Achseln.
Dennoch schlucke ich heute etwas.
Ich dachte nach. „Verrückt“ hieß nicht „unzurechnungsfähig“, sonst hätte sie mich bestimmt nicht als Begleiter und Händler bzw. Lenker des Navigators erwählt. „Verrückt“ konnte in diesem Zusammenhang doch nur gemeint sein, wenn jemand Zeit und Energie opfert, jemanden anderen „entschädigungslos“ einen Tag zu opfern und ihm zu helfen wie hier bei der Fahrt von Nürnberg nach München, dann stimmt etwas nicht mit ihm.
Wer will schon in diesem Sinne als verrückt gelten?
Ich bin jetzt froh, dass ich abgewartet habe, ob sie mich nach dem Geld gefragt hat.
Ich habe den Rubikon überschritten. Einen Freund zu hintergehen, habe ich bislang noch nicht gemacht.
Ich hatte danach, der ich ansonsten in solchen Fällen massive Schuldgefühle habe, keine.
[Aber mittlerweile wird mir welche gemacht. Eine neue Freundin hat dies gelesen, zeigt dafür kein Verständnis. Fakt ist, Du hast Geld unterschlagen, sagt sie.
Wie kriege ich dies wieder hin?
Ich muss so, genau weiß ich es nicht, wieder cirka zehn Euro zurückgeben, wobei ich nicht das Gesicht verlieren darf.
Ich habe noch keine Idee, wie ich das mache.]
Wie es anfing
Mit meiner damaligen Freundin hatte ich mir eine Karte geteilt, es war eine Bahnkarte, bei der gleichzeitig zwei Personen fahren konnten. Wir fuhren öfter am WE aufs Land, nahmen unsere Fahrräder mit, die auch von dieser Karte gedeckt war. Anstelle von zwei Fahrrädern hätte man auch noch vier Jugendliche mitnehmen können. Sie überließ mir diese Karte bei der Trennung, die noch vierzehntätige Gültigkeit besaß. Mir kam die Idee, vielleicht kannst du ja statt mit deiner Freundin auch mit einem Fremden fahren. Nur wenn, wann, und wie an einen kommen? Ich stand gerade vor einem Ticketschalter. Ein Fremder wählte die Route, die auch beschreiben wollte und also fragte ich ihn, ob er nicht mit mir fahren wolle. Die Möglichkeit bestünde aufgrund dieses meines Tickets. Ich dachte, dass er ruhig umsonst mitfahren, vielleicht symbolisch mir einen Euro geben könne. Das empfand er jedoch als Affront. „Ich bin noch niemals meinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach gekommen.“ Sagte er etwas beleidigt und stolz zugleich und gab mir einen Betrag, den ich wiederum insoweit zurückzahlte, dass ich ihm die Hälfte dessen, was er hätte bezahlen müssen, berechnete. So konnten er und ich billiger dorthin fahren, wohin wir fuhren. Das war eine runde Sache für beide Beteiligten.
Die Menschen hierzulande sind stolz geworden, oder reich, jedenfalls niemand will sich etwas schenken lassen. Eine positive Entwicklung.
Auf dem Rückweg stand ich vor der gleichen Ausgangsposition. Zeit hatte ich ja, warum sollte ich nicht wieder jemanden fragen? Ich stand vor den Terminals der Bundesbahn und blickte dem ein oder anderen Kunden über seine Schultern, um zu sehen, welche Reiseziel er eingeben würde. Deckte es sich mit meinem, würde ich diejenige Person ansprechen: „Entschuldigen, wollen wir nicht zusammen nach Nürnberg fahren. Ich habe da eine Karte, die ist für zwei Personen gültig und da können wir... Wenn Sie wollen?“ Flopp. Wieder klappte es. Erstaunlich. Aber klar, auch wenn die Leute hierzulande reich geworden waren insoweit, dass sie sich nicht gerne mehr etwas schenken lassen wollten, so waren sie wiederum nicht derartig reich, dass sie die horrenten und überdimensionierten Ticketpreise der Bahn so ohne weiteres schluckten. Bot sich eine Möglichkeit, diese zu umgehen, hier in meinem Falle zu halbieren, warum nicht? Teuer genug sind die Pendlerpreise, auf Dauer gesehen sowieso, das sagte einem jede Milchmädchenrechnung.
Und so bekam ich wieder leicht einen Mitfahrer.
Ich kam ins Grübeln.
Warum dies nicht öfter tun?
Bahnerer, Rotkäppchen und Gelb-Westen
Bahnerer
Und plötzlich stehe ich einem Bahnerer gegenüber, den ich doch, verflixt noch einmal, kenne. Misstrauische, kalt-blitzende Augen durchbohren mich, die besagen: mit mir ist nicht gut Kirschen essen. Dummerweise kenne ich ihn aber anders und gleichzeitig wird mir klar, daß der mich nicht erkennt, und noch schlimmer, je erkennen wird, bzw. erkennen will. Das ist ein Hundertprozentiger. Auch wenn uns etwas verbindet. Erlebnisse in der Vergangenheit.
Wir fangen bei Adam und Eva an.
Er besucht wie ich die Realschule. Nur, daß er in den Zweig Wirtschaft ging. Dort waren die Schwierigen, die Ungebärdigten, die Randalierenden, im Gegensatz zu den Mathematikern, zu denen ich mich nur gesellte, weil es Bekannte waren, die ich als Freunde wahrnahm und verstand, mißverstand und dies waren die scheinbar seriösen, braven und strebsamen.
Wer nicht wusste, was er wollte, oder auch nicht so intelligent war, so hieß es, oder sagen wir lieber keinen Faible für Mathe, Physik und Chemie besaß, ging in den Wirtschaftszweig.
Wiedergesehen habe ich diesen Bekannten von der Bahn vor Jahren, das waren Jahrzehnte nach der Schulzeit, bei einem Informations- und Auskunftsschalter.
Einer, der mit mir in die Realschule gegangen ist und später dann zur Bahn.
Diejenigen, die auf Nummer Sicher im Leben, in ihrer Berufskarriere gehen wollten, wurden schon frühzeitig, nämlich während der Schulzeit angeworben, von der Bundeswehr, vom Vermessungsamt, von Bahn- und Post.
Da saß nun der Bekannte, der mich nicht erkannte.
Er hatte gerade einen Kunden bedient, der sein Ticket sorgfältig faltete und akkurat in seinen Koffer verstaute, während er selbst genüsslich in der Nase bohrte. Dazu nahm er immerhin ab und an ein Taschentuch zu Hilfe. Aber sonst bohrte er mit dem blanken Finger in seinen großen Nüstern herum.
Ich war von zwei Seiten, Profilen und Aspekten eines Menschen in Bann geschlagen: einerseits von dem Anblick ALTER BEKANNTER, der mich aber nicht zu erkennen schien und andererseits überwältigt von der SCHAMLOSIGKEIT DES ANDEREN, der da hemmungslos geschnieft und in der Nase gepopelt und gebohrt hatte, als befände er sich allein zwischen seinen vier Wänden. Aber er befand sich in einem öffentlichen Raum als ein quasi-staatlicher Angestellter eines semistaatlichen Dienstleistungsunternehmens, in dem noch viele andere Personen und Menschen herumstanden, die auf ihn warteten, bis der vorhergehende Kunde seine Papiere weggesteckt hatte und dann Platz frei machen würde.
Wie wir uns aber jetzt und heute so gegenüberstanden, tauchten weitere Erinnerungsbilder auf, auch wenn der Protagonist so tat, als sei er nicht Gegenstand dieser Bilder.
Als Jugendlicher hat man natürlich seine Feindbilder. Ein weitverbreitetes unter Jugendlichen damals war die Kirche. Mein Bekannter wohnte in einer kleinen mittelalterlichen Stadt, die eine altertümliche Burg hatte, stockkonservativ und katholisch war, woraufhin er stolz war, zu erzählen, daß, wenn die Fronleichnamsprozession durch den Ort zog, er überlaut seine Stereoanlage auftrete, die er an die Fenster gestellt hatte, um die Feierlichkeit so weit wie möglich zu stören.
Er war ein richtig bauernschlauer Kerl, großgewachsen, mit allen Wassern gewaschen.
Die ferung einer Bekannten zählte auch zu seinen Großtaten.
Das verkündete er sofort stolz und großmäulig nach Vollzug in den einschlägigen Kreisen. Wir standen gerade am Schuleingangstor und er kam mit den anderen Externen von der Bushaltestelle und keifte noch in der Menge los, er habe gestern die Schlotti entjungfert.
