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27. Wie entjungfert man einen Mann?

Verfasst: 16.02.2024, 16:14
von Pentzw
Es ist noch heller Tag. Doch der Vollmond wirft bereits sein bleiches, goldenes Licht in ein Schwesternzimmer, ein kleines Appartement im Schwesternheim. Zwei Personen liegen verkrampft in einem zweckmäßigen Konfektionsbett, das an die Wand geschraubt war. Darüber ein Regal mit ein paar Büchern.
Beide sind halb bekleidet, man kann auch sagen halb entkleidet, ja nach Perspektive, sprich wohin die Reise gehen soll: sie im Schlüpfer und BH, er in Unterhosen und Unterhemd.
Immerhin so weit sind sie gekommen. Man muss aber auch sagen: weiter sind sie nicht gekommen.
Sie wollten miteinander schlafen, aber bis so weit war, bedürfte es schon etwas mehr. Mehr als bereits dieses jetzt schon anstrengende Unterfangen. Dabei liegt das Gelingen dieser Schwerstarbeit bei derjenigen Person, die darin am meisten Erfahrung besaß. In diesem Fall der Frau.
Wie entjungfert man einen Mann, der sich wie eine Jungfrau ziert?
Hier die Anleitung für einen hoffentlich erfolgreichen Versuch.
Zunächst stehen sich beide in einem Abstand von etwa zwei Metern gegenüber, etwa zwei Meter voneinander entfernt, intuitiv, weil der Unerfahrene instinktiv nicht mehr Nähe zulässt, zulassen kann.
Anfängerschwierigkeiten. Das wird schon, denkt der Erfahrenere: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Wie wahr!
Hoffnungsfroh setzt sich die schon entkleidete Frau einstweilen auf die Bettkante, um dem Mann bei seinem Tun zuzuschauen. Dieser entledigt sich in einer rührend Art und Weise seiner Hose, dass es schon zum Lachen war. Er faltet die Beinkleider zusammen, faltet sie in der Mitte und legt sie über die Stuhllehne. Kein Schneidemeister könnte liebevoller mit seinem Meisterwerk umgehen.
Dann stand er stocksteif da wie bestellt, aber nicht abgeholt.
"Jetzt das Hemd."
Irritation.
"Am besten knöpfst du es von oben nach unten auf."
Man täuscht sich gewaltig, wenn man glaubt, die Anleiterin käme sich komisch vor oder zumindest die Situation und sie hat sich gedacht: Wäre es nicht so ernst, wäre es zum Lachen. Nein, dieser Person war es bitterernst und vom Gelingen des Unterfangens, bildete sie sich ein, hing ihr Wohl und Wehe ab.
Ernst hatte sie auch nicht gebeten, mit ihr zu schlafen. Aus charitativen Gründen heraus sie ihn mal zu lassen. Sie war es, die Schritt für Schritt erst diesen Wunsch in Ernst weckte: „Hast du schon einmal mit einer Frau geschlafen?“
„Ich? Äh, ja in einem Freudenhaus.“
„Ah so! Also noch nicht richtig?“
„Nicht direkt nein.“
Über die Tatsache, dass er es noch niemals getan hatte, erschrak sie schon. In diesem hohen Alter und noch mit keiner Frau geschlafen. Was stimmte mit diesem Männchen nicht?
Aber sie hatte eine Mission.
Es dauerte auch seine Zeit, bis es endlich so weit war. Vielmehr bis sie ihn so weit hatte.
„Wenn du mal willst … Du verstehst schon!“ „Was soll ich verstehen?“ Eine Antwort umging sie, indem sie schnell aufs Klo rannte oder sagte: „Moment mal, ich muss den Tee aufsetzen.“ Natürlich war es dann Ernst zu peinlich, wieder die Sprache darauf zu bringen.
Immerhin war eines Tages klar, dass sie es mal machen könnten. Also irgend einmal. Das klang so unverbindlich, dass es auch nächstes Jahr sein konnte. Oder gar nicht.
