Das Klimakomplott - Science Fiction

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Pentzw
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Das Klimakomplott - Science Fiction

Beitragvon Pentzw » 10.02.2022, 18:08

Die Reduzierung der Menschheit zu ihrem Wohl - Verbrechen zum Wohle der Menschheit

„Wir sind hier zusammengekommen, nicht um persönliche Dinge zu erörtern, sondern um der Menschheit einen Dienst zu erweisen. Unsere Zweck ist ein theoretischer, aber sehr praktischer, jedenfalls unabhängig von irgendeiner besonderen Person. Deshalb die Masken!“
Innerlich stand Otto sofort stramm, da er wußte, das, was hier geschah, diente einer großen Sache, zum Wohle der Menschheit überhaupt. Gab es darüber hinaus noch höhere Ziele?
Noch heute kennt er nur denjenigen, der ihn in diesen Kreis gebracht hat, sonst niemanden. Und das war richtig so. Geheimnisvolles, Bedeutendes, Unerhörtes, Gefährliches, Verdächtiges wurde hier verkündet.
Das leuchtete Otto, dem Polizisten, sofort ein, was der Gastgeber zur Begrüßung geäußert hatte. Der Gastgeber übergab dann einem Referenten das Wort, der in seiner Rede genau das darlegte, was jedem Menschen derzeit in diesem begrenzten, endlichen Erdenrund umtrieb.
„Wir haben die letzten Sommer noch gut in Erinnerung, in denen die Hitze derartig stark war, daß wir manchmal nicht wußten, wo wir Ruhe, Abkühlung und Geborgenheit finden können. Sind wir zu diesem Gehetztwerden auf immer verurteilt? Oder finden wir wieder zu unseren natürlichen Biorhythmus zurück? Nicht, wenn sich die Klimaerwärmung weiterhin so entwickelt wie bislang. Nunmehr ist der Zeitpunkt für eine Zeitenwende eingetreten. Jetzt müssen wir handeln oder wir werden von den Ereignissen, Veränderungen und Drangsalierungen hinweggerafft. Zumindest der große Teil der Menschheit. Und wer, wenn er sich als Mensch bezeichnen will, will sich das Handeln aus der Hand nehmen lassen?“
Applaus!
„Wir müssen also jetzt reagieren!
Woran liegt die Klimaerwärmung primär?
An der Überbevölkerung.“
Zustimmendes Raunen.
„Es gibt keine andere Lösung, als diese zu stoppen, ja sogar wieder rückgängig zu machen! Um es gleich und so kurz wie möglich zu sagen: wir kommen nicht umhin, die Menschheit zu dezimieren, damit wir überleben können. Damit der homo sapiens wieder das Handeln in die Hand nehmen kann. Wir müssen leider einen Teil der Menschen aus dieser Erde verschwinden lassen!“
Schweigen.
„Wie können wir das am besten tun?
Wir verbreiten einen Virus über die ganze Welt, übertreiben, heizen die Stimmung an, verbreiten Fake-News, die besagen, daß dieser so schlimm ist, daß nur ein Mittel dagegen hilft: ein Impfstoff. Und dieser Impfstoff wird einen Teil der Menschen auf Dauern unfruchtbar machen.
Damit werden auf der Erde immer weniger Menschen sein.“
Pause.
„Ich weiß, was Sie einwenden wollen.
Läuft uns nicht der Virus aus dem Ruder!
Dazu gibt es eine eindeutige Antwort: Nein.
Wir haben zugleich einen Impfstoff gegen den Virus entwickelt. Dieser ist passgenau auf die GEN-Struktur des Virus entwickelt worden und hält diesen, je nach unserem Gutdünken und unserer Einschätzung in seine Schranken. Wir können somit den Wirkungsgrad, die Auswirkung auf die Population der Menschen absolut sicher dirigieren. Größere Ausbreitung notwendig, kleinere Impfstoff-Ausfuhr oder Falsch-Dosierung, kleinere Ausbreitung wird mit größeren Impfstoff-Mengen-Ausfuhr beantwortet usw.
Die Gegner, die denken, sie könnten auch einen Impfstoff entwickeln, werden machtlos sein.
Denn wie lange dauert es, bis ein Impfstoff gegen Viren entwickelt wird? Genau, bis zu 10 Jahren. Wir aber haben diese Zeit bereits genutzt und den Impfstoff in langer Vorbereitungszeit entwickelt. Sie werden sich weiter fragen: jedermann weiß doch, daß ein solcher Impfstoff eine lange Entwicklungs- und Erprobungszeit benötigt. Die Frage ist: wird dies die Weltöffentlichkeit schlucken, wenn wir also mit einem Gegenmittel schnell und vor aller vernünftiger Zeit auf den Plan treten?
Ich antworte ihnen entschieden und sicher: sie werden.
Warum?
Die Menschheit wird diese Lüge schlucken, wenn sie nur möglichst schnell ein Mittel in die Hand bekommt, der die ganze blockierte Gesellschaft, Industrie, den Handel und Wandel wieder befreit und zum Laufen bringt. Sie wird nach einem Mittel gegen die Stagnation, den Lockdown, der Untätigkeit lechzen und, wenn in ihrer Hand, glauben Sie mir, nicht mehr nach Warum, Weshalb und Wieso fragen, das kann ich Ihnen garantieren!“
Lachen und Beifallklatschen im Podium.
„Warum müssen wir zu solch drastischen Taten schreiten? Es muß sein! Die Menschen können sich leider nicht beherrschen. Und wir sind auserwählt, künftighin die Menschheit zu führen, zu deren Wohle, nicht zu ihrer Unterdrückung, ihrem Niedergang, sondern...“
Erneut frenetisches Klatschen, stehende Ovationen.
Danach ging es in die Diskussionsrunde.
Alle waren sich erstaunlich einig. Es bestand unverzüglicher Handlungsbedarf! Schnellstens.
Und mittlerweile war man ja auf dem Stand der Dinge, wie diese Rede verkündet hatte, daß man handeln, dirigieren und führen kann wie erwünscht und nach Belieben.
Ja, man ging mittlerweile dazu über, Viren des Typs Sars zu züchten, ließ diese Virentypen gezielt auf die Menschen los, verschiedenste, mal wenig krankmachende (wie Omikron), mal weniger infizierende, aber um so krankmachendere (wie Delta), die man je nach Belieben und Erfordernissen zur Gängelung, Regierung und Dirigierung der Menschenmassen einsetzte.
Es war das perfekte Werkzeug. Waren die Krankenhauskapazitäten am Limit, warf man ein anderes Virus zum Beispiel Omikron statt Virus Delta ins Geschehen. Man wollte schließlich ja keine größeren, erschütternden Verwerfungen. Alles mußte im übersehbaren, beherrschbaren Rahmen geschehen, um die Menschheit in Schach zu halten, indem man deren Anzahl auf das überlebensnotwendige Level reduzierte.

Pentzw
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Der Auftrag mit der Depotnummer

Beitragvon Pentzw » 18.05.2023, 18:04

Cloggen

Im Schlafzimmer stand die Basis seines Telefons. Nachts stand das Telefon zum Aufladen darauf. Immer wieder, unbemerkt vom arglos Schlafenden, ging das fluroszierende Licht an und aus. Die Kontrolleure checkten die Lebensgewohnheiten des Adressaten: wann geht er schlafen, schläft er ruhelos durch, geht er nachts aufs Klo, wann beliebt er aufzustehen undsoweiter. Otto schien ein Normalbürger, ein geordneter, strukturierter, geregelter Mensch zu sein. Gut für die Zwecke der geheimnisvollen Beobachter durchs Telefon. Otto war ein Auserwählter.

Depotnummer

Eines Tages drückte ihm sein Kontaktmann einen Zettel in die Hand: „Les dies gut durch! Darin steckt ein Auftrag. Selbst ich kann Dir nicht sagen, welcher das ist. Das unterliegt höchster Geheimhaltungs-Stufe. So arbeiten wir. Möglichst wenige wissen, was läuft und meist nur eine Person kennt seinen Instrukteur und seinen Zu-Instruierenden. Also, Massel to!“
Die Sache erschien ihm logisch, daß er nur eine Kontaktperson besaß. Wenn es zu Erpressung, Folter und erzwungenen Aussagen kam, konnten diejenigen welche nur sehr wenige Informationen verraten. Damit war das Netz stramm gespannt und sicher wie ein Drahtseil.
Sowie er es im Geheimen und allein öffnete, stand „Geheim!“
Otto war gerührt. Warum nur hatte man ihm diesen Auftrag erteilt? Egal, momentan.
Er würde ihn mit dem gebührendem Vertrauensvorschuß schon gerecht werden.
Recht verstohlen, als könnten sie beobachtet werden, überreichte der Überbringer noch einen Schlüssel einen zu einem Tresor.
Otto atmete jetzt tief auf. Jetzt war er in der wichtigsten Mission seines Lebens angekommen.
Beim Überfliegen des Zettels konnte er vorerst nur so viel erkennen, daß es sich um eine Anleitung handelte. Ziel dieser war, daß er etwas beschaffen mußte, wozu er einer Spur folgen mußte. Also, es war eine sehr detaillierte Beschreibung dessen, was er in den nächsten Wochen tun mußte.
Dann las er noch: „Geh sehr, sehr vorsichtig vor!“
Wieder atmete Otto auf und er stieß zu einem unsichtbaren Gesprächspartner gerichtet auf: „Wird gemacht! Darauf können Sie sich verlassen wie das Amen in der Kirche.“ Darüber verzog der andere jedoch die Brauen. Warum? Egal, momentan.
Er war berührt.
Gerade ihm war dieser Auftrag übertragen worden. Warum? Er hatte bislang keinerlei Erfahrung in diesem Metier, in diesem Bereich. Ihm fehlte der Begriff dafür, wie er ihn auf den Punkt bringen sollte: Spionieren, Beschaffen, ach.
Egal, momentan, wie immer man seine neue Tätigkeit nennen sollte: er war es wert, war er überzeugt. Er würde die in ihn gesetzte Vertrauensvorschuß nicht enttäuschen. Nein!
Nun war er so etwas so etwas wie ein Spion.
Er drehte den kleinen, gedrungenen Schlüssel in seiner Hand - nein, einen Depotschlüssel.
Aber für welches Depot, bei welcher Bank, in welchem Land?
Zunächst las er auf dem Zettel eine rätselhafte Geschichte. Etwas mit einem König in einem Königreich mit diesen und jenen Problemen und Aufgaben. Insofern unterschied sich diese Geschichte nicht im geringsten von anderen.
Aber das Merkwürdige war der Name des Königs: NDtBankWBBPN101.
Was war das denn für ein Name, aus welcher Sprache? Er konnte keine zuordnen.
Zudem dann die Ziffer dahinter. War das ein sogenannter String? Handelte es sich um eine E-Mail-Adresse? Nein, denn da fehlte das Länderkennzeichen. Natürlich stach ins Auge „Deutsche Bank“. Hm,
Er wohnte in der Nähe einer Großstadt, die mit N begann. Also lag es nahe, die Deutsche Bank in dieser Stadt aufzusuchen, das Depot 101 sich zeigen zu lassen und versuchen, ob der Schlüssel dieses Schließfach öffnen konnte. Dann würde er schon weitersehen.
Und in der Tat, er fand ein Depot, in das dieser Schlüssel passte. Allerdings fand er in dem Depot selbst wieder nur einen Schlüssel mit einem Zettel. Darauf stand der Name einer Bank. Vielleicht war es der Schlüssel für ein Bankdepot in W wie Wien? Als er nach solch einer Bank recherchierte, wurde er fündig und entschloß sich, sein Glück zu versuchen. Er bereitete sich auf eine längere Fahrt vor. Dazu ließ er sich zwei Wochen freigeben. Er mußte sein Glück versuchen und dorthin fahren, koste, was es wohl.
Otto entwickelte einen ungeahnten Ehrgeiz. Erstaunlich, was in einem so stecken konnte?

Mit der Bahn zu fahren, war am Vernünftigsten. Sich möglichst immer in öffentlichen Räumen und Fahrzeugen aufhalten, um nicht allein in die Zange genommen zu werden.
Gegenüber dem Flugzeug für die Bahn sprach, daß man mehr Möglichkeiten hatte, sich unsichtbar, schwer verfolgbar und nicht beobachtbar zu machen.

Erstaunlich, in Wien wurde er auch fündig mit einem Schlüssel, einer Nummer und einem Zettel mit einer Ziffer. Nun war die nächste Entscheidung zu treffen: wofür stand B? Budapest? Aha, da mußte doch der Name einer Bank stehen, er hielt den Zettel gegen das Licht und siehe da, er erkannte einen Namen. Das verwies in der Tat, wie er vermutet hatte, auf einen ungarischen Namen, wenn ihn sein Sprachgefühl nicht trog. Sowie er es entziffern konnte, stand doch darauf Budapester Bank. Also auf, nach Ungarn, in die Hauptstadt.
In Budapest mußte er ein Taxi nehmen, um vom Flughafen, dem „Ferenz Liszt-Flughafen“ der weit draußen lag, in die Innenstadt zu seinem Hotel zu kommen. Mit dem Shuttle zu fahren, hatte er keinen Nerv. Er war aber gut vorbereitet. Von einem Kollegen hatte er sich sagen lassen, er solle nur solche Taxis nehmen, die ein gelbes Plakat mit schwarzen Zahlen auf der Schlagseite hatten, denn deren Zahlen würden den Preis anzeigen, nämlich zum Beispiel, was eine Fahrt pro Minute kostete.
Aber er mußte sich geirrt haben. Irgendetwas stimmte nicht bei diesen Zahlen und bei der Berechnung des Fahrpreises. Umöglich. Viel zu hoch.
Als er an seinem Hotel angekommen war, mußte er nämlich einen Preis zahlen, der dem eines in Deutschland durchaus ebenbürtig war.
Otto versuchte darüber einen Streit loszubrechen, doch der Fahrer tat so, als verstünde er kein Deutsch. Verwunderlich, als er sich auf der Fahrt doch einigermaßen gut unterhalten hatte. Nunmehr ab tat der Fahrer, als verstünde er kein Wort.
Als Otto es mit Englisch versuchte, welches er auch nur redebrechen beherrschte, winkte der Taxifahrer kalt ab. Aber na klar, Englisch konnten die hier nicht so gut wie Deutsch. Aber Deutsch wollten die nur reden, wenn es ihnen in den Kram passte, dieser Saubande von Ungarn hier. Und die Ungarn konnte fast alle Deutsch. Gerade eben noch hatte er doch alles verstanden, was aus seine deutsche Zunge ausgestoßen hatte.
Kein Wunder, daß die auch im EU-Parlament immer Schwierigkeiten machten. Auf der Straße in ihrem Land waren sie keinen Deut besser.
Er kam sich wirklich wie ein gefledderter Laichnam vor. Vielleicht ein bißchen übertrieben, aber Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit. Und die gilt in der ganzen Welt. Mit den gleichen Prinzipien.
Immerhin, in der Hauptstadt-Bank stellte sich heraus, dass das gleiche Spiel galt. Schlüssel, Nummer und einen Zettel fand er in dem besagten Depot. Da er erneut fündig geworden war und die nächste Name der Bank mit einer Stadt in Rumänien übereinstimmte, überkam ihn ein freudiges Gefühl, weil die Dinge, die sich offenbarten, zeigten, daß eine Logik in dem String steckte.
Und sein Tun war demnach zielgerichtet, zielführend, nur wohin – na, das würde sich schon noch herausstellen.
Schwebend trat er aus der Bank und eine frostige Kälte überkam ihm auf einmal, als ob tatsächlich in wenigen Minuten die Temperatur gute 10 Grad gefallen wäre. Er hatte das untrügliche Gefühl, er würde beobachtet werden.
Hastig lief er weiter, zu seiner Unterkunft, die nicht weit weg von der Bank lag und schon hatte er das untrügliche Gefühl, er würde verfolgt. Diese Eindrücke, Beobachtetwerden und Verfolgtwerden hatte er doch nicht in Wien gehabt.
Oder lag es nur an dieser fremdartigen Stadt, mit seiner eigenartig-mongolischen Architektur, diesem fremden Ziegen-Gemäcker-Akzent, die da aus den Mündern der Madyaren drang, daß er sich oft einbildete, daß er vielleicht gerade in einer Schäfchenherde geraten war. Hier meckerten Ziegen, aber keine Menschen.
Mirakulös, aber er wußte nicht, ob er unter Beobachtung statt, keine Anzeichen, Hinweise, eigenartig sich verhaltenden Leute nahm er wahr, dennoch glaubte er es, so körperlich verspürte er es, daß er verfolgt wurde.
Der Dreitage-Bart-Mann mit dunkler Hautfarbe, wie alle Männer hier mit dunklen Haaren, eingefasst in einen schäbigen, dünnen, fadenscheinigen blauen Anzug, ein undurchschaubarer Mensch war nicht denkbar. Aber er stellte sich dem Verfolger, wandte sich ihm plötzlich zu, schaute ihm in die Augen, braun und undurchdringlich, ließ von ihm ab. So ging das nicht weiter – hier schien jeder ein dunkles Geheimnis zu verbergen, jeder ein Spitzel, gleich welcher zwiespältigen Spezies zu sein. Man kam sich vor wie im Ausland, nicht in Deutschland – ach verflixt, er war ja im Ausland.
An einer Straßenecke schwankte ein solch grau gekleidete Männergestalt beim Wasserlassen. Unter seinen Füßen bildete sich ein gelbes Rinnsal.
Dieser Anblick. Diese Hemmungslosigkeit! Diese Gleichgültigkeit der vielen an ihm Vorbeiflanierenden.
Und dort, ein maskierter Mann umrank seinen Arm über die Schulter eines anderen, drückte dabei dessen Hals zu. So liefen die beiden durch die Straßen. Keiner beachtete sie aber. Ist das normal, daß einer den anderen vor den Augen aller drangsalieren darf? Der Drangsalierte konnte einem wirklich leid tun.
Aber die Maske – wen stellte sie da? Ja, es war ein amerikanischer Präsident. Aha, es war also eine politische Demonstration! Die einen sind die Sklavenhalter, die anderen die Sklaven. Aber es waren nur einzelne, diese zwei nur, wo waren die anderen vielen, die eine Demonstration erst zu einer politischen Kundgebung machten? Nirgendwo. Also war es doch kein politisches Happening, was aber dann?
Er schaute näher hin und sah, daß der Sklave keine Maske trug. Seine Augen flitzen hierhin und dorthin. Es riss den Mund auf, als wolle er gleich losschreien oder andere um Hilfe rufen.
Otto trat auf die beiden zu mit dem Sendungsbewußtsein: daß er dies stoppen müsse. Er sei zwar nur Verkehrspolizist, aber das war ein öffentliches Muß, dazwischen zu treten, könnte er quasi wegen unterlassener Hilfeleistung, unterlassener Amts-Hilfeleistung, höhere Machtbefugnis-wegen-öffentlichem-Ärgernis-Gebot und was es da so weiter für Gründe geben mochte, belangt werden. Hier schrie es geradezu, sich einzumischen.
Aber war er nicht in einem fremden Land? Zwar Beamter, aber auf einem anderen Staatsterritorium. Außerdem war er hier undercover unterwegs, was bei Erregung öffentlichen Ärgernisses seines Einschreitens seine Entlarvung nach sie zöge. Nein, das wäre zu unprofessionell. Er mußt sich zusammenreissen, sich nur auf seinen Auftrag konzentrieren und wenn die Welt um ihn wie ein Kartenhaus zusammenklappte. Er fuhr jetzt auf einer anderen Schiene. Das mußte er sich stets vor Augen halten.
Aber es war schwer, sehr schwer sich zu beherrschen.
Denn all dies, fühlte er, war gegen ihn gerichtet. Es schwebte in der Luft eine schneidende Feindseligkeit. Und nur gegen ihn. Er hier, der Fremde war unter diesen vielen Fremden, die sich so fremd, merkwürdig und abstrus verhielten.
Aber mit was beschäftigte er sich schon?
Zeit, höchste Zeit, Vorkehrungen zu treffen, gegen vermeintliche Fallen sich positionieren, Einbahnstraßen meiden, stets mußte ein Weg zurück offen sein, er mußte halt all das tun, was ein Profi tat, um seine Verfolger abzuschütteln.
Hm, klar er war nicht nicht geschult darin, wie man Verfolger abschüttelte, wie auch, als kleiner Verkehrspolizist etwa, nein, aber an Phantasie und Willen mangelte es ihn darum um so weniger.
„Euch werde ich es zeigen!“
Zum Beispiel so. Er stand vor einer Ampel mit Zebrastreifen. Er wußte genau, hinter ihm stand einer, der ihn verfolgte. Schon seit einiger Zeit hatte er ihn beobachtet, gesehen, wie er selbst stehenblieb, um ihn an sich vorbeigehen zu lassen, daß dieser plötzlich stehenblieb und in eine Schaufensterauslage starrte. Ungewöhnlich lange. Verdächtig lange. Zu lange. Als es grün wurde, überquerte Otto nun schnell die Straße, kurz vor dem Bordstein jedoch machte er eine Kehrtwende. Komisch, der Verfolger ging weiter. Erstaunt schaute Otto zu, wie dieser in der Masse verschwand.

