Fantasy Filmfest 2005 in Köln

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
razorback
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Fantasy Filmfest 2005 in Köln

Beitragvon razorback » 24.08.2005, 16:39

Vom 10. bis zum 17. August gastierte das 19. internationale Fantasy-Filmfestival in Köln und nicht nur berufliches Interesse trieb mich dahin. Wobei es übertrieben wäre zu sagen, dass ich am Festival wirklich teilgenommen hätte. Dem schmalen Geldbeutel geschuldet erwarb ich Karten für gerade mal vier Filme – von 71. Einziges Auswahlkriterium war für mich dabei, dass die Filme, die ich besuchen wollte Deutsche Produktionen oder zumindest Deutsche Kopruduktionen waren – tatsächlich waren es genau zwei Deutsche Filme. Das kann jemanden, der in Deutschland Drehbücher für Phantastische Filme schreibt, entweder depremieren oder ermutigen. Ich entschied mich für Letzteres – auch und gerade, nachdem ich die beiden Deutschen Filme gesehen hatte. Da gibt es offenbar eine Marktlücke. Für mich.

Selbstverständlich möchte ich Euch an meinen Erfahrungen Teil haben lassen – zum einen, da die meisten Filme über kurz oder lang in die Kinos oder ins Fernsehen kommen werden, zum anderen, weil die Filme, die ich gesehen habe, doch durchaus eine Kritik wert sind. Auf die eine oder andere Weise…

1.) Happy End
Deutschland 2005
Buch und Regie: Daniel Stieglitz

Meinen ersten Festivalfilm sah ich mit ganz besonderem Interesse. Er war der einzige wirkliche Horrorfilm auf meiner Liste, der Debutfilm eines jungen Regisseurs von der Filmhochschule Kassel, selbstfinanziert mit dem schmalen Budget von 10.000 Euro. Und Trotz aller Mängel – vor allem am Drehbuch – auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, möchte ich den Film alles in allem loben und empfehlen. Daniel Stieglitz, das ist ganz deutlich zu spüren, ist ein guter Regisseur oder wird ein guter Regisseur werden. Alles, was an diesem Film gut ist, glaube ich auf Begabung und Geschick zurückführen zu können, alles, was an ihm schlecht ist auf Unerfahrenheit oder Geldmangel. Letztere werden sich mit der Zeit verlieren, Erstere hoffentlich bleiben. Aber zunächst zur Geschichte:

Der Schriftsteller Leo, einst ein gefeierter Jungstar der Literaturszene, seither aber mit Schreibblockade geschlagen, kann sich seine teure Innenstadtwohnung nicht mehr leisten und zieht in eine Wohnung, deren Bild neben den Worten „heruntergekommen“ und „Loch“ im Lexikon steht. Die Aufnahme im neuen Heim ist nicht gerade ermutigend: Die Nachbarn sind – mit Ausnahme einer freundlichen alten Dame – zugeknöpft und feindselig und in der Wohnung spukt es ziemlich offensichtlich. Wo andere allerdings nach kurzer Zeit schreiend die Flucht ergriffen hätten, sieht Leo die Chance, endlich seiner Schreibblockade zu entkommen. Er recherchiert die Vergangenheit seines neuen Heimes – und was er dabei aufspürt ist selbstverständlich schrecklich. Die Geschichte erinnert nicht sehr entfernt an „The Ring“. Aber Daniel Stieglitz Anflug von hilfloser Verzweiflung, als er hinterher erzählte, er habe „The Ring“ erst gesehen, als das Drehbuch schon fertig war, wirkte zumindest auf mich absolut glaubhaft. Viel mehr möchte ich zur Geschichte auch nicht sagen, da ich denen, die sie noch sehen möchten, die Pointe nicht versauen will. Die Pointe ist nämlich gut. Obwohl sie unoriginell und – wie sich das gehört – im Film vorbereitet ist, kam sie für mich überraschend, und ich bin eigentlich recht gut im Pointenerspüren. Außerdem war sie stimmig. Und wenn ich gleich auch heftig auf die Drehbucharbeit eindreschen werde, so will ich doch festhalten, dass dieser für einen Horrorfilm sehr zentrale Punkt der Abschlusspointe voll und ganz gelungen ist.