Nun aber, vor einem Tag ist sie auf diese Sache zurückgekommen.
„Du hast doch einmal gesagt, du würdest gerne mit einer Frau schlafen.“
Ernst erinnerte sich nicht mehr.
„Nun, du kannst schon einmal mit mir schlafen. Ähm, wenn du willst!“ Und sie zuckte gleichgültig die Schultern. „Vielleicht am Sonntag. Da habe ich zwei Tage Ruhe gehabt. Aber nur wenn du willst.“ Er hat wage genickt.
Natürlich will er. Und wie.
Und heute will sie seine Bitte erfüllen, heute ist der Festtag. Sie wollen es tun. Die Sache überhaupt anzupacken, ist schwierig für sie. Sie hat noch niemals in ihrem Leben die Initiative ergriffen. Niemals. Nicht bei diesen wenigen Malen, die mit der Hand abzuzählen sind, wo es zu einem Geschlechtsakt gekommen ist.
Es fällt ihr schwer, dieses Ding ins Rollen zu bringen.
Jetzt steht er nur noch mit Unterwäsche da. Eine jämmerliche Gestalt. Man sieht ihm an, wie er leidet.
Noch setzt sie sich auf die Kante des Bettes, die Füße auf den knallroten Läufer auf dem Boden gesetzt.
Wirklich, es ist alles noch schlimmer als gedacht.
„Atme langsam und kontrolliert und denk daran: immer gleichmäßig atmen. Sie hat zum Glück etliche Seminare und Weiterbildungskurse besucht, wo natürlich auch Entspannungsübungen praktiziert worden sind.
„Ja!“, antwortet er gehorsam.
Er bückt sich wieder zu seiner Hose, die er militärisch korrekt über die Stuhllehne gefaltet hat, zieht eine Parfümflasche aus einer Hosentasche und betätigt den Sprühknopf unter seinen Achseln.
Der Anblick entmutigt sie, obwohl sie die gute Absicht erkennt.
'Wenn er jetzt noch einen theatralischen Gesichtsausdruck aufsetzen würde, begleitet von einem schmalzigen Satz wie: „Ich liebe Dich!“, dann würde der Vorhang fallen. Sie müsste die ganze Sache abblasen. Man muss wissen, dass ihr diese Rolle sehr schwer fällt.
Nun setzt sie sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf das Bett, das mit einer Tagesdecke bedeckt ist. Sie streicht mit der Hand über die freie Stelle des Lakens neben sich, um ihm zu bedeuten, hier Platz zu nehmen. Als er nicht reagiert, tut sie es energischer, nämlich klopft mit der Hand darauf und sagt: „Komm, setz Dich her!“ Dabei verkneift sie sich ein resigniertes Lächeln, denn sie muss an einen Hund denken: Platz hier, Bello!
Ernst bewegt sich allerdings im Schneckentempo auf das Bett zu, setzt sich vorsichtig auf die Bettkante und wartet ab. Wieder einmal.
Es liegt nur an ihr.
Seine Haare sind zerzaust wie das eines tobenden Kleinkindes.
Kleinkind? Das ist die Lösung. Sie muss sich in die Rolle einer Mutter begeben, die ihr Kind anleitet, dann wird es schon gehen.
Sie streicht ihm durchs Haar und richtet es. Dann kommt eins aufs andere, sie fährt mit breiten Händen über seine Nacken, über den Rückten und stoppt an der Taille, um ihm das Unterhemd auszuziehen. Wie ein Kind, das man ins Bett oder ins Bad bringt. Gehorsam streckt er automatisch die Hände nach oben, damit sie ihm das weiße Unterhemd über den Kopf ziehen kann.
„Leg dich neben mich!“
Dazu streckt sie sich der Länge nach auf dem Bett aus. Er tut es ihr nach. Aber weiter kommen sie nicht.