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Noch tiefer in den Südosten, nach Rumänien

Beitragvon Pentzw » 05.06.2023, 12:15

Er entschied sich dafür, bis zur Rumänischen Grenze mit dem Bus zu fahren, dann erst in den Zug zu steigen. Er hoffte, in solchen würden nicht so viele Menschen sein, zumal nicht so dichtgedrängt und unausweichbar wie in einem Zug. Damit hatte er auf kuriose Weise Recht.
Die nächste Station war die Grenze zu Rumänien.
Er mußte aussteigen, da die Züge gewechselt wurden.
Er überlegte lange hin und her, ob er den Bus nehmen sollte, wie üblich in solchen Fällen, tat man dies, war ihm gesagt worden, warum auch immer. Tatsächlich sah er fast alle Leute am nahen Busbahnhof stehen. Schlangen von Menschen stiegen darin hinein.
Beim Bahngleis angekommen, fehlten diese vielen Menschen. Hatte das einen Grund? Hatte es einen Grund, daß man ihm riet, lieber mit dem Bus zu fahren? Aber warum? Otto konnte sich keinen Reim darauf bilden.
Selbst als er eingestiegen war, gewartet hatte, bis der Zug losfuhr, kam keine Passkontrolle.
Merkwürdig, er befand sich allein im Abteil, nach einer halben Stunde zeigte sich, daß er überhaupt der einzige Fahrgast im Zug zu sein schien. Niemand ging an seinem Abteil vorbei. Nicht einmal ein Pass-Kontrolleur.
´Soll mir recht sein. Da kann ich's mir ja richtig bequem machen´, und streckte seine Füße aufs gegenüberliegende Sitzpolster aus. Doch werden wahrscheinlich noch welche zusteigen. Wir sind ja erst an der Grenze. Zumindest ein Fahrkartenkontrolleur.
Darin täuschte er sich auch. Noch nach Stunden sah er keine Seele im Zug. Wie ein Geisterzug fuhr dieser durch die Landschaft. Man könnte fast an eine Verschwörung denken, wenn er nicht so unbedeutend wäre, wie er nun einmal war. Wenn, dann würden höchstens gleich bewaffnete Polizisten in sein Abteil hereinstürmen. Otto stieß darüber einen Lacher aus.
Er wurde zusehends müde.
Wohlüberlegt steckte er seinen Geldbeutel zwischen Hose und Gürtel und nickte ein.
Als er aufwachte, war die Börse nicht mehr dort, wo sie sein sollte.
Er dachte, sie ist natürlich heruntergefallen und liegt auf dem Boden oder unter dem Sitz.
Aber denkste. Otto pfiff durch die Zähne.
´Das waren echte Profis, muß man ihnen lassen.“ Wie sonst hatte er während des Schlafens nicht bemerkt, daß sie ihn an die Eier gegangen waren. Er hatte den Beutel doch genau dort platziert, wo sein Körper eine Ecke und Kante bildete, nämlich an der Taille. Sie mussten ihn praktisch erst in Schräglage gehoben haben, um da ran zu kommen, was eingeklemmt war. Wie hatten sie das geschafft, ohne daß er etwas merkte? Aber er konnte von sich behaupten, er habe einen leichten Schlaf.
Er schaute auf seinen Koffer über sich, kramte in seinen Rucksack neben sich. Nichts.
`Wenigstens haben sie mir offensichtlich nichts sonst entwendet, diese Gauner. Kleider noch vollständig da, na ja, die paar Tage in diesem verflixten Land, werde ich immerhin so überstehen, daß ich danach nicht zehn Meilen gegen den Wind stinken werde. Ein Trost.

Als er aus dem Zug stieg, gelangte er an einen großen Platz, wo viele Touristen-Busse halt machten. Aha, mit Bussen trauten sich die Ausländer und Touristen hierher kommen, nicht mit dem Zug. Na, so ein Bus war ja überschaubarer, als so weitläufige Abteile, die waren weniger kontrollierbar und übersichtlich, logo.
Einmal, auf seinem Weg in die Stadt, verirrte er sich in einer Seitenstraße. Er nahm Platz auf einem Stuhl außen vor einem Straßencafé. Sofort wurde er von Anbeisitzenden freudig begrüßt. Er erwiderte ihre Avancen, was er nicht hätte tun sollen, so rudimentär auch immer er dies tat: Merci, Bonjour. Als einer rausbekam, daß er Deutscher war, setzten sich wie auf Kommando alle um ihn herum an seinen Tisch. Es waren, schien ihm, Brüder und Schwestern, so vertraut wie sie taten.
Einer verstand sogar ein bißchen Deutsch.
Bei den folgenden kindlichen Geplänkel erröteten ihre Häupter schier vor naiver Vorfreude wie eine dieser roten Melonen, die hier überall als Freigaben auf den Tisch gestellt waren und verzehr wurden, als sei es Erdnüsse und Knabberzeug frei Haus.
„Du können doch Motor aus Deutschland hierher bringen.“
„Motor?“
„Ja, von Auto. Von altem Auto. Ich wissen, dort gibt es viele. Die nicht mehr benutzt werden. Aber bei uns. Für uns gut!“
Im Angesicht eines solchen Goldesels, was solch ein Motor sein sollte, fühlte sich Otto gedrängt, ja zu sagen, so daß er bei der Vorstellung schon zu schwitzen anfing. Denn niemals würde er ihnen diesen Wunsch erfüllen. Er war eben im Grunde ein ehrlicher Kerl.
Aber auch wäre es noch so leicht, technisch sowieso, aus alten Autos Motoren auszubauen und hinten in seinem Auto auf den Mitfahrersitzen zu platzieren, war doch schon der Kofferraum voll für das Touristengepäck.
Sicher, manch ein Schrotthändler würde bei ein solchen Motorausbau mal kurz zur Hand sein, aber ließ sich dies mit nur zwei Männern überhaupt bewerkstelligen? Weitere Helfer, daran dachten diese naiven Rumänen gar nicht, vielleicht weil es hier selbstverständlich wäre, daß jeder zupackte, mußten in Deutschland angeheuert und bezahlt werden.
Aber anscheinend war deren Phantasie hinsichtlich ihres Glaubens an die Menschheit unerschöpflich. Wahrscheinlich hatten sie schon einschlägige Erfahrungen mit dem lukrativen Hin- und Herfahren von Motorhandeln?
Zerfix – in welcher Welt leben wir überhaupt?
Nach langem Hin und Her, Gelächter, Beschwörungen und nachdem sie ihm das Versprechen abgenommen hatten, so bald wie möglich zu liefern, drängten sie ihn, mit sich nach Hause kommen. Otto überlegte nur kurz und redete sich ein, er müsse es wohl oder übel tun. Schließlich war beim Zugfahren sein Geld geklaut worden. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, daß er gar einige Tage Unterkunft gewährt bekäme – warum aber nicht, aber das ungute Gefühl, ohne zu sagen, warum, blieb – so ließ sich drauf ein. Er nahm sich vor, vorerst nicht nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen, sich erst einmal das Szenario wollte er sich ansehen, dann würde er schon noch zum Fragen kommen.
Als sie zu einem Hauseingang kamen, stand am Türrahmen ein kleines Mädchen und hatte ihren Rock bis zu ihrem Mund hochgezogen, um an einem Rockzipfel zu knappern. Ihr Höschen war eindeutig zu sehen. Otto mußte schnell wegsehen.
Er bekam es mit der Angst zu tun. Was würde da geschehen? Bei diesen Zuständen. Kleine Mädchen, Pädophilie, was ging ihm nicht durch seinen ordnungsliebenden Kopf an Befürchtungen.
Er bekam es mit einmal mit der Angst zu tun: wer weiß, vielleicht auch würde er selbst verschleppt werden, nein, aber vielleicht als Geisel gefangen genommen, um vom deutschen Staat gutes Geld zu erpressen!? Es schnürte sich schon seine Kehle zu bei der Aussicht, in ein dunkles, feuchtes Kämmerchen gestoßen zu werden, wochenlang schlechterletzt eingekerkert, gefesselt und bei Wasser und Brot dahinvegetieren zu müssen, bis ihn, endlich ein mildtätiges Lösegehaltzahlung heraushauen würde.
Ne, das konnte er seinem Vater Staat, seinem Brötchengeber und Vormund nicht antun.
Aber wie sich aus dieser Situation befreien?
Er hatte keine Chance, regelrecht durch den Türrahmen ohne Tür wurde er gedrängt, einige Stockwerke hoch, in eine mit einer angelehnten Tür offenen Wohnung.
Jemand trat just mit einem Motorrad schiebend aus dieser Tür und dies im zweiten Stock.
Dort in der großen Küche mit offenem Balkon und weitem Ausblick auf die kunterbunten Dächer der Stadt, wurde dann weiterhin fleißig Rotwein mit rumänischen Köstlichkeiten genossen und kredenzt. Immerzu wurde angestoßen. Als markierten die Weinschlucke Punkte und Kommata.
Dann öffnete sich mit einem Schlag eine Tür und ein langhaariges Mädchen, mit Blumen im Haar, langem, glänzendem Rock tanzte hervor, wozu die Anwesenden mit Oja, Oha, und sonstigem Beifallsrufen antworteten. Dazu wurde geklatscht, mit den Fingern geschnippt und auf die Schenkel gehauen.
Plötzlich erhob sich die Matrone, die Mutter der Familie, nahm das Kind bei der Hand und geleitete es damit über einen Schemel auf den Tisch, wo das Flower-Power-Mädchen noch ein paar Kreisbewegungen mit aufgeflatterten Rock vollführte. Dann blieb es stehen, hob ihren Rock hoch und die Mutter trat an sich heran, rutschte den Slip ein Stückweit herunter und fuhr mit ihrem Zeigefinger dorthinein.
„Oje!“, schrien allesamt, während die Mutter aufgereckten Zeigefingers, der an der Kuppe rot war, stolz von Mann zu Mann ging, die alle Beifall klatschten. Otto hörte das Wort „Virgin!, Virgin!“.


Vom Balkon sah er zum Bordstein hinunter und entdeckte ein verhauenes, scheibenzertrümmertes Telefonhäuschen. Ihm kam eine Idee.
Er deutete darauf hin.
Alle nickten.
Aha, er hatte sie richtig eingeschätzt, sie hatte kein Haustelefon und eine Handyanruf war ihnen zu teuer, zumal ins Ausland. Zögerlich aber bot ihm einer dennoch sein Smart Phone an.
Vehement schüttelte er den Kopf. Daraufhin wurde der Mann noch aufdringlicher.
So nickte Otto resigniert den Kopf.
Aber daraufhin zog der andere das Handy zurück.
Bedeutete Kopfnicken nein, Kopfschütteln ja, oder was, Egal, momentan.
Er unterstützte sein Ansinnen, indem mit Daumen und Zeigefinger gegeneinander rieb, wohl ein eindeutig international anerkanntes Zeichen und der andere schüttelte den Kopf.
Es hatte geklappt.
Er wollte nicht telefonieren, sein Ansinnen war vorgetäuscht, eine Finte, um Zeit zu gewinnen, sich zu überlegen, wie weitervorgehen.
In dem Telefonkasten schwitzte er bald.
Irgendwie bissen ihm auch sein Gewissen, er kam sich so verlogen und hintertrieben vor, bei diesen ehrlichen, naiven Menschen hier. Die Kindlichkeit ihrer Gemüter da, von diesen Rumänen! Aber er war Spion! Also speiste diese scheinbare Ehrlichkeit hinwiederum auf einmal mit jeder Minute mehr sein Mißtrauen.
Genau, das konnte doch nicht sein, daß man so herzhaft, zugetan und vertrauensselig war, oder? Sie baten ihn zum Beispiel, daß er, wenn er wiederkäme - davon auszugehen, war schon unüberbietbar naiv - einen gebrauchten Motor vom einem Schrotthändler mitzubringen, Marke deutscher Bauart. Sie wußten, auf den Auto-Schrott-Plätzen standen alte Fahrzeuge, vielmehr Karosserien herum, die ein intaktes Innenleben besaßen, Motoren, die liefen und liefen und damit Gold wert waren. Aber es war unmöglich, sie hierherzutransportieren, alles zu umständlich und warum er gerade diese beschaffen sollte, er, der doch nur zufällig es Weges gekommen war?
Vielleicht war es eine Falle? Möglicherweise waren diese scheinbar naiven Rumänen selbst Spione? Er mußte schauen, daß er von hier verschwand.
Vorsichtig späte er aus dem Spalt der glaszersplitterten Türe.

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Der Auftrag zum Wohle der Menschheit

Beitragvon Pentzw » 25.07.2023, 21:23

Otto konnte flüchten, ohne sich sein Gewissen mit einer Einverständniserklärung diesen braven Leuten gegenüber zu belasten. Ihren Motor aus Deutschland zu besorgen, musste sie über andere Kanäle tätigen. Er war zu Größerem berufen.
Als er endlich in seinem Hotel war, erhielt er nach wenigen Stunden einen insgeheim erwarteten, niemals aber klar sich vorgestellt habenden Anruf mit einem eindeutigen Auftrag. Einen Auftrag! Darum musste es doch gehen, wen er kreuz und quer durch Osteuropa kutschierte und scheinbar sinnlose Aufgaben wie bei einer Schnitzeljagd erfüllte. Diese konnte nur eine Prüfung für etwas Größeres, Ernsthafteres sein. Und so war es!
„Sind sie bereit?“
„Ja!“
Es war die Stimme seines Mittelmannes.
„Sie haben den Code. Sie haben zwei Zahlen, richtig?“
„Richtig.“
"Nun fügen sie diese aneinander, so dass eine Zahlen- und Buchstabenreihe entsteht. Sie beginnen mit denjenigen Codes, die der Chronologie ihrer Reise entspricht. Dann ersetzen sie den Code mit dem Alphabet. Genau auch wie in dieser Reihenfolge bauen sich die Buchstaben mit diesem Code zusammen. Verstanden?“
„Ja, technisch gesehen schon.“
„Wenn sie nun eine Botschaft aus Zahlen und Buchstaben erhalten, bekommen sie eine sinnvolle Nachricht. In dieser ist eine Handlungsanweisung enthalten. Halten Sie sich daran!“
Dann folgte ein Klick.
Wenige Minuten später entdeckte er auf seinen Händy eine SMS-Nachricht. Er wendet wie geschildert Code und sinnlose Zeichenreihe in Beziehung und erhielt eine vernünftige Aussage: „Sie dürfen nunmehr wieder nach Budapest fahren. Dort wartet ein neuer, diesmal erster Auftrag auf Sie.“
Er schickte eine Nachricht entsprechend des Codes zurück.
„Was muss ich tun?“
„Ihr Auftrag wird ihnen erst dort mitgeteilt. Gehen Sie ins Hotel „Buda“. Die Suite ist bereits gebucht. Dort erwarten Sie neue Instruktionen.“
Oje, eine Suite dachte Otto. Er hatte doch nicht falsch decodiert, oder? Er lachte über diese Vorstellung. Dass er sich geirrt hatte und dennoch etwas Logisches herausgekommen war, wäre wirklich mehr als Zufall gewesen, haaha.
Er buchte einen Flug nach Budapest. Jetzt war es eh egal, ob er Geld sparte oder nicht. Er hatte die Nagelprobe eh schon bestanden, die wohl darin bestand, hier in diesen fremden Ländern zurechtkommen zu können. Er hatte bewiesen, daß er es konnte. So, nur noch die kürzeste Linie nehmen, die von A nach B führte. Punktum.

In Budapest checkte er sich im Hotel „Buda“ oben auf dem Schlossgelände auf dem budaher Hügel ein, nicht weit weg von der Martinskirche. Eine herrliche Aussicht bot die Fischerbastei auf die blaue Donau und das idiosynkratische Parlament. Wer konnte sich nur solch eine Gebäude leisten? Nur eine Nation von Individualisten.
Mittlerweile konnte er entspannter durch die Straßen, Fußgängerzonen und Gassen laufen. Die Panik war weg.
Er merkte gar nicht, wie lange er herumstolziert war, als es schon abends geworden war und er gar nicht gemerkt hatte, wie die Zeit so schnell verging. Irgendwie merkwürdig. Er grübelte lange nach, woran das liegen mochte. Dann kam ihm die Erkenntnis. Weil ihn die Stadt, die Gebäude, die Straßenzüge und die Architektur nicht an andere Städte erinnerte. Lief er etwa durch Prag, stellte er automatisch Vergleiche an. Ach, dieser Turm sieht aus wie der Weiße Turm in Nürnberg. Paris ist ein Konglomerat aus Mailand, Madrid und und und. Und London-Innenstadt sieht aus wie Manhattan New-York usw.
Aber dieses Budapest schien für sich und insgesamt eigenartig im wahrsten Sinne des Wortes zu sein. Diese Eigenschaften glaubte er mit jedem Tag besser und klarer erkennen zu können. Man hätte auch sagen können, eine Ansammlung an einem Ort, dem man es ansah, von Sturköpfen, Eigenbrödlern, Glasperlenspielern, egal - diese Eigenschaft nötigte ihm Respekt ab. Dafür stand wohl diese Stadt, die mit keiner anderen Europas und der Welt, wahrscheinlich, er kannte diese kaum, vergleichbar sein dürfte.
Erfrischend war zudem der Hinterhof, auf den er von seinem Fenster des Hotels aus ständig herunterblickte und starrte: er stand noch voller Bäume.
Die Urbanisierung hatte nicht schon wie in westlichen Städten gleich einem Krebsgeschwür umsich gegriffen, das da hieß: alles, aber auch alles, selbst jeden versteckten Quadratzentimeter, nützlich umzugestalten. Das bedeutete vor allem, dass das bisschen Natur innerhalb der Stadt weichen musste, vor allem auch in Hinterhöfen, weil es nicht nur im Weg für Fahrradunterkünfte, Autoteileschuppen, Möbellager, was immer, stand, sondern Zeit raubte, gepflegt und gehegt zu werden, allein die Blätter aufzukehren im Herbst, die Büsche und Sträucher im Frühling vor Wildwuchs zurechtzustutzen und und.
Die dichtbewachsenen Bäume im Hinterhof bildeten einen guten Hintergrund und Projektionsfläche für seine beginnende Nachdenklichkeit, wachsend mit seiner Untätigkeit.
Allmählich kam er aber auf die Sache zu denken. Weswegen hatte man ihn hierher beordert? Was wartete hier auf ihn? Ein Auftrag. Aber welcher? Je länger er darüber nachdachte, desto mehr trat die Frage in den Vordergrund. Wer waren überhaupt seine Auftraggeber? Wer stand hinter all dem? Gesellschaftlich, finanziell, persönlich gesehen?
Es vergingen immerhin vierzehn Tage, bis er wieder etwas von ihnen las.

Er bekam die Instruktion, sich mit einem alten, noch aus der Türkenzeit erbauten Hamam in einem Budapester Vorort vertraut zu machen. Wohl lag dieser Ort direkt neben der Donau, in der Nähe der Magariteninsel, aber eben schon etwas außerhalb. Er besuchte die Badeanlage.
Sehr alt. Noch gut erhalten. Kleine Kämmerchen, in denen man sich saunen lassen konnte, dass es eine Freude war.
Nur ein Umstand irritierte Otto, der aber natürlich nichts mit seinem Auftrag zu tun haben würde. Nur, weil er einer gewissen Nation angehörte, stach ihm dies ins Auge. Menschen anderer Nationen dürften nicht einmal mit der Schulter zucken über dieses Schild da am Eingang einer Sauna: Gazkammer.
Er befand sich in Ungarn und er kannte nicht ein Wort ungarisch, das einem deutschen glich. Auch späterhin würde er keines finden. Nur dieses hier. Es zeigte und würde sich später herausstellen, dass dies das einzige deutsche Wort in Ungarisch war, auf das er stieß.
Otto rieb sie den Hals. Ihm war schon mulmlig zumute.
Klar, er wusste, dass früher hier viele Deutsche auch gelebt hatten, aber hätten man diese Inschrift, die sich auf nur einer großen Kachel befand, nicht längst mit einer neutralen, passenderen Kachel ersetzen können? Ja, müssen! Es lebten doch auch viele jüdische Menschen hier in Ungarn mittlerweile, wie früher auch einmal.
Bald jedoch vergaß Otto diese merkwürdige Sache wieder.
Sie sollte ihn aber bald wieder einholen und ihn gefühlsmäßig sehr viel mehr verwirren.

Dann bekam er die Mitteilung, sich mit einem Helfer zu treffen.
Er traf auf einen Ungarn, der sehr gut Deutsch sprach. Es war ein Krimineller wie er im Buch stand, ohne Mitgefühl und Verstand. Schon sein Gesichtsausdruck war so dumpf, dass er kaum einen IQ über 70 haben musste. Dazu gesellte sich ein Pitbull, der immerwährend schlappernd und geifernd an seinen Beinen hochsprang und der auch mal zwischendrein einen Tritt von seinem Herrn verpasst kriegte, dass er in einer Ecke landete. Dann knurrte er wie zum Angriff bereit. Doch sein Herrchen, statt erschrocken zu sein, fuhr hoch und den Hund an, in etwa brüllend: „Halt die Gosch, blöder Hund!“, wobei er mit dem Fuß laut auf dem Boden aufstampfte. Der Hund zog sofort den Schwanz ein. Sein Herrchen lachte dann über seine eigene Bösartigkeit aus vollem Hals.
Otto wurde natürlich bewusst, dass dieser Hund auch ein gutes Mittel für bestimmte Zwecke darstellte.
„Was sollen wir überhaupt tun?“, fragte der Bulle. „Ich weiß es auch noch nicht. Ich warte auf Anweisungen.“ „Na, mir soll's egal sein. Die Bezahlung ist gut. Ich mach dafür alles. Aber wirklich alles.“
Das klang ja schon einmal herrlich. Oder besser gesagt, höchst unangenehm. Otto konnte es kaum erwarten, weitere Instruktionen zu bekommen und den Auftrag hinter sich zu bringen, nur um diesen Bullen mit seinem Bullterrier oder was immer dies war nicht länger ertragen zu müssen und anzusehen, wie ein Tierquäler hemmungslos seinen Drang auslebte. Und wieder sauste das arme Tier in eine Ecke. Wieder knurrte es tödlich. Wieder lachte einer ungezwungen und todesverachtend. Schöne Aussichten!