Zunächst aber möchte ich noch ein wenig loben. Daniel Stieglitz ist und nennt sich Regisseur, also sollte man ihn auch zuerst an der Regiearbeit messen. Und die ist im Großen und Ganzen gelungen. Als Anfänger war Stieglitz weise genug, sich ein vergleichsweise unkompliziertes, überschaubares Thema zu wählen, an dem er Bilder, Inszenierung und Setting ausprobieren konnte, ohne sich zu viel um Nebensachen kümmern zu müssen. Seine Bilder sind alles in allem gut, wenn auch teilweise etwas abgenutzt. Und zu dunkel. Stieglitz gehört offenbar zu den sehr seltenen Regisseuren, die auch im hellsten Tageslicht Grauen erzeugen können. Einige der subtilsten und besten Momente seines Films spielen am hellen Tag. Leider scheint er das (noch) nicht zu wissen. Die meiste Zeit über spielt dieser Horrorfilm ganz konventionell im Dunkel oder Halbdunkel. Das ist natürlich oft gruselig, aber es ist dieser konventionelle, alltägliche Erwartungsgrusel, dem ich mich zwar nicht entziehen kann, den ich aber auch nicht besonders bemerkenswert finde und den ich nicht für eine Leistung halte. Das kann jeder. Stieglitz kann aber wohl auch ein paar Sachen, die nicht jeder kann. Das zeigt er in „Happy End“ noch zu wenig, aber er ist, wie gesagt, ein Anfänger. Es wäre blödsinnig ihn dafür zu tadeln, dass er in Vielem noch auf der sicheren Seite bleibt. Bleibt zu hoffen, dass er die Talente, die er hier viel versprechend andeutet, weiter entwickeln kann.

Dem vielfachen Lob des Hauptdarstellers Matthias Scherwenikas will ich mich hier nicht anschließen. Er spielt den Leo für meine Begriffe viel zu maniriert und teilweise sogar gewollt komisch. Die misslungene und unpassende Komik, gerade zu Beginn des Films, verdirbt diesen Beginn etwas. Obwohl so etwas normalerweise dem Regisseur anzulasten ist, steht hier zu befürchten, dass der erfahrene Schauspieler Scherwenikas sich allzu oft und zum Schlechten des Films gegen den jungen Regisseur durchgesetzt hat. Ein solcher Film verträgt es nicht, wenn ein Schauspieler sich zeigen will, die Gefühle der Figur geben das nicht her. Scherwenikas will sich zeigen und Stieglitz lässt ihn zu sehr. Meine Vermutung, dass das eher am Schauspieler als am Regisseur liegt, gründet sich auf die teilweise viel besser und stimmiger gespielten Nebenfiguren.

