German Beauty ...

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
Matthias
Kerberos
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German Beauty ...

Beitragvon Matthias » 27.11.2004, 17:58

Hallo zusammen!

War gestern im Film "Agnes und seine Brüder" von Oskar Roehler. Bin inzwischen, nach einer Nacht darüber schlafen, immer noch nicht zu einem vollständig klaren Urteil gekommen. Die Kritiken, die ich bisher gelesen habe, haben mir bei der Urteilsfindung auch nicht geholfen. Alles in allem würde ich jedoch sagen: Ein misslungener Film. Ein deutscher Film. Ein misslungener deutscher Film.

Worum geht es? Man lernt drei Brüder kennen, von denen einer sich zu einer Frau hat umoperieren lassen (laut Internet dazu durch einen ehemaligen Liebhaber dazu getrieben; wurde im Film so nicht gesagt, da wurde nur erwähnt, dass dieser Liebhaber Martin ein Brautkleid gekauft hatte, bevor Martin zu Agnes wurde) Ein anderer Bruder ist sexsüchtiger, von Frauen immer nur ausgenutzter Bibliothekar ohne Selbstachtung (wie er selber sagt) Der dritte Bruder ist Grünenpolitiker mit Villa und Butler.

Was passiert? Agnes wird von ihrem Freund rausgeschmissen, zieht bei einer älteren frau ein, trifft ihren ehemaligen Liebhaber wieder, stirbt. Hans-Jörg, der Bibliothekar, lässt sich von einer freundin total ausnutzen, verliert seinen Job, erschießt seinen Vater, spielt in einem Pornofilm mit, flüchtet mit seiner Filmpartnerin nach Bagdad. Werner, der Grünenpolitiker, wird von seiner Frau und seinem Sohn verlassen, die jedoch schließlich wieder zurückkommen (Werner und seine Ehefrau finden durch das verschwinden des gemeinsamen Sohnes wieder ein wenig zu einander).

Der Film aht mich teilweise an John Irving erinnert, der jedoch die Krassheiten seiner Romane für die Filme abschwächt (habe irgendwo mal gelesen, dass John Irving gesagt hat, der Charakter des Dr. Larch in "Gottes Werk und Teufels Beitrag" als enthaltsamer, lachgassüchtiger Arzt, der Abtreibungen vornimmt, wäre für einen Film zu extrem gewesen und hätte so nicht mehr funktioniert, weswegen Larch im Film eine Beziehung hatte); in "Agnes und seine Brüder" ist nichts abgeschwächt. Der Film hat mich auch stark an "American Beauty" erinnert, und zwar bevor eine Szene ziemlich exakt kopiert wurde (der Vater der drei Brüder stirbt aus exakt den gleichen Gründen wie Lester Burnham). Irgendwie aber funktionieren Irving oder "American Beauty" allerdings sehr viel besser als "Agnes".

"Bekanntlich haben die Götter den Deutschen die spontane Schönheit verwehrt. [...] Der Deutsche [...] empfindet mit geheimnisvoller Vertrautheit Shakespeares Welt und weiß sich gleichzeitig unfähig, mit diesem Schwung und dieser Unschuld, mit diesem zartfühlenden Glück und mit diesem sorglosen Glanz schöpferisch zu sein." Das schrieb Jorge Luis Borges gegen 1943, und es scheint, wenn man sich Filme wie "Agnes und seine Brüder" anschaut, auch heute noch zu stimmen, auch, wenn hier "American Beauty" den Platz von Shakespeare eingenommen hat. Wo der amerikanische Film elegant, rührend, stellenweise sehr lustig und wirklich schön war, ist "Agnes" zumeist entweder widerlich und/oder platter Klamauk, und doch merkt man, wie unglaublich ernst der regisseur jede einzelne Szene nahm, wie humorlos der ganze Film, trotz allem, ist.

Es kommen noch weitere Sachen hinzu, die bei diesem Film meiner Ansicht nach misslungen sind: Die Schnitte sind, besonders zu Anfang, sehr seltsam gesetzt, eine Person sagt, "Hol doch mal Kuchen", im nächsten Augenblick wird der Kuchen dann serviert; die Dialoge sind teilweise zu kurz, als dass sich etwas Interessantes darin entwickeln könnte (Vater sagt, mehr oder weniger aus dem Nichts, sinngemäß: "Du brauchst keine Angst zu haben, dass du verachtet wirst, Werner. Du weiß, dass ich dich nicht verachte?" Danach Schnitt zu etwas anderem)

Die Kritiken loben den Film entweder in höchste Höhen, immerhin endlich mal wieder ein anspruchsvoller deutscher Film (die ganzen Filmförderungen, die diesen Film unterstützt haben, beweisen es), oder sie sind Verrisse. Besonders verstört hat mich eine durchweg positive Kritik, bei der der Autor gegen Ende dann doch zugeben musste, dass er dem Film "leider nicht viel abgewinnen konnte". Irgendwie fand ich das seltsam, da ich mir von einem Kritiker, den ein Film nicht berührt hat, erwarten würde, dass er versucht, zu erklären, warum ihn dieser Film nicht berührt hat.

Soweit meine Gedanken zu diesem Film; wer ihn ebenfalls gesehen hat, und darüber diskutieren möchte, soll dies nun tun :-)
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