Dann bekam er endlich die Instruktionen.
Er müsse einen Mann eliminieren. „Brauchen wir zu sagen: dass er es verdient hat?“
So viel zum Grund, warum gerade dieser gewaltsam aus dem Leben scheiden musste.
„Er wird aber nicht allein sein. Er hat eine große Entourage. So wird es darauf ankommen, diese abzulenken, während er sterben muss. Dies soll im türkischen Hammam geschehen. In einem Raum, auf dem davor in einer Kachel geschrieben steht: Gaszkammer. Er wird in diese hineingehen, um ein bisschen schwitzen zu wollen. Möglicherweise allein, was er meistens tut bei solchen Gelegenheiten, aber höchstens nur von ein, zwei Aufpassern begleitet. Nur die anderen vielen Aufpasser werden vor der Gaszkammer Wache stehen. Diese gilt es abzulenken. Alles andere, was zu seiner Liquidierung notwendig ist, wird von jemanden anderen, den Ihr nicht kennen sollt, erledigt. Also, überlegt Euch einen Plan!“
Das tat Otto.
Es war schon erstaunlich, dass diese Sauna gerade dieses Schild „Gaskammer“ hatte. War es kein Zufall, dann lag es daran, dass die zu tötende Person einen Schuss Zynismus genießen wollte und gerne diese Kammer zur Befriedigung seines Schwitzdrangs aufsuchte. Das wird ihm bestimmt einen Kick geben, zu schwitzen und daran zu denken, er säße in einem Konzentrationslager und würde gerade mit Zyankali vergiftet werden.
„Die Wasserdämpfe sehen so geil lila aus, vielleicht ist es Zyklon B, das soll doch so bläulich aussehen. Oja, ich friere vor Gemütlichkeit!“ Oder so!

Als er es mit dem Bullen besprach, sagte dieser. „Mann, vielleicht geh ich dabei drauf. Ist mir aber egal!“
„Wie können wir seine Meute ablenken. Wir müssen ein Schloss an die Gaskammer anbringen, damit er, wenn das tödliche Gift in seine Kammer geblasen wird, nicht durch die Ausgangstür wieder fliehen kann. Dazu müssen Sie die Meute ablenken.“
„Täusche einen Ertrinkenden vor!“
„Hm. In einem Becken unweit der Kammer. Da sind Becken. Das könnte vielleicht klappen. Während ihnen die Sicherheitsleute zu Hilfe kommen, kann ich die Gaskammer versperren, aber möglicher-, ja wahrscheinlich werden nicht alle von diesen Leuten, ihnen zu Hilfe eilen. Ein, oder zwei werden weiter vor der Gaskammertür Wache stehen.“
„Du musst sie erledigen.“
„Oder ablenken. Oder narkotisieren. Hm. Da muss ich mir wahrhaft etwas einfallen lassen.“
Vielleicht ein Gas versprühen, dass diese Leute ohnmächtig macht und er selbst würde eine Gasmaske tragen. Woher diese bekommen? Es gab ein Museum in Budapest, das Requisiten aus dem Ersten Weltkrieg ausstellte. Dort befanden sich Waffen, die die Deutschen eingesetzt hatten, zum Beispiel Senfgas, ein Gas, das erstmalig in der Geschichte als Waffe für den Krieg verwendet wurde. Genau, dort musste er sich eine solche Gasmaske besorgen.
Klauen? Notfalls!
Der Ungar machte einen Vorschlag: „Ich nehm Bello mit. Der kann auch ein paar außer Gefecht setzten, indem er ihnen in die Waden beißt“
Otto wehrte ab. Er dachte, nein, keine gute Idee, das könnte ein schönes Blutbad in dieser Sauna geben. Wir müssen alles daran setzen, so wenig wie möglich Aufsehen zu erregen, sprich, so wenig wie möglich Spuren zu hinterlassen, wenn wir fliehen. Wenn. Die Aufgabe schien alles andere als leicht.
Zu welchem Zweck und Nutzen wusste er ja. Zur Rettung der Menschheit. Es musste an dem Tod dieser Person liegen, dass dies positive Auswirkungen auf das Wohl der Menschheit haben würde. Wie bei Hitler. Hätte man ihn rechtzeitig beseitigt, hätte man sich Millionen Toter erspart
Aber der Vergleich hier hinkte gewaltig. So ahnte es Otto. Er ahnte, dass das Gegenteil der Fall war, mit dem Tod würden viele Tausende von Menschen mit in den gleichen Orkus gerissen werden. Schließlich ging es ja darum, der Überbevölkerung Herr zu werden, so weit er es verstanden hatte.
Aber was hat er schon verstanden?
Überlass das Denken anderen, die es besser können. Handle wie Dir befohlen. Das ist alles.
Die alte bäuerliche Denkungsart sagte ihm dies.
Er machte sich an seine Aufgabe.
Er wollte zuerst die Giftgasmaske besorgen.

Wie erwartet, wollte der Ungar seinen Hund bei der Aktion einsetzen. Dieser würde 10 Mann in Schach halten können, deutete er an.
„Aber wie willst Du ihn in die Sauna bringen, ohne dass er bemerkt werden würde?“
Ein Hund, gerade solch eine potentielle Bestie, würde bestimmt nicht in einer Öffentlichen Einrichtung wie einem Dampfbad, wo Menschen nackt und also schutzlos herumliefen, geduldet werden. Sofort würde sich Widerstand regen, zumal professioneller, davon war hundertprozentig auszugehen.
Der Ungar deutete aber an, dass dies seine Sorge wäre und nicht Ottos. Dabei lachte er wieder sehr laut, wohl wisse er schon, was er tue.

Es war erstaunlich, aber dem Ungarn gelang es, seine Bestie von Hund unerkannt in die Sauna zu schmuggeln. Nun war zu hoffen, dass die Bodyguards dieser wichtigen Person nicht auch Waffen in die Saunaräume geschleppt haben konnten. Würde der Hund diese anfallen, hätte er es schwer, wenn er Waffen gegenüber stand.
Aber der Heimvorteil schlug voll durch.
Im anschließenden Massaker oder Durcheinander oder Anschlag, wie immer, konnten die Helfer des Zielobjekts nicht mit Schusswaffen oder Messern oder sonstigen Handwerkzeugs eines Personenschützers überraschen, aufwarten und Paroli bieten.
Der Hund hatte die Szene voll im Griff

Genauso wie es zugehen konnte, dass der Ungar in die ungarische Sauna einen Fremdkörper schmuggeln konnte, konnte offenbar der Bademeister oder der Anheizer oder derjenige Mann, der für die Saunadüfte zuständig war, jenes Gift, wahrscheinlich Zyklon B, in diese Saunaräume schmuggeln.
Denn das Opfer, dieser wichtige Mensch, wer immer es war, wurde getötet. Dank der Fähigkeit und des Geschicks von Otto, dass er am Riegel der „Gaskammer“ ein Schloss anbringen konnte. Dadurch wurde der Ausgang aus dem Gas verseuchten Raum verunmöglicht. Otto bildete sich ein zu sehen, wie jemand von innen gegen die Tür drückte, aber vergebens. Diese Leute und dieser Mann saßen unweigerlich in der Falle.
Davon ging er aus.

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Das Erscheinen des Bruders

Beitragvon Pentzw » 18.08.2023, 22:04

Eine ½ Stunde davor

Wenn man an den Teufel denkt, kommt er um die Ecke.
„Hallo Bruder!“
Automatisch schaltete sich sein Computer ein und das Konterfei seines Bruders erschien auf einem Videobild. Er wusste, diese Form der Begegnung war diesem am liebsten. Jegliche Nähe, es war schon immer so, lehnte er instinktiv ab. Wäre er jetzt hier hereingekommen, hätte er sich kurz und bündig begrüßt, dann aber sang und klanglos einen Stuhl ergriffen, um sich niederzusetzen. Ohne die Hand zu reichen. Ohne ein warmherziges Lächeln. Ohne Emotion. Dazu passte, dass er niemals zu schwitzen schien, kaum einen Speichel im Mund hatte, so gut wie überhaupt niemals eine rote Nase kriegte, weil er keine Influenza kannte sowie auch nicht andere üblichen Krankheit und vor allem einen in jeglicher noch so extremen Situation gleichbleibenden, normalen Rhythmus von Ein- und Ausatmen hatte.
Er war fast ein medizinisches Wunder. Glich fast mehr einem Roboter als einem Menschen.
Dies alles mochte vielleicht daran liegen, dass sie beide nicht „normal“ waren, sprich nicht „hergängig“ gezeugt, ausgetragen und geboren wurden. An ihrer Gen-Zusammensetzung waren schließlich Gen-Ingenieure beteiligt gewesen und was die wo und wie herausgeschnipselt, verändert und hinzugefügt haben, wusste leider keiner. Natürlich, irgendwo lagen Aufzeichnungen in irgend einem dick verschlossenem Tresor, ihr Bauplan, seiner und seines Bruders, und was würde er nicht dafür hergeben, da einen Blick hineinwerfen zu dürfen!
„Hallo!“
„Du fragst Dich, was ist los mit dem Gegenschlag der Amerikaner und überhaupt mit dem Erstschlag der Nordkoreaner.“
Manchmal befürchtete er, sein Bruder könne Gedanken lesen. Wie machte er das nur, dass er stets so passgenau in sein Gehirn hineinfahren kann und seine Gedanken hervorbrachte? Meistens war es Zufall, glaubte er, dieses Mal konnte es keiner sein. Denn woher wusste er von diesem bestgehütesten Plan? Aber er musste sicher sein.
So fragte er indirekt nach, indem er sich dumm stellte.
„Wovon sprichst Du? Gegenschlag: Nordkorea? Amerikaner?“
„Mein lieber großer Bruder.“
Ja, er war zwei Minuten älter. Wenn er mit dieser Floskel ansetzte, steckte stets Ironie dahinter. Es sollte sagen, obwohl du älter bist, kannst du mir dennoch nicht das Wasser reichen.
„Ich will mich nur mit ein paar Stichworten begnügen. Dann weißt Du Bescheid, dass ich im Bilde bin. Und mehr noch. Dass ich Deinen Plan vereiteln werde. So! Ungarn, Budapest. Türkisches Hammam. Deutscher Polizist. Ungarischer Hundebesitzer. Nordkoreanischer Präsident in der Sauna „Gazkammer“. Zyklon B. Muss ich weiterreden?“
Er schwieg. Schwieg, weil er nachdenklich geworden war. Und weil er in Wut geraten war.
Sein Bruder musste ihn überwacht haben, verflucht! Dass dieser solch weitgehende Fähigkeiten verfügte, ihn bespitzeln und überwachen konnte, hatte er vielleicht befürchtet, nicht aber geglaubt. Wenngleich er seinem Bruder schon sehr, sehr viel zutraute, nur dies nicht. Auch wenn er ein solcher Technikfreak war wie er.
Dazu war er doch nicht fähig!
Er hatte sich geirrt, er sollte es sich endlich eingestehen!
Mit der Verhinderung seines Anschlages: Nordkoreanischer Präsident wird vergast, woraufhin die Nordkoreanische Armee einen Atombomben-Anschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika verüben würde, woraufhin diese postwendend zurückschlagen würde und und und.
Sein Bruder hatte damit den Beweis erbrachte, dass er mehr beherrschte als er. Und daran hatte er bislang als Allerletztes geglaubt. Er hatte sich diesem bis heute, bis jetzt weit, weit überlegen gefühlt. Er glaubt immer noch daran, denn, wenn dieses Beweises noch bedurfte, gab er ihn jetzt zum Besten, indem er sich imstande fühlte, sich binnen Sekunden von wohltuenden, trügerischen Gewissheiten zu verabschieden.
Dennoch fühlte er sich bedrängt, jetzt sein Ding zu verteidigen. Dies hieß, wie selbstverständlich ging er nun davon aus, dass jener Bescheid wusste. Ja, sein Bruder wusste Bescheid, das hatte er schon bewiesen mit dem Hinweis auf den jede Minute stattfindenden Anschlag dieses Verbrechers von einem Präsidenten einer Atommacht!
Ob er es wirlich noch verhindern könnte? Eine Stimme schrie: gesteh Deine Niederlage endlich ein. So drüngte er diese Frage sofort mit aller Gewalt in den Hintergrund.
Er wollte ihm jetzt seine Position klar machen.
„Du erinnerst Dich doch noch an unser letztes Gespräch mit unseren Eltern?“
„Wie könnte ich dies vergessen?“
„Wir sprachen über die Zukunft der Menschheit mit unseren Eltern. Vater kam darauf zu sprechen, weil er beim Manhattan-Projekt in der Wüste von Nevada mitgearbeitet hatte. Er sagte, dass es damals notwendig gewesen war, eine Bombe zu bauen, um 100 000 Menschen auf einmal auszuradieren. Als Warnung! Die Bombe diente nur dazu, damit nicht noch mehr, weit mehr als 100 Tausende von Menschen würden sterben müssen.“
„Ja. Ich erinnere mich.“
„Das ist auch mein Denken. Bei einem begrenzten Atombomben-Krieg in Folge des Tötens des Nordamerikanischen Präsidenten würden weniger Menschen auf der Erde übrigbleiben. Die dann eine größere Chancen haben, als Ganzes zu überleben. Wenn sie sich denn eines Besseren besinnen werden. Das ist die Frage. Das ist der Schwachpunkt meines Überlegens. Ich gebe es zu. Aber ich muss es probieren. Obwohl ich keine Antwort weiß. Aber auch keine Alternative.“
Natürlich gab es eine andere Möglichkeite. Dass der Mensch sich vor der Apokalypse rechtzeitig retten könnte, in dem er auf einem anderen Planeten aussiedelt. Dies war der Gegenstandpunkt seines Bruders.
„Aber Du weißt auch, dass er gesagt hatte, dass er heute dies nicht mehr richtig hielte. Er hätte stattdessen seine Energie auf etwas anderes, Positives wenden sollen.“
„Ja, ich erinnere mich noch gut. Aber was dieses Besseres sein sollte, wusste er nun auch nicht.“
„Richtig!“
„Und um auf den Mond zu fliegen, was das andere Positive wäre, war nur möglich, nachdem die Nazis ausgeschaltet worden waren. Nach dem obligaten Abwurf der Atombombe!“
Woran auch ihr Vater mitgearbeitet hatte, als deutschstämmiger Amerikaner. Jüdisch waren sie wahrscheinlich nicht, wer weiß dies aber schon, jedenfalls diejenigen Familien, die etwas auf sich hielten, scheuten sich nicht teilweise auszuwandern. Lieber dies, bevor sie der ganzen Großfamilie auf der Tasche lagen. Wenn sie es denn taten. Ein Leben als Knecht und Magd widersprach einem natürlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten.
Jedenfalls, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist ein Teil der Familie wieder zurückgekommen, nur zu Besuch allerdings. Aber der hatte es in sich. Völlig überraschend bekam der Vater von seinem seinen zu Hause gebliebenen Geschwistern die Leviten gelesen, von wegen wie sie, die Amerikaner, es wagen konnten, die Heimst derartig zu bombardieren.
„Aber wir haben dies nur wegen Eurem Führer getan. Hättet ihr Euch gegen ihn gewehrt, hätten wir erst gar nicht damit begonnen, Bomben zu bauen.“
„Es war eine schwierige Zeit.“
„Mehr gibt es dazu nicht zu sagen?“
„Nein, was hättet Ihr getan? Andernfalls hättet ihr nicht diese Bombe gebaut? Nicht die Atombombe?“
„Nein. Diese wurde erst Euret wegen begonnen. Und außerdem, auf Euch haben wir sie ja nicht abgeworfen.“
„Das war auch wieder wahr.“
Das ein oder ander Mal wurde das daraufhin erfolgte Schweigen auch unterbrochen, schließlich wurde diese Diskussion oft geführt, und gemurmelt: „Das wäre ja noch schöner gewesen. Auf Brüder und Schwester eine Atombombe zu werfen.“ „Außerdem haben uns die Japaner ja direkt angegriffen. Also gebührte ihnen auch diese schreckliche Waffe.“
„Na ja, es war Krieg...“
Undsoweiter. So soll der Disput zwischen amerikanischen Vater und deutschen Onkel und Tanten abgelaufen sein. Diese Geschichte wurde hunderte Male in der Familie zum Besten gegeben, so dass die Brüder sie wortwörtlich wiedergeben könnten.
„Tja!“
„Und ich weiß, dass Du einen beschränkten Atombomben-Krieg hervorrufen willst!“
Er war baff. Woher wusste jener das nur? Er überlegte angestrengt, immer wieder darüber, wie nur konnte jener diesen Anschlag wohl verhindern?
„Und ich werde ihn verhindern. Denn die Zeit damals ist mit der heutigen nicht vergleichbar. Nur wenn wir kreativ und nicht desaströs handeln, wird die Menschheit gerettet werden.“
Er hatte sich wieder gefangen.
„Wenn wir mit Raketen in den Weltraum umsiedeln?“
„Zum Beispiel!“
Er lachte.
„Du warst schon immer ein Träumer, Bruderherz!“
„Mag sein. Aber darüber haben wir schon endlose Gespräche geführt. Mittlerweile fehlt uns dazu die Zeit. Wir müssen endlich handeln!“
„In der Tat!“
„Aber in anderer Richtung als Du denkst und handelst!“
„So so!“
„Mach's gut, großer Bruder.“
Diese verdammte Ironie!
Der Bildschirm wird schwarz.
Nachdenklich starrt er noch einige Minuten ins Nichts.
Seine Zähnen beißen auf die Lippen.
Hat sein Bruder den Anschlag, seinen Plan durchkreuzt? Fast ist er sicher. Wie nur ist es ihm gelungen, verdammt.
Er wirft seinen Blick auf seine große Armbanduhr. Wenige Minuten noch, wenn alles nach Plan läuft.
Er schaut noch immer auf die Uhr. Wenige Minuten, bis es geschieht. Bis es geschen muss, wonach er so lange hin gearbeitet hatte. Der verrückte Nordkoreanische Präsident wird vergast.
Nur, wie er es ahnt, nach dem Gespräch mit seinem Bruder, der seltenst, dazu ist er viel zu ernsthaft, bislang gescherzt hat: Der Anschlag wird verhindert werden beziehungsweise worden sein.
Dann kommt ihm die Idee, wie es geschehen wird: Natürlich, der Sauna-Mann, derjenige, der das Zyklon B auf den heißen Trog legen sollte! Diesen wird er wohl bestochen, ihm mehr Geld geboten haben als er, so dass er von der Vergasung Abstand genommen hat.
Ja, so wird es sein – so gewesen sein.
Aber letztlich egal. Er musste weiterhandeln, weiter versuchen, die Menschheit zu dezimieren, denn sie gibt keine Ruhe. Sie ist weiter auf dem Weg, sich ihrer Grundlagen zu entledigen, sie zu zerstören, die Welt unwirtlich und nicht für diese Spezies überlebensfähig zu machen. Punkt.

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Der Umbruch der Gesellschaft

Beitragvon Pentzw » 13.09.2023, 18:57

Der Plan B bestand darin: das Gemix, die Substanz, das chemische Extrakt, das er in Händen hielt, musste ins Trinkwasser geschüttet werden. Danach würden sich 90 Prozent der Bürger, die von diesem Wasser kosten würden, mit einem Bazillus infizieren und deren Hörvermögen angreifen in einer Weise, die seinesgleichen suchte.
Zunächst würde der weitaus überwältigende Anteil der Trinkwasserkonsumenten zu einem Gehörgerät greifen müssen, weil sie nur noch ein dumben Laut im Ohr vernahmen.
Diese würden elektronisch, wie alle Hörgeräte, betrieben werden und auf einer Effizienzwelle, eine Intervall-Amplitude und Frequenz reagieren, worauf er Zugang haben würde. Er würde nach Belieben mit einem Peilsender Interferenzen, Störimpulse, ja sogar elektronisch verzerrte Stimmen in den Ohren, in den Gehirnen, im Bewußtsein vieler aussenden.
Diese Menschen würden zu destruktiven Handlungen aufgerufen, verleitet und gezwungen werden können je nach seinem Gusto.
So die Theorie, der Plan, die Anstrengungen.
Ob es funktionierte, wusste er natürlich nicht, er konnte schließlich keine Studien, keine Probier-Gruppe und evaluierende Maßnahmen, Vorsichtsmaßnahmen durchführen. Die Sache war wie geheim auch ungewiss. Aber er rechnete damit, auch wenn er nur einen Bruchteil der Beteiligten erreichte und erreichen würde, dass diese ausrasteten, Amok laufen, ihre Nächsten angreifen, hoffentlich töten würden.
Weit wichtiger war aber noch der Sachschaden, den er dabei erhoffte anzurichten.
Bei genügender Anzahl würde ein ungeheueres Chaos in der Gesellschaft die Folge sein. Diese wird derartig in Unordnung gestürzt werden und aus den Fugen geraten, dass sich der Staat berechtigt fühlen wird, eingreifen zu müssen, Hilfe zu leisten, wie sie es deklarieren werden, bevor der bedauernswerte Staat untergeht, zu einem failed state werden würde.
Oder eine nicht direkt infizierten Gruppe, Gesellschaftsschicht würde wieder Ruhe und Ordnung im Lande herstellen. Darauf setzte er am meisten. Denn das bedeutete Bürgerkrieg.
Der Plan würde jedenfalls dann beendet sein, wenn etliche Hundertausende von Menschen gestorben, verletzt und getötet werden worden wären.
Danach konnte er weitersehen. In ein anderes Land reisen und dort die Prozedur wiederholen undsoweiter.
Wahrscheinlich lief es auf eine Machtergreifung einer autoritären Gruppe hinaus, die seinen Vorstellungen von Umwelt- und Bevölkerungsschutz so entsprach, dass sie seinen Wünschen entsprechend handeln würde per Dekret.
Stopp den Bevölkerungsüberschuß!
Durchsetzen dürfte sich auf jeden Falle eine rechtsradikale Gruppe.
Dadurch war aber ein anderes Szenario denkbar.
Denn diese leugneten den Klimawandel. Damit würde der Kreislauf wieder von vorne beginnen. Und bekanntermaßen würde sie das Bevölkerungswachstum kaum hemmen. Oder aber, sie würden Gesetze und Beschränkungen herstellen, dass nur eine bestimmte Ethnie, Schicht oder Klasse Nachkommen produzieren dürften. Anderen würde es verboten werden.
Wie immer, aber daran wollte er zunächst mal nicht denken.