Kommen wir zum Drehbuch. Stieglitz ist Regisseur, nicht Drehbuchautor und es steht zu hoffen, dass er sich an dieser Europäischen Krankheit, dass Regisseure sich durch die Bank auch für begabte Drehbuchautoren halten, nicht anstecken wird. Ich halte ihn nämlich – falls das noch nicht klar geworden ist – für einen sehr begabten und viel versprechenden Regisseur. Als Drehbuchautor allerdings ist er ziemlich lausig (wenn ich mich auch nicht zu der Behauptung versteigen will, er sei hoffnungslos schlecht – dafür ist das, was er aus der unoriginellen Grundidee vor allem in der Pointe macht, zu gut). Das beginnt schon bei einem ganz klassischen Punkt: Der Motivation des Helden. An dem Punkt, an dem Leo sich vornimmt, der Sache auf den Grund zu gehen, weil er sich (Zitat) „eine interessante Geschichte“ erhofft, hätte jeder normale Mensch schon schreiend die Wohnung verlassen. Die Hauptfiguren in einem Horrorfilm sollten sich – Persiflagen ausgenommen – der Tatsache, dass sie Hauptpersonen in einem Horrorfilm sind, nicht bewusst sein. Das bedeutet aber, dass sie sich wie normale Menschen verhalten sollten, die sich plötzlich mit dem Übernatürlichen konfrontiert sehen. Die zu erwartende Reaktion in einer so weltbilderschütternden Konfrontation wäre Angst, Entsetzen, Unglaube. Nichts davon bei Leo. Die Tatsache, dass er seine Wohnung mit einem Geist teilt, scheint ihn nicht sehr aus der Bahn zu werfen. Erklärt wird diese erklärungsbedürftige Haltung in keinem Moment, und das nagt an der Glaubwürdigkeit der Geschichte. Das Motiv „neugieriger Held – Schriftsteller, Journalist, Detektiv etc. – gerät in den Horror, weil seine Neugier geweckt ist“, ist per se nicht schlecht. Es ist viel zu klassisch und bewährt (zum Beispiel eben auch in „The Ring“) um schlecht zu sein. Stieglitz aber führt es so spät und aufgesetzt ein, dass es im Kino tatsächlich Gelächter hervorgerufen hat. Ein grundlegender handwerklicher Fehler.
Dann versieht er seine Geschichte mit einer Kapitelstruktur – wohl, weil die Hauptfigur, der Schriftsteller, die meiste Zeit rückschauend erzählt – die ihr mehr schadet als nützt. Wozu das? Einen offensichtlichen Nutzen hat es nicht, es fördert hingegen den zweiten großen Schwachpunkt dieses Drehbuchs nämlich das:
Voiceover. Wobei ich mich hier als einen eigentlichen Freund des Voiceovers outen will (und mich damit in Gegensatz zu vielen erfahrenen Drehbuchautoren, unter anderem auch meinen Lehrern, begebe). Jemand, der wie ich „American Beauty“ zu seine Lieblingsfilmen zählt, kann kein Feind des Voiceovers sein. In vielen anderen Filmen tut es eine segensreiche Wirkung, genannt seien so unterschiedliche Werke wie „Herr der Ringe“, „Tote tragen keine Karos“ und „Psycho“. Aber hier? Nein, leider gar nicht segensreich. Abgesehen davon, dass mich das Voiceover schon zu Anfang überflüssigerweise darauf hinweist, dass Schreckliches geschehen wird (irgendwie habe ich damit gerechnet, als ich mich für einen Horrorfilm entschieden habe) erzählt mir Leo bzw. Stieglitz dauernd wortwörtlich Dinge, die ich im Bild sehe. Das ist eine drehbuchschreiberische Todsünde und es ist erstaunlich, dass ein Regisseur sie begeht, der doch eigentlich auf die Kraft der Bilder vertrauen sollte. Es ist immer schlecht, wenn man bei einem Film lange die Augen schließen kann, ohne, dass einem Wesentliches entgeht. Ein Film ist kein Hörspiel und ein gutes Voiceover unterscheidet sich ganz entschieden von der Rolle des „Erzählers“ im Hörspiel. Ich habe das Experiment mit den geschlossenen Augen in „Happy End“ mehrmals gemacht, und leider viel zu wenig verpasst. Wie gesagt und gegen alle Konvention: Voiceover kann sehr gut und nützlich sein. Im Moment verkommt es allerdings gerade ein wenig zur Mode, und was dabei schlimmstenfalls herauskommen kann, ist in diesem Film leider zu sehen.

