Was lange währt...
ACHTUNG FÜR ALLE, DIE SAW NOCH NICHT KENNEN: DER FOLGENDE TEXT WIMMELT VON SPOILERN!!!!
SAW 3 ist schon Geschichte, aber ich möchte mein uraltes Versprechen einlösen und mich noch einmal in die Diskussion um den ersten SAW-Film einmischen, den ich über die Ostertage aufzeichnete und mir dann vorgestern ansah. Wobei ich davon ausgehe, dass ich eine entschärfte Version gesehen habe. Der obligatorische Trailer nannte sie „für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet“ – in meiner Lieblingsdvdeothek stand er immer im ab-18-Bereich.
Tja, nun also: SAW.
Blöderweise kannte ich den Clou (oder was ich dafür hielt) schon, den hat mir irgendwer zur Unzeit verraten, so dass ich mich nie überwinden konnte, Geld oder wertvolle Videothekenpunkte für die Leihversion des Films aufzuwenden. Immer gab es irgendeinen Film, den ich noch sehen wollte und dessen Pointe ich nicht kannte. Im Nachhinein denke ich, ich hätte ihn mir durchaus leihen können. Die Tatsache, dass ich den Schluss schon kannte war nichts im Vergleich zu den Spoilern, die im Film selbst ausgebreitet werden und die ihn, meines Erachtens, letztlich ziemlich langweilig machen.
Ich gehöre zu den von Ham eingangs erwähnte Freunden des Genres, ich mag also Psychothriller ebenso wie Horrorfilme, wobei ich SAW zu Ersteren zähle, da ihm für eine Horrorgeschichte das übernatürliche Element fehlt. Bei beiden Genres interessieren mich vor allem folgende Punkte:
Zum einen die „Auflösung“, die Pointe. Die besteht meist in der Beantwortung der Frage, warum der Täter tut, was er tut, welchem Gedankengebäude er anhängt, welchem Muster er folgt (Psychothriller) auf welche Weise er tut, was er tut (ebenfalls meist Psychothriller, selten auch Horror) oder welcher Gegenweltentwurf der Geschichte zu Grunde liegt (Horror).
Der zweite Punkt ist natürlich die Frage, wie die Figuren des Films, insbesondere der Protagonist/die Protagonistin, mit der Ausnahmesituation, in die sie geraten, umgehen, ob sie an ihr wachsen oder zerbrechen, wie sie sich entwickeln, ob und wie sie den Feind (oder auch sich selbst) überwinden können, um ihr Ziel zu erreichen. Beide Faktoren machen für mich die Spannung eines solchen Films aus und entscheiden darüber, ob es letztlich eine gute Geschichte ist, oder nicht.
In SAW werden diese beiden Spannungsmomente geradezu planvoll zerstört, der Versuch, etwas Adäquates an ihre Stelle zu setzen, scheitert (obwohl, das muss man den Drehbuchautoren zu Gute halten, sie es den Versuch machen). Warum der Puzzlemörder seine Opfer in die von ihm ausgeklügelten Zwangssituationen bringt, wird früh klar – nicht einmal durch Deduktion, es wird platt und offen ausgesprochen: Den Täter kotzt es an, dass seine kommenden Opfer so undankbar mit dem Geschenk des Lebens umgehen, er möchte ihnen drastisch die Augen öffnen – und wenn sie sie nicht öffnen wollen, dann gehen sie eben drauf. Ziemlich simpel, nicht unbedingt logisch, aber da unser Bösewicht ein verzweifelter und zorniger Mensch ist, sollten wir ihn nicht an der Elle der Logik messen (zumindest nicht an äußerer Logik - aber dazu später). Rätsel Nummer 1 wäre somit gelöst: Der Täter will seine Opfer auf brutale Weise zurück zu den Wurzeln führen. Und für alle, die sich noch fragen, was das mit unserem Freund Dr. Lawrence zu tun hat, wird die Antwort sofort frei Haus geliefert: Der Typ hat alles, eine süße Tochter, eine Frau (deren Rolle zu klein ist, als dass man eine Beziehung zu ihr aufbauen könnte), einen Job, in dem er der Zampano ist – und das alles setzt er aufs Spiel, indem er mit seiner Frau herumstreitet und eine Affäre hat. So weit, so unoriginell.