Hinsichtlich der Methode, um zu diesem Ziel zu kommen, lag der Schwerpunkt der Manipulation darin, einzelne Personen bei ihren Lebensgewohnheiten zu beobachten. Vor allem, in welchen Bereichen der technischen und wirtschaftlichen Welt sie arbeiteten. Nicht zu gebrauchen waren sozialarbeiterisch Tätige. Es mussten vielmehr solche Personen sein, die einen Hebel in der Wirtschaft betätigen konnten. Würde dieser von ihm ferngesteuert bedient, könnte erheblicher Schaden entstehen. Nur mal vorgestellt, jemand arbeitete im Klärwerk der Stadt. Instruierte er diesen, in die Staubecken Gift zu schütten, welch effektiv-verheerende Auswirkung und Schaden dies doch nachsichzöge!
Oder einen Energie-Fachmann, einem aus einem Kernkraftwerk – gibt es momentan nicht mehr – oder aus einem Kohle-, Öl- oder sonstigem Werk. Er würde ihn dahingehend drängen, dass er einen Hebel umlegte, der eine große Katastrophe nach sich zog.
Industrielle Sabotageakte waren wohl die effektivesten Beeinflußungsmöglichkeiten!
Aber es gab noch andere Möglichkeiten, von denen er bislang vielleicht noch nichts wusste. Das würde sich mit der Zeit ergeben.
So dachte er zum Beispiel an folgende.
Er erreichte einen Multiplikator, einen Influencer, einen, der auf andere Menschen Einfluß ausüben kann. So dachte er etwa an einen Imam einer großen Moschee, der jeden Freitag seine Haßpredigten losließ, die unter dem Heer von Anbetern den ein oder anderen tatsächlich so aufhetzten, dass er ein Attentat, einen Anschlag, eine große Sabotageaktion vollführte.

Nur galt es vorerst, solche Personen ausfindig zu machen, die andere Menschen beeinflußen kannten.
Dafür hatte er auch ein Programm erfunden, das ihm erlaubte, übers Internet entsprechende Funktionsträger mit ihren Verhaltensradius, ihren Tätigkeitsumkreis zu überwachen. Sind bestimmte, wiederkehrende Arbeitswege erkennbar, dann konnte auf der jeweiligen Person Berufstätigkeit geschlossen werden und danach mussten sich die manipulativen Instruktionen richten.
Das große Problem bestand in der Schwierigkeit, wie überhaupt an entsprechende Personen heranzukommen und deren Umfeld, Beruf und Verhaltensgewohnheiten zu erkundschaften.
Aber dafür hatte er einen genialen Plan entwickelt.
Das Gift, das er mit dem Leitungswasser vermengen würde, rief Hörstörungen nach sich. Es würde ein großer Bedarf an Hörgeräten entstehen. So musste er dann möglichst viele Hörgeräte unters Volk bringen. Denn es mussten möglichst viele Leute ein solches von ihm konstruiertes Gerät aufhaben, um sie erreichen, überprüfen und leiten zu können. Dabei musste es sich um ein Bestimmtes handeln. Eines, das er vorpräperiert hatte. Ein x-beliebiges reichte nicht aus. Es bedurfte also einer bestimmten von ihm entwickelte Maschine, um mittels einer imaginären, künstlichen Stimme Leute zu dirigieren und zu manipulieren.
Dazu hatte er sich folgende Strategie ausgedacht.
Er bot im Internet auf einer Webseite ein unentgeltliches Hörgerät an.
Niemand bietet heutzutage für nichts etwas an. Es musste stets etwas seinen Preis haben, damit es vertrauenswürdig und seriös erschien.
Aber er hatte dieses Angebot im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts vorgestellt und angeboten: wir testen und erforschen die Hörfähigkeit und Hörverbesserung des Geräteträgers, wozu sie uns Informationen liefern und im Gegenzug können sie dieses Gerät unentgeltlich tragen und Up-dates und Verbesserungen würden gleichfalls unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Das erklärte, warum die Leute für solch ein Gerät nichts bezahlen mussten. Stellte sich heraus, sie brauchten tatsächlich ein Hörgerät aufgrund mangelnder Hörfähigkeit und die Hörbeeinträchtigung war nicht temporär, sondern chronisch, so durften sie es behalten. (Toll!)
Damit Leute sich dazu gedrängt fühlten, bewarb er es damit, dass solch ein Gerät
a) zur Vorsorge/Prophylaxe dienen solle, also um festzustellen, ob generell eines notwendig aufgrund eines redundanten Hörfähigkeit sei und
b) sollte ein Hörgerät notwendig sein, so würde die Hörfähigkeit nicht nur wieder auf das normale Level aufgebaut werden, sondern sich diese von selbst organisch wieder verbessern und erneuern. Dahinter steckte die Lebenslüge: ewige Jugend und Lazerus-Effekt, das Wunder der Auferstehung von den Toten. Damit würde sich jegliches störende Hilfsgerät wie ein Hörgerät erübrigen.
Es mussten also so viele Geräte wie möglich unters Volk gebracht werden, um so viele Personen wie möglich erreichen zu können. Je mehr, desto größer die Wirkung. Desto größer die gewünschte Infiltration, Manipulation und Zerstörung. Die Leute würden schon den von ihm gebashten Stimmen folgen, wenn auch nicht alle, aber genügend viele, so dass ein großes Chaos entstünde, vielleicht Bürgerkrieg und die Gesellschaft in ein tyrannisches System umwandeln.

Pentzw
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In einer Nacht, nach der Disko

Beitragvon Pentzw » 25.09.2023, 21:06

Ein Licht ging an in einem Bad. Das Bad war wie eine Kajüte, völlig abgeschottet nach außen. Nur ein kleiner Filter war weit oben in der Ecke angebracht, der sich automatisch einschaltete.
Ein Körper schwankte herein, der sich nur durch zittrige Hände, die sich auf die Porzellanarmatur des Waschbeckens abstützen musste, aufrecht erhalten konnte. Derjenige hatte es nötig. Vor Erschöpfung konnte er sich nicht mehr gerate halten. Im Spiegel wandte sich eine Maske entgegen, ein von Drogen gekennzeichnetes Gesicht. Die Maske verzerrte sich, weil sich das Spiegelbild erschrak.
Eine Hand ging zum Auge hoch, zog den Tränensack nach unten.
Besonders ein Lidfalte über dem linken Auge war verdächtig. Er bewegte seinen dicken, dröhnenden Schädel näher an das Glas, schloss das Auge und fokussierte dieses mit dem anderen. „Oh mein Gott!“ Eine entlarvend knitterige Lidfalte!
Er fuhr wieder zurück und fixierte erneut sein Spiegelbild. Unter den dichten Wimpern hervor warf er sich einen verstohlen prüfenden Blick zu wie ein Keko. Diese weißen Augäpfel mit einer Iris, die nur verdeckt unter den langen Wimpern hervorschauen konnten, ähnelten einem vorsintflutlichem Krokodil oder etwas in der Art.
Sein Gesicht wurde fleckig. Er war ein Bluter. Auf seinen blassen Wangen zeichneten sich kreisrunde rote Flecken ab. Er rieb und massierte mit breiten Händen so lange darüber, dass wieder Farbe in die blutleeren Stellen gelangten. Sein Blut zirkulierte nicht ausgewogen, sondern zeigte an manchen Stellen Schwachstellen.
Jetzt aber geriet seine Lidfalte schärfer in den Fokus.
Was war es, dass sie so faltig machten? Gründe, ja– Erklärungen gab es wie immer viele: Verfallserscheinung. Erschöpfungssymptome nach anstrengenden 12 Stunden als Jäger, der von einer Diskothek zur anderen hetzte, verbissen auf Fang und Ausbeute, jedoch erfolglos.
Vielmehr, erfolgreich war er schon, dass er eine Tussi aufgerissen hatte. Sie hat ihn auch mit zu sich nach Hause genommen. Aber dort einen Rückzieher gemacht. Er war ausgeflippt: „Was soll ich mit dem Abend, eher die Nacht noch anfangen? He! Um diese Zeit krieg ich bestimmt keine mehr in die Kiste.“ „Achso, nur darum geht es Dir?“ „Na, was glaubst Du? Dass ich vielleicht ein verdammter Romantiker bin, mit Liebe hin und her, oder was?“ „Ja, ein bißchen!“ „Mädchen, in welcher Welt lebst Du überhaupt noch? Die Zeiten dürften längst vorbei sein.“ „Seh ich nicht so!“ „Na, dann viel Erfolg. Aber für mich ist der Abend gelaufen.“ Trotzdem, er konnte sich nicht beherrschen, so schlecht Mißerfolg wettmachen, ist er noch einmal auf die Piste gestoben. Verzweifelt und in aller Eile, eine Frau aufgerissen. Aber es waren nur noch abgefuckte übrig, wozu er auch keine Lust hatte.“ Also, ein verdammter erfolgloser Abend!
KÄMPFE DEINEN SCHLECHTEN GEDANKEN NIEDER. ALLES IST CHEMIE – WO SIND NUR DIE PILLEN?
Sein Gesicht war an sich extrem hässlich Darüber machte er sich keine Illusionen. Warum sollte man es leugnen, seine gelegentliche Erfolglosigkeit lag nicht an seinem mageren, so fleischlosen Gesicht, dass man sogar Wangen-, Kiefern und sonstige Knochen erkennen konnte. Nicht an der eckigen Stirn, wie aus Stein gemeißelt hart und kantig; an dem spitzen Kinn; den blassen, schmalen, blutlosen Lippen; mitnichten an den viel zu lang wirkenden Händen und Füßen, die eher einem Schimpansen glichen als einem Menschen, kurzum nicht an seiner unfertigen skulpturartigen Hässlichkeit...
Genügend präpariert, einbalsamiert, rougiert - und nichts konnte einen Erfolg in der Diskotheken mehr im Wege stehen.
Diese facettenartige Lidfalte – schauderhaft, es wurde wieder einmal Zeit für ein Facelifting! Aber eines anderer Art. Hautimplantation, Hautstraffung, Chemo-Injektion - nein, sein Arzt hatte genau die richtige chemische Substanz, um gezielt seine Gesichtsfalte zu straffen.
Gelobt sei sein Bekanntenkreis, zu denen die besten Koryphäen auf ihrem Gebiet zählten.
Daran lag es aber nicht nur. Es lag zudem an seiner besonderen Konstruktion, an seinem Genpool, das zumindest in dieser Hinsicht so gut dokumentiert war, dass man entsprechend eingreifen konnte. Nämlich gezielt. Mit hundertprozentiger Erfolgsrate.
Eben!
Aber bis dahin taten es auch einige aufbauende Pillen. Nach 35 Stunden auf den Beinen wohl nötig. Unbedingt fit und wach bleiben für diesen großen Tag, am Radio hängen, vorm Fernsehbildschirm, um das große Ereignis mitzuverfolgen. Der krönende Erfolg seiner jeden Tag bis zum Rand mit harter Arbeit ausgefüllten Monate.
„Daran mag auch mein körperlicher Zerfall herrühren! Mein Workalcohol-Dasein. - Hm, wie immer auch. Aber am Zahltag schlapp zu machen, gilt nicht und ist nur dumm! Dafür gibt es keine Entschuldigung“, dachte er zynisch und schluckte einige bunte Tabletten. Eine unumstößliche Tatsache war, dass er, der Monate lang in ärgster Anspannung gearbeitet hatte bis zum heutigen Großereignis, der Körper heute auch seinen Tribut forderte.
Was war bislang das Ergebnis?
Das Bewusstsein, dass er sterblich war, vergaß er die meiste Zeit. Das war aber kein Wunder ob seiner sonstigen Fähigkeiten. Nur bei solchen Tagen der Schwäche erkannte er die Begrenztheit des Lebens. Sollte er auch noch so eine robuste Konstitution besitzen, die Gesetze der Biologie und des Lebens gelten auch für ihn.
Aber zurück zum Körper kam seine Aufmerksamkeit.
„Das war auch besser so“, dachte er. Bei schlechten Gedanken, immer sich in die Realität stürzen. Besseres konnte man nicht tun.
Daran, an die Wirklichkeit, erinnert zu werden, verschaffte Bodenhaftung.
Diese fand er besonders heute wichtig und gut.
„Ist vielleicht doch besser so angesichts dieses Tages!?“
Die Geschehnisse der vergangenen Nacht kamen in seine Erinnerung. Diese musste mit der traurigen Tatsache zusammengefasst werden, dass er heute keine Beute gemacht und also ausnahmsweise keine Frau in die Kiste gekriegt hatte.
Der Körper im Spiegel erschien als ideal und sprach entschieden dagegen: die Schulter war doppelt so breit wie sein Becken. Muskelpakete ließen die Bizeps nur vom Zuschauen vibrieren. Die davon weggehenden Arme, dick wie Oberschenkel waren derartig lang, als wären sie vom Baum zu Baum schwingende Werkzeuge, gleich einem Affen, einem Schimpansen.
Was nun seine breiten Schultern anbelangte, konnte man sich durch jahrelanges Fitnesstraining, gezielten Stretchübungen und entsprechenden Aufbaustoffen solche durchaus aufbauen. Aber bei ihm waren sie naturgegeben. Soweit oder so viel eben an ihm im engsten Sinne des Wortes Natur war. Darüber ließe sich trefflich streiten.
Die Taille war nun enger als die Hüftknochen. Beim Vergleich mit dem Oberkörper maß er bestimmt nur ein Drittel. Was bei Frauen als verlockend angesehen war, eine schmale Taille, besaß er als Mann. Da das Unsichtbare, der Phallus, verborgen war, aber sehr groß, wirkte er im Vergleich zur wespenartig-schmalen Taille noch imposanter.
Und ein riesiger, vorgewölbter Ballon stemmte sich gegen den engen Hosenstoff, als würde er diesen jederzeit reißen und sprengen.
Dieser Etwas suchte bestimmt seinesgleichen, denn er passte eher zu einem Pferd als zu einem Menschen. Wenn auch nur zu einem Pony. Aber als solcher war er im Vergleich zu anderen seiner Spezies Mensch größenmäßig unschlagbar.
Aber in sozialer Hinsicht spielte er nur eine untergeordnete Rolle, wenn auch am nachhaltigsten. Zumindest musste darauf der Umstand zurückzuführen sein, dass nach einer Nacht des erbeuteten Fangs und seine „Ausweitung“ unaufhörlich das Telefon klingelte - sofern die Nummer weitergegeben wurde.
Was er mittlerweile nicht mehr tat. Trotzdem reagierten die Weiber zwangsweise wie der Pawlowsche Hund nach der Glocke, indem sie spätestens nach dem zweiten Tag sein Gartentor belagerten.
Allerdings, wenn sie ihn dann genauer sahen, verflog der Zauber auch wieder schnell.
Aber um so stärker war der Erfolg in den Diskonächten, wenn er aus seinem kantigen Gesicht hier und da Ecken vergrößerte, sich zombimäßig verunstaltete, dass er einem Monster glich. Er konnte niemals übertreiben. Je verhauter er ausschaute, umso mehr flogen sie auf ihn.
Also, er führte diese Belästigungen einzig auf seinen großen Kerl da unten zurück.
Seine Väter, Gen-Schneider, hatten eben beste Arbeit geleistet, als sie den passgenauen, optimalen, rustikalsten Menschen wie ihn und seinen Zwillingsbruder mit der Gen-Schere zusammenschnipselten. Die Brüder waren in der Retorte, im Labor, in der Gen-Werkstatt zusammengebaut und dann der Mutter in den Uterus gesetzt worden. Aber auf der Gen-Grundlage ihrer Eltern, versteht sich. Ein Weg, der einzig gangbar war, weil wahrscheinlich die Spermien des Vaters zu langsam waren, um rechtzeitig an der Eileiter der Mutter anzudocken und ein gesprungenes Ei befruchten zu können.
„Darf man das? Am Leben herummanipulieren?“
Der Vater hatte aufgelacht.
„Natürlich nicht! Aber Du kennst wohl George Orwells Spruch aus „1984“.“
Alle sind gleich. Manche sind gleicher.
Manche Wissenschaftler, zu denen auch sein Vater gehörte, setzen sich nun einmal über Gesetze, Moral und Vorschriften hinweg.
Von daher wollte er nicht wissen, wie viele Zombies da draußen außer ihm noch herumliefen.
Wahrscheinlich hatte die Gen-Manipulation vor 50 Jahren aber noch in den Kinderschuhen gesteckt. Wie erklärte es sich schließlich, dass sein Bruder mit gleichem genetischen Pool das gerade Gegenteilige von ihm war?
In gelassener Stimmung bezeichnete er dies als Wunder, in weniger gelassener als Unglück. Dem Ingenieur musste einfach ein Konstruktionsfehler unterlaufen sein. Wie konnten zwei sich wie ein Ei gleichende, eineiige Zwillinge in der wichtigsten Dimension, nämlich der der Seele so unterschiedlich sein? Er, der hoffnungslose Pessimist, der andere dieser hoffnungsvolle Optimist. Jener glaubte an den Fortbestand der Menschheit mit Mitteln der Technik, nicht der Beschränkung wie er. Glaubte daran, Raketen, Raumfähren und -fahrzeuge konstruieren zu können, worin die Menschheit überleben konnte, nachdem sie die Erde mittlerweile unwirtlich und so gut wie tödlich für alle Lebewesen heruntergewirtschaftet oder besser im wirtschaftlichen Sinne des Wortes „hochgewirtschaftet“ hatten?
Hirnrissig!
Man konnte nicht alle Dinge selbst erschaffen, die die Natur braucht, um sich selbst zu regenerieren, wozu ja auch der Mensch gehörte, als Krönung der Natur. Man kann nicht künstlich diejenigen Utensilien herstellen, die diese aufrechterhält, weil der Satz noch immer gilt: Pars pro toto. Die Natur würde letztendlich stets ein Mysterium für den Menschen bleiben.
Nein, anderes wäre zu optimistisch und schösse eindeutig über das erwünschte Ziel hinaus, die Menschen überleben zu lassen. Außerdem bestand nicht mehr so viel Zeit, um sich auf solche Eskapaden und Ausweichmöglichkeiten vorbereiten zu können. Raumschiffe mit Millionen von Menschen, Bereiche des Mondes, des Mars oder sonstiger Planeten und Trabanten zu einer menschenfreundlichen Region auszubauen? Was dies Energie kosten würde. Woher musste dies geholt werden? Von der Erde. Dadurch würde wiederum die Natur umso rabiater, schärfer und nachhaltiger, sprich unwiederbringlich zerstört werden.
Nein, sein Bruder war ein Phantast, ein hoffnungsloser Fall, ein Utopist der alten Schule. Davon hat die Menschen schon zu viele gesehen und dadurch schon zu viel nachhaltige Schäden davon tragen müssen. Man denke nur einmal an diesen Karl Marx und seinem Hirngespinst von gleichen Menschen, von gleichstrukturierten Gesellschaften. Für so etwas hatten die Menschen mittlerweile keine Zeit mehr übrig. So sieht es aus!
Insofern war sein Bruder mittlerweile sein ärgster Gegner. Mit seinen Plänen, davon war er überzeugt, ruinierte er die Welt noch mehr. Und er, er setzte einzig auf die Reduzierung der Erdbevölkerung. Eine Aussiedlung auf einem anderen Planeten musste man langsamer angehen, nicht so fluchtartig. So weit war die Menschheit noch lange nicht. Vorbereitungen musste getroffen werden, Forschungen, Experimente undsoweiter. Aber inzwischen wütete die Klimakatastrophe schon richtig brutal, dass die Menschen kaum mehr etwas dagegen tun können: Waldbrände, Lawinenschmelze, Artensterben...
Er fühlte sich nicht nur in seinem Körper unwohl, der überfordert worden war von Diskonächten und Überarbeitung. Er musste sich sein neopremen Nylon-fast-Ganzkörper-Anzug überziehen, um wieder neugeboren zu werden. Dies tat er. Und die Wirkung war enorm. Ein neuer Mensch stand vorm Spiegel.
Er bließ diesem ins Gesicht. Eine Haartolle wurde dabei nach oben geschleudert.
„So“, sagte er sich. „Jetzt kann es losgehen. Auf zu neuen Taten.“ Und großartige Taten warteten in der Tat auf ihn.