Gesamtfazit also: Ein Film mit vielen Schwächen und Anfängerfehlern. Aber ein unbedingt sehenswerter Film, schon allein, damit man später damit angeben kann, schon bei der Erstaufführung des allerersten abendfüllenden Stieglitz dabei gewesen zu sein. Und eine Hoffnung für mich: Es gibt viel versprechenden Deutschen Horror. Und es kommen viel versprechende Regisseure, die sich damit beschäftigen von den Filmhochschulen. Zumindest einer.


2.) Reefer Madness
USA/Deutschland 2005
Buch: Kevin Murphy und Dan Studney
Regie: Andy Fickman (wirklich!)

Als Katholik stehe ich dem Weltjugendtag sehr positiv gegenüber. Und Leute, die auf der Autobahn einen so schweren Unfall haben, dass die Bahn gesperrt werden muss, tun mir sehr leid. Idioten jedoch, die ausgerechnet während des Weltjugendtages auf der einzigen Bundesstraße, die eine Alternative zur Autobahn darstellt, die Fahrbahndecke abtragen lassen, so dass jede Störung auf der Autobahn zu einem absoluten Verkehrskollaps führen muss, ziehen meinen unverminderten Hass auf sich. Es war unmöglich, nach Köln zu kommen, nichtmal die S-Bahn konnte ich erreichen. Ich verbrachte mehr als eine Stunde im Stau und gab dann auf. So verpasste ich „Reefer Madness“ eine Musical-Horrorsatire mit Neve Campbell. Am nächsten Tag, als Köln für mich wieder erreichbar war, hörte ich, wie andere sich darüber unterhielten. Viel Lob war da zu hören, von einem kommenden Kultfilm war die Rede. Ich habe ihn nicht gesehen. Weil auf irgendeinem Plan irgendeines Bürokratenarsches stand, dass die B8 just an diesem Tag ohne Fahrbandecke zu sein hat. Vielen Dank dafür.


3.) Kampfansage – der letzte Schüler
Deutschland 2005
Buch und Regie: Johannes Jaeger

Der zweite wirklich Deutsche Beitrag zum Festival war „Kampfansage“ – ein Film, in dem sich (so die Vorankündigung) ein einsamer Kampfkünstler in einer postapokalyptischen Welt bösen Söldnerhorden entgegenstellt. Da ich selbst einige Kampfkünste von innen kenne, außerdem dem Autor von „Abaddon“ sehr verbunden bin (und voraussichtlich Autor der Drehbuchadaption sein werde ;-) ), hat mich das natürlich sehr interessiert. Einen ersten Schrecken jagte mir die fröhliche mündliche Ankündigung vor Beginn des Films ein, dass ich nun eine Produktion von „ActionConcept“ sehen werde. ActionConcept… „Alarm für Cobra 11“, „Der Clown“… Titel, die jedem, der dem Begriff „Drehbuch“ auch nur einen Hauch von Sympathie entgegenbringt, Schauer des Entsetzens bereiten. Aber gut… vielleicht würde es ja…

Es wurde nicht. Obwohl das Drehbuch, verglichen mit anderen AC-Machwerken, regelrecht tiefsinnig war, war das alles in allem doch schon ziemlicher Mist. Aber dazu später. Zunächst einmal, und falls ein AC-PR-Mensch jemals diese Zeilen lesen sollte: Ein „Söldner“ ist ein freischaffender Soldat, also jemand, der nur aufgrund seiner Bezahlung einer Truppe angehört und normalerweise nur einem Vertrag oder – früher – einer Fahne treu ist. Das ist ein Söldner. So jemand kommt in „Kampfansage“ nicht vor. Da haben wir es mit einer Truppe zu tun, die nur der Person eines Anführers verpflichtet ist, vermutlich gar nicht bezahlt wird und abgesehen von seltsam willkürlich vergebenen militärischen Rängen nichts Soldatisches hat. Das korrekte Wort wäre Privatarmee. Nur damit niemand mehr in Erwartung von Lloyd, Goran, Martin oder auch der Wildgänse seelig ins Kino geht, um dann mit einer Kung-Fu-SS für Grundschüler bedient zu werden. Und einsam bedeutet „allein“. Also… nur einer. Nicht eine ganze Truppe, und auch nicht drei, wie im Showdown.