Er ist blockiert. Schweiß rinnt ihm über die Stirn, er zittert wie Espenlaub. Sie spürt es, sie wird selbst stocksteif. So kann es nicht weitergehen.
Ernst Puls hämmert bis in seine Ohren wie ein Presslufthammer. Er blickt auf seine Zehen, die großen links und rechts, auch auf ihre. Peinlich, so nackt und bloß, so schamlos. Er verzieht den Mund, denn er schmeckt den beißenden, salzigen Schweiß auf seinen Lippen, der ihm von der Stirn, um die Augen und über die Wangen rinnt.
Vor allem der durchdringende, widerliche Schweißgeruch der Frau betäubt ihn, so dass er kaum noch Luft bekommt. Er muss sich erbrechen. Er versucht, seinen Magen willentlich zusammenzupressen. Dazu hält er den Atem an.
Da er noch keine Erfahrung mit Frauen hat, ist er ängstlich und schüchtern wie eine Jungfrau.
Es ist jedoch noch viel mehr.
Das Ganze ist ein Kartenhaus, das einzustürzen droht und am Rande einer Klippe steht, um in den dunklen Abgrund zu stürzen. Ernst war dazu erzogen worden, ein katholischer Pfarrer zu werden, keusch und unbefleckt zu leben. Und nun, nun schien dieses Lebensziel zu zerbrechen.
Dass damit Schluss sein soll, irritiert ihn zutiefst. Lähmt ihn.
Die Krankenschwester zögert weiterhin. Soll sie einen Mann gegen seinen „Willen“ entjungfern? Die Vorstellung ist sehr unangenehm, ohne sagen zu können, warum. Sie beschließt, es wenigstens zu versuchen. Sie würde Ernst nicht nur einen Gefallen tun, sondern auch an sich binden. Er würde williger sein und sich leichter gegen seinen verhassten Bruder aufstacheln lassen.
So, weiterfahren mit der Rolle „Mutter-verführt-Kind“. Ihm etwas vorsingen, während sie ihn über sich zieht und sie unten liegt: „Hoppe, hoppe Reiter. Wenn er fällt, dann schreit er!“ Nein, die Vorstellungen, die mit hundert Kilometer durch ihrem Kopf rasen, sind erschreckend. Vielleicht wird er vor Angst um Hilfe schreien, mit den Beinen strampeln? Und dann? Mit letzter Kraft und Anstrengung der Jungfrau zu ihrem Glück verhelfen, sie an den Händen festhalten, mit den Füßen die Beine spreizen, aber halt, nicht so. Wie denn dann?
Hier stößt ihre Phantasie an ihre Grenzen. Mehr kann sie sich nicht ausmalen.
Also, nein, was nicht geht, geht nicht.
Sie lugt zu ihm hin: Er zittert schon. Unmöglich, dieser Mann ist zu verkrampft.
Er ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, es einmal zu tun und dem Gefühl, dass es Sünde ist. Natürlich hat er sich schon ein paar Mal im Bordell von einer Frau einen blasen lassen. Aber das war etwas ganz anderes, denn da lag die Frau vor ihm auf den Knien, während er über sie hinwegsah.
Mann, aber jetzt ist die Frau ihm so verdammt nahe und blickt ihm direkt in die Augen. Unerträglich. Ganz anders als mit einer Prostituierten im Bordell.
Und dann ist da noch der Druck seines Bruders.
Eigentlich weiß er nicht, warum er Hilde, die er mag und sympathisch findet, wehtun soll. Aber sein Bruder drängt ihn dazu. Und er fühlt sich ihm sehr verbunden. Was hat ihm sein Bruder zugeflüstert: „Diese Hilde, die schüttet Schmutz über unsere Familie aus. Sie verunglimpft mich, meine Frau, uns alle.“ Und nicht genug damit: „Weißt, Karl, mein Freund, Dein Chef, der wird dich hochkant rauswerfen, wenn er mit Gerüchten konfrontiert wird, die Schlechtes über unsere Familie erzählt.“
Ernst hatte bei einem Schulfreund seines Bruders in einem mittelständischen Betrieb einen Mädchen-für-alles-Job bekommen. Schwer genug war es gewesen, ihn überhaupt auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen bei dessen labiler Psyche. Bei der Aussicht, wieder auf der Straße zu stehen, noch einmal in die Klapse eingeliefert zu werden oder den Dauersticheleien und Schikanen behördlicherseits ausgesetzt zu sein, drehte sich sein Magen um.