Pentzw
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Der denkbar gefährlichste Gegner

Beitragvon Pentzw » 01.02.2024, 17:24

Nun war der Zeitpunkt gekommen, zu handeln, sagte er sich laut vor, um sich Mut zu machen. Diesmal stand er dem denkbar gefährlichsten Gegner gegenüber: seinem Bruder. Er wusste, dass es bei diesem nie den richtigen Moment gab, ihn anzugreifen. Wie verhext war dieser immer einen Schritt voraus – bislang jedenfalls. Seit er sein intimster Feind geworden war. Und das war schon lange her. Er hatte nie eine Chance gegen ihn gehabt. Gut, Phyrussiege – Wunden, die er ihn geschlagen hatte, aber immer war er ihm entwischt, entkommen und sein Schaden stand dem des Bruders in nichts nach.
Nach dem Fehlschlag mit der Atombombe musste er nun den Plan B ausführen. Er hat nicht damit gerechnet, am wenigsten, dass dieser auf Kosten seines Bruders ging. Sicher war es einerseits gut zu wissen, wer dein Feind ist, aber für jeden Menschen ist es schlecht, wenn dies sein eigener Bruder ist. Zumal ist es mehr als schlecht, wenn es der Bruder von diesem Menschen ist, der so Ungeheuerliches im Schilde führt. Und der eben diesen Bruder als Gegner hat, der ihm schon immer geschlagen hat. Würde er ihn aber dieses´Mal ausschalten können, dann hätte er endlich seinen gefährlichsten Gegner ausgeschaltet und diese Aussicht, so vage sie in Wirklichkeit war, erfüllte ihn und motivierte ihn, weiterzumachen …

Hatte er alles berücksichtigt?
Ja, das war stets die Frage der Frage: war alles bedacht? Alle Unwägbarkeiten erwogen?
Und da war noch sein Bruder. Was heckte der aus?
Der letzte Punkt war der unsicherste Faktor, aber der entscheidende. Wusste er, was sein Bruder gegen hin gerade unternahm, konnte er ihn schlagen, nur dann.
Das Terrain, das Schlachtfeld war zunächst das Netz, das Internet. Sicher konnte er nur dann sein, wenn er es schaffte, sich in das Computersystem seines Bruders einzuhacken. Ihn also zu überwachen, während der ihn, wovon auszugehen war, längst schon überwachte. Bislang war es ihm nicht gelungen, ihm auf die Schliche zu kommen und hinter ihm zu treten. Gut, er hatte es nie ernsthaft versucht. Nun hatte das Zögern ein Ende. Er würde ihm endgültig das Handwerk legen.
Es war nur eine Frage der Zeit. Und er arbeitete Tag und Nach daran. Er schlief nicht mehr.
Er seufzte.
Plötzlich brach ein Sturm der Erinnerung auf hin hernieder und die Bilder hielten ihn mit einem riesigen Fragezeichen in den Bann: Warum musste der Bruder immer dazwischenfunken? Immer dazwischentreten. Genauso, wenn er ehrlich zu sich war, wie er es bei ihm tat. Das war schon seit Kindesbeinen an so. Wobei es da noch nicht lebensgefährlich war.
Erst das ständige Buhlen um die Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern, dann das um die des Lehrers, dann des Cousins, dann der Ersten Liebe. Wenn er eine Freundin hatte, dann wollte sein Bruder die auch haben und umgekehrt. Genau dieselbe! Es war wie verhext. Also wären sie hoffnungslos in Antiwelten verstrickt, aus der sie nicht herauskonnten.
Sie handelten zweifellos unter Zwang. Es geschah einfach, kaum hatte man sich umgesehen, schon hatte er die ehemalige oder derzeitige Freundin seines Bruders im Arm und umgekehrt. Es war ein verteufelter, ewiger Kreislauf, wie ein Kreis, ohne Ende und Anfang.
Im Grunde wusste er nicht, was er wollte. Solange sein Bruder existierte, würde sein Leben von ihm bestimmt sein, zu versuchen, ihm den Kuchen vor der Nase wegzuschnappen und umgekehrt. Und dieses Verlangen fraß ihn fast auf, nahm fast sein ganzes Bewusstsein ein.
Sange sein Bruder lebte, das war eine unumstößlich Tatsache und zog eine unerbittliche Konsequenz nach sich, würde er niemals frei sein können.

Er musste nun einen neuen Computer aufbauen. Der alte würde als Potemkins Dorf fungieren. Sein Bruder würde meinen, dass dort seine Initiativen stattfanden, in Wahrheit aber im neuen. Das war ein alter Trick.
Zuerst musste er also ein ganz neues Computernetzwerk aufbauen. Unentdeckt vom Bruder, von seinem Netzwerk. Gleichzeitig würde er dessen hacken, um herauszufinden, was dieser im Schilde führte. So einfach klang es, so simpel erschien es. Genauso kompliziert war es jedoch.
Schon die Umsetzung war eine Herausforderung.
Obwohl er keine Zeit mehr hatte.
Der Klimawandel setzte ihn unter Druck. Mit jedem zu heißen Tag, der tagtäglich kam, fühlte er sich mehr unter Druck, endlich zu handeln, die Menschheit zu dezimieren, sich effektiv gegen seinen Bruder zu wehren und durchzusetzen.
Bislang waren ihm die Hände gebunden, er konnte bloß abwarten, ob seine Absichten Erfolge zeitigten – im konkreten Fall, wie viele und wer sich für den Kauf eines Hörgerätes einlassen würde.
Gleichzeitig musste er sich gegen seinen Bruder durchsetzen.

Immerhin hatte er es geschafft, endlich das Trinkwasser zu vergiften. Dazu hatte er sich an eine Kläranlage herangeschlichen, war über den Eisengitterzaun geklettert, hatte vorher mit einem elektrischen Messgerät überprüft, ob sie unter Strom stünde und also überwacht werden würde, was nicht der Fall war. Mit Hilfe einer einer kleinen Plastik-Sprengstoff-Bombe drang er mühelos durch das eiserne Sicherheitstor in die Anlage ein. Mit einem Werkzeugkasten in der Hand und einem Kopfstirnlampe pirschte er sich einen langen Gang entlang, wiewohl die gebeugte Haltung überflüssig war. Um die erste Ecke stand er vor einem Kontrollpunkt, ein Hindernis, das er zu überwinden wusste, indem er erneut das Sprengmittel anwendete. Er gelangte zu einem massiven Drehkreuz mit dicken Stäben, die er aber nicht bewegen musste, denn sie ließen ihn anstandslos durch.
Er wischte sich zum ersten Mal Schweißperlen von der Stirn, dies mit einer kindlichen Geste, nämlich mit dem Handrücken. Aber das war hier kein Spiel.
Als er in der Zentrale stand, sozusagen in der Kommandozentrale, im Kontrollraum und im Führungshäuschen, sah er links ein riesiges Gebilde, wo es hier und dort rot, grün und blau blinkte, wahrscheinlich das Trinkwasser-Gebilde der Stadt, das den Verlauf der Rohre und Zuleitungen widerspiegelte. Das interessierte ihn jedoch nicht.
Er schaute hinauf zu einer riesigen gläsernen Kuppel. Die Sterne waren nicht erkennbar, dazu war das Glas zu dick. Aber eine schwarze Wand, der Himmel.
Er ging zu einem Eisenzaun und stand auf einer Empore, von wo aus er auf ein tiefes, auf allen vier Seiten mit Edelstahl verkleidetes Schwimmbecken schauen konnte. Es war ein großes Bassis, das das Herz, die Zentrale, die Quelle des Trinkwasserreservoir darstellte, gefüllt mit gut gefiltertem und gereinigtem Wasser, bestens zum Trinken geeignet, will heißen von den Messdaten her. Dass es zuvor mit Fäkalie und Urin durchsetzt war, spielte nun keine Rolle mehr. Offiziell war es davon befreit, sauber und klar, als entspringe es einer Quelle in den Bergen.
Er musste jetzt nur noch ausfindig machen, wo die Rohre sich befanden, die in die das städtische Trinkwassersystem führten. In diese musst er nur die mitgeführte, präparierte Substanz leiten. Damit dürfte es getan sein. Weiter konnte er nichts tun, nur hoffen, dass die Konzentration stark genug war, möglichst viele Trinker zu infizieren.
So unbemerkt wie er gekommen war, verschwand er auch wieder.

Schon am nächsten Tag kamen einige Anfragen zum Hörgerät. Mit dieser Geschwindigkeit hatte er gar nicht gerechnet. Freudig lieferte er einige aus. Doch als er das erste Gerät orten konnte, war er von einer Überraschung groß. Der Empfänger konnte nur sein Bruder sein.
Wie war er nur darauf gekommen?
War sein Plan damit hinfällig, gescheitert?
Es konnte sich nur um einen Hinterhalt seines Brüderchens handeln. Er täuschte vor, das „Gift“ gekostet zu haben, indem er vorgab, nun schwerhörig zu sein und ein Hörgerät zu benötigen. Wenn er ein Hörgerät erhält, muss er es nicht unbedingt im Ohr tragen. Er kann es auch einfach vor sich auf dem Tisch liegen haben, einige Elektroden anschließen und die Informationen, die es empfängt, abfangen. Er tut dann so, als würde er seine Anweisungen befolgen, während er nur wartet, einen Ansatzpunkt zu finden, um ihn an den Karren zu fahren.
Das würde die totale Funkstille des Gerätes bedeuten.
Gut, könnte sein. Könnte. Nur Möglichkeitsform.
Jetzt konnte er mit seinem Plan nicht weitermachen, nicht, wenn auf der Kippe stand, ob der Bruder die Leitung angezapft hatte oder nicht. Denn wenn ja, würde er derjenige sein, der an der Nase herumgeführt wurde. Der kleine Bruder würde tun, was er tun könnte, um ihm zu schaden.
Wenn er aber den Spieß umdrehen konnte, war es endlich soweit: Schachmatt, lieber Bruder!
Das war die Voraussetzung, um seine Pläne fortzusetzen.
So oder so, musste er sich zunächst, wenn auch vorsichtig, auf das Spiel einlassen. Es gab keine Alternative. Und diese Chance war das Risiko allemal wert.
'Gut, Brüderchen. Du willst es wissen. Ich werde dir ordentlich einheizen!'
In den folgenden Tagen schickte er ihm ein Hörgerät. Daraufhin meldete sich der Bruder sofort. So konnte er in sein Programm tippen: „Gehorche mir! Ich befehle Dir: Schalt Deinen Computer aus!“
Ein Lichtchen, das eine Verbindung signalisierte, ging auf der Benutzeroberfläche des Überwachungsprogramms aus. Es warf ihn schier um. Sein Bruder hatte tatsächlich seinen Befehl befolgt und seine Internetverbindung ausgeschaltet.
'Aber es kann eine Finte sein.'
Bevor er mit einem nächsten Schritt im Spiel weiterging, lehnte er sich erst einmal in seinem Sessel zurück. 'Wo könnte noch ein Schlupfloch sein, in das mein Bruder hineinkriecht?'
Er bekam Kopfschmerzen vor lauter Nachdenken, die wohl noch andauern würden, bevor er wusste, wie er handeln durfte …

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Der Besuch des Journalisten

Beitragvon Pentzw » 08.02.2024, 13:55

Gestern hat mich ein Journalist angerufen: „Wir haben gehört, Sie haben eine Hörgerätefirma eröffnet. Wie interessant! Wir würden Sie gerne dazu interviewen.“ Ich fragte mich, inwiefern die Neueröffnung eines Hörgerätegeschäfts wohl solche einen großen Sensationsgehalt haben musste, dass sich sofort eine Tageszeitung darauf stürzte. Außer der Anmeldung eines Gewerbes beim Finanzamt und der Stadtbehörde hatte ich nur ein bisschen Werbung für ein neues, innovatives Hörgerät auf einer Website im Internet gemacht. Und schön stürzte sich die Presse darauf?
Aber ich konnte nicht ablehnen, ohne dass es Verdacht erregt hätte.
So war ich gespannt misstrauisch.
Der Mann, der Kaugummi kaute und so weiße Turnschuhe mit Sohlen trug, die so hoch waren wie Frauen-High-Heels, war eigenartig. Sein steif gebügeltes Hemd mit lila Krawatte und dem azurblauen Anzug, wie ihn nur Politiker in Berlin tragen, amüsierte mich unwillkürlich zunächst, als dass ich ihn ernst nahm. Er machte einen sehr aufgeräumten Eindruck, was zu seinem Outfit passte. Das war vielleicht auch so beabsichtigt, durch clowneskes Auftreten Arglosigkeit hervorrufen. Ich musste mich zusammenreißen, um Ernst zu bleiben, genauer gesagt wieder zu werden. Damit veränderte sich in der Tat meine Wahrnehmung schlagartig.
Mensch dachte ich, worüber der sprach, passte nicht zu seinem modernen Auftreten. Immer wieder kamen sehr gezielte technischen Fragen, die nur Fachleute stellen konnten.
Er spürte wohl meine Reserviertheit, denn es veränderte sich sein Tonfall. In seinen Aussagen war er zu bedacht darauf, den Eindruck von Seriosität zu vermitteln. Und jetzt fand er es angezeigt, um den Schein aufrecht zu erhalten, einen Notizblock mit Stif aus seiner Seitentasche zu holen, das typische Handwerkszeug eines Reporters. Ich fand diese Geste lächerlich. Warum jetzt erst? Klar, weil er seine Seriosität unterstreichen wollte. Sehr durchschaubar aber.
„Das Einzugsgebiet unserer Zeitung umfasst eher kleinere Orte, Kleinstädte und dörfliche Ansiedlungen. Wir sind es unseren Lesern schuldig, sie wissen zu lassen, was hinter unseren kleinen Stadtmauern so gespielt wird, nicht wahr?“
Es schien, als hätte er sich in einem Chatbot Informationen zur Politik von Zeitungen liefern lassen, die aber voller Widersprüche waren, wenn man sie näher betrachtete.
Vor allem der Umstand, den er am Telefon verkündet hatte, biss sich mit seinem Interesse: Er sei der Mitarbeiter einer sehr weit verbreiteten Tageszeitung. Was interessierte die Welt schon mein kleines Hörgeräte-Geschäft? Es stand im Raum, dass er das nur gesagt hatte, um aus einer Mücke einen Elefant zu machen. Und nun gerade einen Elefanten hervorzurufen, der überhaupt nicht im Raum stand.
„Unsere Berichterstattung ist einerseits sehr international ausgerichtet. Aber wir haben einen Lokalteil von sehr guter Qualität.“
Ich fragte mich nun, wer dieser Clown war, ob wirklich ein Journalist oder ein Agent, nicht zuletzt ein Schnüffler, den mein Bruder geschickt hatte.
Vielleicht aber machte ich mich hier mit meinem Misstrauen nur lächerlich? - Aber lieber lächerlich als tragisch. Ich möchte nicht erneut meinem Bruder auf den Leim gehen.
Meine Ohren spitzten sich auf. Ich bin wachsam. Und zum Zerreißen gespannt.
So, dass Ich mich nicht einmal mehr getraute, den Raum zu verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Ich wollte ihn nicht allein hier zurücklassen, so dass sich ihm die Möglichkeit bot, herumzuschnüffeln und an Dingen zu drehen, die ihn nichts angingen.
"Wie sind sie überhaupt auf mich aufmerksam geworden?"
„Es hat sich einfach so herumgesprochen. Ich weiß es auch nicht mehr. Ich habe von Ihnen gehört, ohne zunächst darauf zu reagieren. Doch es ist in meinem Gedächtnis hängengeblieben, zurecht, wie sie mir zustimmen werden!“ Sein Lächeln hat sich dabei von einem Ohr zum anderen gespannt, das war die pure Verlegenheit und der Inhalt des Gesagten so nichtssagendend wie nur etwas.
Schmeichler, widerlicher!
„Es war naheliegend, den Inhaber dieser neuen Firma zu besuchen und ihm die Möglichkeit zu geben, Werbung für sein Start-Up-Unternehmen zu machen. Die Angelegenheit ist interessant genug, oder?“
Welcher Geschäftsmann würde widersprechen, wenn sich die Gelegenheit ergab, kostenlos die Werbetrommel für seine Firma zu rühren? Nur war ich mir sicher, dass ich bestimmt keine Mundpropaganda für sie gemacht hatte. Er hatte nichts von Dritten über mich und mein Unternehmen gehört, das war unstrittig. Also, warum log er so unverschämt, Mensch?
Nun weiter das Spiel spielen, so würde ich bestimmt auf den Grund und die Hintermänner dieses ominösen Besuchs kommen.
Mein Widerwillen verstärkte sich indessen natürlich. Honig ums Maul schmieren, das können sie, die Journalisten, verdammte lästige Fliegen sind sie, mehr nicht. Dass ich so dachte, außer meinem begründeten Argwohn, ist nachvollziehbar, schließlich hatte ich kein x-beliebiges kommerzielles Unternehmen. Mehr eine nichtstaatliche Gesellschaftsorganisation, NGO, nicht wahr?
Ich kam zum Schluß, dass es sich bei diesem Clown wohl auch um so einen Berufsvertreter handeln musste, egal ob zum Ausspionieren von meinem Bruder gesendet oder nicht.
Ja, er ist einer von ihnen, die ich so hasse, seine Formulierungen sind zu geschmeidig, zu ölig, zu stereotyp. Wäre er nicht aus Fleisch und Blut gewesen, hätte es sich um einen Avatar, einen Roboter oder sonst ein künstliches Gebilde handeln können. Er schien aber aus biolobgischen Stoff zu bestehen. Wer weiß jedoch, welche Implantate in seinem Hirn installiert waren?
Ich hatte verstanden. Ich war alarmiert. Wahrscheinlich war diese Kanaille von meinem Bruder geschickt worden.
Zwar erschien einige Tage später ein harmloser Artikel über mich in der besagten Zeitung, aber ich ließ mich nicht täuschen, vielmehr könnte ich kein Risiko eingehen. Es war nicht auszuschließen, dass dieser Journalist in seiner Westentasche einen Scanner hatte, um Daten von meinem Computer abzugreifen. Obwohl dieser offline war, war das kein unüberwindliches Hindernis.
Ich musste mich aus dem Staub machen!
Das war wortwörtlich gemeint. Kein Stäubchen mehr sollte an meinen Sohlen kleben, damit mir mein Widersacher auf den Fersen bleiben konnte, so dass ich mich mit meinem Privatjet auf einen Flug begab.
Die für mein Unternehmen wichtigste Maschine stand am Ufer der Nordsee bereit. Ich hatte sie per Frachter schon durch den Rhein-Donau-Kanal und über den Rhein dorthin transportieren lassen. Sie würde mich vor jeglicher Überwachung in Schach halten. Auch wenn ich leidenschaftlicher Schachspieler stets gegen meinen Bruder unterlag, werde ich diesmal in diesem Spiel der Überlegenere sein.
Ja, dieses Mal schon!
Hätte ich vielleicht noch einen Rückzieher gemacht, aber spätestens nach einem Ereignis war die Zeiz reif unterzutauchen ...