Zum Film: Ein Meilenstein der Comedy. Wieder und wieder schüttelte hilfloses Kollektivgelächter das Publikum, und also auch mich, da blieb wirklich kein Auge trocken. Kein blödes Klischee, das nicht plakativ blöd bedient wurde, kein blöder, tausendmal gehörter Spruch wurde ausgelassen. Eine 1a Persiflage auf blöde Actionfilme, ein Gastauftritt von Michael Dudikoff wäre die Krönung gewesen. Leider blieb der aus. Leider war das auch keine Persiflage. Leider war der Film völlig ernst gemeint. Fangen wir mit der Handlung an:

Irgendwie – wie ist nicht gesagt – ist die Zivilisation 2045 über den Jordan gegangen, überall Chaos, Anarchie, Straßenkampf. Da plötzlich auch die modernen Waffen nicht mehr funktionieren, besinnen sich die Kämpfer auf die alten Kampfkünste. Weswegen eine allgemeine Jagd auf die alten Kampfkunstmeister einsetzt, alle werden sie gekillt. Der letzte Meister jedoch, Hüter eines Buches, in dem alle Meister ihr Wissen über die Kampfkunst vereint haben, haut dem Oberbösen tödlich aufs Dach und macht sich mit seinem Buch unter dem Arm wieder vom Kampfplatz. Aber oh je, Tochter und Sohn (Kleo und Bosco) des Oberbösen haben das beobachtet, und da der Oberböse zwar ein ganz schlimmer Schuft, als Papa aber wohl ganz brauchbar war, gehen sie ein paar Jahre später hin und töten per Schuss in den Rücken den letzten Meister. Da Töchterchen Kleo aber eine miese Schützin ist, und auch von der alten Weisheit, vorsichtshalber immer einen Finalschuss anzubringen, nichts gehört hat, lassen sie den letzten Schüler des letzten Meisters (Jonas) blöderweise schwer verletzt liegen. Der wird von Esther Schweins gefunden und in ihrem Wohnwagen gesund gepflegt. Dann macht er sich auf, den Meister zu rächen und das geklaute Buch zurück zu holen. Dabei findet er natürlich aufrechte Freunde und böse Feinde und eine schöne Frau, und es gibt tüchtig aufs Mett. Grundlegende Kampfkunst ist, wenn ich mich nicht irre, irgendeine Wu Shu - Sorte, keine Ahnung welche. Am Ende siegt das Gute, und Esther Schweins kehrt mitsamt Wohnwagen zurück.
Wohlgemerkt – ich störe mich nicht an der simplen Story. Alle frühen John Woo Filme hatten sehr einfache Plots und waren trotzdem verdammt gut. Störender sind da schon diese öde-akrobatischen Kampfszenen, die nicht viel mehr als albern sind (und dabei mag ich gute Kampfszenen wirklich sehr). Aber gut, die Stockkampfsequenz macht zumindest Spaß. Zu wenig, für so einen Film, aber zumindest etwas. Aber das dann jede einzelne Szene und jedes Wort eine schlechte Kopie von irgendetwas ist, das täte schon verdammt weh, wenn es nicht so lustig wäre. Am beklopptesten die immer wiederkehrende Kopie einer bestimmten Pose aus Matrix, die da schon doof aussah. Einzig wirklich sehenswert ist Bela B. Felsenheimer als wirr Conrad Ferdinand Meyer zitierender Folterknecht.
Und dann diese Logiklöcher in der Ausgangskonstellation…
Alle besinnen sich auf die alten Kampfkünste? Na, da ist es ja wirklich clever, alle alten Meister umzubringen. Die modernen Waffen funktionieren nicht mehr? Warum denn nicht? Alles an einer MP oder einem Sturmgewehr ist mechanisch, bei guter Pflege und ausreichend Munition kann so eine Waffe jahrzehntelang der Schrecken der Nachapokalypse sein. Denkt denn niemand an unsere darniederliegende Deutsche Wirtschaft, wenn solcher Nonsence verkündet wird, und dann ein beliebtes Qualitätsprodukt von Heckler und Koch in Großaufnahme in den Dreck fliegt? Wer kauft denn jetzt noch Deutsche Waffen? Dazu sollte Herr Stoiber auch mal was sagen.