„Mann, oh Mann!“, stöhnte er. „Das war vielleicht ein Kampf!“ Er schnaubte dazu entsprechend, um zu verdeutlichen, daß es sich wahrhaft um eine Heldentat gehandelt haben musste.
Das Prestige meines Bekannten stieg mit der Erlegung dieses Wildes insofern sehr hoch, als es sich bei dieser Familie um eine sehr reiche handelte, die als einzige - nicht einmal die kleineren Gemeinden konnten sich so etwas leisten – ein eigenes Schwimmingpool in ihrer Villa leisten und aufrechterhalten konnten.
Mein Bekannter erhob die Entjungferung quasi zu seinem Spezialgebiet, denn späterhin tat er sich erneut darin hervor, indem er ein junges Mädchen aus weiter Ferne, in die wir in Urlaub gereist waren, nämlich in den Allgäu, zum Glück des Frauwerdens verholfen hatte.
Wir waren dort bei einem Freund zu Besuch, er war vorher zu diesem gefahren und als ich dort einen Tag später ankam, hatte er bereits den Tag zuvor die Nachbarstochter verführt.
Fast könnte man sagen, er war dazu imstande, Dinge zu tun, auf die Gleichaltrige neidisch waren. Eine Steinreiche zu entjungfern, galt schon etwas, zumindest in den Kreisen, in die ich da geraten war, schulmäßig, ich hatte aber andere Werte – und stand immer passerstaunt da, wenn Dinge in den Himmel gehoben wurden, für die mir bislang jeglicher Sinn gefehlt hatte. Mit anderen Worten, ich beneidete ihn weniger ob seines Triumphes, sondern war mehr über seine Unverschämtheit, Kaltschneuzigkeit und Unverfrorenheit überrascht.
Und jetzt stand dieser Mensch vor mir, um mich von dem aufzuhalten, was ich beabsichtigte zu tun, was ich tun musste, um über die Runden zu kommen und er, er hatte bestimmt sein sattes Gehalt, war mir gesellschaftlich und finanziell überlegen, obgleich wir die gleiche Ausgangslage, die gleiche Schule besucht hatten.
Wie muss er sich da vorkommen?
Er hatte keine andere Wahl, er mußte meine Bekanntschaft einfach ignorieren. Er konnte nicht sagen, horch Werner, bei aller Freund-, Kameradschaft und Uns-Kennens, aber hier hört der Spaß auf.
„Und warum?“, würde ich fragen.
„Weil es verboten ist!“
„Ist es aber nicht. Eine Grauzone...“
Nein, er würde sich auf keine Diskussion einlassen, er würde mit mir Tacheles reden. Demnach sagte er unmissvertändlich: „Im Namen der Deutschen Bahn, deren Vertreter ich hier bin, ermahne ich Sie hiermit und fordere ich Sie auf, sofort den Bahnhofsbereich zu verlassen und dies gilt zunächst für den heutigen Tag.“
„Und morgen!“
„Wir werden sehen!“
Aha, er hatte doch noch einen Funken Scham in sich. Er las mir nicht die Leviten, daß ich von nun ab bis in alle Zeiten hier nicht mehr solche Verhaltensweisen zeigen durfte, sonst müßte er im Namen einer höheren Macht und Autorität natürlich zu anderen Mitteln greifen.
Ich verschwand zunächst widerspruchslos. Es hatte eh keinen Sinn. Er kannte mich ja nicht.
Aber er würde wieder kommen.
Dumm, daß ich nicht darauf geachtet habe, wie er heißt. Die Bahn, sich modern, aufgeklärt und westlich-freiheitlich-liberal zeigend, lässt einige ihrer Kettenhunde, muss ich leider sagen und sie werden es bald nachvollziehen können, mit einem Namensschild am Brustrevers prominieren.
Aber da war noch mehr, was uns verband.
Wie ich mich erinnerte, als seine Mutter, die das alleinige Sorgerecht hatte, mit ihrem neuen Ehemann wieder zurück dorthin zogen, woher sie gekommen waren, hatte er noch ein jahr hier bei seinen Schulkameraden verbringen dürfen. nur aber war er in diesem Jahr völlig abgestürzt. Er war sitzengeblieben. Es hatte ihn nicht gutgetan, daß er alleine ohne Mutter, bei einem weitläufigen Verwandten in hinteren Waschbereich, die hergereichtet und in die er eingezogen war, gelebt hatte. Denn er war dort nur völlig abgestürzt. So hatte er wieder nach Hause ziehen müssen, um die letzte Klasse vor der Mittleren Reife zu wiederholen. Hatte er ja gemusst, sonst hätte er wahrscheinlich seine Vereinbarung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, nicht einhalten können. Und das war seiner Mutter wichtig gewesen.
Die Mutter hatte als Ehemann einen Taxiunternehmer, der im selben Haus wie ein anderer wohnte. Diesem zapfte er das Telefon ab und fischte diesem dann Fahrgäste weg. Nicht allzu oft zwar, damit der Konkurrent nicht mißtrauisch wurde, aber oft genug.
Das schilderte mein Bekannter frank und frei und ungebunden. Damit wurde die Verruchtheit der älteren Generation, der Tücke, Niedertracht und Gefährlichkeit sinnfällig dargestellt.
Wir waren damals in einer größeren Clique verbunden und da er nicht weit von mir wohnte, kam er öfter zu mir zu Besuch. Ich hatte mir mit meinem wenigen Taschengeld einen schicken Blech-Deckenlampfen-Schirm geleistet, der insofern schick wirkte, daß er mit schwarz-weißen Mustern, Schattierungen und Streifen übermalt war. Eigentlich ein billiges Ding, wie gesagt aus Blech, aber mit einem interessanten Muster, wenn auch nur in schwarz-weiß überstrichen. Jedesmal wenn dieser Freund kam, schlug er mit der Faust dagegen, so daß das Ding hin- und herschaukelte und mit der Zeit Dellen bekam. Er machte dies nur einmal, wenn er überraschend ins Zimmer trat, meine Mutter hatte ihn meist ohne meine Wahrnehmung, der lauter Rockmusik laschte, ins Haus gelassen und sowie er eintrat, schlug er erst einemal gegen das Ding, das es schaukelte: „Hallo! Ich bin!“
Ich zeigte mich ungerührt. Mir war klar, er wollte mich provozieren, ich ließ mich aber nicht. Ich demonstrierte damit lediglich meine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen, materiellen Dingen und das galt als fortschrittlich. Er hatte es aber darauf abgesehen, mich als spießig zu entlarven, wenn ich Widerspruch anmelden würde, sobald er meinen schicken Blecheimer an der Decke demoliert hatte. Aber ich mar es wirklich egal. Zumal ich die Absicht dahinter nur zu offensichtlich herauslesen konnte.
Rotkäppchen
Plötzlich steht er wieder da. Der mir wohl bekannte „Jugendfreund“, nunmehr Bediensteter der Bundesbahn. Einige würden sagen, daß er hier auch als ein Vertreter dieses Staates ist. Staat meint hier nicht die Gesellschaft, sondern diejenige von Menschen gebildete Organisation, die die Gesellschaft „verwaltet“.
„Wir sind nicht so doof, wie Sie meinen. Das ist Steuerhinterziehung!“ Steuererhebung – das Privileg dieser „Orginisation“! Wir wollen uns an einen guten Geschichtsunterricht erinnern, wo die Bevölkerung oft genug unter einer schweren Steuerlast geächzt hat. In solchen Fällen kann man mit Fug und Recht von dem „Staat“ als „kriminelle Organisation“ sprechen. Aber das entscheidet leider erst die „Geschichte“, äh, die Geschichtslehrer, sprich die Vertreter eines anderen, nächsten Staates.
Es hatte gestern wieder einen getroffen, einen jungen Äthiopier, der von Rotkäppchen quer durch die ganze Bahnhofs-Halle gejagt wurde, so daß es in dieser laut wiedergehallt hat, als ob Hitler seine Rede hielt, wobei aber dieser „Rührer“, wie er sich ausweist, klein, geschmeidig und drahtig wie Putin ist. Er kreischte: "Ich muss Steuern bezahlen und Sie zocken hier ab!“ Ergo, er verdient so viel, daß er Abgaben an den Staat entrichten muss. All diese Staats-Vertreter echauffieren sich, übrigens auch meine dicke Freundin Angela Merkl, die Gewerkschafterin, daß sie mit ihren Rentenansprüchen auch noch Steuern zahlen müssen. Unsereins wird wahrscheinlich Dauerabbonent beim Sozialamt sein.
