Spannung am Heilig Abend anno 2020 - Erzählung

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Pentzw
Kalliope
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Spannung am Heilig Abend anno 2020 - Erzählung

Beitragvon Pentzw » 26.12.2020, 16:15

Angela Merkl, meine langjährige Freundin, hat mich Weihnachtsabend zu sich eingeladen - zum „obligatorischen“ Biohuhn. Ich bin meinerseits erst Nachts, weit nach 24 Uhr, zu Bett gegangen, während sie bereits um 21 Uhr wieder einmal erschöpft und abgearbeitet vor der Coach, im Fernsehzimmer und vor dem Kinder-Kanal gelandet ist.

Vielleicht hat es auch an etwas anderes gelegen, an ihrer Müdigkeit, ihrer vorzeitige Schlappheit, ihre Resignation – sie, die als die berüchtigste, standhafteste Trinkerin im Kiez war, mitnichten die erste, höchstwahrscheinlich die letzte, die zu Bett fiel, kurzum eisern kneipenerprobt, was auch mit ihrer edlen Gesinnung zusammenhing, dazu jetzt so...
Wie wir da vor unserem niedergemetzeltem Huhn, bzw. seinen Knochenresten saßen, erlaubte ich, da ich meine Zigarettenpapiere vergessen hatte bzw. sie zuende gegangen waren, mir eine Zigarette von ihr zu schnorren. Ich griff nach ihrer Schachtel, las die Überschrift „american spirit“ – aha, die Kommunistin lässt sich vom Kapitalismus inspirieren - und wäre fast vom Hocker gefallen, als ich die Steuermarke mit der Aufschrift „24 Stück für 8 Euro" las. Mit dem Selbstdrehen zahlst du nur die Hälfte davon und hast schier doppelt so viele Zigaretten.
Und sie nennt sich Kommunistin, die es nicht nötig hat, zu sparen!
Entsprechend teuer war der Wein. Aber da wollte ich nicht murren, denn ich partizipierte – ein Kostverächter, Kind der Traurigkeit, ein Spielverderber war ich nun nicht - wahrhaft genüßlich daran.
Aber zum Zu-viel-Alkohol wollte ich mich auch nicht verführen lassen.
So holte ich mir aus dem Gastzimmer ein dreiviertel volles, seit einem Jahr herumstehendes Mineralwasser, um ersteren zu verdünnen. „Primitovo“, der Name des Weines aus Katalanien oder Kalabrien oder Kalifornien schmeckte verdünnt auch ganz gut, was aber in den Augen und dem zeternden Geschrei meiner Gastgeberin hin ein Teufelswerk darstellte. Frevel, Sünde, Schande und Schändung - all dem machte ich mich damit schuldig. Engelsunschuldsgleich trank ich mein Gebräu, Hauptsache nicht zu betrunken, sondern einigermaßen klar im Kopf, mögen die anderen sagen, was sie wollen.
Vielleicht hätte ich den Wein pur trinken sollen, den Sozialismus (nicht Sozialdemokratismus) unverfälscht genießen, dann würde es bestimmt nicht zu körperlichen Verwerfungen gekommen, das steht fest. Am liebsten hätte ich ihr dies am nächsten Tag so erzählt, um sie zu trösten und in ihrer Meinung zu bestärken, es geht doch nichts über den alles geliebten Marxismus, aber ich nahm davon Abstand, war ich mir doch nicht sicher, ob sie diese Metaphorik und Allegorie würde verstanden haben, wahrscheinlich hätte sie dies als typischen Blödsinn abgetan. „Verschone mich bitte mit Deinem Unsinn!“, womit sie in gewisser Hinsicht Recht gehabt hätte, war dieser Vergleich führwahr ein höherer Blödsinn, denn kaum jemand nachvollziehen kann oder nur bei einem Glas Wein.