Immerhin schmeckt das Bier noch. Die Zivilisation ist seit mindestens zwei Jahrzehnten über den Bach (gemessen am Alter von Kleobosco), aber während der etwas voreiligen Siegesfeier von Jonas und seinen Kumpanen kreisen die Longneckflaschen und der Gerstensaft scheint kein bisschen schal zu sein. Bemerkenswert…

Das Programmheft weist zu Recht darauf hin, dass das Genre des Kampfkunstfilmes bisher den Amerikanern und Asiaten vorbehalten war. Und wenn man „Kampfansage“ gesehen hat, dann weiß man auch, warum. Die Asiaten beweisen, wie man mit wenig oder unorigineller Geschichte wunderbare Filme machen kann – egal ob man an John Woo zu seinen Hongkongzeiten denkt, an Werke wie „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ oder an Komödien wie die Jackie Chan Filme. Die Amerikaner haben – von dem unvermeidlichen Dreck einer so großen Filmindustrie mal abgesehen – das Genre weiterentwickelt, man denke an Filme wie „Romeo must die“, „The Art of War“ oder – ganz herausragend – die „Blade“-Filme. Aber Europa muss sich nicht verstecken. Man kann etwa „Pakt der Wölfe“ durchaus auch als Kampfkunst-Action sehen, und das ist ein intelligenter, spannender Film mit tollen Kampfszenen. Aus Frankreich allerdings. Der Beweis, dass wir in Deutschland das auch können, steht weiterhin aus. Auch und gerade nach „Kampfansage“.

Das Positive ist schnell abgemacht: Ein für AC-Verhältnis ungeheuer ausgeklügeltes und tiefgehendes Drehbuch, immerhin ist nicht jede Szene nur ein Vehikel für den nächsten Knall und die Antagonisten haben einen Anflug von Tiefgang durch ihr eigenes Rachemotiv. Es gibt erstaunlicherweise eine wirklich sympathische Figur (Vince) und Bela B. ist ein Kracher (mit einem Gesamtauftritt von allerdings nur zwei bis drei Minuten). Die Tricktechnik ist teilweise sehr gut (teilweise allerdings auch grottig). Und kein Auto explodiert. Das war’s dann allerdings auch.

Wenn ihr mal so richtig befreit und mit gutem Gewissen schadenfroh sein wollt, seht Euch diesen Film unbedingt an. Was habe ich gelacht. Und er fördert die Mitmenschlichkeit. Meine Sitznachbarn und ich haben uns, obwohl völlig fremd, in gemeinsamer Abneigung gegen das Machwerk mit Hohn und Scherzlein gegenseitig erfreut.


4.) Dear Wendy
Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien 2005
Drehbuch: Lars von Trier
Regie: Thomas Vinterberg