„Der Geiz ist die Ursache allen Übels!“.
Ich nenne übrigens seinen Namen „Rührer“ gerne, der wahrscheinlich kaum der Wahrheit entspricht, da er selbst davon gesprochen hat, daß alles hier auf Video für zehn Jahre gespeichert sein wird, wogegen man in den Bahnzügen lesen kann, daß Aufnahmen nur für 14 Tage aufgezeichnet werden. Aber „Aufzeihnung„ und „Abrufbarkeit„ sind wohl zwei paar Schuhe, wie ich vermute, daß die Winkeladvokaten argumentieren werden.
Mit dem „Sie“ aber auch hat er die Linie markiert, die uns trennt. Dabei wird man nicht außer Acht lassen müssen, daß er sich selbst auf höheren Terrain stehend sieht. Er blickt also von oben herab auf mich, wie weit oben, wird sich zeigen.
Zudem will er ausdrücken: Wir kennen uns nicht, wir sind uns nun zum ersten Mal begegnet.
Das muss er sagen, wenn er andere Seiten aufziehen will, wenn er seine Funktion als Staatsvertreter erfüllen will, die sich nicht auf gleicher Ebene bzw. Stufe befinden soll und darf. Sonst wird ihm seine Aufgabe nur erschwert sein. Jemand dem kennt, behandelt man immer nachsichtiger als einen Fremden.
Was er nicht sagt, aber mir sagen will, lautet: „Sie werden mich schon noch kennenlernen.“
So ist es: Nunmehr wird er mir einen Einblick auf andere Seiten gewähren, oder besser gesagt andere Seiten aufziehen.
„Ich tue nichts Verbotenes!“, wehre ich ab. Ich versuche mein Verhalten zu rechtfertigen, in dem ich mich auf die Präambeln, Axiome, Prämissen, Artikel, Gesetze, Vorschriften, Ausführen etc. pp berufe – auf den gleichen Boden, auf dem eigentlich er und ich stehen sollten.
Ob er das weiß? Natürlich.
Ob ihn dies beeindruckt?
Kein Kommentar.
Aber ob er darüber zum Nachdenken kommt? - Natürlich nicht!
Die Folge ist, daß ein heftiger Wortwechsel stattfindet, der sich gewaschen hat, fürwahr.
Daneben stehen etliche Jugendliche, schwarz-häutig, Zufall?, die ich mit meiner Karte mitnehmen wollte.
Egal, hemmungslos brüllt, echauffiert und gestikuliert der mit einer roten Kappe bewehrte Bedienstete. Er verschwindet wieder, läuft zum Hauptschalter in der Mitte der Halle hin, kommt aber bald wieder zurück. „Ich rufe die Bundespolizei.“ „Rufen Sie, genau. Machen Sie das!“ Macht er aber nicht.
Die Situation ist unangenehm, bedrängend, beängstigend. Er ist so wenig im Recht wie ich. Er hat letztlich keine rechtliche Handhabe, die Karte ist nun einmal übertragbar für zwei Erwachsene sowie vier Jugendliche, plus einem Hund. Es gibt keine Einschränkungen, wie oft und mit wem man fährt. Also tue ich nichts Unrechtes. Wäre die Bahnpreise nicht so hoch, würde auch keiner mitfahren, aber so ist es eine sogenannte Win-Win-, Quid-Pro-Quo und Geben-und-Nehmen-Situation, vorteilhaft für den Angesprochenen, der über die hohen Tarife stöhnt und den Kopf schüttelt. Die meisten freuen sich, wenn sie dabei ein paar Euro sparen können.
Dann ist er wochen-, monatelang nicht zu sehen. Ich begebe mich auch vornehmlich in andere Städte, Bereiche, weil ich einer eskalierenden Konfrontation aus dem Wege gehen will. Ich fühle mich zwar nach reifer Überlegung nach wie vor im Recht und erkenne keine Unrechtmäßigkeit in meinem Tun, aber nichtsdestotrotz habe ich keine Lust, mich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Auch zur Bundespolizei zu gehen, um ihn anzuzeigen, mein Recht klar darzustellen, vermeide ich, weil ich eigentlich meine Ruhe haben will. Ich lese wahnsinnig gerne, brauche dafür viel Zeit, die ich beim Fahren mit einer Begleitperson habe und muss meine Zeit nicht mit dem Herumschlagen bei Behörden vergeuden.
Okay, mein Weg führt nun einmal über den Nürnberger Bahnhof, dort muss ich mir eine Mitfahrperson acquirieren, um nach Erlangen, nach Bamberg, nach Bayreuth oder sonstwohin zu fahren. Dorr, in einer dieser größeren Städe, fahre ich sternförmig mal dort-, mal hierhin, aber immer wieder in diese zurückzukehren. Am Abend fahre ich wieder via Nürnberg, unvermeidlich, nach Hause zurück in meine Kleinstadt.
Also, es lässt sich nicht vermeiden, ihm zu begegnen, das passiert nicht allzu oft, weniger oft und häufig als man denkt, wie gesagt, monatelang nicht, aber hin und wieder denn doch. Sinnvollerweise halte ich mich dann im Hintergrund, gehe zu jenen, weniger häufiger frequentierten Terminals.
Meine Ruhe ist mir aber am wichtigsten.
Gelbwesten, die Sicherheitsmännchen
Einmal kam es zu einer Situation, dass Sicherheitsleute auftauchten, weil sich irgend eine Person anonym darüber beschwert hatte, dass sie beim Ticket-Lösen oder Tarif-Erkunden am Terminal dauernd von den verschiedensten Leuten angesprochen wird oder von einem, den er als hartnäckig empfunden hat und er sich dabei gestört fühlte, in Ruhe, das richtige Ticket auszulösen.
„Verschwinden Sie von hier!“ Es handelt sich um eine Frau und einen Mann. „Wir haben hier das Recht, bayerisches Gesetz durchzusetzen. Und wenn wir ihnen sagen, Sie sollen sich von diesem Ort hier, in dem wir Hausrecht haben, wegbegeben, dann müssen Sie dem folgeleisten.“
Die Sicherheitsleute erkennt man daran, dass sie nicht wie das Rotkäppchen eine rote Kappe, einen einheitlichen, steifgebügelten Anzug mit einem Namensschildchen wie Rotkäppchen und seine anderen Klone tragen, sondern eine an einen Bauarbeiter erinnernde Gelbe Weste, auf der am Rücken in roten Lettern „Sicherheitspersonal der deutschen Bundesbahn“ geschrieben steht.
„Ich befinde mich hier auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, noch immer. Bundesrecht bricht Landesrecht!“ Und ich gehe zum nächsten Monitor ein paar Meter weiter. Doch die beiden folgen mir. „Nun gut, Sie scheinen sich in den Gesetzen auszukennen. Aber wir haben hier das Hausrecht. Das geht vor!“ „Ich habe eine gültige Fahrkarte. Ich bin hier Kunde. Also darf ich mich wohl auch hier aufhalten.“ Der Mann verliert die Nerven, sagt etwas, was nicht stimmig klingt. Ich krause die Stirn. Die Frau erfasst den Faux pas ihres Kollegen und schaltet sich mit den Worten ein. „Sie haben also gehört, was mein Kollege gesagt hat. Begeben Sie sich auf das Gleis, von dem ab ihr Zug fährt.“ „Ich muss also eine halbe Stunde in der Kälte draußen stehen, obwohl ich eine Karte besitze, die mich berechtigt, den Bereich der Bundesbahn zu betreten, wo immer ich will...“ „Wenn Sie nicht der Anweisung Folge leisten, verbanne wir Sie für diesen Tag aus diesem Bereich. Sie dürfen bis 24 Uhr sich dann nicht mehr hier aufhalten.“ Der Mann hat sich wieder gefasst. „Das möchte ich schriftlich haben...“ „Wenn Sie dies schriftlich haben wollen, dann bekommen Sie Hausverbot für ein ganzes Jahr.“ Welch eine Logik! [Die beiden scheinen mir Zwillinge zu sein, jene, die mir in der Schule als Lehrer den Tafeldienst verweigert hatten, nachdem sie mich der Partei der Grünen zugeordnet hatten, in welcher ich jedoch nicht war. Es hätte mich gereizt, deren Niederschrift zu lesen, zu korrigieren und mich zu echauffieren, weil gelernt haben sie wohl bei mir nichts.] Na, ich mache mich auf dem Weg zum kalten – und es ist Winter – Bahnsteig. Aber nach ein paar Meter wende ich mich um, gehe zu ihnen hin und frage ob ich einen Stockwerk tiefer mich zum Discounter zum Einkaufen gehen darf. Jovial sagt er Mann, die Frau akkurat neben ihn stehend und zurückgezogen an einer Wand sich postiert: „Das dürfen Sie! Das gehört nicht mehr zum Bereich der deutschen Bundesbahn.“ Ich kann nur eine Viertelstunde einkaufen, dann stehe ich frierend am Bahnsteig, um auf meinen Zug zu warten.