„Soll ich mit ihr ein ernstes Wort wechseln.“
„Da braucht es ein bisschen mehr, Brüderchen!“
„Hm! Was sollte das sein, das bisschen Mehr?“ Stotternd kam das heraus.
„Ein bisschen mehr, ein bisschen mehr. Red nicht um den heißen Brei, Bruder. Klare Kante. Da müssen wir leider sehr brutal zuschlagen. Und wenn ich brutal sage, meine ich auch brutal.“
Und dann hatte er ihm eine Spritze gegeben, das Gläschen mit dem Gift und ihm gezeigt, wie man die handhabt.
Er weiß, was auf dem Spiel steht.
Wenn seine Familie ihn fallen lässt. Weil sie in Verruf gekommen ist. Weil, weil … alles nicht auszudenken … aber das schlimmste, ist das Ende seiner politischen Karriere … nein, er muss es schon aus Liebe zu seinem Land tun, was er es tut … so schmerzhaft es auch sei und so blutig wie auch immer – was sein Bruder von ihm forderte zu tun … er musste es tun ...

28. Liebe ist ein Problem. Gift die Lösung.

Verfasst: 16.02.2024, 16:15
von Pentzw
So lagen sie nebeneinander, beide schwer atmend.
Ernst betrachtete sie von der Seite. Wie eine heruntergekommene Hure sah er sie vor sich.
Er glaubte sogar, das Kainszeichen auf ihrer Stirn zu erkennen.
Er wusste nicht, dass sie es auch mit seinem Bruder getrieben hatte. Nur dass er sich von seinem Bruder getrieben fühlte, sie zu bestrafen, ohne Grund und Warum. Und diese Stimme in ihm rief: Warum machst du es nicht endlich?!
Sollte er?
Nein!
Inzwischen war Hilde überzeugt, dass die Entjungferung nicht klappen würde. Es war also an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken. Sie hatte sich vorbereitet, für den Fall der Fälle, der jetzt eingetreten war, hatte ihren mobilen Schreibtisch neben das Bett geschoben, auf dem der Computer stand. Der war im Standby-Modus. Die entsprechende Webseite war online. Ein Tastendruck auf eine Keyboard-Taste genügte und der Computer würde hochfahren und die Seite aufbauen.
„Schau mal!“
Ein Schädel, der sich in Ekstase auf dem Fahrersitz eines Autos hin und her bewegte, weiter unten ein dichter Frauenkopf, der sich von oben nach unten auf und ab bewegte. Plötzlich bewegte sich die Frau schnell weg, bis sie ganz aus dem Bildwinkel verschwand und nur noch einen aufrecht stehenden, heftig vibrierenden Schniegel zu sehen war. Der Kopf des Mannes drehte sich nach hinten, direkt in den Bildfokus. Er zeigte dem Betrachter sein erschrockenes Gesicht. Sein Bruder.
Ernst ist entsetzt. Noch verwirrter. Was hat das zu bedeuten?
„Ja, das ist dein Bruder. Und rate Mal, wer die Frau ist?“
„Hm!“
„Schwer zu erkennen. Schau noch einmal hin. Schau auf die Haare. Kommen sie dir nicht bekannt vor?“
Und sie zupfte an ihrem Haar, drehte es zu Locken und strich wieder gerade. Wenn man glaubt, dass Ernst allmählich ahnte, wer diese Frau war, so irrt man sich und doch nicht. Er wollte es nicht glauben und verdrängte die Bilder, die er sah. Aber natürlich konnte er die Frau nicht erkennen. Er ahnte es zwar, wollte es aber nicht wahrhaben, wer es war.
