Mephisto

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
Hamburger
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Mephisto

Beitragvon Hamburger » 24.10.2002, 02:03

Titel des Films: Mephisto
Art des Films: Psychogramm
Hauptdarsteller: Klaus Maria Brandauer
Regisseur: Istvan Szabò
Länge: 140 Minuten
Jahr: 1981

Es handelt sich um eine Literaturverfilmung des Schlüsselromans "Mephisto - Roman einer Karriere", welcher 1936 von Klaus Mann im Exil geschrieben wurde.

Die Handlung: Mitte der 20er-Jahre ist Hendrik Höfgen (gemeint: Gustaf Gründgens) ein begabter Schauspieler an einem Hamburger Provinztheater. Er engagiert sich zusammen mit seinem Freund und Schauspielerkollegen Otto Ullrichs für die kommunistische Bewegung und ist bei fast allen Schauspielerkollegen des kleinen Ensembles aufgrund seines Charmes
beliebt.
Dennoch ist er gleichsam sehr eitel und neigt zu unkontrollierten Ausbrüchen, beispielsweise bei den Theaterproben oder wenn ein Schauspielerkollege vom Publikum mehr Applaus erhält als er.
Bald schon entscheidet sich Hendrik Karriere zu machen und nicht länger in Hamburg zu verbleiben. Über den Umweg Wien wird er Schauspieler am Staatstheater in Berlin. Seine schauspielerischen Fähigkeiten sind nach wie vor beeindruckend. Insbesondere begeistert er das Publikum in seiner Lieblingsrolle, der Rolle des "Mephisto" in Goethe`s Faust.
Doch dann ändern sich die politischen Verhältnisse. Die NSDAP gewinnt die Reichstagswahlen und Hitler wird Reichskanzler.
Hendrik Höfgen erhält scheinbar zufällig zur selben Zeit ein Auslandsangebot und verlässt Deutschland, im Gepäck seine kommunistische Vergangenheit.
Durch einen glücklichen Umstand gelingt es ihm nach Berlin zurückzukehren und straffrei auszugehen, aber nicht nur das...

Mephisto prangert deutlich den Opportunismus vieler Künstler im Dritten Reich an, insbesondere natürlich den von Höfgen (Gründgens). Dennoch gelingt es Klaus Mann in seinem Roman dem Hauptdarsteller Höfgen eine Tiefe zu verleihen, indem er den Selbstbetrug, den Höfgen an sich vollzieht, eingehend schildert und auch einige Nuancen in den Charakter einbaut, die zum Bild des skrupellosen Opportunisten nicht
passen.
Der Roman war einer der Ersten, die sich mit den Zuständen im Dritten Reich beschäftigten und er war lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland (auf Betreiben der Erben Gründgen`s) verboten.
Warum aber schlage ich nun den Film vor - und nicht den Roman?
Der Grund ist, das es sich hier endlich einmal um eine gelungene Literaturverfilmung handelt und der Grund dafür wiederum ist der Hauptdarsteller: Klaus Maria-Brandauer zieht hier alle Register seines Könnens und spielt glaubwürdig und überzeugend einen Menschen, der im Zweifel immer die Karriere vor die Prinzipien setzt und dem es beständig gelingt, jeder Art von ernsthafter, tiefgreifender Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln zu entgehen.

Ein absolut sehenswerter Film, der völlig zurecht einen Auslands-Oscar erhielt (Anfang der 80er-Jahre galt das ja noch was...)

Grüße vom Hamburger
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Re: Mephisto

Beitragvon gelbsucht » 13.11.2002, 00:52

Hallo Ham,

ich habe im Sommer dieses Jahres Gelegenheit gehabt, mir den Film "Mephisto" anzusehen.

Du kennst ja meine tief verwurzelte Abneigung gegen Mitläufer und Kollaborateure wie Gründgens, die auch nach Ende der NS-Diktatur immer noch ganz oben mitgemischt haben. Eine ähnliches Gefühl begleitet mich dann, wenn ich mir einen Film wie "Mephisto" ansehe. Das interessante daran ist, dass er eben nicht ganz eindeutig als Opportunist festzunageln und zu verurteilen ist. Wir sehen ihn ja auch im Film, wie er sich für ehemalige Mitglieder des kommunistischen Theaters einsetzt oder für seine schwarze Geliebte. Sein Handeln wird nicht einfach verurteilt, sondern zu einem gewissen Grad erklärt.