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Der Anschlag

Beitragvon Pentzw » 26.05.2024, 13:17

Ilesco, ein ehemaliger Bergarbeiter aus Rumänien, dessen Frau deutsche Wurzeln hatte, war mit seiner Frau nach Nürnberg übergesiedelt. Er hatte einen dreimonatigen Sprachkurs machen dürfen. Allerdings sofort einen guten Job zu erhalten, ließ auf sich warten. Erst nach einem Jahr erhielt er in seinem ehemaligen Beruf, der des Minenarbeiters, eine gleichwertige Beschäftigung: den Aushub von U-Bahnschächten. Alles in allem ein Glücksfall. Landsmänner von ihm hatten minderwertigere Arbeiten zu verrichten, Pakete transportieren, Fahrdienste verrichten oder Lagerarbeiten, sie mussten Treppen rauf und runter hetzen, beladen mit schwerem und sprerrigem Warengut. Zwar konnte man nicht gerade behaupten, dass Auspickeln und Heraushauen von Steinen keine Plackerei war. Im Gegenteil! Aber Ilesco war so gewohnt. Seit seinem 15. Lebensjahr tat er es und weil er es schon immer tat, ging es ihm leicht von der Hand. Er war mit seinem neuen Job durchaus zufrieden.
Weniger zufrieden war er mit den Wohnverhältnissen. Bereits seit einem Jahr und drei Monaten hauste er mit seiner Frau in einem Übergangswohnheim, in einem Raum mit sechs Personen, drei Ehepaare. Ursprünglich hieß es, sie sollten schon nach wenigen Wochen eine eigene Wohnung zugewiesen bekommen. Jetzt wurde ihnen jedoch gesagt, sie sollten sich parallel selbst auch um eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt kümmern. Vergeblich. Nicht dass sie schief angesehen wurden, weil sie aus Osteuropa kamen, aber ein Bauarbeiter, genauer gesagt ein Minenarbeiter, ein Steinbrucharbeiter halt . na, wie sich das schon anhörte! Wie Verbrecherarbeit. So dachten die Menschen hier. Und eine Frau, die putzen gehen musste, entsprach auch nicht gerade den Erwartungen von seriösen Mietern.
Demütigend. Trotzdem waren er und seine Frau guter Dinge. Andere Familienmitglieder hatten es schon geschafft. Sie lebten bereits seit Jahren hier. hatten eine kommode Wohnung, einen sicheren Arbeitsplatz, Kindergartenplätze für die Kleinen oder einen Platz im Seniorenheim für die Großmutter. Nun, sie würden es auch schon schaffen!
Es dauerte halt seine Zeit. Am schlimmsten war, dass er sich im Heim, in der sie wohnten, wie im Gefängnis fühlte. Hätte er doch eine eigene Wohnung, dann würde er renovieren, den Nachbarn helfen, mal hier und dort Schwarzarbeit verrichten. So aber langweilte er sich zu Tode.
Aber es war schon okay.
Trotzdem, trotz Ilescos Zuversicht war ihm manchmal völlig wirr im Kopf - so musste man es wohl bezeichnen.
Da war die Frage, warum er in letzter Zeit unter Kopfschmerzen litt. Es ging ihm doch gut. Dann meinte er, eine Stimme zu hören, die er zu überhören versuchte und insgeheim auf das viele Bier gestern zurückführte. Denn er war doch zufrieden, sagte er sich. Deshalb verwunderte es ihn, dass diese Worte in seinem Ohr , die er nicht hören wollte, ihm befahlen, seine Umwelt, die Menschen hier und die fremde Gemeinschaft zu schädigen. Zwar suggerierten sie, dies geschähe letztlich doch nur wegen eines höheren Wertes, eines Dienstes an der Menschheit insgesamt, doch verstand Ilesco diese Parolen nicht ganz. Die Stimme faselte etwas von Bevölkerungsstopp, Stopp der Klimaerwärmung.
Aber dies hatte diese Fremde nur einmal getan, ansonsten drückte sie dezidiert auf seinen Stolz und flüsterte ihn Minderwertigkeitsgefühle ein. Zwar kapierte er diesen Umstand, konnte sich aber langfristig nicht dem entziehen.
„Wenn du ein Mann bist, dann … Sei kein Hasenfuß … Wehr dich gegen das, was dich unterdrückt … Mach kaputt, was dich kaputt macht … „
Mit einem Mal wurde die Stimme sogar rüder, eindringlicher: „Was hast du zu verlieren? Worauf wartest du noch? Geh ran!“
Er habe nur das zu tun, was ihm befohlen wurde. Basta!
Obwohl er sich wirklich dagegen wehrte, tauchten plötzlich Phantasien auf, die sich nicht unterdrücken ließen. Sie kehrten immer wieder zurück. Ja, würde er dieser Stimme folgen und deren Befehl ausführen, dann würde er schon wissen, was er zu tun hatte, bestimmt. Bestimmt Katastrophen würde er herbeiführen, große Schäden anrichten …
In diesem Zusammenhang erinnerte er sich zum Beispiel an ein Rohr im Schacht in der Innenstadt, das vom Stadtfluss bis zu einer U-Bahn-Röhre führte und das man verschlossen hatte, als man darauf gestoßen war. In dieser alten Stadt wimmelte es regelrecht von ausrangierten Verlegungen ehemaliger Industrieanlagen. Der Umweltschutz verbot derartige Verbindung von Industrie und Stadtfluss natürlich mittlerweile. Allerdings wurde dies nach wie vor toleriert, sofern es unauffällig und nicht zu extreme Auswirkungen verursachte. Die Stadt lebte zu einem guten Teil von Touristen, die von dem Geruch der eingeleiteten Industrieabfälle abgestoßen werden würden. Ansonsten würde sich niemand daran stören, denn erstens gab es kaum noch Fische, die in diesem über Jahrhunderte hinweg missbrauchten Flussbett hätten überleben können und zweitens gab es auch keine Menschen mehr, die hier ihew Angelruten auswarfen.
Er verdrängte seine Vorstellungen immer wieder. Sein Gewissen war stärker. Aber sie kamen wieder.
Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich, wo sich das Loch befand und wo sie den Zugang zum U-Bahnschacht verschlossen hatten, damit das Wasser vom Fluss nicht in die Schächte dringen konnte. Eigentlich musste man nur das Ende, das in den U-Bahnschacht führte und das mit Beton verstopft und verschlossen war, mit einem Meißel freischlagen und schon hätte man eine saftige Überschwemmung.
Na mal sehen.
Er dachte sich nichts dabei und hatte keinen Plan, aber aus Neugierde ließ er sich in den U-Bahnschacht einsperren. Ein Sicherheitsdienst verschloss um ein Uhr nachts sämtliche Zugänge zu den U-Bahnstationen mit eisernen Gittern. Er hatte jetzt genügend Zeit, um sich einmal ungestört umzuschauen.
Bewehrt mit einer Stirnbeleuchtung machte er sich in aller Ruhe und ungestört auf die Suche nach dem Rohrverschluss.
„Mal sehen, ob mein Gedächtnis noch funktioniert“, sagte er sich mehr aus Verlegenheit als ernsthaft, denn im letzteren Falle hätte er über sich selbst enttäuscht sein müssen. An ersten Abend schaffte er es nicht wider Erwarten, das Ende des Rohres, das in den U-Bahnschacht führte, zu finden. Das spornte ihn an, weiterzusuchen.
Bald war er sich über die Stelle hundertprozentig sicher.
„Mal sehen, ob ich es heute habe!“
Als er die Betonwunde entdeckte, war er sehr beruhigt und mit sich zufrieden. Damit hätte er eigentlich die Sache vergessen können.
Doch er erinnerte sich an die Zeit, bevor er den tollen Job bei den Stadtwerken bekommen hatte. Damals musste er sich sein Geld bei mehr oder minder zwielichtigen Kleinunternehmern verdienen. Da gab es häufiger als ihm lieb war Situationen, in denen er von den Bauchefs betrogen worden war. Einmal fehlte bei einem Scheck die Unterschrift und er musste den Chef auf einer komplizierten Odyssee durch die Stadt und anschließend auf dem Land ausfindig machen, damit er ihn einlösen konnte.
Plötzlich empfand er Hass und Groll. Er war ein Ausländer. Und er wurde auch so behandelt. Aber er war ein Mensch.
Eine Woche später ließ er sich erneut einsperren.
Diesmal war er gut vorbereitet. Er hatte das nötige Handwerkszeug dabei.
Er baute einen hölzernen Verhau um das Loch, so dass er darauf steigen und ungehindert mehrere Meter in die Mauer eindringen konnte. An einem Abend schaffte er es nicht. Er spannte eine Plastikfolie um die Baustelle und markierte es mit einem rot-weißen Bau-Absperr-Band. Davor hing er ein Schild mit der Aufschrift: „Sonderbauarbeiten“. Die Baumaßnahmen erhielten somit einen legitimen Anstrich und die Einbuchtung in der Wand war vor fremden Blicken erst einmal geschützt. Solche besonderen Bauarbeiten waren durchaus hin und wieder üblich. Er musste also nicht befürchten, entdeckt zu werden. Der sich allmählich ansammelnde Schutt war hinter der Plane einige Tage vor missliebigen Blicken geschützt und die Baustelle selbst würde zunächst kein größeres Fragen und Nachforschen bewirken.
Er war sich gewiss, dass er am rechten Ende zugange war. Doch damit effektiv möglichst viel Wasser heraussprudelte, musste er doch ein gehöriges Loch ausheben und auspickeln. Er wusste, dass wenige Meter nach dem Rohr ein großes Becken kam, in das das Wasser heranbrandete. Das würde etwas geben ...
Tatsächlich stieß er auf das Wasser, konnte es aber rechtzeitig zurückhalten, bevor es eine Sauerei gab. Dann befestigte er am Rohrende einen Gummistöpsel.
Jetzt hatte er es in der Hand, ob er es zur Katastrophe käme. Er konnte bestimmen, zu welchem gewünschten Zeitpunkt das Wasser aus dem Becken in den Schacht fließen sollte. Aber das hatte Zeit. Vielleicht am nächsten Tag.
Seine Phantasien ließen ihm aber keine Ruhe.
Am besten wäre es dann, wenn der Verkehr am dichtesten war. Dann herrschte das dichteste Gedränge. Schließlich sollte so viel Aufregung und „Schaden“ wie möglich verursacht werden, wenn schon, denn schon.
Wenn?
Das Problem war nur, nicht entdeckt und gesehen zu werden.
Wenn er es machen würde.
Doch die Herausforderung weckte seinen Sportsgeist.
Bevor er sich entschied, die Schleusen vor der Hauptverkehrszeit zu öffnen, morgens kurz vor der Freigabe des U-Bahnverkehrs, dachte er: „Du musst es tun! Mein Gott!“, schrak plötzlich vor sich selbst zurück und fragte sich. "Ist das meine Stimme?"
Es gab jedoch kein Zurück mehr. Dafür sorgten auch die besagten Stimmen, die ihn anheizten und seinen Stolz kitzelten.
Er ließ sich wieder in die Schächte einsperren. Kurz nachdem in der Frühe die Gitter heraufgefahren worden waren, öffnete er dann das Rohrende. Das Wasser quillte heraus und er flüchtete vom Tatort. Den Fluchtweg hatte er sorgfältig ausgesucht. Er passte höllisch auf, dass er nicht in die Blickwinkel einer der vielen Videoüberwachungskameras geriet. Zudem achtete er auf Bewegungsmelder. Er stülpte sich eine Maske sowie einen Ganzkörper-Plastik-Anorak über und bildete sich ein, dass er tatsächlich unerkannt aus dem U-Bahnbereich verschwinden könne.
Dafür sprach auch, dass später kein Fahndungsfoto ausgegeben worden war. Zunächst.
Die Schäden seines Anschlags war leider überschaubar.
In eine Richtung der Strecke fuhr ein mit Personal besetzter Wagen, in die andere ein vollautomatisierter und beide fuhren auf die steigenden Fluten zu, sofern man dabei überhaupt von Fluten sprechen konnte. Angesichts des relativ geringen Drucks, mit dem das Wasser in den Schacht floss und zudem durch enge Rohre durch musste, konnte von einem Anschlag keineswegs die Rede sein. Der Druck des Wasser war zu schwach, um eine veritable Katastrophe herbeizuführen. Das Einflussvolumen war gering, die Druckwelle des Wassers fiel minimal aus und der Schaden war entsprechend.
Der erste Zug drehte sofort um, denn darin saß ein Fahrer. Der zweite implodierte an vielen Stellen und versackte entsprechend, da das Wasser die Elektronik in Kabelbrand gesetzt und mit leichten Explosionen Schachmatt gesetzt hatte. Aber das war es schon gewesen. Man konnte die Schotten der U-Bahngitter rechtzeitig wieder dicht machen, Es kam zu keinen gefährlichen Situationen, so dass Menschen zu Schäden hätten kommen können. Die wenigen Fahrgäste, die bereits im U-Bahnbereich waren, ergriffen unbeschadet die Flucht. Der Verkehr musste gestoppt werden, so dass die Verbindungen etliche Stunden blockiert waren. Von großen Schäden zu sprechen wäre überzogen gewesen.
Dennoch war davon auszugehen, dass die Ermittlungsbehörden fuchsteufelswild geworden waren und fieberhaft nach dem Schadensverursacher suchen würden. Ein derartiges Blockieren des Arbeitsprozesses in einer Industriegesellschaft war kein Kavaliersdelikt, oder dummer Jungenstreich, oder ein derartiges Brimborium, wonach man erneut zur Tagesordnung übergehen konnte. Es war ja klar, dass der Verursacher nicht die Mittel zur Verfügung hatte, um größere Schäden hervorzurufen. Es würde genügen, die nächste Zeit mehr Streifen zu fahren oder die Sicherheitsfirma zu längeren Überwachungszeiten anzuheuern.
Da verstand diese Gesellschaft jedoch keinen Spaß. Mit Nachforschungen und Ermittlungen unter Hochdruck musste gerechnet werden!

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Start in die Unterwelt

Beitragvon Pentzw » 04.06.2024, 14:32

Der Journalist rief wieder an. Er wollte ein erneutes Interview.
Ich fühlte mich alarmiert.
Ich lehnte ab. Ich befände mich gerade im Krankenstand. Der aufdringliche Kerl akzeptierte es nur zähneknirschend. Ich wusste, womit ich zu rechnen hatte.
Ahnte er, dass ich hinter den Berichten über die Anschläge stecken könnte!
Die Zeitungen berichteten davon, dass in letzter Zeit verrückte Mitbürger Sabotageakte machten. Was dahinter steckte, wusste keiner. Serienkiller, die sich gegenseitig anstecken und Handlungen hervorriefen?
Wie wenn es sich um einen versteckten Bakterienstamm handelte, der plötzlich Nahrung bekam und sich abrupt entwickelte – das klang zu abenteuerlich.
Doch merkwürdig sei schon, dass sämtliche Überführte von Stimmen sprachen, die sie zu ihren asozialen Verhaltensweisen anstachelten.
Wie lange würde es dauern, bis die Behörden eine Gemeinsamkeit entdeckten: ein Hörgerät.
Dann würden sie die Frage stellen: Fungierte dieser als Störsender?
Und dann würden sie mich gnadenlos verfolgen.
Ich wusste, es wurde höchste Zeit, unterzutauchen. Sie waren mir auf der Spur. Nur eine Frage der Zeit, dass sie vor meiner Haustür standen.

Ich gestehe, mulmig war mir schon zumute, als ich die krächzende Tür der Garage aufmachte. Sie stand an einer betonernen Mole eines Hafens der Ostsee. Von hier aus sollte die Fahrt starten.
Noch mulmiger war mir, als ich die riesige Kapsel musterte. Es stand auf einem Gestell, an die eine Leiter gelehnt war und auf eine Plattform führte, auf der die mächtige Kegel ruhte. Dieses Ding hatte nicht die klassische Form des Kegels, weil die Spitze konisch auslief. Auf diesem obigen Stumpf saß eine Luke, die sich öffnen würde und den Einstieg ins Innere ermöglichte.
Sofern alles funktioniert.
Eine entscheidende Frage, denn nur diese Möglichkeit blieb. Aber ich vertraute in dieses riesige Display, auf der ich den Startknopf drückte. Die dicken, klobigen Tasten mit Nummern, Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen der guten alten Zeit, wahrscheinlich beginnendes Raumfahrtprogramm-Zeitalter des Menschen, erweckte nicht gerade einen beruhigenden Eindruck. Aber meine Mittel waren nun einmal bescheiden, sprich beschränkt, so dass ich auf ausrangiertes, wenn auch robustes Material zurückgreifen musste.
Doch alles funktionierte, auch wenn mit deutlichem Widerstand. Die Luke der Raumkapsel oben öffnete sich krächzend und knarrend. Ein banges Gefühl lauerte im Hintergrund wie die kosmische Strahlung, unsichtbar, aber über Dreiviertel des Universums ausmachend.
Doch nichts Besonderes, alle meine Angst produzierte nur Fehlalarm. Die Maschine, obwohl schlicht konstruiert, erfüllte seinen Zweck.
Ich erstieg das Gestell bis zur Plattform. Von hier aus schmiegte sich eine Strickleiter bis zur Einstiegsluke hinauf. Ich blickte auf den Garagenboden hinab, wo mein Ingenieur stand und mir zunickte: Los Mann, alles ist bestens.
War ich erst einmal in der Kapsel drinnen und die Luke hinter mir geschlossen, würde er einen Hebel umlegen, der den Kegel, sichtlich schief auf dem Gestell gelegt, ins Rollen bringen würde. Es würde damit aus dem Gleichgewicht, aus seiner Statik geraten und in Fahrt kommen, zuvor bereits war die Garagentür geöffnet worden, und sie würde über eine schräge Rampe direkt ins Meer gleiten: Ahoij!
So atmete ich tief durch, als sich die Luke auf der Spitze der Kugel automatisch öffnete, wenn auch geräuschvoll. Nun stand das obige Bullauge verheißungsvoll offen. Ich kletterte die Leiter bis nach oben, um mich mit den Beinen voran in die Tiefe zu hangeln. Als ich die inneren Eisenstufen unter mir fühlte, ging es mir mit einem Schlag besser. Ich klappte den Deckel über mir händisch zu und als ich unten über die Innenleiter am Boden angekommen war, betätigte ich das Signal zum Abtauchen. Der dicke Startknopf, ja wirklich, er sah aus wie ein Knopf, war russischer Bauart und langsam und gemächlich begannen die Kapselmotoren anzulaufen. Gleichfalls nicht ohne Nebengeräusche, wie ich meinte zu hören. Oder war es bloß mein eigenes Herz, das auf Hochtouren bis zu meinen Ohren schlug?
Ich betätigte dann einen Steuerknüppel, anders kann man es nicht nennen und so sank die Raumkapsel mit mir in die Tiefe.
Raumkapsel?
Aber ja. Schließlich war der Raum der des Meeres, nicht die Weiten des Universums. In dieses konnte überall Licht hinkommen, welches das Transportmittel eines elektronisch-betriebenen Spions darstellen könnte, das mein Brüderchen mit hundertprozentiger Sicherheit schon startklar gemacht hatte. Aber im Dunkeln der Tiefsee, wo kein Lichtstrahl hinkam, war ich sicher - wovon ich ausging.
Das Licht in der Kapsel erlosch. Aber keine Angst, kleine Funken stoben zwar unkontrolliert aus Ritzen und Ecken des veralteten Steuer-Boards, die Maschine lief jedoch ordnungsgemäß. Beim Tiefgang brauchte sie nun einmal alle zur Verfügung stehenden Ressourcen an Energie. Das Tauchen war sehr treibstoff-intensiv. Man hatte mir gesagt, diese elektro-smog-artigen Nebenerscheinungen würden in Ruhelage, also unten auf dem Meeresboden, gänzlich aufhören.
Ehrfürchtig betrachtete ich das kleine, unscheinbare Feuerwerk: Nur vereinzelte Funken von elektrischen Entladungen zuckten durch die Dunkelheit, kaum wahrnehmbar, bestimmt keine Anzeichen von Kurzschluss. Es war kein Bild des Schreckens, sondern normal.
Dass diese Tauchkapsel relativ primitiv, aber robust gebaut worden ist, liegt daran, dass ich zwar zu einen schon sehr, sehr reich bin, aber nicht unermesslich, sprich vielleicht, wie man es sich wüschen würde, zig-facher Milliardär. Das ist leider nicht reich genug, um meine Ansprüche und Anliegen zu befriedigen.
Der andere Grund war schlicht pragmatisch. Je weniger Elektronik die Maschine hatte, desto weniger störanfällig war es. Es sollte nur seine Aufgaben zuverlässig erfüllen, mehr nicht. Für den Halter, der ich war, musste es auch keine Luxusmaschine sein. Je schlichter, desto besser für den Bediener.
Zwar wurde mein Fahrzeug auf prekäre Art und mit einem heiklen Brennstoff betrieben, mit einem kleinen Atomkraftwerk, das auch elektronische Störungen verursachte, vor allem Strömungen, an dem sich ein Spion anheften konnte. Aber es war immer das am wenigsten verfängliche Antriebsmodul, wie man mir versichert hatte.
Und selbst wenn ich den Eindruck gewann, ich würde ausspioniert werden, hatte ich meine Vorkehrungen getroffen, nämlich einen Alternativ-Antriebs-Motor. Ich würde also dann beruhigt den atombetriebenen Motor ausschalten können.
Wer es auch nicht glauben will, aber dieser wurde auf noch einfachere Art betrieben, nämlich mit Wasserdampf. Ganz primitiv: Mit einem fossilen Brennstoff wurde Feuer entfacht, damit Wärme erzeugt wurde, der einen Wasserkessel anheizte, welcher Dampf erzeugte, das in ein Rohr geleitet wurde und durch den Überdruck des ausstoßenden Dampfes die Fortbewegung verursachte. Schlicht ein mit Wasserdampf betriebenes Gerät der guten alten Zeit, könnte man sagen. Einfaches physikalische Gesetz - einfacher ging es kaum.
Es war trotzdem ein kompliziertes Gebilde, denn so einfach entsorgen ließ es sich nicht, in die Umwelt, ins Wasser um einem herum, nein, dahinaus konnte man den Dampf nicht ableiten und verpuffen lassen. In der Tiefe herrschte ein übermäßiger Druck, gegen den der ausgestoßene Dampf des Motors nicht dagegen halten konnte. Die Maschine würde unweigerlich vor Gegendruck ins Stottern kommen und den Betrieb aufgeben.
Nun, da bedurfte es eines Zwischenraums, der diesen Dampf vorübergehend speicherte.
Ich wollte mir jetzt aber keine Gedanken darüber machen, ob und wie es funktionierte, es würde schon hinhauen! Dreimal auf Holz geklopft!
Jetzt ging es um Aufgabenrrledigen, rasch und ohne Zeitverzögerung.

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Auf Tauchstation mit einem Halogramm

Beitragvon Pentzw » 19.09.2024, 20:00

Da eben mit vielen elektronischen Störungen zur rechnen war, beim Start schon mal, vor allem aber bei der bevorstehenden Landung, sprich Aufsetzen auf dem Meeresboden, musste ich mich in eine weitere Kapsel einigeln. Sie sah aus wie eine Käseglocke, in der Mitte ein Sitz, in dem ich thronte. Als diese Kugel schloss, es erinnerte an ein Gogomobil aus den 50ziger Jahren, wo die einzige Tür ganz vorne auf der heutigen Kühlerhaube saß, tat es dies unmittelbar vor meiner Nase, während ich mich fest gurtete. Dann zog ich die Sauerstoffmaske auf. Sie war insbesondere beruhigend hinsichtlich einer Havarie, eines Unfalls. Die Verbundglas-Kugel vor meiner Nase verstärkte mein Gefühl der Sicherheit zudem eminent, denn wie ich durch diese Milchscheibe sah, spie der alter Racker, dort wo sich die älteren Boards und das weitläufige Armaturenbrett befand, wie ein Vulkan – lach, nein, nur ein bisschen, kaum wahrnehmbar. Bestimmt ein stückweit nur Halluzinationen. Jedenfalls lief die Maschine und sie tauchte hinab und ich konnte durch das Bullauge, die Einstiegsluke hinter und über mir etwas Himmel sehen, verzerrt und gebrochen durch das Licht, dass durch die Wasseroberfläche fiel - bis er verschwand und eine undurchdringliche schwarze Mauer entstand. Aber das dauerte schon etliche Minuten. Dann herrschte jedoch totale Finsternis. Ist schon ein eigenartiges Gefühl, so langsam dasjenige, was das Leben ausmacht, immer kleiner werden zu sehen, bis es endgültig verschwindet: als ob das Leben erlosch. Terra Mortem.
Dann aber war ich im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund.
Wie tief musste ich tauchen, um sicher zu sein, nicht durch Beobachtungssatteliten und sonstigen Geräten lokalisiert zu werden? Darüber hatten wir lange gegrübelt. Bis wir eine Tiefe von 1000 Metern unter der Wasseroberfläche definierten. In solch ein Areal fuhr nun mein Unterseeboot, bis ich sanft auf dem Meeresboden landete - so, das müsste genügen. Ich löste den Gurt, schaltete sämtliche Lichter ein, die während der Tauchaktion geruht hatten, um deren Energie für den Tauchprozess zu bündeln und versuchte mich wie zu Hause zu fühlen.
Das soll ein Witz sein. Sofort machte ich mich an die Arbeit. Ich wollte natürlich nicht unnötig lange hier unten, tausend Meter unter dem Meeresspiegel, schmoren. Der Plan, mein Projekt und Ziel musste so schnell wie möglich im Auge behalten werden, auch wenn es nur im Schein künstlicher Lichter geschehen konnte. Dann nichts wie wieder dort hin, wo das Leben pulsierte!
Sie werden sich fragen, wenn ich hier unten nicht überwacht werden konnte, da kein elektrischer Impuls bis hier herein in die Kapsel gelangen konnte, wie konnte ich dann umgekehrt mit der Welt dort oben kommunizieren? Das war ganz einfach. Ein Kabel wurde ausgefahren und nach oben transportiert, bis es Kontakt, sprich Empfang hatte. Dann gab ich meine Botschaften aus, um es sofort wieder einzufahren. Es musste alles rasch gehen. Ich hoffte, ich erreichte genügend „Befehlsempfänger“.
Es konnte natürlich nicht schnell genug gehen. Aber die erste Sendeplattform, der erste Gate, von dem aus meine Instruktionen hinaus in die Welt gesendet wurden, war selbst eine Maschine, ein moderner neuartiger Quantencomputer, der als Provider fungierte und zunächst die Information einige Minuten speicherte und zurückhielt, bis mein Sendekabel wieder untergetaucht, verschwunden und definitiv unsichtbar geworden war. Erst dann begann der Computer zu arbeiten, sprich zu zu senden. Die Hörgeräte-Besitzer bekamen ihre Weisungen zugefunkt. Und würden entsprechend handeln!