(Die zwei Gelbwesten sind Zwillinge, die gleichen, die mir als Lehrer den Tafeldienst verweigert haben, nachdem und weil sie mich im Schuldienst 1987 als Grünen eingeschätzt haben. Die hatten sich im Deutschunterricht verweigert und würden nunmehr etwas voller Schreibfehler zu Papier bringen. Denn als ich um ein schriftliches Hausverbot bat, schraken sie zurück und der Bruder erwiderte, Chuzpe hatte er, dass er mir in diesem Falle gleich eines für ein Jahr ausstellen würde. „Haus“ soll hier der Bhf darstellen, zumindest irgendwelche für die sogenannte Deutsche Bahn definierten Bereiche des Bahnhofsbereich
[Aber da war noch mehr, was uns verband.
Wie ich mich erinnerte, als seine Mutter, die das alleinige Sorgerecht hatte, mit ihrem neuen Ehemann wieder zurück dorthin zogen, woher sie gekommen waren, hatte er noch ein jahr hier bei seinen Schulkameraden verbringen dürfen. nur aber war er in diesem Jahr völlig abgestürzt. Er war sitzengeblieben. Es hatte ihn nicht gutgetan, daß er alleine ohne Mutter, bei einem weitläufigen Verwandten in hinteren Waschbereich, die hergereichtet und in die er eingezogen war, gelebt hatte. Denn er war dort nur völlig abgestürzt. So hatte er wieder nach Hause ziehen müssen, um die letzte Klasse vor der Mittleren Reife zu wiederholen. Hatte er ja gemusst, sonst hätte er wahrscheinlich seine Vereinbarung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, nicht einhalten können. Und das war seiner Mutter wichtig gewesen.
Die Mutter hatte als Ehemann einen Taxiunternehmer, der im selben Haus wie ein anderer wohnte. Diesem zapfte er das Telefon ab und fischte diesem dann Fahrgäste weg. Nicht allzu oft zwar, damit der Konkurrent nicht mißtrauisch wurde, aber oft genug.
Das schilderte mein Bekannter frank und frei und ungebunden. Damit wurde die Verruchtheit der älteren Generation, der Tücke, Niedertracht und Gefährlichkeit sinnfällig dargestellt.
Wir waren damals in einer größeren Clique verbunden und da er nicht weit von mir wohnte, kam er öfter zu mir zu Besuch. Ich hatte mir mit meinem wenigen Taschengeld einen schicken Blech-Deckenlampfen-Schirm geleistet, der insofern schick wirkte, daß er mit schwarz-weißen Mustern, Schattierungen und Streifen übermalt war. Eigentlich ein billiges Ding, wie gesagt aus Blech, aber mit einem interessanten Muster, wenn auch nur in schwarz-weiß überstrichen. Jedesmal wenn dieser Freund kam, schlug er mit der Faust dagegen, so daß das Ding hin- und herschaukelte und mit der Zeit Dellen bekam. Er machte dies nur einmal, wenn er überraschend ins Zimmer trat, meine Mutter hatte ihn meist ohne meine Wahrnehmung, der lauter Rockmusik laschte, ins Haus gelassen und sowie er eintrat, schlug er erst einemal gegen das Ding, das es schaukelte: „Hallo! Ich bin!“
Ich zeigte mich ungerührt. Mir war klar, er wollte mich provozieren, ich ließ mich aber nicht. Ich demonstrierte damit lediglich meine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen, materiellen Dingen und das galt als fortschrittlich. Er hatte es aber darauf abgesehen, mich als spießig zu entlarven, wenn ich Widerspruch anmelden würde, sobald er meinen schicken Blecheimer an der Decke demoliert hatte. Aber ich mar es wirklich egal. Zumal ich die Absicht dahinter nur zu offensichtlich herauslesen konnte.
Ein weiterer Sohn von einem Bahnerer, der mit seinen Eltern sogar in einem Bahnhäuschen großgeworden war, tat sich nicht nur dadurch hervor, daß er ein riesengroßer Kerl war, blond und athletisch, der mit Maultrommelmusik mit im Unterricht den Lehrerkasper zur Weisglut brachte, sondern daß er eine hübsche, langjährige Freundin bereits besaß, mit der er jeden Nachmittag außer Schulaufgaben regelmäßigen Sex praktizierte – wie selbstverständlich – für einen kleinstädtischen Bauernstochter-Sohn ungeheuerlich und unvorstellbar und eine andere Welt darstellend.
Bei der Jugendlichen, die dieses Glück wiederfahren war, von ihm auf dem Altar gelegt worden zu sein, handelte es sich zudem um die im Landkreis bekannten von Schlotterhausens, adliger Name zumindest und der Name spiegelte sich in deren dicken, schlotternden Hängebacken wieder, das diese zwei Mädels des Hauses zierten. Der Vater dieser, gleichfalls starke Hamsterbacken, hatte den Namen inne, stammte nicht von hier, sondern aus Hamburg, war also aus beruflichen Gründen umgezogen, Ingenieur und hatte standesgemäß eine Frau geehelicht, die sich im Gesundheitsamt bei der Aufnahme groß heraustat, in dem kleinen kleinstädtischen Amt die einzige festangestellte Angestellte war. Die Formulierung ist missverständlich, es kann durchaus sein, daß die Frau eines Ingenieurs schließlich aufgrund ihres sozialen Status diese Position bekommen hat, ein öfter als man denkt vorkommender Modus der Stellenbesetzung.]
Wilde Kämpfe vorm Terminal
Rotkäppchens Name ist „Rührer“, wie auf seinem Revers-Schildchen steht, das er stolz auf seiner Brust trägt, hinter einem trenchcoatartigen Überzieher verdeckt, der hinter ihm her flattert wie Graf Dracula seiner, huscht und läuft er durch die zugigen Bahngleis-Unterführungen. In der Hand hält er meist ein knatterndes, schepperndes, großes Walkie-Talkie, also kein handy-förmiges oder smart-phone-artiges Telefon, welches wahrscheinlich extra auf eigener Frequenz der Bahnhofshalle läuft, womit keine Kosten verursacht werden und ein besserer Empfang herrscht.
Der Name Rührer ist Programm.
Sobald er hinter Säulen, aus Tunneln oder Ausgängen plötzlich auftaucht, erschrecken eine Menge Leute und ein Pulk stiebt auseinander wie Tauben, wenn man ihnen zu Nahe kommt und die Einzelnen suchen Schutz und Versteck hinter allem, ziehen sich die Kapuzen über den Kopf, den Krakenrevers höher, die Schildmütze herunter.
Rührer macht seinem Namen Ehre. Die Mitfahranbieter schauen sich panisch um sich, sobald sie auf jemanden Anzusprechenden zugehen von ihren Standorten aus von etlichen Meter Abstand zu den Terminals. Sie spähen links und rechts und hinter sich, ob nicht der böse Wolf hinter ihnen lauert, bereit ein furchtbares Gröhlen, Bellen, Hellen und furchteinflößendes Grinsen und Grollen anzunehmen, wo es jedermann urplötzlich den Appetit verschlägt, die Lust vergeht, in Stehstarre übermannt oder in Fluchtpose verfällt.