Bleibt die Frage nach der Entwicklung der Figur. Die platte Antwort: Lawrence zerbricht. Was nicht weiter verwunderlich ist: Erst setzt der Bösewicht ihn einer psychologischen Folter aus, dann lässt er ihn auch noch live die (scheinbare) Abschlachtung seiner Familie miterleben. Wer würde da nicht zerbrechen? Lawrence jedenfalls wurde uns bis zu diesem Punkt nicht nahe genug gebracht, um ein Durchstehen der Situation glaubhaft erscheinen zu lassen, von daher ist sein Zusammenbruch folgerichtig. Allerdings machen die Drehbuchautoren den Fehler zu glauben, was er tut, nachdem er zusammengebrochen ist, sei noch interessant. Dem ist aber mitnichten so. Ob er nun herumbrüllt, grunzt, sich einen Fuß absägt und auf seinen Leidensgenossen schießt oder ob er sich zu einem Ball zusammenrollt und kichert oder ob er meinethalben sich zu voller Größe aufrichtet und schmetternd alte Schlager von Roberto Blanco zum Besten gibt – egal. Als Indentifikationsfigur und Handlungsträger hat er ausgedient. So geht das immer mit zusammengebrochenen Figuren in derartigen Filmen, weshalb sie entweder bald sterben oder zum Problem für den Protagonisten werden, indem sie ihn immer vollgreinen, wenn er den rettenden Plan finden will oder sich an seinen Arm klammern, wenn er gerade die Knarre zieht. Natürlich gibt es auch die Filme, in denen die Hauptfigur erst zusammenbricht und sich dann aus der Asche erhebt. Dann allerdings erfolgt er Zusammenbruch spätestens in der Mitte des Films, nicht erst am Schluss. Alles Handeln von Lawrence nach seinem Zusammenbruch ist natürlich blöd- und widersinnig, aber dafür hat er, auch wenn es einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, die Generalentschuldigung: Nach so einer psychischen Folter ist buchstäblich alles möglich. Und gerade deshalb ist es so egal, was er tut.
Den Erfindern der Geschichte scheint dann auch gedämmert zu haben, dass da etwas schief läuft, weswegen sie uns flugs einen anderen Protagonisten anbieten, nämlich Adam. Das allerdings funktioniert nicht – was weiß ich schon von Adam? Abgesehen davon, dass er von schmierigen Fotojobs lebt aber ein gutes Herz zu haben scheint (immerhin versucht er, Lawrences Leid ein wenig zu lindern, indem er ihm das Foto von Frau und Tochter vorenthält) gar nichts. Das reicht nicht. Ich weiß nur von einem Film, in dem so ein Protagonistenwechsel funktioniert hat: „Psycho“. Und das lag nicht an der Geschichte (dass es Robert Bloch nicht gelungen ist, aus seinem erstklassigen Buch ein gutes Drehbuch zu machen, beweist das öde Remake) sondern einzig und allein an Hitchcock und Perkins, also an Regie und Hauptdarsteller. Hier, im Falle von SAW, waren keine Genies da, um die verfahrene Situation zu retten, und selbst wenn, wäre die Zeit zu knapp gewesen.
Wie gesagt: Den Drehbuchautoren scheint diffus klar gewesen zu sein, dass das so nicht klappt. Also versuchen sie, das Ganze mit besonders ausgefallenen Tötungsmaschinen und der Frage „wer ist der Täter“ aufzupeppen. Ersteres geht daneben. Nicht, weil die Tötungsmechanismen nicht interessant und ausgefallen wären, das sind sie. Aber das alleine reicht nicht, um eine verpfuschte Dramaturgie zu retten. Wenn ich guter Dinge bin, kann ich mir an einem Vormittag zehn solcher Methoden ausdenken und ich habe den Verdacht, dass mein nicht geringes Potential in diesen Dingen lächerlich gegen das ist, was zum Beispiel Silly Silentium leisten könnte. Es gibt sogar eine nette Horrorkurzgeschichte, leider ist mir der Titel entfallen, in dem eine der drei Schicksalsgöttinnen eine ganze Schulklasse dazu bringt, ausgefallene Todesarten zu ersinnen, weil ihr selbst die Ideen ausgegangen sind. Das alleine macht den Kohl also keineswegs fett. Und das Whodunnit WÄRE unter Umständen interessant gewesen, wenn dann jemand der Täter gewesen wäre, den man schon kennt: Der Detective, sein totgeglaubter Partner, Lawrence, Adam… Aber dann war es eben der Typ, der die ganze Zeit darum gelegen hat und den man vorher einmal ganz kurz sehen durfte – als stillen Patienten im Bett. Wie überaus prickelnd. Und für die Frage, ob jemand bei Bewusstsein acht Stunden lang regungslos liegen kann, lohnt sich kein Film. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass es möglich ist, mit Hilfe von Drogen oder Meditationstechniken, aber das nur am Rande.