Die schauspielerische Leistung von Klaus Maria Brandauer ist einfach phantastisch. Ich habe so etwas bisher sehr selten gesehen. Nicht nur, dass er ein überzeugendes Spiel auf der Bühne abliefern muss. Höfgen ist ja auch gerade in seinem Alltag der größte Schauspieler. Brandauer muss das glaubwürdig spielen und immer noch mit einer Nuance erkennbar machen, dass der, den er spielt, ständig spielt und seine Umgebung zum Narren hält. Nur wird das Narrenspiel immer ernster. Aber Brandauer vermag auch die Leidenschaft, die Ekstase, das Genie, das Herzblut eines überragenden Schauspielers wiederzugeben. Höfgen will ja eigentlich nur eins: spielen und vom Publikum geliebt werden. Dem ordnet er alles unter. Das ist sein Prinzip, sein Opportunismus. Und dass in Deutschland gerade ideologische einiges im Argen ist, damit "arrangiert" er sich. Gerade in den Szenen, in denen Höfgen selbst unwohl wird, wo er sich anbiedert, anpasst, einschmeichelt, gerade hier beeindruckt mich die schauspielerische Leistung von Brandauer. Es gibt eine ganze Reihe von Szenen, die mir unter die Haut gegangen sind bei diesem Film. Wie er von dem General ? (vermutlich Göring?) gedemütigt wird, als er sich für jemanden einsetzen will, wo doch Demütigung etwas ist, was er überhaupt nicht ertragen kann.

In einer Szene erzählt er seiner Verlobten von seiner Kindheit: wie er schon damals voller Ehrgeiz im Knabenchor war und versuchte aus der Masse hervorzutreten. Er entschied sich eine Oktave höher als alle anderen zu singen. Und er erzählt, wie bei der Aufführung ihn der Chorleiter ganz geringschätzig anschaut und einfach nebenbei sagt: "Ach, sei doch still!" Auch hier erkennt man bereits die wesentlichen Charakterzüge von Höfgen.

Eine Gänsehaut bekomme ich, wenn ich an die letzte Szene des Films zurückdenke. Das ist wirklich ein grausiger Schluss- und Höhepunkt. Wie er im neuen Olympiastadion in Berlin im kalten Licht der Scheinwerfer umherirrt. Da hat das Schauspiel ein Ende, seine Lüge, sein Selbstbetrug ist ihm über den Kopf gewachsen. In diesem Augenblick, wo er sagt: "Was wollt ihr von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler!", habe ich ein wenig Mitleid mit ihm.

Grüsse von der gelben Sucht
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Re: Mephisto

Beitragvon Hamburger » 13.11.2002, 01:58

Hallo gelbsucht!

Freut mich das dir der Film "Mephisto" genausogut gefält wie mir. Du hast einige Szenen hervorgehoben, die auch mir unter die Haut gegangen sind. Du hast auch völlig zurecht drei Szenen benannt, die deutlich machen, das man Höfgen nicht einfach nur als Opportunisten verurteilen kann und das Urteil damit über ihn gesprochen ist.
Jedoch möchte ich noch auf weitere Szenen hinweisen, die eben auch zeigen, wie stark Höfgen alles dem von dir benannten Prinzip (spielen und geliebt werden) unterordnet und die mir, quasi als Kontrast und um seinen vielschichtigen Charakter deutlich zu machen, besonders wichtig sind.
Da wäre zum einen die Szene als Dora Martin Höfgen nach einer seiner Vorstellungen als "Mephisto" aufsucht und ihm eröffnet, das sie bald nach Amerika auswandert, "weil hier so allmählich der Vorhang fällt".
Hendrik begreift das nicht und sagt am Schluss des Dialogs:"Theater wird immer gespielt, ganz gleich was in Deutschland geschieht."
Darauhin sagt Dora Martin:"Ihnen wird es immer gut gehen, Hendrik Höfgen, ganz gleich was in Deutschland geschieht."
Dora Martin hat durchschaut, obwohl ihr Tonfall kein verachtender ist, das dieser eloquente, wendige Schauspieler sich überall und zu jeder Zeit wird anpassen können, da ihm die Liebe der Massen, die er durch sein Spiel in seinen Bann zieht, stets wichtiger sein wird als alles
andere.