Was macht ein renommierter Filmemacher, wenn er – vielleicht unbewusst – fühlt, dass er seinen Zenit überschritten hat und zu gekünstelten Werken mit nervend erhobenem Zeigefinger neigt? Er handelt verantwortungsbewusst und verfilmt seine Drehbücher nicht mehr selbst, sondern überreicht sie einem ebenso renommierten, aber noch nicht eingefahrenen, talentierten jungen Regisseur. So die Idealvorstellung und so könnte es sich hier abgespielt haben. Nach dem Dogville-Desaster mag ich mir gar nicht vorstellen, was aus „Dear Wendy“ hätte werden können, wenn Lars von Trier sein Drehbuch selbst verfilmt hätte. Oh weiah…
Ob in den Händen von Thomas Vinterberg daraus ein guter Film geworden ist, ob aus diesem moralinsauren, unlogischen Buch überhaupt je ein guter Film werden konnte, darüber lässt sich gewiss trefflich streiten. Ich will mein Urteil vorwegnehmen: Ja. „Dear Wendy“ ist, trotz allem, ein guter Film. Die Regie von Thomas Vinterberg macht da sicher den Hauptteil aus, aber unbedingt zu loben ist auch die durch die Bank großartige Leistung der Schauspieler und der von Lars von Trier vorbestimmte Soundtrack, der sich hauptsächlich aus Stücken der 60er Jahre Band „The Zombies“ zusammensetzt. Zu jedem Zeitpunkt hätte dieser Film auf peinlichste Weise scheitern können. Er tut es nicht. „Dear Wendy“ ist, wie ich finde, sehr empfehlens- und sehenswert.

Der Film erzählt die Geschichte einiger junger Leute in einer fiktiven amerikanischen Kleindstadt. Obwohl im Herzen pazifistisch, entdecken sie die Faszination von Handfeuerwaffen und erliegen ihr letztlich mit ebenso grotesken wie schrecklichen Folgen.

Viel mehr will ich nicht erzählen. Die Geschichte selbst – also von Triers Drehbuch – ist zugegeben ziemlich dünn und ziemlich schwach. Schon wieder eine amerikanische Kleinstadt und schon wieder die nachgeschobene Erklärung, dass die Geschichte im Grunde überall hätte spielen können. Das ist schon richtig, aber warum spielt sie dann nicht zum Beispiel mal in Dänemark? Der Vorwurf des Antiamerikanismus gegen Lars von Trier wird zunehmend berechtigt. Und dass er dabei den Amerikanern Dinge vorwirft oder unterschiebt, die überall und generell ein Problem sind oder werden können, macht es nicht besser. Es mag durchaus Gründe für Antiamerikanismus geben. Der von Lars von Trier wirkt allerdings nur blasiert. Außerdem hat die Geschichte an einer sehr entscheidenden Stelle ein logisches Loch, durch das man einen Bus fahren kann. Für die, die den Film noch sehen werden: Warum ziehen sich die Dandies zurück, nachdem die alte Frau geschossen hat, warum verbarrikadieren sie sich und warum zum Teufel erzählen sie der Polizei von ihren Waffen? Ohne all dieses völlig aus der Luft gegriffene und völlig unverständliche Verhalten wäre die ganze Tragödie nicht passiert, abgesehen von dem einen tragischen Unfall, ausgelöst von einer verwirrten alten Frau, die eine Waffe hatte von der niemand wusste, auch die Dandies nicht. Der Showdown ist zwar gut – sowohl geschrieben als auch inszeniert – aber leider fällt er gleichsam vom Himmel. Und so gut, klug und nachvollziehbar geschildert wird, wie die Dandies ihren Waffen verfallen – umso nachvollziehbarer für jemanden, der auf verschiedenste Weise schon mit Waffen zu tun hatte und hat – so dünn bleibt der Pazifismus, der als Gegengewicht wirken soll. Obwohl ständig artikuliert, glaube ich diesen Figuren nicht einmal, dass sie ihre Lippenbekenntnisse selbst ernst nehmen. Das ist nicht mehr als ein dahergelabertes Wort. So schwach aber das Gegengewicht ist, so leichtgewichtig wird dadurch auch die Verführung durch die Waffen. Es stimmt, Waffen sind verführerisch, und über die Gefahren dieser Verführung ließe sich sicher ein tiefgängiger Film drehen. Figuren aber, deren Bekenntnisse zum Pazifismus ein ganzes Kinopublikum zu kollektivem Gelächter reizen, eignen sich für solchen Tiefgang nicht. Und deshalb ist das nicht mehr als eine oberflächliche Geschichte, mit deren Hilfe ein älterer Herr aus Dänemark den erhobenen Zeigefinger schwingt. Eine vergebene Chance.