Einmal: „Would You like to go to Bamberg…” Der Engländer ist unschlüssig, ob er das Angebot einer Mitfahrgelegenheit annehmen oder lieber alleine fahren soll. Hinter uns erscheint plötzlich wütenden Gesichtes und funkelnden Auges die Wolfs-Visage, eine verzerrte Wolfs-Grimasse, genau auf der Höhe zwischen unsere sich in Unterhaltung zugewandten Köpfen, taucht wieder ab, als er nach einem - äh, was, wie – bemerkt hat, dass sich die beiden Herren in Englisch verständigen, ein Idiom, den er wohl nicht versteht und wenn er einen davon, mich, auf Deutsch anpöbelt, der andere, Fremde, sehr ungastfreundschaftlich befremdet sein wird. Da er weiß, dass dieses Geschäftsgebaren nicht einem modernen Leistungsunternehmen geziemt, hat sich der Störenfried rechtzeitig wieder zurückgezogen, nur eine Meter hinter uns platziert mit seinem überdimensionalen krächzenden Walkie-Talkie, aus der gebrochene Stimmen dringen, einschüchternd und warnend, dass er, der Ordnungsmann, bereit stehe. Der Tourist, der Geschäftsmann oder Universitäts- oder Internationalen-Gesellschaft-Beschäftigte entschließt sich schließlich, eine Einzelkarte zu lösen. Damit hat er die Chance verpasst, billiger an seinen Bestimmungsort zu gelangen; der Bahnbedienstete hat ein paar Euro mehr für die Aktionäre dieser Gesellschaft gerettet, deren Vertreter er darstellt; und ich bin nicht näher meinem Ansinnen gekommen, mir ein paar dringend benötigte Sommerschuhe zu kaufen.
Einmal: Grimmiger Wolfsblick durchbohrt mich. Ich gehe auf ihn zu: „Wie heißen sie überhaupt?“, und lese das erste Mal den Namen an seinem Schildchen. „Aha, Rührer, heißen Sie! Den Namen muss ich mir merken.“ „Das wird Ihnen nichts nützen!“, sagt er ungerührt, nicht einen Schritt zurückgewichen ist er oder sonstwie eine körperliche Bewegung vollzogen. „Das wird man ja sehen!“, sage ich. „Alles ist auf Video aufgezeichnet, was hier geschieht. Und das 10 Jahre lang gespeichert.“ „Wir tun nichts Ungesetzliches!“, und ich gehe mit einer leeren Flasche in der Hand Richtung Flaschenautomat, um den Pfandbonus einzulösen. „Betrug ist nun einmal Betrug!“, brüllt er laut, mir dicht auf den Fersen – und in den hier beginnenden Restaurant-, Imbiss- und Bäckereibereich befindet er sich plötzlich auf nicht hausrechtlichem Boden. Da wir uns schon zwei Schritte über der imaginären roten Linie befinden, wildert er im fremden Terrain und hat ihr kein Anrecht, seine vermeintlichen Rechte lautstark einzuklagen, sodaß ihn prompt eine Verkäuferin mit Namen anspricht: „Aber Herr Rührer!“, was machen Sie denn, klingt es mir in den Ohren. Ich gehe weiter Richtung Automaten. Ich bin ihn los, abgeschüttelt habe ich ihn und mir kommt eine Idee, wie ich den Berserker zur Strecke bringen, den Schreihals das Maul stopfen - gut gesprochen, ihn einigermaßen zum Schweigen bringen könnte.
Der Samurei
Ein japanisches Dorf im 16., 17. Jahrhundert wird von einer Räuberbande belagert. Jene überfällt immer wieder diese, raubt, mordet und vergewaltigt und verschwindet wieder für einige Zeit. Der Dorfrat beschließt, diesem Treiben ein Ende zu setzen und einen erfahrenen Kämpfer, einen Samurei zu engagieren. Dieser ortet die Umgebung, die Möglichkeiten. Das Dorf ist von einem dichten Wald umgeben, aus denen die Räuber hervorstechen und gegen den Dorfwall anrennen.
Der Samurei nimmt den Auftrag an.
Er verspricht den Dorfbewohnern, sie von der Räuberplage zu befreien.
Als die Räuber wieder kommen, wird ein Plan durchgeführt. Die Dorfbewohner sind imstande, die Räuber jedes Mal abzuschütteln, aufzuhalten, wenn auch unter Verlusten. Nur lassen sie jedes Mal einen Reiter durchkommen, der als einziger in das Dorf einfällt und von den unberittenen Dörflern durchs Dorf gejagt und gedrillt wird, bis er ermordet werden kann.
So geschieht es jedesmal. Jedesmal kommt nur ein Reiter durch, der gestreckt wird. Natürlich fallen dabei einige Dörfler diesem Unterfangen zum Opfer, aber die Anzahl der Räuber mindert sich, sie durchschauen nicht den Trick, können ihr Treiben nicht aufgeben, rennen immer wieder gegen das Dorf an, verlieren immer wieder einen Reiter und wissen danach nicht Bescheid, was mit ihnen geschehen ist.
Schließlich kommt der letzte, der Räuberhäuptling durch, auch er wird von der stark dezimierten Dorfschar endlich gestreckt. Das Dorf ist recht verwüstet, der Boden darin von den wild herumreitenden Räubern auf Pferden ganz durchweicht, es ist ein hartes Werk gewesen, solch gut bewaffneten quirligen Reiter zur Strecke zu bringen – doch mit Hilfe des Samureis ist es gelungen. Am Ende sind alle am Ende ihrer Kräfte, aber der Auftrag ist erfüllt.
Der Samurei kann weiterziehen, der Samurei, der ein professioneller Krieger ist, der nicht mehr gebraucht wurde nach dem Fürstenbefriedungen, dem Bürgerkrieg, wonach eine Zeit angefangen hat, wo man solche Krieger nicht mehr brauchen konnte. Er hat bei solchen Aufgaben wie mit dem Dorf seine Bestätigung und sein Auskommen gefunden – immer noch treu und ritterhaft hilft er von Räubern überfallenden und gedemütigten Dörflern vor solchen Verbrechern zu schützen, damit die Landbevölkerung nicht ausgebeutet, erniedrigt und ein zu schweres Leben und Los führen und erdulden muß.
Genau so werde ich es machen: ich locke den vermeintlichen Räuber ins fremde Territorium, wo er mit Schimpf und Schande, Anklagen und Vorhaltungen von den Verkäufern und Verkäuferinnen empfangen wird. Damit erhoffe ich, ihn mürbe zu machen. Forthin habe ich stets eine leere Flasche bereit, mit der ich schließlich durch das für ihn fremde Terrain schreiten werde, sobald er hinter mir her ist, um einen Pfandbonus einzulösen. (Was natürlich Blödsinn ist! Was ich aber erst später, nach etlichen Malen, wo ich mich selbst zum Deppen gemacht habe, bewusst wird. Ich nicke dabei einsichtig: sei Dir bewusst, jeder Kampf, sei er noch so siegreich, kostet, fordert seinen Tribut, ist nachhaltig!
Tasche verloren und Rotkäppchen grinst darüber
Letzthin habe ich meine Tasche, meinen Rucksack verloren. Ich habe ihn mitten am Bahnhof auf den Boden an einem Geländer abgestellt, während ich schnell um die Ecke gegangen bin, um an einen Ticket-Schalter nachzusehen, ob eine Mitfahrgelegenheit sich biete. Als ich nach wirklich wenigen Sekunden zurückgekommen bin und nach dem Rucksack gespäht habe, war er verschwunden. Ich habe ein paar herumstehende Äthiopier gefragt, wo er sei, ob sie einen überhaupt gesehen hätten, aber die verstanden entweder kein Deutsch oder haben nichts gesehen, jedenfalls nichts geantwortet und mich nur konsterniert angeblickt. Schnell bin ich zu verschieden Ausgängen des Bahnhofs gegangen, davor herumgeschaut, ob ich den vermeintlichen Dieb sehe mit dem Rucksack in der Hand oder während er gerade darin herumsucht und –kramt, aber ich habe niemanden entdeckt. Als ich mit der Rolltreppe einen Stockwerk hinunter gefahren bin, um zum Fundbüro des Bahnhofs zu schauen, hat es vom Elevator aus, zwanzig Meter, ausgesehen, als hätte dieses am Samstag geschlossen. Ich bin zur zentralen Information gerannt, diese haben behauptet, das Fundbüro habe offen, wahrscheinlich sei der diensthabende Angestellte gerade ausgetreten, sie haben dort angerufen, es hat sich aber niemand gemeldet. „Sie kommen bestimmt wieder in wenigen Minuten zurück.“ Ich bin dann noch einmal hinuntergegangen und habe die Tür offen vorgefunden, meine Tasche auch gekriegt. Welche Panik habe ich doch ausgestanden, da ich, wie sonst unüblich, darin meine Schlüssel deponiert hatte. Ansonsten trage ich diese immer in meiner Hosentasche, nur just an diesem Tag in dem Rücksack, welch ein fataler Irrtum, Fehlverhalten, Umstand das gewesen ist.