Ja, Hendrik ist sogar bereit die ideologische Verfremdung der aufgeführten Stücke durch die Nazis bereitwillig mitzumachen, was die Szene zeigt, in der er vor ausländischen Journalisten (als die Nazis die Macht übernommen haben und er Intendant des Berliner Staatstheaters ist) über "Hamlet" referiert. "Hamlet" ist, so erfahren wir "kein dekadenter Typus", sondern ein entscheidungswilliger, starker junger Mann ohne Selbstzweifel und daher auch sinnbildlich ein Symbol des deutschen Menschen.
An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein, inwieweit Höfgen einfach nur den wahren Gehalt der Stücke verdrängt (nachdem er ihn eventuell verstanden hat) oder ob er ihn überhaupt bei jedem Stück nur so versteht, wie der Zeitgeist ihn vorgibt.

Zum Schluss eine dritte Szene: Hendrik im Park seines Hauses mit Nicoletta von Niebuhr. Beide sonnen sich, halten ein kühles Getränk in der Hand und Hendrik sagt er "denke oft darüber nach ob wir das eigentlich alles verdient haben."
Er kommt zu dem Schluss, dies sei selbstverständlich der Fall, denn wer soll den Leuten sonst in diesen Zeiten Auftrieb und Mut geben, wer soll sie unterhalten, wenn nicht der Schauspieler.

Noch etwas: Das Buch von Klaus Mann, in der Bundesrepublik lange verboten (Intervention von Gündgens`Erben), kann ich ebenfalls nur empfehlen. Vor allem, weil Istvan Szabò die Schlussszene modifiziert hat. Seine Schlussszene ist nicht schlecht, aber die im Buch gefällt mir noch wesentlich besser.

Mfg,

Hamburger
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Re: Mephisto

Beitragvon gelbsucht » 13.11.2002, 21:32

Und dann wollte er noch den Augstein totschlagen ... ja, diese Briefwechsel im neuen Spiegel haben wirklich großen Unterhaltungswert. Da geraten sogar überaus anpassungsfähige Schauspieler in Schweißausbrüche. Kann man Scheißausbrüche spielen?

Und dieser Augstein: irgendwie ein toller Kerl! Wirklich sympathisch der Mann. Der hat diese "Dagebliebenen", egal ob sie Gründgens oder Heidegger hießen, ganz schön in die Ecke gedrängt.

mfg,
gelb
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Re: Mephisto

Beitragvon Hamburger » 13.11.2002, 23:37

Hallo gelbsucht!

Hendrik Höfgen hätte bestimmt auch perfekt einen Schweissausbruch spielen können, der reale Gründgens wohl nicht minder. Wird dich die Qualität dieses SPIEGELS den nun dazu verliten, ein Anhänger dieses Magazins zu werden?

MFG,

Hamburger
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Re: Mephisto

Beitragvon gelbsucht » 14.11.2002, 01:50

Nein, ich habe mich entschlossen, mein eigenes Nachrichten- und Wissenschaftsmagazin herauszugeben. Ich überlege noch, ob ich es lieber "Stern" oder "Fokus" nennen soll. :-b

Außerdem habe ich einen Privatsekretär, der mich (fast) jeden Sonntag, über die Quintessenzen der letzten Spiegel-Ausgabe telephonisch informiert. Wozu selber lesen, wenn das andere für mich tun? :-D

;-) gelbe grüsse ;-)
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Re: Mephisto

Beitragvon Hamburger » 14.11.2002, 21:08

Hallo gelbling!

Dem bleibt nichts mehr hinzuzufügen, ausser vielleicht: Augstein wäre sicher stolz darauf, das es mittlerweile sogar zu den Aufgaben von Privatsekretären gehört seinen SPIEGEL zu lesen...

Bis denn,

Hamburger
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