Und dieses seltsame Verhalten jetzt von Hilde. Wollte sie ihm nicht sagen, dass ...
Plötzlich schüttelte ihn ein Impuls des Abscheus. Den Gedanken, dass es sein Bruder mit seiner Geliebten trieb, ließ er immer noch nicht zu oder dass seine Geliebte es mit seinem Bruder trieb. Der Druck der Verdrängung war zu groß, so dass er wie in Kurzschlusshandlung aufstand und sagte: „Moment mal!“
„Musst du duschen?“, fragte die Krankenschwester.
„Ja!“, stieß er aus, erleichtert, dass sich eine Ausrede bot.
Er ging in den Duschraum. Die Kulturtasche, die er in seinem Rucksack mitgebracht hatte, lag schon auf dem Spiegelboard. Er hatte sie dorthin gestellt, weil er davon ausging, dass er im Laufe des Abends eine Tablette daraus nehmen würde.
Was er nun tat, tat er wie getrieben. Mal drängten sich Bilder in sein Bewusstsein, dass die Frau auf dem Video eindeutig Hilde zeigte, mal nicht, aber immer stand sein Bruder hinter ihm und schubste ihn geradezu dazu, das zu tun, was er tat.
Er rutschte mit dem Rücken neben der Kloschüssel an den Fliesen entlang auf den Boden, ohne sich um die zu erwartenden Schmerzen im Steißbein zu kümmern. Über die Schüssel hinweg ergab er sich.
Er riss ein Handtuch von einem Haken, um wischte sich Bröckchen, Schleim und den ganzen Brei aus dem Gesicht. Er atmete heftig, versuchte sich zu entspannen. Er übergab sich erneut. Er fühlte sich erleichtert und konnte aufstehen.
Aus dem Kulturbeutel fischte er ein Fläschchen Serum und eine verpackte Spritze, die er vom Einwickelpapier befreite. Dann zog er er das Gift aus der Ambulle. So wie ihm sein Bruder gesagt hatte, ohne dabei Wasserbläschen zu hinterlassen. Er hielt die Spritze griffbereit hinter seinem Rücken, als er die Badetür öffnete.
Sie lag bäuchlings auf dem Bett und scrollte auf ihrem Smartphone. Zum Glück sah sie ihn nicht an. Das machte es ihm leichter, sein Ziel zu erreichen.
„Ich habe meine Pillen genommen. Ich kann jetzt nicht. Wir müssen noch ein bisschen warten.“
'Worauf warten?`Sie wunderte sich ein wenig, nahm aber an, dass er auf ein Potenzproblem anspielte. Die Medikamente würden es schon richten.
„Gut!“ Es würde schon gut werden.
Er näherte sich ihr. Die Spritze hielt er auf dem Rücken.
Er schwitzte stark. Es fiel ihm nicht leicht das zu tun, was er vorhatte.
Sein Mut wuchs mit jedem Moment, in dem sie ihm arglos den Rücken zuwandte. Er setzte sich auf die Bettkante, führte die Kanüle an ihre Bauchflanke und stieß die Nadel vorsichtig hinein. Sobald er einen Widerstand spürte, drückte er auf den Kolben.
Sie fuhr heftig auf und schrie: „Was hast du gemacht?“
Bevor sie sich umdrehen konnte, warf er sich mit seinem Körper auf sie, so dass sie sich nicht mehr bewegen konnte, weder um zu fliehen, noch um Hilfe zu rufen.
„Du hast meinen Bruder schwer beleidigt, ich weiß nicht genau was, aber er hat mir die Spritze gegeben und du hast es verdient.“
Jetzt drückte er ihren Kopf gegen das Kissen. Keuchend unter seinem schweren Gewicht stieß sie hervor: „Dein Bruder, dein Bruder hat jahrelang ein Verhältnis mit mir gehabt, mit mir geschlafen, mich gefickt, verstehst du das nicht?“
„Das stimmt nicht. Er ist verheiratet!“
Er lockerte den Schraubstock ein wenig vor Entsetzen und Unentschlossenheit.