Ein paar Minuten später steht plötzlich das Rotkäppchen hinter mir und grinst breit und frech, bildete ich mir ein. Hatte er meine Kopflosigkeit am Terminal der Überwachungskameras beobachtet und sich einen Ast gelacht über mein Schusseligkeit, Deppertsein und Verwirrung?
Verärgert über mich, diesem Kerl dieses entwaffnende Schauspiel geboten zu haben, renne ich an ihm vorbei, um eine zu rauchen. Normalerweise unterbreche ich mein Tun, Geschäftstreiben und Hin- und Her niemals, zumindest nicht, um extra eine Zigarette zu rauchen. Dass ich dies getan hab daraufhin, dass Rotkäppchen mich über mein desolates Verhalten beobachtet haben könnte, empfinde ich als schwere persönliche Niederlage.
Aber bilde ich mir dies bloß ein?
Wenn auch, nur die Einbildung, die Macht der Einbildung, die zersetzende Auswirkung der Vorstellung, dass es hätte sein können, macht mich sehr, sehr wütend, unzufrieden, schwer, geistlos, was weiß ich, aber erinnere Dich daran: jeder Sieg implementiert stets eine Niederlage!
Bayreuth – ein „Verrückter"
„Ich stelle gerade das Fahrrad ab. Dann schreibe ich einen Strafanzeige!“, sagt ein Fahrgast. Die Stimme klingt rau und fest. Als wir uns setzen: „Wie oft fahren Sie die Strecke?“ Ich deutete auf meinen essenden Mund. „Ich komme gleich!“, sagt er, steht auf, geht Richtung Fahrrad, kommt gleich wieder, setzt sich hin, er ist wohl sehr um sein Vehikel besorgt, zieht ein Buch aus der Tasche und ließt das englischsprachige Fachbuch: „Body Basic Bewareness-Therapie.“ Immer wieder dazwischen murmelt er etwas, als spräche er zu sich.
Ich verschanze mich. Lesend. Vor meinem Blickfeld habe ich ein Buch aufgebaut, damit ich nicht mit diesem Spinner reden muss. Ich lese Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis.“
Behinderte
Ein ältere, behinderte Dame, Christa, aus Hersbruck, bewegt sich tänzelnd, beschwingt und offen mit einem riesigen Rollkoffer durch die Bahnhofshalle von einem Terminal zum anderen; sie spricht sehr gut Englisch, wobei sich eine sehr deutliche Aussprache, auch ihrer Muttersprache hat und tritt stets als sehr freundliche, nette, verbindliche Person auf, ohne anbiedernd zu wirken, wie viele andere, die von hier sind und herumstreichen und die Leute ohne Umschweife mit „Du“ anreden. Sie muss eine „gute“ Erziehung, Bildung und Lebenslauf gehabt haben ihrem Erscheinungsbild nach zu schließen, aber wie es das Schicksal so will, ist sie mittlerweile bewegungsradiusmäßig stark eingeschränkt.
Dabei ist es schon ein Wunder, dass sie trotz Schmerzen aus dem Bett kommt, wie sie sagt: „Wenn Du wüsstest, wie ich leide!“ Trotzdem macht sie sich öfter auf den Weg in die große Stadt, um mit ihren Behinderten-Ausweis, der es ihr ermöglicht, kostenlos eine Begeleitung mitzunehmen, durchs Land zu fahren und ein paar müde Knöpfe zu ergattern.
Ich treffe sie sehr aufgeregt an. Sie wirft mit Fäkalienwörtern um sich, da ihr Rotkäppchen mit der Bundespolizei gedroht hat. „Der Depp hat mit der Polizei gedroht!“ Es klingt für einen Außenstehenden sehr fränkisch, lustig und erheiternd, was es wohl für Christa weniger und alles andere ist.
Äthiopier I – wir sind Freunde
Im öffentlichen Nahverkehr werde exorbitante Preise erhoben. Ein mehr oder minder längerfristiges Ticket für eine Person ist kaum erhältlich, für zwei sind es die Regeln. Kinder von 14 bis 18 zählen als Erwachsene, wofür sie auch dafür den Preis entrichten müssen. Müssen die Leute ohnehin meist für zwei Personen Karten erstehen, solche, die mindestens fürs ganze Wochenende gelten, greifen sie zur Selbsthilfe oder versuchen ihr Recht in Anspruch zu nehmen, wenn eine Person solch eine Karte gekauft hat und eine zweite zum Mitfahren zu gewinnen. Angesichts der horrenden Preise ist es nicht verwunderlich, dass sie in den überwiegenden Fällen von Angesprochenen auf Zustimmung stoßen und erfolgreich sind und sie teilen sich eben die Kosten.
Hat also eine Person eine solche Karte erwirkt und versucht jemanden zum Mitfahren und zur Kostenteilung zu finden, sind aber sofort Angestellte dieses Unternehmens zur Stelle, um ihn daran zu hintern. Sie gehen dabei sehr unhöflich zu Werke, meist im lauten Tonfall und beschimpfen diese mit Steuerbetrügern und anderes mehr.
Wie gesagt, einer als das „Rotkäppchen“ bezeichnet wird, tut sich dabei besonders hervor! Dabei ist er nicht der einzige mit diesem Outfit, Uniform und Erscheinungsbild. Dieses sieht sehr korrekt, wenig uniformiert und kundenfreundlich aus, am Revers hängt ja auch der Name des Betreffenden. Aber wehe Du wirst von Ihnen dabei gesehen und beobachtet, dass Du Dein Ticket, dass mindestens für zwei Erwachsene gilt, einem zweiten zur Mitfahrt anbietest! Wie es eigentlich legitim ist!
Es hatte gestern wieder einen getroffen, einen jungen Äthiopier, der von Rotkäppchen quer durch die ganze Bahnhofs-Halle gejagt wurde, so daß es in dieser laut wiedergehallt hat, als ob Hitler seine Rede hielt, wobei aber dieser „Rührer“, wie er sich ausweist, klein, geschmeidig und drahtig wie Putin ist. Er kreischte: "Ich muss Steuern bezahlen und Sie zocken hier ab!“ Ergo, er verdient so viel, daß er Abgaben an den Staat entrichten muss. All diese Staats-Vertreter echauffieren sich, übrigens auch meine dicke Freundin Angela Merkl, die Gewerkschafterin, daß sie mit ihren Rentenansprüchen auch noch Steuern zahlen müssen. Unsereins wird wahrscheinlich Dauerabbonent beim Sozialamt sein.
„Der Geiz ist die Ursache allen Übels!“.
Heute morgen sitzt Daniel, der Äthiopier, vor dem Terminal eines Provinz-Bahnhofes auf der Bank. Hier kreuzt sich öfter mein Weg, da meine Freundin vor Ort wohnt und des Morgens treffe ich also Daniel, den vorgestern Hunderfünzigprozentige vor sich hergejagt hat quer durch die fünzig Meter lange Bahnhofshalle bis zum Ausgang, durch den Daniel schließlich, als Rettungsschirm genutzt, entwischen konnte.
Er, den ich ein paar Stunden später wieder getroffen habe, hat mir geantwortet, als ich ihm nach seinem Befinden gefragt habe, wie geht es Dir: „Gut!“ Es klang wie: was sonst! Er hat noch mehr gelacht als sonst, der sich durch sein stetes helles, Menschen zugewandtes Lächeln auf seinem Gesicht von dunkel dreinblickenden Zeitgenossen wohltuend heraushebt und unterscheidet.
Aber ob er sich wirklich wohl fühlte, wage ich zu bezweifeln. Warum habe ich das Gefühl, als ich mit ihm rede, er will jederzeit wegrennen und schaut sich unsicher um?
Zu dem Mitleid paart sich aber mittlerweile etwas Skepsis, oder Nachdenklichkeit, oder Erforschenmüssen!
Denn ich erinnere mich, dass ich ihm auch gestern schon begegnet bin, einige Tage nach dem Gejagtwerden vom Rotkäppchen, als er mit einer Landsmännin, einer Äthiopierin mit Kinderwagen in Nürnberg unterwegs gewesen war.