Warum also mag ich den Film?
Nun, das Drehbuch hat zum Beispiel auch seine guten Seiten. Abgesehen von dem Pazifismus-Aspekt und den oben geschilderten, nicht nachvollziehbaren Handlungen, hat von Trier nämlich in der Clique der Dandies mit und um Hauptfigur Dick ganz wunderbar glaubwürdige und sympathische Charaktere geschaffen. Zum Leben erweckt wurden sie von einer Riege kongenialer Schauspieler, von denen ich Jamie Bell (Dick), Mark Webber (Stevie), Chris Owen (Huey) und Alison Pill (Susan) besonders hervorheben möchte. Alle Schauspieler in diesem Film spielen grandios, aber diese vier sind ebenso atemberaubend wie unspektakulär. Und Alison Pill ist außerdem… herrjeh, ich hätte nie gedacht, dass mich eine blonde Frau mit Hang zum Mondgesicht mal so bezaubern kann. Sie ist genau das: Bezaubernd.
Passend wie ein Handschuh ist auch der Soundtrack, der im wesentlichen (siehe oben) aus Songs der „Zombies“ besteht, und den von Trier gegen Vinterbergs anfänglichen Widerstand durchgesetzt hat. Das ist gut so. Selten kann ich mir einen Film mit einem anderen Soundtrack als dem gewählten einfach nicht vorstellen – hier ist es so. Zwar zwingt der Soundtrack zu einer kleinen Albernheit im Drehbuch (für die, die es sehen wollen – Stichwort: „Loving“), aber das Drehbuch ist alles in allem so daneben, dass ein kleines Opfer darin für den 1a Soundtrack lohnt.
Und dann natürlich die Bilder. Und die Töne. Die Komposition. Alles was Regie heisst. Danke, Thomas Vinterberg.

Dieser Film ist nah dran, eine alte Drehbuchautorenregel zu widerlegen, die besagt:

„Man kann zwar aus einem guten Drehbuch einen schlechten Film machen, aber nicht aus einem schlechten Drehbuch einen guten.“

Nah dran – wie gesagt. Letztlich steht die Regel weiterhin. Das Drehbuch hat ja seine guten Elemente, besonders in der Charakterzeichnung, und die, gemeinsam mit der schauspielerischen Leistung, rettet einen guten Teil des Films. Und ob das wirklich ein guter Film ist, bleibt weiter zu diskutieren. Vinterberg hat hier wirklich aus ziemlichem Murks sehr, sehr viel gemacht und der Cast spielt sich die Seele aus dem Leib, so dass ich doch mit einem guten Gefühl aus dem Kino gegangen bin. Aber der schale Beigeschmack, dieses Gefühl, dass von Trier mich für blöd verkaufen wollte, und die Herren Vinterberg, Bell, Webber und Owen sowie Frau Pill (hach… :herz: ) ihm das vermasselt haben, war von Anfang an da.


Und nächstes Jahr besorge ich mir eine Dauerkarte :-D
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

Silentium
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Re: Fantasy Filmfest 2005 in Köln

Beitragvon Silentium » 27.08.2005, 19:32

Alter Mann, ich bin fest überzeugt: die Filme selbst können nicht unterhaltsamer sein als deine Kritiken.

Kung-Fu-SS für Grundschüler

:rofl:

Kann man sich in diesem Forum eigentlich auch einen Film zum Rezensieren reservieren? Das tät ich dann gern: Den erste Film, der nach einem Drehbuch von M. Schreckenberg gedreht wird.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon


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