Erraten, ich befand mich in der Stadt. Schließlich, auf dem Land gab es keine Kommunisten.
Ich begab mich zu Bett, durch einen kleinen Spalt im Schrägfenster des Lofts kam es winterlich-kalt herein, aber ein bißchen frisches Lüftchen musste sein, auch wenn der Feinstaub, die Müllverbrennungsluft und der ganze Stadtsmog würde hereinziehen und alles um mich herum würzen. Oft Lüften hieß nichtsdestotrotz die Devise zu Corona-Zeiten.
Auf diese vergiftete Luft hin führte ich zunächst meinen schlaflosen Zustand zurück, der sich einfach nicht in einen seligen Schlafzustand verwandeln ließ. Naja, die Stadt halt und deren Luft. Stadtluft macht krank, schlaflos und unfrei! Mochten die im Mittelalter ja etwas anderes gesagt haben.

In den Morgenstunden musste ich mich übergeben. Schlaflosigkeit, Sich-übergeben und nicht zuletzt Krampfschütteln war also die Folge des Weihnachtsabends.
Zuerst habe ich heftiges Bauchgrimmen verspürt, auf dass hin explosive Rülpslaute vom Magen herauf eruptierten und von den kontraktierenden Körper-Verkrampfungen heraus habe ich mich von horizontal auf senkrechter Lage im Schneidersitz wie ein Stehaufmännchen katapultiert, dann mich gekrümmt wie eine biegsame Marionettenpuppe, hin und her, wahrhaft in Kinder-Filmgeschichten-Reife, und die gespreizten Hände über meine schweißperlende Stirn gefahren, gestreichelt und gerieben.
Zudem vermeinte ich in der Brust Schmerzen zu verspüren und schließlich wissend, jetzt nicht mehr schlafen zu können, stand ich vom Bett auf, um mich anzuziehen und einen Stockwerk nach unten zu gehen, wo meine Gastgeberin im Fernsehzimmer vor der Glotze lag.
Beim Aufrechtstehen des Anziehens hämmerte es noch wie auf einer Baustelle in meinem Hirn: "Klar, Du hattest zu viele Personenkontakte, jetzt hast Du den Salat!" Und: "Ist ja sonnenklar, das es soweit hat kommen müssen - so wie Du den Vorschriften, nicht so viel in Kontakt mit anderen Mitmenschen zu kommen, gepflegt, befolgt und nachgegangen bist – nämlich kaum bis gar nicht, du leitsinniger Kerl. Wissenschaft, Objektivität, Logik, Vernunft - das ist die göttliche Menschwerdung, Du hirnverbrannter Heide! - Wie hat es doch zurecht geheißen: jeder Kontakt ist einer zu viel – tja, wie wahr, wie wahr!“
Und schließlich ratterten im Stakkato die Worte: „Schluß damit, Schluß damit, Schluß damit! (mit Deinem Lebenswandel).“ Sobald die Öffentlichen wieder ihren Betrieb aufgenommen haben, fährst Du schnurstracks zum Klinikum – und löffelst die Suppe aus, die Du Dir eingebröckelt hast!“
Ja, ich schwor mir dies hoch und heilig zu tun!

Um 4 Uhr früh bin ich, da ich nicht mehr schlafen konnte, auch vor dem Fernseher, in Konkurrenz mit Angela Merkl, meiner Gastgeberin, die davor schlief, gelandet. Leider habe ich durch eine unachtsame Bewegung ihren Schlaf gestört und sowie die Augen aufgeschlagen, klagte sie mich sofort an: „Spinnst wohl, mich so zu erschrecken.“ „Ich fühle mich so schlecht. Irgendetwas stimmt nicht mit mir.“ „Kannst ja nach Hause gehen!" "Bis 6 Uhr ist Ausgangssperre.“ "Bis 5 Uhr!“ „Nein, bis 6 Uhr.“ Also log sie in ihrem Interesse, denn sie wusste haargenau Bescheid. Gerissen ist sie schon und die Verlogenheit in Person. Es gefällt ihr nicht, wenn ich neben ihr Fernseh schaue, aber schließlich gab sie kleinbei, schaltete das indirekte Licht aus, ging in ihr Bett, um mich allein vor der Flimmerkiste zurück- und mich in Frieden fernseh zu lassen – nahezu eine einmalige Geste der Großzügigkeit – dies ohne Murren und Widerstand!
So übernahm ich quasi den Stab, die Kinderfilme anzuschauen. Um 8 Uhr habe ich mich wieder schlafen legen können und bis 13 Uhr göttlich durchgepoft.