*

Plötzlich gingen die Lichter des Boards aus. Stattdessen blinkten eine grüne, eine gelbe und eine rote
LED-Lampe in völliger Unordnung. Dieses Blinken ergab für ihn keinen Sinn. Woher kam es? Welche Geräte waren das, die hier Signale aussendeten?
Was könnte er jetzt tun?
Seine Anspannung war bis zum Reißen gespannt
Allmählich kristallisierte sich aus dem Dunklen eine Gestalt heraus, als würde es aus dem Innern heraus zu leuchten beginnen, in etwa wie man sich einen Engel vorstellt. Dieses übernatürliche Wesen hob jetzt zum Gruß ihre Hand und sprach: „Sei mir gegrüßt Bruder!“
Ein schlechter Scherz, diese Anrede. Aber so durch und durch typisch für sein frivoles Brüderchen.
Nun, gerade eben war er noch nicht da gewesen. Wie auch?
Wie, wie konnte das sein? Hier unten. Wo er doch völlig abgeschirmt war - wie konnte seine Bruder hierher gelangen? Dass er sich bereits versteckt gehabt hatte, als er von oben nach unten fuhr, war ausgeschlossen. Der Raum war völlig überblickbar, kein menschlicher Körper würde hier sich hinter einem Winkel oder Eckchen verstecken können, ohne dass ein Zipfelchen daraus hervorstand? Also wie?
Er schaute auf sein Display vor sich, in dem ein moderner Scanner angebracht war, der alle Waffen entdecken konnte, die in eines menschlichen Körper implantiert waren. Jegliches Metallstück, das geringste Silikon, jede Spur Lithium. Nicht einmal das hauchdünnste, filigranste Implantat in den Augenäpfeln, in der Iris. Nichts entging ihm.
Und da war auch nichts. Sein Bruder war clean. Überhaupt kein Metall an ihm.
Aufatmen. Immerhin. Dass hieß: Er war ihm waffenmäßig im Vorteil. Er hatte Werkzeug, um sich gegen den Eindringling verteidigen zu können. Er konnte töten, wenn er wollte.
Seinen Bruder aber? Wie Kain? Den Abel!
Ja, jetzt war der Zeitpunkt gekommen! Denn es stand zu viel auf dem Spiel!
Er stellte seinen Fuß über einen Knopf im Boden. Würde er ihn herunterlassen, das Pedal drücken, würden in Bruchteilen von Sekunden Laser seinen Bruder in Stücke schneiden.
Aber irgendetwas war merkwürdig.
Was aber war es?
Dass sein Bruder kein Metall an sich hatte, kein Stück mit einem härteren Material, einen Knopf aus Horn, oder Gürtelschnalle aus Leder, ja, das war das Merwürdigste, schließlich welche Kleidung hatte nicht etwas Derartiges?
Also etwas stimmte nicht an diesem Erscheinung seines Bruder. Etwas war verdammt faul, ums genau zu sagen. Ha!
Was nun? Was war auch an dessen Oberfläche, an seiner Außenhauseite sozusagen anders? Denn daran musste auch etwas zu erkennen sein, nicht wahr?
Er schaute und schaute. Er überlegte und überlegte ...
Der entlarvende Punkt war aber nicht das Phänomen Bruder selbst, sondern dessen Drumherum. Er stand in einem Quadrat, dass am Fußboden mit Klebestreifen markiert war. Der Streifen war rot-gelb wie ein Warnstreifen, Absperrband, Feuerwehr-Markierung.
Das war es. Er hatte es. Nun würde er sich nichts mehr von ihm vormachen, sich nicht länger blenden lassen.
„Hallo Bruder! Wie immer die Überraschung in Person.“
Die Ironie dieser Aussage konnte jener nicht erfassen. Er kannte seinen Argwohn nicht, er wusste nicht, dass er ihm schon auf die Schliche gekommen war. Das würde er auch nicht so schnell zu erkennen geben. Er sollte nicht so schnell erkennen, dass er ihm gegenüber damit im Vorteil war.
Dennoch brauchte er Gewissheit.
Während er ihn begrüßt hatte, hatte er seine brüchige, nervöse Stimme bemerkt. Das fuchste ihn jetzt. Ärgerlich umfasste er in der Seitentasche seiner Jacke ein Stilett und erhob sich mit einer arglosen Geste, die durch seine Worte unterstrichen wurden: „Ich darf mir doch einen Kaugummi aus meiner Tasche nehmen. Ich brauche einen zu meiner Beruhigung.“ „Nur zu Bruder! Wenn Du es brauchst!“
Und der Bruder lachte dazu. Als ob jener seine Aufregung, die Erhöhung seines Adrealinausstoßes erspüren könnte, diese Schimäre eines Bruders. Eine Unverschämtheit. Aber warte, du wirst noch dein blaues Wunder erleben.
Dann ging er zu einer zwei Meter entfernten Jacke, griff hinein, nahm einen Kaugummi heraus, hielt ihn hoch, während er heimlich mit der anderen Hand aus der Innenhandtasche das Stilett zog und hinter seinem Rücken versteckt hielt. Dann ging er zurück, beschrieb aber einen Bogen hin zum Bruder und trat blitzschnell zu ihm hin, der arglos schien mit seinem selbstgefälligen Reden: „Nun großer Bruder. Mittlerweile kennst Du mich doch. Oder Dich selbst. Ha, ha. Du denkst, Du seist mir einen Schritt voraus, aber bist doch immer einen hinter mir. Ha, ha.“
Er sprang mit dem Messer mit der Spitze voran geradezu auf seines Bruders Bauch zu und rannte es ihm dort hinein, aber anstatt eines Schreis des Getroffenen musste er selbst aufheulen vor Schmerz, den ein Stromschlag verursachte. Dabei ließ er das Messer vor Schreck und Überraschung fallen, dass mitten im Körper des anderen stecken müsste, stattdessen aber senkrecht von oben nach unten durch den Körper des Bruders sauste, durch diese imaginäre fluoreszierende Hülle und schließlich auf dem Boden mit der Spitze voran stecken blieb.
Es war ein zitterndes Menetekel.
Wie ging das?
Natürlich, dieser Bruder war nur eine Schimäre, ein Hologramm, ein Avatar.
Er berührte den fremden Körper erneut, der redete, als sei nichts passiert und ein kleiner Stromschlag durchfuhr ihn wieder, der nicht so stark war, weil er die Schulter des anderen nur sanft gestreift hatte. Trotzdem wich er erschrocken einen Meter zurück vor dem Quadrat, in dem der andere stand - und weiterredete.
„Aha, du wolltest mich also töten. Das wirst du mir büßen.“
Der Bruder bekam alles mit, nur zeitverzögert. Seine Informationsquelle ist glücklicher weise nicht zeitnah genug, um sofort reagieren zu können. Dazu ist wohl die Energie zu gering und der Abstand der Verbindung zur Quelle, dort, wo der Widersacher saß, zu weit.
Der Bruder kam jetzt auf ihn zu. Er wich weiter zurück. Und genau, was er erwartet hatte, das Phantom war außerstande, aus der Quadratmarkierung zu treten: Vergeblich langte er nach ihm und fuchtelte hilflos mit den Armen, als stünde er auf der Klippe einer Schlucht, vor der er gleich das Gleichgewicht verlieren würde und zu fallen drohte.
Das war also nur ein Hologramm. Nur, wie bekam er es wieder weg? Wie konnte er sich dieses Störenfriedes entledigen?

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Die Flucht aus der Unterwelt

Beitragvon Pentzw » 06.10.2024, 20:25

Was hatte dieser Quadratstreifen hier unten am Boden zu suchen?
Wahrscheinlich war dies der Weg, mit dem sein Bruder kommunizieren konnte, weil sie aus einem besonderen Material waren, das elektrisch aufgeladen, magnetisiert und sonst irgendwie aufgeladen war. Wenn er diese vom Boden lösen würde, wäre der Spuk vorbei, da war er sich sicher.
Zunächst war er gelähmt und zwar von der Tatsache, dass sein Bruder es geschafft hatte, mit seinem im Meer verschwundenen Space Shuttle Kontakt aufzunehmen. Er beamte darüber Strom hier herunter. Damit zeigt er ihm: Du kannst mir nicht entkommen, nirgendwo sich vor mir verstecken, Akzeptiere es endlich!
War es wieder so weit? Musste er sich geschlagen geben?
Schon wieder?
Alles, was er nach oben sendete, um seinen Plan auszuführen, würde vom Bruder blockiert, verfremdet und mit Interferenzen gestört. Aber Unsicherheit in dieser Sache konnte er sich nicht erlauben.
Er setzte sich wieder in seinen Chefsessel, lehnte sich zurück und überlegte angestrengt.
Gleichzeitig drückte er auf einen Knopf. Jetzt war die erste Tranche aktiviert. Oben auf der Erde würden ein paar Leute den Auftrag ausführen, den vorbereiteten Virus unter den Menschen zu verteilen. Viele würden sich anstecken, die Ansteckung würde sich schnell verbreiten und wahrscheinlich die ganze Menschheit erfassen und teilweise ausrotten. Aber nicht alle. Das sollte so sein. Es sollte ja nur eine Mahnung sein. Ganz klar! Er wollte sich selbst und seine Mitmenschen nicht gänzlich ausrotten, dazu lebte er zu gerne und weil er andere brauchte, auch andere zu sehr.
Wenn gar nichts mehr gehen sollte, wenn ihm sein Bruder für seine Hörgeräte-Aktion den Hahn zugedreht hatte, hatte er noch einen anderen Plan, Plan B.
Er würde in die Samenbänke eindringen, die Genome verändern und so verschiedene Menschen züchten. Ja, er würde Mutanten züchten. Welch phantastisches Spielzeug, nicht wahr?

Im Moment aber waren diese Überlegungen irrelevant. Im Moment zählte nur, wie ich hier wieder rauskomme?
Sein Bruder war nicht da. Er hatte eine Sprechanlage, aber das hieß nicht, dass der Bruder ihn auch sah. Wahrscheinlich nicht. Damit hatte er einen Freiraum. Er konnte tun und lassen, was er wollte, ohne von ihm beobachtet zu werden. Es musste nur leise vor sich gehen.
Sein Blick fiel in eine Ecke, in der ein riesigen großer Kasten stand, der fast so aussah wie eine Truhe. Sie sah aus, wie sie Zauberer benutzten, wenn sie Menschen verschwinden ließen. Darin befand sich ein Taucheranzug, ein echtes Wunderwerk. Der Anzug war die Lösung für den Notfall. Notfall hieß, wenn Wasser in die Kapsel hier hereinbrach. Dann musste er ihn sich anziehen und nach oben abhauen können, fünfzehn Minuten hatte er dafür Zeit.
Mensch, und jetzt wäre ein Notfall. Einen, an den er nicht im Mindesten gedacht hatte. So sicher wähnte er sich, der Idiot!
Aber jetzt war nicht die Zeit für Selbstmitleid.
Nur die Frage war wichtig: Würde die Flucht gelingen?
Daran hindern konnte ihn sein Bruder ja nicht. Der Bruder vor ihm war nur eine Halluzination. Und so konnte er ihn physisch nicht daran hindern, sich in den Taucheranzug zu schlüpfen und zu versuchen zu entkommen. Klar, er konnte auf einem anderen Weg seinen Fluchtweg verfolgen, keine Frage. Aber man wird sehen.
Der Taucheranzug war mit einer Spezialfolie ausgestattet, die dafür sorgte, dass die Wärme im Innersten erhalten blieb. Die Tarnfarben an der Außenseite verhinderten, dass er durch ihre Wärmestrahlung geortet werden konnte.
Ein perfekter Schutz vor Beobachtung.
Der Anzug hatte aber ein Lämpchen, das blinkte, wenn er sich darin befand. Das Lämpchen hatte die Funktion, den Weg auszuleuchten. Aber wozu brauchte er das schon? Der Weg nach oben würde automatisch ablaufen, wenn er sich gehen ließ, besser gesagt, sich treiben ließ. Wie von einer Erdanziehungskraft getrieben, würde sein Körper nach oben gezogen werden. Und das Licht am Ende des Tunnels sozusagen war zwangsläufig die Freiheit, das Licht in der Welt dort oben. In dieser brauchte er keinen Taucheranzug mehr, in dieser würde er flüchten und sich verstecken können vor seinem Bruder, um ihn dann von seinem Versteck aus anzugreifen …
Er musste sich erst noch mit dieser zweiten Haut aus der Kapsel herauskommen.
Dann stand die Frage: War der Anzug dicht? Drang auch kein Wasser in ihn hinein?
Dann die nächste Frage: Würden die technischen Dinge einwandfrei arbeiten, wenn er sich nach oben treiben ließ und schließlich wenn er die Oberfläche durchstoßen hatte?
Der riesige Hohlraum der Kiste war von einer elastischen Polymerfolie umgeben, die auf einem zu einem riesigen Quader gebildeten Fiberglas-Gestänge befestigt war. Dieses war auch elastisch und leicht zu verändern, das hieß jedoch nicht, dass dieses Gebilde sein Gewicht nicht halten konnte und sich, wenn er in den „Zauberkasten“ geschlüpft wäre, zusammenfiele.
Aber dieser Gedanke spielte keine Rolle, das tangierte ihn nicht. Aber darüber wollte er sich nicht den Kopf zerbrechen. Wäre eh sinnlos gewesen. Es musste klappen!
Als er die Tür der Kiste geöffnet hatte, lag vor ihm ausgebreitet der Anzug. In diesen stieg er, während er hinter sich mit der Hand den Deckel der Kiste zuklappte. Er bückte sich blindlings, hier war es dunkel und zog den geöffneten Anzug nach oben zu seinem Hals. Dann bückte er sich, um die zweite Haut von unten nach oben mit einem Reißverschluss dicht zu machen. Tatsächlich klappte es.
Aber nun leuchtete das Lämpchen an der Brust des Anzugs automatisch auf. Er drückte von außen dagegen und der Lichtspender ging aus.
Aber jetzt stand er erst am Anfang.

Er stand einen Moment lang ziemlich orientierungslos da.
„Keine Sorge!“, sagte er sich, um sich zu beruhigen.
Er musste sich wieder selbst schelten, weil er zu zögerlich gehandelt hatte. Mit einem Ruck konzentrierte er sich auf die Aufgaben, die erledigt werden mussten.
Punkt!
Also worauf kommt es an?
Er öffnete die Kiste, stieg heraus, ging zur Leiter, über die er bereits hereingekommen war.
Bevor er die Leiter hochkletterte, blieb er stehen.
Er überlegte, was als nächstes zu tun war.
Als erstes musste er über diese zur Öffnungsluke hochklettern. Um die Kapsel herum gab es einen Hohl- und Zwischenraum, in dem der Wasserdampf zwischengespeichert wurde.
Also, er würde die äußere Luke öffnen, Raster für Raster, damit Wasser durch sich öffnende kleine Spalten hereindrang.
Dann musste er sich aber beeilen und sich schnell zurückziehen und die zweite innere Öffnungsluke wieder schließen. Dann konnte er nur hoffen, dass sich der Raum um die Kapsel langsam füllte und zwar so langsam, damit keine Störungen auftraten. Zum Beispiel durfte die Kapsel selbst nicht ins Schwanken kommen, ja nicht einmal ins Schwingen. Es könnten elektrische Defekte auftreten, die dazu führten, dass die Innenluke blockiert wurde. Dies heißt, er würde für immer hier unten eingesperrt sein.
Erst wenn der Hohlraum um die Kapsel gefüllt war, konnte er die Innenluke öffnen, gleichfalls nur Raster für Raster. Dies lief teilweise mechanisch. Nachdem nach langen Minuten der Innenraum endlich mit Wasser gefüllt war und der Außendruck dem Innendruck nahezu gleich war, konnte er den Deckel eins hochklappen, dann Deckel zwei. Damit würde er ohne nennenswerten Gegendruck durch beide Öffnungen ins Meer hinausschwimmen. Innerhalb von dreißig Minuten würde er durch die Tiefe in die Höhe schweben, dem Oberlicht entgegen.
So sah der Plan aus.
Er nahm einen Schutzhelm, der an seinem Taucheranzug hing und setzte ihn sich auf den Kopf. Jetzt verstand er auch, warum die Techniker, Planer und Berater darauf bestanden hatten, dass er sich sämtliche Haare vom Kopf rasierte.
Ein Visier, ein vollautomatisiertes Sichtschild klappte herunter, die Druckluftpolster blähten sich auf, schmiegten sich an seinen Schädel an, ein Mikrophon fuhr heraus und blieb vor seinem Mund stehen. Da fuhr ein Fremdkörper in seine Ohren und er würde mit seinen Ingenieuren verbunden werden. Jetzt wurde ein Kontakt aufgebaut, man konnte ein Piepsen hören.
Obwohl es eine Illusion war, fühlte er sich viel sicherer. „Jetzt habe ich wenigstens das Heft in der Hand“, dachte er. Aber noch war nichts entschieden, die Sache musste erst ausgekartelt werden. Für den Moment war er einfach nur froh, dass er etwas tun konnte und dass sich überhaupt etwas tat.
Das hieß aber nicht, dass er sich jetzt ausruhen konnte. Dafür hatte er keine Zeit, denn vor ihm tauchte ein Monitor auf, der mit seinen diversen Pulldown-Menüs blinkte.
Er spürte, wie ihm eine Schweißperle über die rasierte, weit nach vorne ragende Stirn lief.
Er hörte, dass es im Helm ratterte und erinnerte sich, was ihm gesagt worden war. Jetzt kommt eine geostationäre Antenne aus dem Helm gefahren. Diese Verbindung bringt ihn in Kürze mit einem Fernsehsatelliten seiner Mitarbeiter zusammen, die sich gerade auf einem Schiff waren, hoffentlich nicht weit entfernt von hier.
Aber dafür musste er erst mal in einem Menü die Ortungsfrequenz einstellen. Die Blinker waren außen am Helm angebracht. Sobald er geortet wurde, leuchtete ein grünes, blinkendes Licht auf, das anzeigte, dass er mit seinen Mitarbeitern verbunden war.
Und tatsächlich, es hat geklappt!
Jetzt konnte er sich schnell genug zur Auftauchstelle begeben und sich nach oben treiben lassen.
Das grüne Licht blinkte jetzt heftiger.
Er hörte eine Stimme in seinem Ohr, das mit einem Headset verbunden war.
„Auf Empfang!“
Er drückte einen Knopf, um zu signalisieren, dass er die Nachricht erhalten und verstanden hatte. Das war notwendig, weil er nicht sprechen konnte. Er konnte nur mit Ja oder Nein antworten, ansonsten nur Nachrichten empfangen.
Als Erstes kamen Anweisen, bei denen das Signal heftiger blinkte. Die Instruktionen führten ihn Schritt für Schritt durch den etwas komplizierten Mechanismus, mit dem die Luke geöffnet werden musste. Nach jeder Order kam ein „Over“. Sobald er auf „Bestätigten“ gedrückt hatte, kam die nächste Anweisung.
Er befreite sich aus dem wackligen Kasten, der, als er heraus war, hinter ihm zusammenfiel, fast lautlos. Kein Wunder, die Materialien waren nur künstlich und bestanden aus keine stabilen Materien, wie etwa Eisen und Metall. Meist waren es Kunststoffprodukte. An diese konnte man keine elektrischen Signale koppeln. Zudem verursachten sie kaum Geräusche, ein Umstand der sehr wichtig war, weil ja Lautlosigkeit das A und O war, wo man ständig Gefahr lief, überwacht und ausgehorcht zu werden.
Er versuchte Kontakt mit seinen Mitarbeitern aufzunehmen, aber es gelang nicht. Er wollte nur kurz bestätigen, dass alles in Ordnung wäre. Dass das nur auf eine Frage oder einen Befehl hin möglich war. Zu dumm, er war einfach zu ungeduldig, das musste er schnellstens ändern.
Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er sich jetzt in Bewegung setzen musste, wenn er noch etwas erreichen wollte.