Ich habe den Fehler gemacht, dass ich ihr lehrerhaft das Deutsch verbessern wollte, als sie mit Kind in den Lift vom Paterre zum Bahnsteig hinter mir einsteigen wollte: „Wir einsteigen auch.“ Ich korrigierte: „Wir möchten auch einsteigen.“ „Wir dich fragen müssen, ob wir einsteigen dürfen? Du bist wohl großer Herr? Wir müssen Dich zuerst fragen?“ „Ich wollte nur Dein Deutsch verbessern.“ „Du erlauben uns einsteigen zu dürfen?“ „Wer nicht Deutsch kann in diesem Land und lernen will, der ist dumm.“
Nebenan stand der Äthiopier. Ich suchte um Sprachhilfe nach: „Übersetz ihr mal, was ich ausdrücken will.“, merkte aber sofort, dass dieser noch weniger die Verkehrssprache beherrschte, der keinen Sprachkurs besucht hat und in einer kleinen Stadt in der Nähe einer Niederlassung der amerikanischen Armee weit außerhalb der Metropole wohnt, wo sie wohl den Teufel tun, um ihn zu integrieren, bekommen die amerikanischen Soldaten selbst kaum und unzureichend Sprachhilfe.
Er übernachtet meist bei Freunden in der Großstadt. Unter diesen Umständen wird er sich kaum richtig waschen, ankleiden und herrichten können, er riecht ziemlich streng und ungewaschen.
Er sitzt neben mir auf der Bank und verzehrt sein Frühstück, gegrillte Hähnchenflügel wahrscheinlich.
Seine Zähne befinden sich in einem himmelschreienden Zustand, Missstand, Unordnung, gehörten wenigstens einigermaßen justiert, da sie in nicht geordneter Reiche gewachsen sind. Diejenigen des Mittelbereichs stehen fünf Millimeter auseinander, das Zahnfleisch mit schwarzen Schatten erscheint und reicht unten und oben weit in den Mund hinein, wenn er lacht und er lacht oft. Die Beißzähne sind von den anderen Zähnen jeweils durch zwei Schneissen versetzt nach vorne herausgewachsen, als ob er in seiner Kindheit statt Wohlernährendes an Schilf-, Bambus—oder sonst etwas Derartiges aus seinem Land gekaut hätte.
Aber zunächst einmal braucht er einen Sprachkurs. Wie geht das nur, dass er ohne einen solchen, der als Integrationskurs tituliert wird, hierzulande leben und über die Runden kommen kann? Dabei ist er nicht der einzige.
Gleichzeitig kommt mir meine Lage in den Sinn, der ich ohne einen solchen dahinlebe, wiewohl ich gerade für solch eine Maßnahme extra eine Zusatzausbildung gemacht habe, neben meinen anderen ganz normalen zwei Universitätsausbildungen, wovon ich nicht einmal das erste, meistnachgefragteste ausüben darf, nämlich Sozialpädagogik, weil mich das örtliche Gesundheitsamt für „zu sensibel“ für die Betreuung von psychisch Kranken, wofür ich mich interessiert und beworben habe, eingestuft hat. „Wenn ich mit Ihnen beim Amtsgericht erscheine, was glauben Sie, was die denken (was ich mir einbilde, mit so einem aufzutauchen und ihn als Berufsbetreuer vorzuschlagen)?“ (Da habe ich mir schon gedacht: wo leben wir mittlerweile, dass ein Betreuer von seelisch kranken Menschen zu viel Einfühlungsvermögen mitbringt, statt dass er, na was wohl, Härte, Stringenz, Durchsetzungsvermögen, verbales Herumkommandieren, um es einmal euphemistisch auszudrücken, mit sich mitbringt oder wie oder was? Und die Freiheit der psychisch Kranken ist zudem so beschränkt, dass sie nicht einmal ihre eigenen Betreuer auswählen dürfen!)
Nun, wir beide, Daniel und ich, sind, wie man so sagt, aus dem System gefallen!
Wie werden gejagt wie gehetzte Hunde, zu denen wir gemacht werden, weil wir schauen müssen, das nötigste an Mittel zusammenzubekommen, um nicht wie die letzten Penner daherzukommen. Gejagt werden wir von anderen, die uns verfolgen durch den ganzen Bahnhofsbereich und uns beschimpfen, anklagen und herunterputzen vor Hunderten von Menschen, die dieses Schauspiel ungerührt mitverfolgen oder nicht sehen wollen.
Warum schreitet keiner ein, erhebt das Wort, schlägt sich auf die Seite der Getriebenen? Und das in der sich selbst schmückenden, lobenden, auf die Schultern klopfenden „Stadt der Menschenrechte!“?
Aber einige sehen es doch, sehen und spüren, dass hierzulande mittlerweile ein Geist auferstanden ist, den jeder auf dieser Welt sehr wohl kennt, der in einem schneidenden, schärfsten, hysterischen Tonfall frank und frei in dichten Menschenansammlungen andere Menschen zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Just Engländer, die zum Dokumentationszentrum über die Nazizeit Deutschlands wollen, zur Aufmarscharena der Parteitage der NSDAP, zum „Dokumentationszentrum der Nazidiktatur“ oder so ähnlich heißt es beschwichtigend, verlogen und beschönigend und ratlos im Menü des Terminal herumsuchen müssen, weil ihre Sprache, die Weltsprache Englisch, wahrscheinlich von den Angestellten im Zentralinformationszentrum nicht gut genug gesprochen wird und weil der Bestimmungsort aus unerfindlichen Gründen nicht in dem Betriebsmenü der Bahn auftaucht. Während ich ihnen helfe, die richtigen Tickets zu lösen, verfolgen einige konsterniert dieses Treiben des Rotkäppchens, der, mit seiner schneidenden Stimme wie weiland der Erzfeind dieser Nation, einen Schwarzen vor sich her durch die Halle treibt.
Was denken sie sich wohl?
Was denken sie, wenn sie in der Trambahn Nummer Vier sitzen und am „Platz der Opfer des Faschismus“, ehemaliger Hitler-Platz, vorbeifahren und sich dieser Szene mit dem Uniformierten und schluddrigen, stets lächelnden und freundlichen Afrikaner erinnern werden?
Es geschieht oft, dass gerade Britten diesen Ort heimsuchen wollen, wahrscheinlich weil sie nicht wenig von den Bomben der Deutschen über ihre Städten in Erinnerung haben und ich schließe gerne nach getaner Hilfe mit der Bemerkung ab: „And Greetings to Sir Winston Churchill!“, ein Witz, den sie sehr wohl verstehen.
Aber diesesmal ist mir nicht zum Witzeln zumute?
Warum werden heutzutage wieder Menschen zu Jägern anderer Menschen?
Weil sie im Dienst von staatlichen Betrieben, die mittlerweile halbprivatisiert sind, für die Dividenden deren sogenannten Shareholder andere vor sich hertreiben, niederbrüllen und bezichtigen, sie betrögen den Staat, indem sie keine Steuern bezahlten. Das ist sachlich schon ein ungeheuerlicher Vorwurf, denn keiner von uns bekommt durch das Geld beim Herumfahren so viel zusammen, dass er nicht unter den über 9000 Euro legitimierten Steuerfreibetrag käme, keiner, und würde er sich noch so ins Zeug werfen, am Riemen halten und schier permanent auf Trebe sein, käme auf diesen Betrag, niemand.
Daniel hat zuende gegessen. Er hat fettige Hände, die er, er dreht sich um, an der Gebäudemauer abstreifen und reinigen will. „Komm, dort vorne ist ein Klo!“, fordere ich ihn auf, sich die Hände zu waschen. „Ich pass indes auf Deine Plastiktasche auf!“, die er stets mit sich herumführt und worin seine Habseligkeiten sind. Sein Lächeln wird noch breiter, er erhebt sich und geht die paar Meter zum Eingang des Klos. Schön, dass wenigstens in diesem Bahnhof ein Bereich ist, wo man unentgeltlich austreten kann, etwas waschen und sich erfrischen kann. Durchaus eine Seltenheit!
Äthiopier II
Am Bhf Nürnberg tummeln sich in Scharen hauptsächlich die schwarzafrikanischen, jugendlichen Äthiopier, die kaum Deutsch sprechen können.
Einem von ihnen, Jamal, habe ich ein Ticket verkauft, so dass er mir 50 Cent schuldig geblieben ist. „Ist verjährt“, „zu spät“, in diesem Sinne, meint er.