„Bin ich doch nicht schuld! Ich habe keine körperlichen Beschwerden und wir haben schließlich das Selbe gegessen!“ – was stimmte.
"Vielleicht hast Du mich vergiftet wie Navalny von Putin mit einem Novitschock-Cocktail – bist ja auch russlandaffin!“- naja, als Kommunistin der alten Schule war das insofern gerechtfertigt.
Vielleicht aber auch nicht, denn sie sagte darauf nichts mehr, natürlich nicht wegen Sprachlosigkeit, sondern der offensichtlichen Unsinnigkeit meiner Unterstellung.
„Wer ist schon Navalny?“, hatte Putin gesagt. Genau, Angela Merkl denkt genauso: „Wer bist Du denn schon?"
Als Mitglied des Lumpenproletariats, der ich also in ihren Augen war, war ich kein ernsthafter politischer Gegner.

Als ich ging, sagte ich: „Ich geh jetzt Mal!“
„Ja!“ Augen noch oben gerollt. Hieß: wird Zeit.
„Aber ich glaube, ich werde nicht ins Klinikum gehen!“
„Na, die haben jetzt etwas anderes zu tun!“ Hieß: etwas besseres, als Deine Mückenstiche und eingebildeten Krankheiten zu behandeln.
„Okay!“ Hab mein Fett wieder einmal abbekommen.
„Tschüss!“

Erst als ich mich nach der unfestlichen Verabschiedung aus dem Haus und auf dem durch von mir gestern gekehrten Naturstein-Pflasterweg des Vorgarten stolzierend befand, denn dazu immerhin war das Proletariat der untersten gesellschaftlichen Ebene zu gebrauchen, wurde mir bewußt: ich hatte außer dem fahlen Aqua-Brackwasser noch ein paar tri-oktogone Käsestückchen vertilgt, die ich in ihrem Kühlschrank gefunden und stipitzt, als sie vor dem Kinderkanal gelegen und hineinglotzt hatte, und vergessen auf das Fälligkeitsdatum zu schauen. Stückchen aus Käse, die sui generis oft genug schimmlig und stinkig und was weiß ich noch mit welchen Bakterienkulturen angereichert sind, könnten auch der Verursacher meiner Übelkeit gewesen sein. Und eben noch, bevor ich aus meiner Gastgeberin Haus herausgetreten bin, habe ich eins verzehrt. Es war das letzte gewesen, damit alle Spuren verwischt sein würden, die auf meinen Raubbau hinwiesen, schließlich konnte ich dadurch die Verpackungsschachtel entsorgen, ohne befürchten zu müssen, das nächste Mal einen Anschiss zu erhalten, ich hätte ihren Käse ratzfatz heimlich weggegessen – denn sie hätte sich ja geirrt haben können – „da war doch kein Käse mehr gewesen, Dooferla!"
War der Käse die Ursache meiner Magenverstimmung gewesen, nicht das alte schale Mineralwasser, dann würden die nächsten Stunden wirklich „spannend" werden, ein Ausdruck, der angesichts der zu erwartenden Folgen wirklich nicht leichtsinnig-inflationär gewählt ist.
Und außerdem – Corona schwebte noch immer über mich wie ein Damoklesschwert! Was ich wirklich leicht vergaß.

© Werner Pentz

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