Als Fazit also: Gute Idee, aber schlecht ausgeführt und dadurch langweilig. Hätten die Autoren sich entscheiden können, daraus entweder eine konventionelle Cop/Serienkiller-Geschichte zu machen (dann mit Danny Glovers Figur als Protagonist) oder die ganze Handlung wirklich nur auf Lawrence und Adam in ihrem Badezimmerkellerverlies zu beschränken, hätte daraus etwas solides und gutes (Cop vs. Killer) oder grossartiges (Kammerspiel) werden können. So, wie er ist, ist der Film leider misslungen.
Dazu kommen noch ein paar logische Löcher, die aber daher rühren könnten, dass der Film zu einer Ab-16-Version zusammen geschnitten wurde, daher erwähne ich sie nur:
1.) Zeb. Mal ehrlich: Wer würde, auf die reine, unbewiesene Bahauptung man habe ein tödliches Gift im Körper und nur die Stimme auf dem Band habe das Heilmittel, hingehen, und zwei Menschen umbringen (oder es zumindest versuchen)? Da könnte man ja, nur mittels Telefon, ganze Völkerschaften ausrotten. Das „tödliche Gift“ fungiert zweimal in der Geschichte als Deus ex Machina – und beim zweiten Mal spätestens ist es völlig unglaubwürdig.
2.) Aber nehmen wir mal an, unser Killer hat den guten Zeb irgendwie überzeugt und der zieht auch gleich los, um Tod und Verderben zu säen. Wieso das eigentlich? Wieso straft der Finsterling nicht nur Dr. Lawrence, sondern tötet auch gleich Unschuldige? Immerhin stellt er einen hohen moralischen Anspruch – siehe seine Anklage gegen Adam und auch die Tatsache, dass zu Lawrences Verfehlungen Ehebruch zählt. Natürlich ist der Killer verrückt wie eine Scheißhausratte, aber die Gedankengebäude von Wahnsinnigen haben eine innere Logik. Und da die Logik in diesem Falle auf strenger Moral zu Fußen scheint und quasi-religiös ist (das Leben als Geschenk und Wert!) passt die geplante Ermordung, insbesondere von Lawrences Tochter, absolut nicht. Wenn ich schon Wahnsinn entwerfe, dann sollte dieser Wahnsinn zumindest durchdacht sein.
3.) Und dann der unglückliche Kerl mit dem Schlüssel im Magen. Wer war das, was hat er getan, und wieso darf die Frau, die ihn aufgeschlitzt hat, danach einfach nach Hause gehen? Da trieft Danny Glovers Figur ja geradezu vor Verständnis, während er den armen Lawrence mit geradezu krankhaftem Wahn verfolgt (ach, Riggs, wo bist Du, wenn Murtaugh dich wirklich mal braucht
). Natürlich kann man da Verständnis haben – aber nichtsdestotrotz hat sie jemanden umgebracht. Sollte da nicht doch noch irgendein Nachspiel kommen?
4.) Wieso riskiert unser Killer eigentlich, dass seine ganze schöne Idee von der Umerziehung durch Psychofolter platzt, wenn Adam, der Trottel, einfach mal in die Badewanne schaut. Könnte ja sein, dass Adam in seiner Freizeit gerne vor der Playstation sitzt und „Silent Hill“ oder „Resident Evil“ spielt. Dann wäre das eine seiner ersten Ideen.
Übrigens und nebenbei: Ich habe einmal sehr gelacht, bei diesem Film. Es gibt in „Silent Hill 3“ eine Situation, in der die Hauptfigur ebenfalls einen Schlüssel sucht. Man hat die Wahl, sie auch in einem völlig versifften Klo wühlen zu lassen. Wenn man das aber versucht, dreht sich die Figur (eine junge Frau) zum Spieler, sieht ihn direkt (und ein wenig angewidert) an, und sagt: „Wer würde so etwas Ekliges machen?“ Nun – wir wissen jetzt, wer so etwas machen würde. Und das auch noch bevor er den Spülkasten kontrolliert
.
Ich bleibe dabei: Zwei eingesperrte Typen und ein abgesägter Fuß machen noch keinen guten Film. Aber immerhin war die Musik fein.