Gerade vor der Dunkelheit!?
Wer gedacht hatte, dass er hilflos der Dunkelheit der Tiefen des Meeres ausgesetzt wäre, täuschte sich. Mit einer Einstellung im Menü aktivierte er einen Infrarot-Filter, der über den Scheinwerfer am Helm eine trichterförmige Trasse von bis zu 100 Metern in den Raum warf. Fast wie ein Taschenlampe in der Dunkelheit. Das war insofern optimal, dass er auf seinem Bildschirm den Raum vor sich sah, aber niemand ihn oder seinen Lichtkegel sehen konnte.
Er bemerkte, wie sich Luftbläschen bildeten, die aus dem Schnorchel seines Taucheranzugs drangen, dicke Blasen und Wolken, die nach oben floppten, aber kein Geräusch verursachten.
Das heißt, sein Schutzmantel war bestens präpariert, gepolstert und abgeschirmt. Kein Laut eines Motörchens ertönte, nicht das Rasseln seines Atem war zu hören, keine dumpfes Geräusch vom Ausstoßen der verbrauchten Luft, wie das oft der Fall war beim Taucheranzügen mit Sauerstoffbatterien am Rücken.
Das lag auch daran, dass er sich in der tiefsten Meerestiefe befand. Da ist der Druck enorm, der jeden lautesten Laut verschlucken konnte. Die größte Gefahr war aber die Temperatur. Würde sein System außer Kontrolle geraten, Wasser in den Anzug dringen, wäre er sofort einem nuklearen Winter ausgesetzt, der ihm bloß beim Gedanken daran warme und kalte Schauer über den Rücken jagte.
Er überlegte, was passieren könnte, wenn er auf der Oberfläche auftauchen würde.
Wenn sein Bruder ihn angreifen würde, könnte er sich immerhin mit einer kleinen Waffe wehren. An seinem Anzug befand sich eine druckluftbetriebene Armbrust, aus der er einen Pfeil mit einem Dynamitbömbchen schießen könnte. Er musste sich vermutlich nicht gegen Stahltüren, Eisentore und Festungsmauern zur Wehr setzen, sondern gegen Menschenkörper, die sich ihm in den Weg stellen wollten. Aber mit dieser Waffe konnte er sogar durch die Wand eines normalen Schiffes schießen, aber das war schon das Höchste der Gefühle. Er hoffte, dass keine Fahrzeuge mit einer Verkleidung aus Eisen und Stahl im Spiel waren.
Aber das war wohl wieder so eine unnötige Sorge, denn so dick dürfte es sein Bruder auch wieder nicht haben, dass er sich so etwas leisten könnte, gepanzerte Schutzschilder an Booten oder die Wände selbst aus solchen.
Er blickte sich jetzt interessiert um.
Echt interessant, welche obskuren Kreaturen aus dem Sanddunst des Meeresbodens traten, als er von der Kuppel auf den Boden stampfte, wie die Mondfahrer auf den Erdtrabanten. Es wirbelte gehörig Staub auf, fiel aber schnell wieder zusammen.
Da kam eine Kreatur hoch, ein Wesen aus Qualle, Fisch und Alge. Der Oberkörpers erinnerte an einen Fisch, die Beine an eine Qualle, aber gleichzeitig wirkte er moosig und bizarr wie eine Alge. Es hatte sogar einen Schwanz wie ein Affe. Wozu ist das gut? Schwänze sind doch eigentlich nur dazu da, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Im Wasser wohl völlig überflüssig.
Er musste aber keine Vorkehrungen machen, um einen Angriff eines Wassertieres abzuwehren. Die meisten dieser Tiere sind ziemlich scheu und ernähren sich hauptsächlich von Algen, Wasserpflanzen, Plankton, Krebse und kleinen Fischen. Vor größeren Erscheinungen hatten sie meistens Angst und machten Reißaus. Vielleicht würden sie sich wehren, frei beißen wollen, wenn sie angegriffen und sich bedrängt fühlten. Das wäre dann aber auch schon alles.
Er hatte aber Lust gerne näher an die Kreatur heran zu kommen, um zu sehen, ob dieses Wesen dort Reißzähne besaß, Krallen oder eine giftige tödliche Flüssigkeit ausstieß, um sich zu verteidigen.
Dieses Exemplar in Gottes Acker und Paradies war schon ein widersinniges Mysterium hier, das bislang unentdeckt geblieben war. Er konnte sich nicht erinnern, jemals ein solches Wesen in einem der dicken Schmöker der staatlichen Seefahrtbibliothek gesehen zu haben.
Ja, es wäre echt spannend, hier unten im Staub zu stochern und viel Staub aufzuwirbeln. Wer weiß, welche obskuren Monster da noch ans Tageslicht kam? Aber dafür blieb keine Zeit.
Er musste los.
Er stemmte sich ab, um nach oben zu driften. Noch war in der Ferne kein Licht erkennbar, noch war er in der Hölle vergraben. Aber es musste bald kommen. Ewigkeiten hatte er keine Zeit. Der Sauerstoff war leider unendlich. Seine Geduld nicht minder. Wenn er diesen Albtraum überleben würde - er konnte es kaum erwarten - dann würde er seinen Bruder vernichten, dieses Mal aber endgültig, schwor er sich.

Pentzw
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Chaos und „die letzte Generation“

Beitragvon Pentzw » 23.10.2024, 19:59

Inzwischen hat es weitere Anschläge gegeben. Jeder schlug auf seine Weise zu. Manchmal suboptimal, aber Kleinvieh macht auch Mist. Zunächst einmal war wichtig: Hauptsache Chaos wurde verbreitet. Von daher war es beabsichtigt, dass es per Ohrenpropaganda keine genauen, detaillierten Anweisungen gab. Die permanent den skandierten Tiraden Ausgesetzten mussten selbst Phantasie aufbringen, wie und wo sie am besten zuschlagen.
Einige haben Feuer in einem dürren Waldschutzgebiet gelebt, zum Beispiel im hessischen Teil des Harzes am Brocken. Das war natürlich ein symbolischer Akt, denn der Brocken im Harz war genauso bekannt wie die Zugspitze in den Alpen. Der Wald brannte wie Zunder, weil die Bäume dort bereits größtenteils abgestorben waren. Der Anblick war ohnehin schon trostlos gewesen, ein graues Feld, mit kaum mehr Baumbestand, die meisten davon geknickt, verdorrt und abgestorben. Nach dem Brandanschlag war schüttetenes Haar auf grauem Haupt ein totaler Kahlschlag, sprich Glatze geworden. Die ohenehin herrschende Hitze hatwie ein Brandbeschleuniger gewirkt und es leicht gemacht, alles in lichterlohes Feuer aufgehen zu lassen.
Schade, dass er nicht gezielt Leute befehlen konnte, denn dann hätte er auch den dürren Frankenwald in Brand setzen lassen, den er aus seinem Fenster sah.
Leider war der Aktionsradius bei Brandstiftung ziemlich begrenzt. Die Täter wurden oft genug ermittelt, meistens sogar auf frischer Tat erwischt. Der Befragung ausgesetzt, konnten sie keine befriedigenden Erklärungen über ihr Motiv abgeben. Was war von so einer inneren Stimme schon zu halten, die einen antreibt?
Konnte das sein, dass das alle Verrückte waren? Natürlich dachte das viele: nur hysterische Klimaaktivisten, ich bitte Sie. Andere standen dazu skeptisch.
Die Täter war bislang unauffällige, normale Bürger gewesen. Dass so viele das Gleiche aussagten - Stimmen, die sie antrieben - stimmte die Ermittler nachdenklich. Erklären konnten sie sich dies nicht, noch nicht.
Bald aber würde man erkennen, dass alle diese „Verrückten und Getriebenen“ ein Hörgerät trugen. Und dann würde man einen Zusammenhang erkennen zwischen den Stimmen und dem Gerät.

Viele der Manipulierten haben zum Beispiel Abfalltonnen in Brand gesetzt, die vor den Häusern ihrer Nachbarn standen, meistens die mit dem Altpapier. Weil es eine sehr große Anzahl von Menschen tat: War das vielleicht ein Phänomen von Massenhysterie?
So musste es wohl sein!
Er dachte sich nur, dass die Ferngesteuerten nicht viel Phantasie hatten und deshalb zu diesem Mittel griffen. Phantasiemangel herrschte überall in dieser tristen Industriewelt und die Akteure bezeugten mit ihrem Handeln bloß die Abgestumpftheit der Gesellschaft. Ärgerlich, gab es denn keine anderen Angriffsflächen als eine Mülltonne?
Nun ja, so ist es eben.
Die meisten von ihnen wurden erwischt, deshalb gab es kaum noch weitere Attacken. Viele Aktivisten wurden vorschnell aus dem Verkehr gezogen und außer Gefecht gesetzt. Sie hatten keine Möglichkeit mehr, sich etwas Besseres zu überlegen und woanders anderswie zuzuschlagen.

Insofern war es gut, dass durch das Dilemma mit seinem Bruder eine vorübergehende Unterbrechung der Aktion stattfand, wenn auch wider Willen. So hatte er nun etwas Zeit, sich zu überlegen, wie es weitergehen könnte.

Die spontanen, vereinzelten, wenig effektiven Brandanschläge waren natürlich keine Lösung.
Aber er hatte bald eine richtig gute Idee.
Er hat sie dazu motiviert und überzeugt, sich zu einer politischen Partei zusammenzuschließen.
Das hat funktioniert.
„Gründet eine Bürgerbewegung. Schließt euch mit Gleichgesinnten zusammen. Bildet Gruppen, in denen ihr überlegt, wie ihr gemeinsam zuschlagen könnt ...“
Bei der Namensgebung hatte er dann die Idee, sie programmatisch auszuwählen: die letzte Generation. Das war ziemlich aussagekräftig. Hinter dem Namen selbst verbarg sich das Programm, die Motivation, der kategorische Imperativ ihres Handelns.
Dieser Begriff sagte: Jetzt war es an der Zeit zu handeln. Wenn wir nichts taten, wenn wir unseren eingeschlagenen Weg nicht ändern, dann ist die jetzige Generation die letzte gewesen. Wenn die Menschheit so weitermacht, wird sie von Feuersbrünsten, Hungersnöten, Überflutungen, Waldbränden dezimiert und ausgerottet. Gravierende Auswirkungen auf die Menschheit. Besonders die Jugend muss sich auf die Beine stellen, um ihr Überleben zu sichern. Schließlich geht es um ihre Zukunft.
Und tatsächlich, viele von den Jungen schlossen sich der Sammelbewegung an, um die Erderwärmung zu stoppen, zumindest hinauszögern.
Die Gruppe wurde richtig stark. Sie haben zum Beispiel Flughäfen lahmgelegt, indem sie sich auf die Rollfelder gesetzt und festgeklebt haben. Und auch auf stark befahrenen Autobahnen und in Städten haben sie protestiert, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.
Die Wirkung übertraf alle Erwartungen.
Natürlich hat die träge Gesellschaft dagegengehalten, mit dem Mittel des sogenannten Staates, der Justiz. Die Mitglieder der Protestbewegung wurden zu Terroristen abgestempelt und so behandelt. Zunächst wurden empfindliche Geldstrafen erlassen, dann ging man sogar zu Freiheitsstrafen über. Die Diskriminierung nahm kein Ende und verschlimmerte sich tagtäglich.
Er freute sich, wenn es so weiterginge, es würde bald eine Diktatur geben und dann würde es wie einem Schneeballeffekt gleich zu Widerstand und Aufruhr führen, was wiederum zur einer Dezimierung der Menschheit führte. Zumindest die eigentliche Ursache des Klimawandels, die Überbevölkerung war damit gestoppt. Vorerst!
Alles lief nach Plan.
Aber da musste ihm sein idiotischer, naiver, gutgläubiger Bruder dazwischenfunken. Um den „guten Bruder“ herauszukehren – pah!
Aber damit war sein Aktionsradius lange nicht erschöpft.
Sobald er ihm entkommen war, dann aber!

Pentzw
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Auf hoher See

Beitragvon Pentzw » 06.11.2024, 20:39

Als er die Wasseroberfläche endlich durchbrochen hatte, betätigte er einen Knopf an seinem Taucheranzug, wonach sich ein Airbag öffnete, der ihn wie ein Schwimmreifen umgab. Er fühlte sich, wie ein Schwimmanfänger, der seine ersten Paddelversuche unternimmt.
Er wartete, bis er sich erholen würde und atmete tief durch: Endlich war der Nervenkitzel vorbei, die endlos erscheinenden Weiten der Tiefen zu durchschwimmen und wieder an die frische Luft zu kommen. In Wirklichkeit waren es nur ein paar Hundert Meter gewesen.
Dann machte sich daran, ein Dingy aus Kunststoff zu entfalten.
Zunächst musste er mit Hilfe der Lungen Ballons aufblasen. Das brachte ihn bald schon außer Atem, obwohl es nur wenige Räume mit Luft zu füllen galt. Andere, stabilere Teile aus Kunststoff und Chrom brauchten nur entfaltet werden. Seine Geschicklichkeit half ihn trotz heftigen Schwankens.
Immerhin konnte er mit diesem Notbehelf einige Zeit auf hoher, stürmischer See überleben. Er rechnete damit, kaum länger als zehn Stunden durchzuhalten. Bis dahin hoffte er, von seinen Leuten entdeckt und gerettet zu werden.
Er zog die Kapuze seines Plastikanoraks über Kopf, dass vorne um die Augen ein Scharnier wie eine Ritterrüstung hatte. Seine Hände waren in dicken Handschuhe verpackt. Um ihn herum war der Plastikanzug wie ein Haut gespannt.
Aber trotz dem machte ihn bald die Kälte des Meerwasser zu schaffen, das durch die Blasen des Gummibootes unaufhaltsam an seinen Körper drang und ihn auskühlten. Auch der Neoprenanzug unter dem Taucheranzug konnte bald nichts mehr dagegen ausrichten - die ersten Kältewellen durchströmten und kühlten bereits Partien seines Körpers. Er versuchte durch hektische, sich veränderte Körperstellungen gegenzusteuern und auszugleichen, was aber nur vorübergehend half. Zusätzlich machte ihm bald auch der eisige Wind zu schaffen.
Die Hände fühlten sich bereits taub an. Dagegen konnte nur Bewegung helfen. Also weiter Ruhen, was die Muskeln hergaben. Das war aber, was ein Ziel anbelangte, fischen im Trüben. Hauptsache Leben!
Die See wurde merklich unruhiger, immer höhere Brecher schlugen gegen das Dingy. Nebel zog auf. Es wäre gut gewesen, zu navigieren, gezielt zu paddeln, ein sichere Richtung anzusteuern, auch wenn dies bei diesem hohen Wellengang eine ziemliche Sysyphusarbeit war. Aber so drehte er sich im Kreis. Weit und breit nur Wasserwüste, kein hoffnungsvoller Landstreifen.
Hätte er doch einen Kompass besessen, dem er hätte folgen können, einen klitzekleinen Zeiger, der in eine bestimmte Richtung zeigte. Aber das wäre auch nur eine Illusion gewesen. Hier konnte man sich kaum bewegen, die Wellen spielten mit einem Jo-Jo. Nur ein zufällig vorbeifahrendes Schiff hätte ihn retten können.
Doch einem Schiff zu signalisieren, he, hier bin ich, ein Mensch in Seenot, war schwierig. Meistens zogen sie einfach vorbei und beachteten solch einen Winzling Mensch irgendwo auf dem weiten, sich verlierenden Fläche des Meeres kaum.
Außer seinen Kollegen, die, wer weiß wann, auftauchen würden. Er hoffte inständig darauf und stellte sich vor, wie sie an Land seine Signale von einem am Dingy befestigten Gerät empfingen und zu seiner Rettung herbeieilten. Er schätzte, dass dies in weniger als acht Stunden geschehen müsste, sonst wäre er nur noch ein Eiszapfen. Gefühlt fühlte er sich schon wie einer.
Aber er musste die Nerven behalten.
Er hatte es jetzt schon satt: den ständigen, rauen Seewind, den eigentümlich scharfen Geruch des Meeres mit seiner zerstäubten Gisch, die ihm in die Nasen spritzte und stiebte, das unruhige Wiegen der Wellen – er ahnte die nahenden Panikattacken und Verzweiflungsanfälle. Der Wellengang mochte vielleicht Windstärke zwei haben, aber das Gefühl erlebte weitaus stärkere.
Er verlor sich in dem faszinierenden Anblick einiger vorbeiziehender Fische. Unglaublich!
Dann noch ein Delphin. Er umkreiste ihn, aber nur einmal und verschwand so schnell wie er gekommen war.
Hoffentlich waren keine Haie in der Nähe!
Sonst konnte er nur an sich selber scheitern.
Mit diesem hoffnungsvollen Gedanken wurde er plötzlich von mehreren Wellen erfasst, die sanftes Wiegen zu heftigen Hin- und Herschleudern veränderten. Das Boot drohte zu kentern! Gerade noch konnte er das Gewicht auf die andere Seite verlagern.
Lebensgefährlich!
Ärgerlich nur, dass er und sein Team es versäumt hatten, sich gründlich auf solche Situationen vorzubereiten. Als ob es sicher gewesen wäre, dass der Ernstfall nie eintreten würde. Nur einmal hatten sie eine Übung in einem künstlichen Bassin mit ähnlichen Bedingungen geprobt. Allerdings nicht mit Salzwasser, was, wie sich jetzt herausstellte, ein großer Unterschied zum Süßwasser darstellte.
Bedeutete das das Scheitern?
Seh es mit Humor. Unter anderen Umständen hätte er sich darüber amüsiert, in einem Schlauchboot durch Wellenberge geschaukelt zu werden. Aber das hier war kein Urlaub. Hier ging es ums nackte Überleben.

Plötzlich sah er ein Schiff auf sich zukommen. Der erste Impuls: Freude, der zweite Sorge: Wer ist das?
Er sah einen Mann auf der Kommandobrücke stehen.
Je näher er kam, desto angestrengter versuchte er, die Gesichtserkennung zu aktivieren und den Mann auf der breiten Brücke scharf zu justieren. Hatte der Hühne da nicht ein unverschämtes Grinsen auf dem Gesicht?
Kalte Angst trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
Die Person dort auf dem Schiff, sein Bruder?
Immer wieder verdeckten Nebelschwaden den Blick auf die Gestalt.
Breitbeinig stand er da, selbstsicher, die Arme verschränkt, so dass sich ein breiter Brustkorb aus dem V-Ausschnitt des T-Shirts wölbte und signalisierte, dass derjenige, der es mit ihm zu tun kriegte, es mit einem gut durchtrainierten Körper zu tun bekommen würde.
War das sein Bruder? So hatte er ihn nicht in Erinnerung.
Er winkte.
Keine Reaktion. Der andere stand stoisch da, rührte sich nicht vom Fleck. Unbeirrt, nur auf sein Ziel fixiert, starrte er zurück. Doch plötzlich verließ er die Brücke, ging die Treppe zum Hauptdeck hinunter, bis sich der Rumpf des Schiffes vor die Augen des Beobachters schob.
Jetzt wurde klar, dass er die Entfernung zum Schiff falsch eingeschätzt hatte, plötzlich war das Schiff ganz nah, er prallte gegen die Bordwand, wurde dagegen geschleudert, schlenderte dann längsseits der leeseitigen Boardwand entlang, auf eine heruntergelassene Strickleiter zu. Es war nicht leicht, sie zu fassen und als er es endlich geschafft hatte, versuchte er, sich an den Streben hochzuziehen. Aber er fiel immer wieder in seine Plastikschüssel zurück. Der Taucheranzug behinderte ihn, er hing wie ein Mühlstein an ihm. Er konnte ihn nicht abstreifen wie ein Insekt, das aus seinem Kokon schlüpft.
Es war klar, dass er das Seil so nicht fassen konnte, gleichzeitig überkam ihn ein Gefühl der Ohnmacht, er fühlte sich völlig kraftlos. Er schloss die Augen.
Als er sie wieder öffnete, sah er ein Seil vor seiner Nase tanzen, am Ende zu einer Schlaufe gebunden. Mühsam band er sich das Seil um den Bauch. Auch das Aufziehen war nicht einfach und umständlich.
Dann wurde er nach oben bewegt und als er endlich wie ein ängstliches Äffchen die Streben der Leiter zu fassen kriegte, konnte er teils hochgezogen, teils aus eigener Kraft hochklettern. Das Lasso drückte schmerzhaft gegen seine Unterarme, aber er kletterte, strampelte und hangelte sich schließlich nach oben, kämpfte gegen die Schmerzen im Unterarm an und gegen das schwere Gewicht des Taucheranzugs, der ihn immer wieder nach unten zog.
Der Seegang verstärkte sich sogar, die Brecher schlugen noch schmerzhafter gegen seinen Körper, schleuderten ihm Gischt ins Gesicht, die ihm in die Augen drang – mit letzter Kraft und blindlings zog er sich die Leiter weiter hoch. Nur mit äusserster Mühe erreichte er das Geländer, seine Hand krallte sich um die Kante, die wiederum von einer anderen Hand ergriffen und festgehalten wurde. Zwei weitere Hände packten ihn unter den Oberarmen und ruckzuck wurde er mit einer rücksichtslosen Hebelbewegung schmerzhaft nach oben gezogen. Er wurde förmlich über Bord auf das Deck geschleudert. Er landete mit beiden Händen auf dem glitschigen, nassen Boden, versuchte sich aufzurappeln, sank aber erschöpft wieder auf die Knie. Energielos und unterkühlt fiel er in einen Zustand zwischen Wachsein und Ohnmacht. Er versuchte wach zu bleiben, zwang sich die Augen zu öffnen, aber selbst für diese kleine Falte fehlte ihm die Kraft. Sein willenloser Körper wollte nur noch schlafen.
Was er um sich herum wahrnahm, half ihm auch nicht, wach zu bleiben, alles wirkte trostlos und heruntergekommen: Überall blätterte die Farbe von den Bordwänden und Rost kroch aus den Ritzen. Auf dem Boden lagen verstreut Dreck, Müll, Schrott und alles, was ein altersschwacher Schiff so hergab, wenn es auf dem letzten Loch pfiff. Wie ein obskures Piratenschiff, das schon lange keinen fetten Fang mehr gemacht hatte.
Nun, sein Bruder hatte auch nicht unendlich viel Geld zur Verfügung. Vielleicht reichte es noch für den letzten verkäuflichen Kahn, den die Ratten längst verlassen hatten.
Aber jetzt saß er in der Falle, als wäre er in einem alten Piratenversteck gelandet.
„Das hat uns gerade noch gefehlt. Ich habe Dir doch gesagt, dass wir uns nicht um ihn kümmern sollen.“
„Aber Chef. Willst Du einen hilflosen Menschen in Seenot seinem Schicksal überlassen?“
„Wir haben uns weiß Gott um wichtigere Dinge zu kümmern.“
„Die große Sache.“
„Genau. Unsere Mission. Hier geht es um Großes für die Menschheit.“
„Wichtigeres als um einen Menschen!?“
„Mensch, so will ich dies nicht sagen.“
„Aber?“
„Ach, bringt ihn weg!“
„In die Magnetkammer.“
„Genau, dorthin, wo wir unsere Gefangenen unterbringen wollen. Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an.“
Seltsam, diese Stimmen sprachen in Rätseln. Welche Gefangenen? Welche große Sache?
Er schlummerte wieder ein.


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