Letzthin kommt er unter Druck zu mir, bittend, mit mir mitzufahren: „Gib mir erst die 50 Cent“, sage ich. „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Ich laufe ihm dummerweise zum Automaten hinterher, er hat einen 5er-Schein in der Hand, mit dem er eine Karte lösen will, der jedoch wieder ausgespuckt wird und ich ziehe sogar in meinem Schwachsinn, meiner Gutgläubigkeit, Schwäche, was weiß ich, 4.50 Euro heraus, um ihm das passende Wechselgeld zu geben. „Gib mir erst die 50 Cent, dann fahre ich mit.“ „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Hinter uns stehen „Sicherheitsmenschen“, ein Gelbwestler und ein paar blaue Bahnhofsangestellte, das Geschehen misstrauisch beäugend.
Jamal springt zum zweiten Automaten, auch hier gelingt es ihm nicht, eine Karte zu lösen.“ Er wird jetzt von einem hinter ihm Stehenden, auch dunkelhäutig, zur Minna gemacht. „Wo bleibst Du? Bist Du jetzt so weit?“ Nach einer Woche, ich ihn wiedersehend, läuft er an mir vorbei, als kennte er mich nicht, wie gehabt.
Wie sehr ich mich ärgere, mich auf ihn eingelassen zu haben, wodurch ich dem „Sicherheitspersonal“ aufgefallen bin. Meine Gutmütigkeit, mein Glauben auf Vergebung, der Möglichkeiten des Einlenkens eines mich Betrogen-Habenden ärgert mich sehr. „Sei stark! Werde nicht weich! Akzeptiere den Fehdehandschuh!“
Ansbacher, betrunken, in Pumphosen, herabflatternden, braunen orientalischen Hosen herumtorkelnd, mit Plastiktüten voll gestopft mit Pfandflaschen rempelt mich an, wobei er gleichzeitig „Entschuldigung“ murmelt. Ich habe ihn schon ein paar Mal darauf hingewiesen, er soll mich nicht immer körperlich berührten, attackieren, aber es hilft wohl nichts. Er lispelt stark, ist mir eigentlich sympathisch, doch er fängt wohl an, abzustürzen.
Veränderung
Allmählich verändert sich die Szene. Nicht nur, dass nach der Flüchtlingswelle nunmehr ganze Scharen von Schwarzen, die sogar längere Leerfahrten in Kauf nahmen, um ein paar Euro zu verdienen, auftraten, sondern das Verhalten der Einheimischen untereinander. Vielleicht infolge des rapiden Anwachsens der Konkurrenz?
Ein älterer Pakistani ist vom Rotkäppchen, einen besonders scharfen Bahnarbeiter, zu zwei Jahren vom Bahnhof Nürnberg verbannt worden. Trotzdem kommt dieser immer wieder an diesen Ort. Er hat höllische Angst vorm „Rotkäppchen“, der furchtbar aggressiv werden kann, laut herumbrüllt, mit Polizei, Tod und Teufel droht. Jener ist der Schrecken aller, die mit ihrer Karte versuchen Mitfahrer zu gewinnen. Und er ist der einzige von den Bahnhofsangestellten, der sich hinterrücks anschleicht, lange vor den Automaten steht, um das Verhalten zu kontrollieren und mit allem droht, was ihm einfällt: Hausverbot, Strafanzeige wegen Betrugs, „Betrug ist Betrug“ und Einsatz der Bundespolizei, die rechtlich für dieses Terrain Bahnhof verantwortlich ist.
Der Pakistani, der es nicht lassen kann, in Nürnberg immer wieder zu landen und hier Mitfahrer zu acquirieren, steht von daher unter Dauerstress. Er hat am meisten Angst, von „Rotkäppchen“ gepastet zu werden, der ihn dann gehörig in die Mangel nimmt. Seine Angst geht so weit, dass er mit Speichel um den Mund herumläuft und jeden anspricht, um sich zu beruhigen, wobei er denjenigen körperlich versucht festzuhalten, am Arm packt, ja sogar in seinem angespannten Zustand andeutungsweise in den Bauch schlägt: „Hör mal!“ Dabei ist sein Deutsch mehr als rudimentär, er kann keinen Satz bilden, was er sagen will, versteht kaum einer, erst nach mühevollen, langen Minuten des Erklärens kommt man hinter seinen Aussagen.
Äthiopier III – wir sind Konkurrenten
Ich war in Ansbach, auf diesem Halb-Provinzbahnhof, herumgestanden.
Es kam ein Paar mit jeweils zwei Fahrrädern, ich konnte mit meinem einem Ticket aber nur eine Person, wenngleich die zwei Fahrräder mitnehmen.
In meinem naiven Gemeinschaftssinn winke ich einen etwas abseits stehenden Äthiopier heran, der gedankenverloren an einem des durchsichtig überdachten Bahnhofsbereiches aufragenden, eisernen Stützpfeiler gelehnt in seinem Smart Phone surft.
Er hat zwei Karten, womit er die beiden samt ihren Fahrrädern mitnehmen kann, mich lässt er einfach stehen, überlässt mir keineswegs, als zuerst die Kunden angesprochen Habender, wenigsten einen Fahrgast, nein, er nimmt alle beide für sich in Anspruch, die ihm treuselig und nichtsahnend hinterher zum Zug nachdackeln.
Ich fühle mich übertölpelt von dieser Unterbietung, Ausbootung und Ausstechung. Mit meiner freundschaftlichen, ihm Die-Hand gereicht-habenden Geste hat er mich kaltschneuzig über den Tisch gezogen. Frustriert dackle auch ich zum Zug hin, der sofort losfährt.
Das mitgenommene Paar sitzt mit ihren zwei Fahrrädern im Fahrzeug-, Kinderwagen und Rollstuhlbereich, sich freudig unterhaltend, wohingegen der Äthiopier etwas entfernt allein in den normalen Gastsesseln sich postiert hat, Rücken zu ihnen und erneut seelenruhig in seinem Smart-Phone surft. Ich zische ihn von hinten an, er dreht sich herum, während ich verärgert die Klotür aufmache: „Das war nicht in Ordnung. Du hättest mir einen Fahrgast überlassen können!“ Aber er reagiert nicht, denn das ist die Cruz, es ist nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt versteht oder nicht verstehen will, ich habe noch kein Wort mit ihm gewechselt. Ich kartle sicherheitshalber in Englisch mit der selben Aussage nach. Aber es ist noch weniger wahrscheinlich, dass er diese Sprache spricht. Ausländer sind dir stets im Vorteil, weil sie sich stets dumm stellen können, ha, was sagst Du, was weiß ich, ich verstehe die Sprache hier nicht.
Später dann möchte ich einen Fahrschein verticken, wozu ich bei den herumstehenden Äthiopiern im Bahnhof Nürnberg nachfrage, indem ich ihnen eine Karte anbiete. Sie prüfen sie, nehmen sie aber nicht an, wobei sie ein jeder zuvor reihum im Kreis in die Hände genommen hat, von Hand zu Hand gegangen war und einer schlägt sie mir wie absichtslos aus der Hand, so dass sie auf den Boden fällt, ich mich bücken muss vor den um mich eingekreist Habenden.
Auch der freundliche Äthiopier Daniel steht daneben und lächelt dabei wie immer, dieses Mal teilnahmslos.
Der sie mir aus der Hand geschlagen hat, war es Absicht, war es Zufall, war just derjenige, der mich in Ansbach über den Tisch gezogen hatte.
Am Spätabend, als das Geschäft gelaufen war und wir uns zu einer Erholungspause am Fuße der Treppe zu einem Bahnsteig trafen, ich und just zufällig der Mir-die-Karte-aus-der-Hand-gestossen-Habende und der Mir-die-Kunden-Weggeschnappt-Habende, hat dieser noch die Chuzpe oder Frechheit, als wir uns einig sind im Small-Talk, dass der Abend gelaufen sei, mich zu fragen, und oh, und plötzlich kann er astreines Deutsch sprechen, ob ich ihm nicht die besagte, wenige Stunden zuvor mir aus der Hand geschlagen habende Karte kostenlos überreiche, übergebe und überlasse: dieser Schnorrer in Person und ich in meinem erneut Freund-sein-Wollen hätte sie ihm beinahe überreicht und geschenkt. Aber rechtzeitig zog ich die Karte zurück, vielmehr zögerte ich, als ich schon nach meinem Geldbeutel in meiner Hosentasche griff und im Begriffe war, ihm diese Tageskarte zu schenken, mich fragend, wie blöd musst Du sein, diesem Oberabstauber und Schnorrer in Reinkultur noch die gebratenen Äpfel vor die Füße zu legen, nachdem er dir ein paar Mal eine mit der Rute übergezischt hat?
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