„Warum sollte ich lügen? Er ist ein Lügner, Betrüger, Ehebrecher. Jetzt hat er Angst vor den Ermittlungen wegen der Erpressung, dass alles ans Licht kommt. Er hat dich angestiftet, mich aus dem Weg zu räumen, damit kein schlechtes Licht auf ihn fällt und seine Ehe und seine Ehre keinen Kratzer abbekommen.“
„Was?“
Ernst lockerte seinen Griff noch weiter.
„Du hast es auf dem Video gesehen. Schau es dir noch einmal an. Da siehst du mich und deinen Bruder, dann weißt du, dass alles stimmt ist, was ich sage.“
Auf dem Video hatte er eindeutig den Bruder erkannt, aber nicht Hilde. Er dachte, es sei Eva, die Schwägerin. Aber die hatte dunkle Haare, war viel breiter und korpulenter. Er hätte sie bestimmt erkannt. Aber wer weiß, ob der schamlose Mann in den Aufnahmen wirklich sein Bruder ist, könnte auch ein Doppelgänger sein, oder eine Fälschung, was ist nicht alles möglich?
Und wenn es doch stimmte, was sie behauptete, hatte er dann Unrecht getan?
Aber diese Frage konnte schon bald nicht mehr beantwortet werden, da Hilde sich bereits in heftigen Todesschmerzen krümmte. Es gab kein Zurück mehr.
'Was habe ich getan? Was habe ich getan?, dachte er, als er sah, wie sie jetzt in Krämpfen zuckte. Erschrocken ließ er los, rannte zum Fenster. Feige schaute er hinunter in die weite Schlucht des sechsten Stockwerks, hob den Blick zum Himmel. Es war Abend. Er sah den Mond, obwohl es noch hell war. Warum zeigte sich der Mond bereits in seiner verschwommenen, silbernen Gestalt?
Als er sich umdrehte, lag der Körper der Krankenschwester regungslos auf dem Bett.
Hatte er recht getan?
Auf dem Bett lag eine tote Frau in verkrümmter Embryostellung.
Entsetzlich.
Er zog die Tagesdecke unter ihr hervor und spannte sie über die Tote.
So gehörte es sich doch in so einem Fall.
Er geriet in Panik, als er den undeutlich verhüllten Körper sah. Er sah nur, dass es ein toter menschlicher Körper war. Wie eine Mumie.
Schnell wendet er sich um.
Er will schon aus dem Zimmer stürzen, hält inne, die Türklingel in der Hand, dreht sich um und blickt auf das Knäuel dort auf dem Bett, wo dieser Mensch liegt, den er eigentlich sehr gemocht hatte, nie jemals eine Frau mehr „geliebt“ hatte - wenn das Liebe gewesen war? Dieses Ding, von dem so viel die Rede war? Wie man vielleicht sagen sollte, was er für sie empfand.
Dann war alles, alles falsch!
Er stürzt aus dem Zimmer, durch den langen Flur, durch noch mehr Flure, über viele Treppenabsätze und merkt, dass er automatisch auf das Krankenhausappartement seines Bruders zusteuert.
Dort will er eine Antwort auf seine Tat.
War es richtig, diese Frau, diese Liebe zu töten - er weiß es nicht. Aber er, der Bruder, muss es wissen, er hat ihn zu allem gedrängt, er schuldet ihm eine Antwort. Etwas, so fühlt er, stimmt da nicht.
Er hat einen Recht darauf. Auf was? Auf die Wahrheit!

Re: Verbrechen wider Willen - Wahrer Heimatkrimi

Verfasst: 21.02.2024, 15:35
von Pentzw
das ganze Buch kann man lesen unter:



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